Qian Zhongshus Erzähltechniken und Freuds psychoanalytische Theorie1
AbstractThe writer and scholar Qian Zhongshu (1910-1998) became famous in the West primarily for his novel Wei cheng (Fortress besieged, 1946/47), and in China for his writings on aesthetics and comparative literature. Fortress besieged is a magnificent work of satire aimed at the weakness of mankind and in particular at a group of Chinese who blindly worship and superficially adopt Western ideas and styles. However, his innovative application of Freud’s theory was largely neglected by academics in China and abroad. In order to uncover mankind’s complexity and the hypocrisy common in modern society, Qian Zhongshu masterfully borrows from, absorbs and integrates Freud’s psychoanalytic concepts and topics such as dreams, the unconscious and the structure of id, ego and superego in his novel.
TitleQian Zhongshu’s narrative techniques and Freud’s psychoanalytic theory
KeywordsQian Zhongshu (1910-1998); Sigmund Freud (1856-1939); psychoanalysis; satire; Chinese-European literary relationship
1. Einleitung
Qian Zhongshu und Freud
Qian Zhongshu (钱锺书, 1910-1998) wurde in der Stadt Wuxi in der Provinz Jiangsu in eine wohlhabende Familie geboren, die das Studium der alten chinesischen Literatur förderte. Bis zu einem gewissen Grad profitierte er intellektuell von den turbulenten Zeiten, in denen China mit ausländischer Aggression und Kriegen im Inland konfrontiert war. Infolgedessen sah sich das Land gezwungen, sich mit dem Ausland auseinanderzusetzen, wobei altes chinesisches Wissen und westliche Gedanken miteinander kollidierten. Qian Zhongshu wuchs unter dem Einfluss seines Vaters Qian Jibo (钱基博, 1887-1957) auf, der als Professor für chinesische Literatur an verschiedenen Universitäten arbeitete und mehrere Bücher über alte chinesische Literatur veröffentlichte. Qian Zhongshu studierte von 1929 bis 1933 ausländische Literatur an der Tsinghua-Universität in Peking und später von 1935 bis 1938 in Großbritannien und Frankreich. Er wurde neben anderen ausgewählt, um zwischen 1950 und 1953 Mao Zedongs (毛泽东, 1893-1976) Gedichte ins Englische zu übersetzen, auch wenn er sein Leben lang nie Mitglied der Kommunistischen Partei wurde. 1982 wurde er zum stellvertretenden Leiter der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften (gegründet im Mai 1977) ernannt. Im Laufe seines Lebens wurde Qian Zhongshu Zeuge der japanischen Aggression im Zweiten Weltkrieg und nahm die internationale Reaktion darauf wahr, er überlebte die Anti-Rechts-Kampagne (1957-1959) und die Kulturrevolution (1966-1976) und erfuhr noch zu Lebzeiten die Rehabilitation seines Rufs. Seine Popularität erreichte einen neuen Höhepunkt, als seine Frau Yang Jiang (杨绛, 1911-2016) im Jahr 2003 ihre Memoiren Women sa (我们仨, Wir drei) veröffentlichte. Diese Memoiren trugen maßgeblich zu Qian Zhongshus erneuertem Ruhm als beispielhafter Gelehrter mit profunder Kenntnis der chinesischen und westlichen Literatur sowie humanistisch gebildeter, vorbildlicher Persönlichkeit bei.
