Zur Herkunft der Kunst als Forschung
Eine kontinuierliche Geschichte über das Aufkommen der Kunst als einer Einsichtspraxis zu erzählen, scheint unmöglich. Die forschende Kunst hat viele Eltern. Sie blickt auf eine verästelte Vorgeschichte zurück. Mindestens vier Herkunftslinien lassen sich identifizieren. Deren wechselvolle Überlagerungen bringen die Kunst als Einsichtspraxis im beginnenden 21. Jahrhundert hervor: Die Politisierung der Kunst und eine daraus erwachsende Befragung der Hierarchien und Autoritäten des Wissens spätestens seit den 1970er Jahren; die Konzeptualisierung der Kunst durch ihre ontologische Selbstbefragung seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts; die Akademisierung der Kunst unterstützt durch den hochschulpolitischen »Bologna-Prozess«, der kurz vor der Millenniumswende begann; sowie schließlich die zunehmende Ästhetisierung der Lebenswelt mit dem Aufkommen der medialen und visuellen Kultur der Gegenwart. Diese vier Entwicklungslinien entspringen unterschiedlichen Impulsen und Zeiten, verlaufen verschlungen oder parallel in verschiedenen Diskursen sowie Praxisfeldern und kulminieren zunehmend im Selbstverständnis von mancher Kunst als einer Praxis des kritischen oder konzeptuellen, ästhetischen oder institutionalisierten Forschens. Wenn wir diese Vorgeschichten rekonstruieren wollen, um die Herkunft der Kunst als Forscherin nachzuzeichnen und ihre Merkmale zu verstehen, so entfaltet sich dabei keine umfassende Kunstgeschichte, sondern eine verzweigte Genealogie. Der genealogischen Herkunftsanalyse geht es nicht um die Auflistung aller Positionen, die als prototypisch für die künstlerische Forschung interpretiert werden können. Das wäre eine monströse Aufgabe. Schon seit der Renaissance und den Ambitionen Leonardo da Vincis, die Malerei von einer manuellen Geschicklichkeit in den Rang einer Wissenschaft zu heben, muss davon ausgegangen werden, dass eine Fülle von künstlerischen Arbeiten reflexive Elemente enthielten oder sich Künstlerinnen und Künstler als Forschende begriffen. Die Überlegung ist jedoch nicht, dass eine kontinuierliche Akkumulation von künstlerischen Forschungsverfahren über die Jahrhunderte zu einer Konsolidierung der Kunst als Forscherin in der Gegenwart führt. Die Überlegung ist, dass unzusammenhängende, kunsthistorische, hochschulpolitische und kulturelle Entwicklungen seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts entscheidend waren, um jener schon lange währenden, latenten Praxis des tätigen Forschens in der Kunst zu einer manifesten Dimension zu verhelfen. Eine Manifestation des ästhetischen Forschens, die sich als eine neue Wissenskultur durchsetzen wird.