Einleitung
Es hat sich in der Gemengelage der Gegenwart eine epistemische Falte gebildet, welche die Disziplin der Kunst als forschende Wissenschaft hervorbringen wird. Doch was meinen wir, wenn wir von der Kunst als Forscherin sprechen? Kann Kunst als Einsichten generierende, reflexive Praxis angesehen werden, die sich in ästhetischen Artikulationen formuliert? Diese erste Annäherung an eine Bestimmung bedeutet zunächst nichts weiter, als dass die Begriffe der Praxis, der Einsicht und der Artikulation mit Inhalt gefüllt werden müssen. Eine neue Disziplin ist in aller Munde – die künstlerische Forschung – aber welche Einsicht über welche Welt stellt sie wie bereit? Künstler haben auf gewisse Weise ›immer schon‹ geforscht, wie auch umgekehrt ihre Praktiken ›niemals‹ den Forschungsstandards entsprechen werden. So klingen die Allgemeinplätze, die immer wieder neu in den Debatten über die ›künstlerische Forschung‹ oder die ›Kunst als Wissenschaft‹ ausgetauscht werden. Die Rede über die Kombination von Kunst, Wissen und Forschung markiert ein umkämpftes Terrain, in dem es um Forschungshoheiten, Sprecherpositionen, die Zukunft der Wissenschaften und ihrer Methoden geht – und es geht auch um die Zukunft der Kunst. Auf diesem umkämpften Terrain wird mit generalisierenden Zurückweisungen und freundlichen Übernahmeangeboten gefochten. Denn wenn Wissen, Forschung und Erkenntnis verhandelt werden, geht es immer auch um Grundsätzliches: Es geht um das Verhältnis von Menschen zur Welt. Auch das künstlerische Forschen oder die Kunst als Wissensform berühren die Frage, wie und mit welchen Mitteln wir uns die Welt verständlich machen und auf welche Annahmen von Wahrheit wir unser Verstehen und Handeln gründen wollen. Die derzeitigen Debatten darüber, was legitimerweise Forschung genannt werden dürfe und welche Disziplinen anerkanntes Wissen generieren, sind Geschichtszeichen, die auf das erkenntnistheoretische und nicht zuletzt auch wissenschaftspolitische Problemfeld der Neuformation von Wissenschaft und Kunst verweisen. Denn wir haben es tatsächlich mit einer kulturgeschichtlichen Situation zu tun, die im Zuge einer Verdichtung verschiedener politischer, historischer, epistemologischer und kultureller Kräfte zur Durchsetzung der Kunst als Forschungsdisziplin beitragen wird. Bestimmte Formen künstlerischer Praxis kommen zu Beginn des 21. Jahrhunderts als Forschungsverfahren eigens zu sich und tragen zum Wissenskanon bei, weil die konzeptuellen und politischen Tendenzen der Gegenwartskunst, die Hochschulpolitik des Bologna-Prozesses, aber auch die philosophische Wissenskritik sowie die Allgegenwart der visuellen Kultur zusammenspielen und das implizite ›immer schon‹ künstlerischen Forschens beginnt, eigene Parameter aus der Praxis der Kunst heraus zu setzen. Diese Eckpunkte eines angenommenen Dispositivs künstlerischer Forschung wären also Markierungen des Feldes sich gegenseitig verstärkender Kräfte, die zur Geburt einer Kunst als Forscherin führen. Es entwickeln sich bestimmte Künste zu forschenden, weil sie mit der politischen und konzeptuellen Kunst reflexiv und epistemisch geworden sind, weil die Hochschulpolitik ihnen einen Platz im Feld der Wissenschaften zuweist, weil die Methoden der Genese von Wissen sich diversifizieren und auch weil die dominant gewordene visuelle Kultur einer angemessenen ikonischen Auseinandersetzung bedarf und sich damit als ein vorzüglicher Gegenstandbereich für künstlerische Forschung anbietet. Hier kommt, wenn nicht ausschließlich, so doch besonders, die bildende und performative Kunst als Reflexionsgegenstand der epistemologischen Ästhetik ins Blickfeld. Entlang dieser Parameter aber – der reflexiv werdenden Kunstpraxis, der Kritik des Wissens und der medialen Kultur – kann die Praxis der Kunst als Forschung im Detail untersucht werden.