Qian Zhongshu weist in seinem großen Werk Guan zhui bian (管锥编, Mit Bambusrohr und Ahle, 1979-1986) sein umfassendes Wissen über europäische Diskurse und Literatur nach. Aber das ist auch schon in seinen frühen Werken zu erkennen, z.B. in Tan yi lu (谈艺录, Über die Kunst des Gedichtes, 1947-1949), entstanden fast zeitgleich mit dem Roman Wei cheng (围城, Die umzingelte Festung). Im Übrigen haben seine Aufsätze, veröffentlicht in den 1930er Jahren, sein Interesse an deutscher Literatur gezeigt. Er erweiterte seine Kenntnis in Germanistik während seines Studiums in Europa von 1935 bis 1938. Bereits vor seiner Reise nach Europa hatte Qian Zhongshu den Namen Freud erwähnt, sodass davon ausgegangen werden kann, dass ihm Freud und wahrscheinlich auch seine Theorie nicht fremd waren. In einer englischen Rezension (veröffentlicht im Jahr 1933) über A.L. Pollards (1894-1940) Great European Novels and Novelists (1933) verdeutlichte Qian Zhongshu, dass er eine andere Meinung als Pollard (ein Lektor in der Tsinghua-Universität) vertrat:
Prof. Pollard says the usual thing about the influence of Bergson and Freud on the technique of Proust. But the method of Proust seems to me have more affinity with Hume’s philosophy than with Bergsonism or Freudian psychology in its stress on association and its atomistic or cinematographic view of personality. Psychological atomism and associationism are really the working hypotheses of Proust, and the Freudian wish and Bergsonian durée furnish but materials for him to work upon. (Qian Zhongshu 2019a: 25)
In Zhongguo guyou de wenxue piping de yige tedian (中国固有的文学批评的一个特点, Eine Eigenschaft der Literaturkritik in China, 1937) nutzt Qian Zhongshu Psychoanalyse als ein Beispiel, um seine Ansicht zu äußern, dass eine Methode oder eine Schule nicht alle Eigenheiten der Literaturkritik einer Nation repräsentieren kann (vgl. Qian Zhongshu 2015a: 118).2 Er erwähnt Freud und sein Werk Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten in Xiaoshuo shi xiao (小说识小, Kleine Gedanken über Romane, 1945), wo er die Ähnlichkeiten in Handlung, Humor und Gesinnung von chinesischen und europäischen Romanen darlegt. Mit Freuds Konzept der Ersatzbildung erklärt er die Wortspiele von Xiaolin guangji (笑林广记, Eine umfangreiche Aufzeichung von Witzen, 1899; Lektor: Chen Shijue 程世爵) und Fuhutao (伏虎韬, eine Komödie im 18. Jahrhundert über eine eifersüchtige Ehefrau, geschrieben von Shen Qifeng 沈起凤). Außerdem hat Qian Zhongshu in diesem Aufsatz die deutschen Originaltexte unterschiedlicher deutscher Schriftsteller (mit seinen eigenen chinesischen Übersetzungen) zitiert, Heines Reisebilder und H. J. Ch. von Grimmelshausens Simplicissimus. Diese Befunde können als Nachweis dafür dienen, dass Qian Zhongshu Freud und die Psychoanalyse bekannt waren und er über Kenntnisse der deutschen Sprache verfügte, bevor (oder während) er den Roman Wei cheng schrieb.
2. Die umzingelte Festung und der Traum
Der vorliegende Aufsatz unternimmt eine Analyse der Erzählmerkmale von Qian Zhongshus Roman Wei cheng (Die umzingelte Festung) aus der Perspektive der freudschen Überlegungen zum Traum, zum Unbewussten und zu der Beziehung zwischen Es, Ich und Über-Ich. Als einer der »raffiniertesten chinesischen Erzähler des 20. Jahrhunderts« (Kubin 2005: 223) integriert Qian Zhongshu die psychoanalytische Theorie in seinen Roman mit dem Effekt, die komplexen Mentalitäten der Menschen ironisch aufzudecken, anstatt sich auf das freudsche erotische Verlangen zu beschränken. Dieser Aufsatz ist nicht der erste Versuch, Qian Zhongshus Rezeption von Freuds psychoanalytischer Theorie zu erklären. Wang Ning (vgl. 2013: 9-11) vertrat die Auffassung, dass die umzingelte Festung – die wichtigste Metapher in Qian Zhongshus Roman – nicht nur die unterdrückten Wünsche des Individuums, sondern auch der gesamten Nation darstelle. Er führte jedoch keine detaillierte Analyse darüber durch, wie Freuds Theorie die Erzähltechniken des Autors prägte.
