GiG im Gespräch 2022/1
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
liebe Mitglieder der Gesellschaft für interkulturelle Germanistik,
sehr geehrte Leserinnen und Leser der Zeitschrift für interkulturelle Germanistik,
diese Rubrik schreibe ich Ostermontag unmittelbar vor der GiG-Tagung, die morgen beginnt. Seit 2019, also seit drei Jahren, hat der Kollege Tomislav Zelić diese Tagung vorbereitet. Von Anfang an hatten wir uns im Vorstand und der Mitgliederversammlung der GiG darauf verständigt, dass es nicht im selben Jahr eine IVG- und eine GiG-Tagung geben sollte, da unsere internationalen Mitglieder in der Regel nicht zwei große Dienstreisen machen können. Als klar wurde, dass die IVG in Palermo nicht wie geplant 2020 stattfinden könne, sondern erst 2021, bedeutete das für die GiG, ebenfalls verschieben zu müssen, also von 2021 auf 2022. Damit war ein erheblicher Aufwand verbunden. Tomislav Zelić hatte bereits erste Vereinbarungen mit der Unileitung, Hotels und dergleichen getroffen. Meinerseits musste ich etwa abklären, was dies für die Verschiebung der Mitgliederversammlung um ein volles Jahr bedeutet und dergleichen mehr.
Im letzten Moment, nach Weihnachten, kam dann die Weisung der Universitätsleitung in Zadar, dass bis auf weiteres wegen der weiterhin dramatischen Pandemie sämtliche vor Ort geplanten Tagungen ins online-Format umzugestalten seien. Alles war für mehr als hundert Vortragende vorbereitet. Alles musste in kürzester Zeit komplett neu aufgestellt werden. Kurz: Tomislav Zelić hat Enormes geleistet. Ich bin sicher, dass es ihm viele Sorgen gemacht und schlaflose Nächte bereitet hat. Im Namen der Gesellschaft für interkulturelle Germanistik habe ich ihm auf das Herzlichste zu danken. Ebenso wie allen hier an der Universität Zadar, die involviert sind.
Unsere Tagung findet nun statt in einer Welt, die mit einem neuen Krieg konfrontiert ist. Wir wissen, was Krieg bedeutet: Qualen – Leid – Hunger – Durst –Tote – zerrissene Familien – über Generationen hinweg traumatisierte Menschen der Zivilgesellschaft – verletzte, tote, ebenfalls traumatisierte Soldatinnen/Soldaten – Vernichtung von Natur, Nahrungsquellen, Ressourcen, Städten, Infrastrukturen – Herstellung von Waffen, die Tod und Zerstörung bringen.
Wir wissen, was Krieg seit dem 20. Jahrhundert bedeuten kann: 1948 schrieb Albert Einstein: »Um uns herum liegen die Trümmer der einst so lebendigen Friedenshoffnungen der Menschheit. Die Kluft zwischen Ost und West, für deren Überbrückung Menschen guten Willens gekämpft haben, vergrössert sich mit jedem Tag. Einzelne Kreise halten eine Versöhnung für unmöglich und glauben, nur ein neuer Weltkrieg könne eine Lösung des gegenwärtigen Konflikts herbeiführen. Darauf antworten wir Wissenschaftler: Streitfragen lassen sich nicht mehr durch Kriege aus der Welt schaffen; ein Atomkrieg brächte keine Lösungen, sondern nur beispiellose Verluste an Menschenleben und Verwüstungen auf beiden Seiten.« (Einstein 2004: 460)
Nun ist unsere Wissenschaft nicht die Physik. Dennoch ist zu fragen: Wie verhält es sich aber mit unserer wissenschaftlichen Verantwortung als interkulturelle Germanistinnen und Germanisten? Welchen Beitrag wollen und können wir etwa dazu leisten, was der Soziologe Ulrich Beck 2002 die Unfähigkeit nannte, »die Sprache des genoziden Hasses, der keine ›Verhandlung‹, keinen ›Dialog‹, keinen ›Kompromiß‹ und damit letzten keinen ›Frieden‹ kennt«, zu überwinden (Beck 2002: 9)? Solche Fragen wird jede und jeder von uns sich auch mit Blick auf ihre und seine persönliche Verantwortung abwägen müssen.
Gerne bin ich – bei passender Gelegenheit – auch bereit, Ihnen meine eigene persönliche Antwort zu erläutern.
Selbstverständlich bedarf es insbesondere auch der wissenschaftlichen Diskussion im Rahmen unserer internationalen Mitglieder aller Kontinente. Das Tagungsthema bietet dazu Möglichkeiten. Denn wie bei allen GiG-Tagungen nimmt es exemplarisch auf den Tagungsort Bezug, ist dabei aber für viele Regionen der Welt von Belang. Es geht dabei um Schauplätze »für zeitweilig friedliche, gefährliche oder kriegerische interkulturelle Begegnungen und Auseinandersetzungen von verschiedenen Individuen, Nationen und Religionen, Wirtschafts- und Rechtssystemen, Völkern, Gemeinschaften und Gesellschaften. Es (hier: das Mittelmeer) war nicht nur Konfliktherd und Kriegsschauplatz, sondern auch Mittelpunkt für die europäische Identifikation – und Differenzierung. In der jüngsten Vergangenheit wurde es erneut zum Kulminationspunkt spannungsvoller Sichtweisen.« (Call der GiG-Tagung 2022)
Die Tagung wird wie üblich auch der Rahmen für eine Mitgliederversammlung sein. Auch sie muss nun online stattfinden, was trotz inzwischen vieler Erfahrungen mit Videokonferenzen schade ist, da gerade die persönliche An- und Aussprache online anders ist als face-to-face. Dies zumal die turnusmäßigen Gremienwahlen anstehen. Hierüber werde ich in der nächsten Ausgabe der Rubrik »GiG im Gespräch« berichten.
Erfreulicherweise werden wir aber auch die GiG-Preisträgerinnen und -Preisträger der vergangenen beiden Jahre ehren können. Im vorletzten Jahr wurde der Preis für erfahrene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ja unter Leslie A. Adelson von der Cornell University, Ithaca NY, und Stefan Hermes von der Universität Duisburg-Essen aufgeteilt. Den Preis für jüngere Forscherinnen und Forscher erhielt Václav Smyčka. Die letzte Preisausschreibung ergab Renata Cornejo, Ustí nad Labem in Tschechien, als Trägerin des Preises für erfahrene Kolleginnen und Kollegen, und Doriane Zerka von der University of Cambridge und Girissha Ameya Tilak von der University of Mumbai teilen sich dieses Mal den Preis für die Jüngeren. Wie immer wurde ein sehr aufwändiges Gutachterverfahren durchgeführt und ich danke allen Gutachterinnen und Gutachtern für ihre wertvolle Mitwirkung.
Ich wünsche uns allen weiterhin einen ergebnisreichen wissenschaftlichen Austausch.
In diesem Sinn grüßt Sie sehr herzlich und wünscht Ihnen alles Gute
Ihre Gesine Lenore Schiewer
Literatur
Beck, Ulrich (2002): Das Schweigen der Wörter. Über Terror und Krieg. Frankfurt a.M.
Einstein, Albert (2004): Über den Frieden. Weltordnung oder Weltuntergang? Hg. von Otto Nathan u. Heinz Norden. Vorw. v. Bertrand Russell. Übers. aus dem Engl. u. Franz. v. Will Schaber. Köln.