Zunächst fällt allerdings auf, dass vor allem die Hochschulpolitik zum Durchbruch des Begriffs der künstlerischen Forschung in Zentraleuropa geführt hat. Durch den so genannten Bologna-Prozess, dessen Ziel es war, über die europäischen Ländergrenzen hinweg eine Vereinheitlichung der Ausbildungssysteme zu erreichen, wird das Forschen in der Kunst aktuell. Denn seit den Beschlüssen von Bologna können oder sollen auch Kunsthochschulen zu Universitäten werden und daher hat man ›Artistic Research Institute‹ an Kunsthochschulen gegründet sowie Lehrpläne und Prüfungsverfahren für die Kunst als Forschung entwickelt. Denn als universitäre Einrichtungen sollen die Kunsthochschulen – wie alle anderen universitären Hochschulen auch – Forschung betreiben und zwar mit den ihn eigenen Disziplinen. Nur wie? Symptomatisch klingt hier das Bekenntnis von Henk Borgdorff, der seit dem Moment begann, sich theoretisch mit künstlerischer Forschung zu beschäftigen, wo er institutionell aufgefordert war, ein praxisbasiertes Doktoratsprogramm zu entwickeln. Borgdorff wurde aus dieser ›Not‹ heraus zu einem der wichtigsten mitteleuropäischen Theoretiker zum Thema der Forschung in den Künsten. Doch nicht nur die Forschungsinstitute oder Doktoratsprogramme an Kunsthochschulen animieren aus dem Bologna-Prozess heraus ein Nachdenken über das künstlerische Forschen. Schon die hochschulpolitische Anforderung, das Kunststudium zu modularisieren, provoziert eine Unterwanderung des alten Meisterklassenmodells in der Ausbildung. Die Tradition einer Fixierung zwischen Lehrerenden und Lernenden löst sich in eine ebenso flexible wie rationale Kursstruktur auf. In der Folge der Strukturveränderungen in der Hochschullandschaft hat mithin die künstlerische Forschung zumindest als Problemfeld und Diskurstopos Konjunktur und zugleich haben die neuen Forschungsansprüche an die künstlerische Praxis zu bemerkenswerten methodischen Zwängen und Vorgaben geführt. Methodische Korsetts wurden in eilig gestrickten Curricula entwickelt, derer sich jede andere traditionelle Forschungsdisziplin aus guten Gründen erwehren würde. In manchen Lehrplänen für die postgraduierte Schulung von Künstlerinnen und Künstlern wird etwa festgelegt, dass künstlerische Forschung nicht ohne schriftliche Textreflexion vonstatten gehen dürfe. Diese Festlegung erfolgt jedoch nicht aus der Logik des originär künstlerischen Forschens heraus, sondern nach Maßgabe anerkannter Methoden in den Geisteswissenschaften. Oder es wird gefordert, dass sich künstlerische Forschung in Teamarbeit organisieren und an Laborbedingungen orientieren solle. Diese Festlegung orientiert sich an den eingeführten wissenschaftlichen Verfahrensweisen in den Natur- und Sozialwissenschaften. Oder man ist sich sicher, dass alleine dasjenige als künstlerische Forschung akzeptiert werden dürfe, was in der intellektuellen Tradition der Kritischen Theorie sich bewege und in gesellschaftspolitischer Kritik der Forschungspraxis als solcher bestehe. Dies wären nur einige Tendenzen an den Instituten für künstlerische Forschung.