Die hier vorgelegte Untersuchung befasst sich mit den von Qian Zhongshu eingeführten literarischen Aspekten, aber auch mit seiner Auffassung davon, wie die chinesische Öffentlichkeit westliche Ideen aufnehmen sollte. Qian Zhongshus Verbindung zur westlichen Literatur wurde von verschiedenen Wissenschaftlern aufgegriffen. Monika Motsch bevorzugt ›Berührung‹ statt ›Vergleiche‹ für ihre Interpretation von Qian Zhongshus Analysen der Weltliteratur: »Die Gegenüberstellungen sind oft überraschend, Zitate der verschiedensten Epochen und Stimmungslagen folgen abrupt aufeinander. Jedoch handelt es sich nie um Vergleiche, eher um Berührungen« (Motsch 1988: 212). Zhang Longxi pries Tan yi lu (Über die Kunst des Gedichtes) als »exemplary of Qian Zhongshu’s scholarship that draws on incredibly rich textual sources in Chinese and European languages for comparisons, intertextual connections, and mutual illuminations« (Zhang Longxi 2013: 181). Ronald Egan bezeichnet die westlichen Zitate in Qian Zhongshus Guan zhui bian (Mit Bambusrohr und Ahle) als »the culmination of a lifetime of reading in Chinese literature and philosophy and their counterparts in the Western tradition« (Egan 2015: 109). Laut Egan zielen die häufigen und zahlreichen westlichen Referenzen und Zitate von Qian Zhongshu darauf ab, »[to] put Chinese letters on an equal footing with the great literary and intellectual traditions outside of China, especially those of England, Italy, France, Germany and Spain« (ebd.: 126). In diesem Aufsatz wird argumentiert, dass Qian Zhongshu mit seiner sorgfältigen Integration der freudschen Gedanken der chinesischen Öffentlichkeit demonstriert, dass die erfolgreiche Integration westlicher Gedanken auf einem nüchternen und unvoreingenommenen Verständnis der Heimatkultur und auf einer tiefgreifenden Kenntnis der menschlichen Schwächen und unbändigen Instinkte über die einzelnen Nationalitäten hinweg basiert.
Qian Zhongshu begann 1944 mit dem Schreiben von Wei cheng und vollendete den Roman 1946. Im Jahr 1947 wurde er in Shanghai veröffentlicht. Jeanne Kelly und Nathan K. Mao übersetzten ihn 1979 ins Englische (vgl. Qian Zhongshu 2006); die deutsche Übersetzung von Monika Motsch und Jerome Shih erschien 1982 (vgl. Qian Zhongshu 2008). In A History of Modern Chinese Fiction (Erstausgabe 1961) kommentierte Hsia Chih-tsing (夏志清) lobend: Die umzingelte Festung war »the most delightful and carefully wrought novel in modern Chinese literature; it is perhaps also its greatest novel« (Hsia Chih-tsing 1999: 441). Wolfgang Kubin rühmte den Roman »auf Grund seiner einzigartigen Komposition und Tiefe als das anspruchsvollste und in diesem Sinne unerreichte Zeugnis moderner chinesischer Erzählkunst« (Kubin 2005: 223). Theodore Huters war erstaunt über Qian Zhongshus »sharp satires of the bourgeois Shanghai of the late 1930s« und seine Beschreibung von »the agonizing contrast between the frivolity of the human players and the seriousness of the events«, als er 1972 in Hong Kong zufällig auf den Roman stieß (Huters 2017: 699). Wie Monika Motsch bemerkte, weist der Titel darauf hin, dass es »eine chinesisch-westliche Gemeinschaftsproduktion« ist (Motsch 1994: 28). Die westliche Kultur taucht in diesem Roman immer wieder auf. Tatsächlich sind Anleihen, Nachahmung und Aufnahme der westlichen Kultur durch das chinesische Volk ein wichtiges Thema dieses Romans. Michelle Yeh schrieb: »Qian Zhongshu targets intellectuals in his stories – their pretentiousness, vacuity, and blind worship of Western things« (Yeh 2010: 588). Für Qian macht eine gelungene Integration westlicher Sprachen und Literatur mehr als die Verwendung von ein oder zwei Fremdwörtern in einem chinesischen Satz aus. Dieses Sprachverhalten ziele im Allgemeinen nur darauf ab, mit Fremdsprachenkenntnissen anzugeben. In Kapitel 2 des Romans besucht Fang Hongjian Herrn Zhang, der seit mehr als 20 Jahren in einer amerikanischen Bank arbeitet und in der Konversation gerne englische Wörter in chinesische Sätze einfließen lässt. Der satirische Erzähler beschreibt:
Dabei hatte er durchaus keine neuen Ideen, die den Gebrauch des Englischen erforderten, weil sie im Chinesischen schwer auszudrücken waren. Seine englischen Brocken hielten den Vergleich mit Goldzähnen nicht aus, da Goldzähne nicht nur schön, sondern auch nützlich sind. Vielmehr glichen sie bloß den Fleischresten zwischen den Zähnen, die beweisen, dass man gut gespeist hat, aber sonst völlig nutzlos sind. (DuF: 72)3
Eines der wichtigsten Ziele beim Studium von Fremdsprachen und Literatur ist es, neue Perspektiven für die intrinsischen Werte der eigenen nationalen Literatur zu gewinnen. Eine wesentliche Voraussetzung ist daher, die nationale Literatur nicht aufzugeben oder zu diskriminieren. Um ausländische und einheimische Literatur effizient kombinieren zu können, ist es zunächst grundlegend, die jeweiligen Gemeinsamkeiten und kulturellen Äquivalenzen zu identifizieren. Die umzingelte Festung ist ein besonders eindrückliches Beispiel für die erfolgreiche Anwendung fremder Ideen in einem chinesischen Narrativ.