Entscheidend aber ist: Die institutionellen Zwänge, curricularen Arabesken und die hochschulpolitische Konjunktur des Begriffs der künstlerischen Forschung zeigen den erkenntnistheoretischen Klärungsbedarf. Um der methodischen Disziplinierung in der Folge der politischen Hochschulstrukturreform zu begegnen, braucht das künstlerische Forschen, braucht die Kunst, die sich als Werkzeug der Einsicht versteht, eine eigene Methodologie, Genealogie und Praxologie1, die sich auf die Geschichte, Heuristik und Praxis des spezifisch künstlerischen ›Erkennens und Argumentierens‹ konzentriert. Künstlerisches Wissen und Forschen bedürfen einer epistemologischen Ästhetik, die anknüpft an die wissenschaftskritischen Diskurse zur Geschichte des Wissens und Forschens. Die Anführungszeichen bei dem gesuchten künstlerischen ›Erkennen und Argumentieren‹ markieren dabei nur den derzeitigen Mangel an besseren, den Künsten und ihren Methoden entsprechenden Termini. Diese Begriffe sollten im Rahmen der epistemologischen Ästhetik gefunden werden. Eine umfassende, epistemologische Ästhetik, die sich insbesondere dem künstlerischen Forschen als Methode und Praxis annimmt, hat es bisher noch nicht gegeben. Das künstlerisch genannte Feld des Forschens ist einerseits noch vergleichsweise jung. Andererseits hat die Wissenschaftsforschung die Kunst historisch nicht als ihren Gegenstand anerkannt. Auch der philosophischen Ästhetik sind die Analyse der künstlerischen Praxis als einer epistemischen Praxis weitestgehend fremd, obwohl durchaus ein Erkenntnisgehalt der Werke anerkannt wird. Kunst wurde bisher in den seltensten Fällen in Hinblick auf ihre Praxis einerseits und gleichzeitig andererseits unter forschungstheoretischen Gesichtspunkten betrachtet. Doch die Lücke in der Betrachtung beginnt sich langsam zu schließen. Jüngere kunsttheoretische Veröffentlichungen umkreisen das Phänomen der künstlerischen Forschung in zahlreichen Anthologien schlaglichtartig. Der Sammelband zur Kunst des Forschens von Elke Bippus war im deutschsprachigen Raum einer der wichtigen Impulse zur ernsthaften Auseinandersetzung. Eine systematische Analyse leisten die Veröffentlichungen von Henk Borkdorff, in denen das Verhältnis von künstlerischer und anderer Forschung im Kontext einer Transformation der Wissenslandschaft diskutiert wird. Während Borkdorff allerdings – wie er selber schreibt – gerade erst beginnt die ideengeschichtliche Bedeutung der forschenden Kunst für die etablierten Wissenschaftsdisziplinen mit Referenz auf den »Streit der Fakultäten« im 18. Jahrhundert zu verdeutlichen, überlagern schon neue Ästhetiken diese notwendige Auseinandersetzung mit der künstlerischen Forschung. Dieter Mersch setzt gegen die Betrachtung des ästhetischen Forschens mancher Kunst ein ästhetisches Denken aller Kunst und weist auf diese Weise die Kunst als Praxis nach, aber auch das Forschen in der Kunst zurück, bevor die Kunst als Forscherin überhaupt umfassend untersucht wurde. Im Fall künstlerischen Forschens gibt es also nach wie vor ein methodisches wie terminologisches Desiderat. Es wird die Aufgabe der epistemologischen Ästhetik sein, künstlerische Praktiken in Form von Arbeitsweisen und Verfahren als ein Forschen und tätiges Entfalten von Wissen – als epistemische Praktiken – verständlich zu machen. Bislang können wir einiges über den Erkenntnischarakter von künstlerischen Werken lesen, wenig aber über die forschenden Methoden der künstlerischen Praktiken. Entscheidend aber ist es, den Versuch zu unternehmen, in der Ästhetik genau diese Verschiebung vom Werk zur Praxis in der Folge einer Verschiebung der Aufmerksamkeit vom Moment der Erkenntnis zum Prozess der Forschung systematisch zu bedenken.
Vielleicht sollte man an dieser Stelle noch einmal grundsätzlich fragen, ob die künstlerische Praxis verstanden als Forschung überhaupt diese epistemologische Aufmerksamkeit verdient? Wird Kunst tatsächlich zu einem relevanten Feld, auf dem Einsichten generiert werden? Welche kunsthistorische und wissenschaftstheoretische Bedeutung hat das künstlerische Forschen als wissenschaftliche Praxis tatsächlich? Kann man wirklich von einer epistemischen Falte sprechen, aus der die Kunst als Forschung und Praxis des Wissens geboren wird und in deren Folge die Ästhetik epistemologisch werden muss? Kann für die Kunst und ihre gegenwärtige Praxis eine umfassende Verschiebung vom Werk zur Praxis in der Folge einer grundsätzlichen Verschiebung der Aufmerksamkeit vom Erkenntnismoment zur Forschungspraxis diagnostiziert werden? Für den spezifischen Fall künstlerischen Forschens mag es sinnvoll sein, eine epistemologische Ästhetik zu fordern. Braucht es aber eine allgemeine Ästhetik als Epistemologie oder reicht eine epistemologische Ästhetik mit besonderem Augenmerk auf der spezifischen Praxis der Kunst als Forschung? Was also ist der Horizont dieser Ästhetik? In Hinblick auf die große Menge dessen, was im Feld der Kunst hergestellt wird, wäre die Diagnose nicht haltbar, dass die Kunst generell oder mehrheitlich zur Forschung würde und vornehmlich zur Einsicht in Weltverhältnisse beitrüge. Massenweise wird Werkkunst erzeugt, ausgestellt und gehandelt, die keine Forschung sein will. Doch der nach wie vor mächtige Werkkunstbetrieb sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass künstlerisches Forschen als Effekt und als Weiterentwicklung insbesondere der konzeptuellen Kunst eine fundamentale kulturgeschichtliche Relevanz hat. Konzeptkunst hat seit dem Beginn des letzten Jahrhunderts den Status und das Selbstverständnis der Werkkunst in Frage gestellt. Die Ausübung und der Topos künstlerischer Forschung sind eine der gegenwärtigen Antworten auf das in Frage gestellte und veränderte Selbstverständnis der Kunst als kultureller Praxis. Vor dem Hintergrund dieser kulturgeschichtlichen Diagnose ist es tatsächlich eine zentrale theoretische Aufgabe, die Praxis, die Methode und die Herkunft des künstlerischen Forschens in einer epistemologischen Ästhetik zu klären.
Kunst ist also zumindest in manchen Fällen auch Forschung und sollte als solche bedacht werden. Und wieder taucht die Frage auf: Aber war sie es nicht immer schon? Andersherum mahnen die Kritiker: Was bleibt von den Ansprüchen an Wissenschaftlichkeit, wenn Kunst als Forschung akzeptiert werden sollte? Beide provokanten Fragen kennzeichnen aber nur den mitunter holzschnittartigen Zustand der Debatte. Zwischen dem grundsätzlich Ganzen in der Vereinnahmung einerseits oder der generellen Zurückweisung andererseits liegt das eigentliche Analysefeld, das die Kunst als Einsichten generierende Reflexionspraxis verstehen will. Dieses Analysefeld offenbart drei Achsen, entlang derer das Phänomen des ästhetischen Forschens im Detail untersucht werden kann: Da ist zunächst der Begriff der Forschung selber, der von der Tätigkeit des Forschens her verstanden werden muss und anhand dessen eine Praxologie der Erkenntnis herauszuarbeiten ist. Mithilfe dieser Praxologie der Erkenntnis lässt sich künstlerisches Forschen als spezifische Tätigkeit praxisästhetisch begreifen. Dann sind da die aktuellen Beispiele von künstlerischer Forschung, ihre Methoden und Formeln, die einer Detailanalyse unterzogen werden müssen, um die Methodologie der forschenden Kunst deskriptiv, kasuistisch und immanent bestimmen zu können – also von den konkreten künstlerischen Verfahren her und innerhalb der inhärenten Schlüssigkeit des jeweiligen Forschungsfalls. Schließlich wird der Blick in die Genealogie der Kunst als Praxis des Forschens erforderlich, mit dessen Hilfe die Ausdrucksformen künstlerischen Bedeutens und Zeigens als Symptome kultureller Selbstverständnisse und kunstgeschichtlicher Entwicklungen historisch hergeleitet und kontextualisiert werden können, wie auch die künstlerische Forschung selber als epistemologisches Symptom der Gegenwart eines bildlichen Denkens und visuellen Argumentierens kenntlich gemacht werden kann. Ausgehend von diesen Achsen der Praxologie des Wissens, der Methodologie und der Genealogie der forschenden Kunst werden weitere philosophische Problemfelder sichtbar. So markiert die Frage nach der spezifischen Weise des künstlerischen Bedeutens das symboltheoretische Problemfeld einer Ikontik als einer Grammatik künstlerischen Bedeutens. Oder die Frage, wie künstlerische Forschung bestimmt werden kann, verweist auf das Problemfeld der kritischen Epistemologie, vor deren Hintergrund sich die Debatte um die Kunst als Forscherin gegenüber den historischen Kontexten des Wissens nicht naiv verhalten kann. Entlang dieser Achsen und Problemfelder der Praxologie, Genealogie, Methodologie, kritischen Epistemologie und symboltheoretischen Ikontik sollen bestimmte künstlerische Verfahren als Forschung bestimmt werden und es ist klar, dass der Gegenstand der Bestimmung dabei ganz und gar nicht das bloß oberflächliche Spiel einzelner Künstler mit neuen Technologien oder Versatzstücken von Text ist, welches sie vermeintlich in die Nähe zu geistes- oder naturwissenschaftlichen Disziplinen bringt. Es geht um die Frage nach den originären Methoden, historischen Vorläufern, spezifischen Artikulationsformen und konkreten Handlungsweisen künstlerischen Forschens.