Der Titel des Romans Die umzingelte Festung leitet sich aus dem französischen Ausdruck forteresse assiégée (Montaigne) her, ein erster Hinweis auf die chinesisch-westliche Hybridität dieses Romans. Nachdem der 27-jährige Protagonist Fang Hongjian (方鸿渐) vier Jahre lang in Europa gelebt und für 40 US-Dollar ein gefälschtes Promotionszertifikat von einer betrügerischen amerikanischen Universität gekauft hat, kehrt er im Sommer 1937, als der chinesisch-japanische Krieg ausbricht, nach Shanghai zurück. Fräulein Su Wenwan (苏文纨) studiert in Lyon französische Literatur und schließt mit ihrer Dissertation Achtzehn moderne chinesische Lyriker ab (vgl. DuF: 30). Das arrogante Fräulein Su verliebt sich in Fang Hongjian, der leider von ihrer Cousine Tang Xiaofu (唐晓芙) fasziniert ist. Bei einem Abendessen mit verschiedenen Gästen zitiert Fräulein Su, nachdem sie die englische Bezeichnung ›Vogelkäfig‹ für Heirat hört, folgende Metapher für die Ehe: »In Frankreich gibt es einen ähnlichen Spruch […]. Nur ist es kein Vogelkäfig, sondern eine umzingelte Festung, eine ›forteresse assiégée‹: Die Belagerer wollen hineinstürmen und die Eingeschlossenen ausbrechen« (DuF: 141). Das Liebesdreieck zwischen Fang Hongjian, Su Wenwan und Herrn Zhao Xinmei (赵辛楣) endet mit der Ablehnung von Su durch Fang und der plötzlichen Ehe der wütenden Su mit Herrn Cao Yuanlang (曹元朗), der in Großbritannien studiert und merkwürdige chinesische Gedichte nach dem Vorbild englischer Sonette schreibt. Unterdessen wird Fang Hongjian von Fräulein Tang Xiaofu abgelehnt. Aus Kummer reisen Fang Hongjian und Zhao Xinmei zusammen aus Shanghai ab, um an einer Universität in der Provinz Hunan zu unterrichten. Aufgrund des Erfolgs des Romans ist der chinesische Titel Wei Cheng (›umzingelte Festung‹) in China zu einer beliebten Redewendung geworden.
Qian Zhongshu verwendet bewusst psychologische Begriffe wie ›Unterbewusstsein‹ in seinem Roman. Obwohl der Erzähler in diesem Roman allwissend ist, da er das (Un-)Bewusste aller Figuren offenbart, überschneidet sich seine Fokalisierung größtenteils mit der des Protagonisten Fang Hongjian. Im fünften Kapitel erinnert sich Herr Zhao Xinmei an seine Liebe zu Su Wenwan, die bereits einen anderen Mann geheiratet hat. Einerseits fragt er sich, ob sie ihn auch gelegentlich vermisst; andererseits hält er es für unmoralisch, wenn eine verheiratete Frau von einem anderen Mann als ihrem Ehemann träumt. Zu den widersprüchlichen Gedanken von Zhao Xinmei bemerkt Fang Hongjian scherzhaft: »Ihr Politiker seid wirklich autoritär, deine künftige Frau hat noch nicht einmal die Freiheit zu träumen. Bestimmt lässt du durch Detektive ihr Unterbewusstsein bespitzeln« (DuF: 251). Mit diesem Kommentar offenbart Fang Hongjian (und mit ihm Qian Zhongshu) deutlich seine Kenntnisse über die Psychoanalyse in Bezug auf die Beziehung zwischen Traum und Unterbewusstsein, die im Allgemeinen mit dem Unbewussten gleichgesetzt wird. So wie ein populäres chinesisches Sprichwort lautet: »ri you suo si, ye you suo meng« (日有所思,夜有所梦, »Was man am Tag denkt, träumt man in der Nacht«), fokussiert die traditionelle Methode der Trauminterpretation vorrangig auf bewusste Wünsche und eher selten auf unbewusste Gedanken. Im Vergleich dazu fungiert laut Freud der Traum als Fenster zur Seele des Menschen, insbesondere zu seinen unerfüllten und nicht befriedigten Wünschen, und zum Unbewussten. Er integriert seine Interpretationen vom Traum speziell in sexuelle Konzepte wie den Ödipuskomplex. Wenn Su Wenwan nach der Heirat in ihren Träumen noch einen anderen Mann vermisst, bedeutet es, dass sie das Verlangen nach diesem Mann unterdrückt hat, worauf Zhao Xinmei insgeheim hofft, was seiner Meinung nach aber gleichzeitig als untreu und unmoralisch gescholten wird.