Nun hat sich während der Arbeit an einer epistemologischen Ästhetik zur künstlerischen Forschung immer wieder die Frage gestellt, von welcher Achse aus die Probleme des künstlerischen Forschens und die Praxis des Wissens im Feld der Kunst zuallererst beschrieben werden sollten? Womit also die Reflexion und den Text beginnen? Bedarf es zunächst der historischen Einordnung und Herleitung, um der Übersicht willen? Ist der Begriff der Forschung und der Kunst als Tätigkeit derjenige, der den traditionellen Begriff der Erkenntnis als Fluchtpunkt des Wissens überwinden hilft und künstlerisches Tätigsein im Rahmen einer Praxisästhetik stark zu machen verspricht? Oder sollte zunächst und von einem induktiven Theorieansatz ausgehend anhand konkreter Beispiele eine Detailanalyse zur Methodologie künstlerischen Forschens und Artikulierens vorgelegt werden, um den Gegenstand der gesamten Untersuchung auszuweisen? Der folgende Text ist in seiner Komposition vor dem Hintergrund dieser Erwägungen mehrfach gedreht und gewendet worden und die Achsen und Problemfelder haben sich verschoben bis schließlich die vorliegende Version zum Abschluss gekommen ist. Die Lesenden mögen die Kapitel nach eigenem Interesse und Temperament variieren. Ich möchte mich für diese zugemutete Eigenarbeit entschuldigen. Denn es ist, als überließe man eine Serie von Bildern dem Betrachter, welche diese Bilder selber zu drehen, zu wenden und zu hängen haben, bis der Kontext und die Ausrichtung für den Einzelnen stimmt.
1Zum Begriff und zur Schreibweise der Praxologie soll eine Anmerkung helfen, Missverständnisse zu vermeiden: Die ›praxélogie‹ wird als Fachbegriff dem französischen Soziologen Pierre Bourdieu zugeschrieben, der diesen Terminus im Gegensatz zu seinen Begriffen des ›Feldes‹ oder des ›Habitus‹ nicht systematisiert und eher von einer ›Theorie der Praxis‹ (théorie de la pratique), dem ›praktischen Sinn‹ (sense pratique), den ›praktischen Gründen‹ (raisons pratiques) oder einer ›Theorie des Handelns‹ (théorie de l’action) schreibt. Bourdieus Reflexionen zu den Praktiken menschlichen Handelns sind dabei der Erklärung der Reproduktion sozialer und symbolischer Räume gewidmet. Sehr viel ausdrücklicher als Bourdieu, aber weniger bekannt, entwickeln die Autoren Ludwig von Mises und Tadeusz Kotarbiński den Begriff der ›Praxeologie‹ bzw. ›Praxiologie‹. In beiden Fällen geht es unter den sehr verschiedenen Gesichtspunkten der Effizienz oder der Rationalität des Handelns um Theorien im Kontext der Arbeits- und Wirtschaftswissenschaften. Demgegenüber verwendet der vorliegenden Text den Begriff der ›Praxologie‹ (ohne é, e oder i) weder mit soziologischen noch mit ökonomischen Erklärungsabsichten, sondern um Charakteristika der Kunst (bzw. praxologisch formuliert: des Kunstens) unter praxischen Gesichtspunkten beschreibbar zu machen – gewissermaßen in einem schwachen ontologischen Sinne, um das Sein der Kunst als ein Tätigsein zu verstehen.