Mut ist gefragt, um sich mit den Dingen unter bzw. hinter dem Bewussten aus-einanderzusetzen. Als der Protagonist und seine vier Mitreisenden sich besorgt zeigen, ob zusätzliches Geld für ihre Weiterreise überwiesen wird, meint Gu Erqian (顾尔谦), einer der Mitreisenden, ohne Grund, es wäre möglich, dass die Universität das Geld nicht überweisen wird. Diese Satz weckt die Sorge vor dem, was sich in ihrem Unbewussten versteckt, sodass sie die schlimme Möglichkeit in Betracht ziehen müssen. »Die anderen erklärten ungeduldig, Gu sei eine Unke, aber seine Worte blieben nicht ohne Wirkung. Ihre Gegenargumente dienten mehr der Selbstberuhigung als dem Ziel, Gu zu widerlegen« (DuF: 260). Leider hat die deutsche Übersetzung das Stichwort 意识von Qian Zhongshus originalem Text nicht berücksichtigt. Der chinesische Text ist: »四人不耐烦地同声说他过虑,可是意识里都给他这话唤起了响应,彼此举的理由,倒不是驳斥顾尔谦,而是安慰自己。« (Qian Zhongshu 2020: 176; Hervorh. X.J.). Die englische Übersetzung von Jeanne Kelly und Nathan K. Mao berücksichtigt diesen chinesischen Ausdruck: »The four of them all replied impatiently that he worried too much, but his remarks had called up an echo in their consciousness, and the reasons they gave one another weren’t meant to refute Ku [Gu Erqian; X.J.] so much as to assure themselves« (Qian Zhongshu 2006: 193; Hervorh. X.J.). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Qian Zhongshu ein Verständnis von dem (Un-)Bewussten und von der Beziehung zwischen internen Trieben und externem Antrieb hatte.
Das Konzept des Unbewussten wird in einer späteren Handlung noch einmal angesprochen. Im siebten Kapitel wird Fräulein Sun Roujia (孙柔嘉) von Herrn Lu Zixiao (陆子潇), einem heuchlerischen Professor für Geschichte, belästigt, der ihr viele Liebesbriefe schreibt. Sie weiß nicht, wie sie ihn ablehnen soll. Fang Hongjian schlägt ihr vor, all diese Briefe zu einem Bündel zusammenzubinden und einen Laufburschen zu schicken, sie dem Professor kommentarlos zurückzugeben. Genau so gab Fräulein Tang Xiaofu die Liebesbriefe von Fang Hongjian zurück und lehnte seine Bitte um eine Beziehung ab. Der Erzähler kommentiert: »Ein Psychoanalytiker hätte sofort gemerkt, dass hier Hongjians Unterbewusstsein am Werke war, da er rachsüchtig die gleiche Methode anwandte wie damals Fräulein Tang, als sie ihm seine Briefe zurückschickte« (DuF: 371). Diese Reflexion stammt offensichtlich nicht von Fang Hongjian selbst, sondern vom Erzähler, der sein psychologisches Wissen bereits früher aufgezeigt hat. Wie Freud in Das Unbewußte zusammengefasst hat, wird das Unbewusste mit »Widerspruchlosigkeit, Primärvorgang (Beweglichkeit der Besetzung), Zeitlosigkeit und Ersetzung der äußeren Realität durch die psychische« dargestellt (Freud 1994: 146). Qian Zhongshu verwendet folglich die Eigenschaften des Unbewussten, um das Motiv von Fang Hongjians Vorschlag zu erklären. Das Trauma, vor fast einem Jahr von Fräulein Tang abgelehnt worden zu sein, bleibt unbewusst in Fang Hongjians Gedächtnis hängen. Als eine ähnliche Situation eintritt, unterbreitet Fang einen Vorschlag, der von seiner Lust gesteuert wird, über Herrn Lu zu siegen und Zeuge einer ähnlichen Demütigung eines Mannes zu werden, der von ihm unbewusst als sein Rivale um Fräulein Sun angesehen wird.
Es kann in diesen beiden Handlungssträngen leicht übersehen werden, wie das Unbewusste bewusst gemacht wird. Nach Freud operiert das Unbewusste an sich nicht konform mit kulturellen oder gesellschaftlichen Paradigmen wie Moral, Zeit oder Realität. Sobald Inhalte an die Oberfläche des Bewusstseins dringen, werde geprüft, zensiert und gegebenenfalls abgewiesen. Freud erklärte:
In positiver Darstellung sagen wir nun als Ergebnis der Psychoanalyse aus, daß ein psychischer Akt im allgemeinen zwei Zustandsphasen durchläuft, zwischen welche eine Art Prüfung (Zensur) eingeschaltet ist. In der ersten Phase ist er unbewußt und gehört dem System Ubw [Unbewusstes; X.J.] an; wird er bei der Prüfung von der Zensur abgewiesen, so ist ihm der Übergang in die zweite Phase versagt; er heißt dann »verdrängt« und muß unbewußt bleiben. Besteht er aber diese Prüfung, so tritt er in die zweite Phase ein und wird dem zweiten System zugehörig, welches wir das System Bw [Bewusstes; X.J.] nennen wollen. (Ebd.: 131f.)
So wie sich Zhao Xinmei vorstellt, dass Su Wenwans Traum (in Zhao Xinmeis Vorstellung) von einem anderen Mann nach der Heirat von Untreue zeugt (und dies auch kritisiert), ist Fang Hongjians Absicht, Rache zu nehmen, moralisch nicht einwandfrei. Das Unbewusste (oder der unbewusste Wunsch) von Fang Hongjian ist moralisch nicht akzeptabel, aber es ist ihm unmöglich, das unmoralische Unbewusste ins Bewusstsein zu bringen, weil das Unbewusste die Zensur in diesem Prozess nicht bestehen würde. Infolgedessen muss diese Aufgabe von einer anderen Person übernommen werden. Für Fang Hongjian trägt der Erzähler die Pflicht, das unbekannte Motiv und den Trieb für sein Verhalten aufzudecken.
Der Traum ist seit mehreren Jahrhunderten ein beliebtes Motiv in der Weltliteratur (vgl. Gsteiger 1999). Freuds psychoanalytische Theorie bietet einen neuen Ansatz für das Verständnis von Träumen. Thomas Anz erklärte: »Die Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts ist ohne die Rezeptionsgeschichte der Psychoanalyse nicht angemessen zu begreifen« (Anz 1997: 379). Laut Stefanie Kreuzer wird der Traum zu Beginn des 20. Jahrhunderts »als Vorbild und Inspirationsquelle für das A-Logische und A-Kausale sowie für antimimetische Ausdrucksformen in der Literatur wie in der Kunst genutzt« (Kreuzer 2014: 155). In seiner ausführlichen Analyse von Träumen in der alten und modernen deutschen Literatur betonte Wilhelm Richard Berger die enge Verbindung zwischen Traum und Kultur: »In den Träumen spiegelt sich die gesellschaftliche Gesamtsignatur einer Zeit, ja es spiegelt sich in ihnen eine gewisse Konventionalität des Traumverständnisses, der sich niemand leicht entziehen kann« (Berger 2000: 9). Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit hob Freud den Traum als einen Teil des seelischen Lebens hervor (vgl. Berkel 2008: 18). Hans-Martin Lohmann kommentierte Freuds neuen Ansatz zur Traumdeutung: »Das Irrationale und scheinbar Sinnlose psychischer Produktionen erweist sich nicht länger als Privileg des kranken Menschen, vielmehr als berechtigter Teil der Conditio humana« (Lohmann 1998: 37). Freuds Ansatz vom Traum basiert auf der Ansicht, dass »der Traum ein Ergebnis unserer eigenen Seelentätigkeit ist« (Freud 1989: 72). Jeder Traum »ist einzureihen in den Zusammenhang der uns verständlichen seelischen Aktionen des Wachens; eine hoch komplizierte geistige Tätigkeit hat ihn aufgebaut« (ebd.: 141). Auf diese Weise verband Freud den Traum mit dem Wachleben und dem Unbewussten. Nachdem er verschiedene Beispiele von Träumen analysiert hatte, stellte er fest: »Der Traum ist die (verkleidete) Erfüllung eines (unterdrückten, verdrängten) Wunsches« (ebd.: 175). Wenn Menschen aus einem Traum aufwachen, wird das, woran sie sich aus dem Traum erinnern können, als ›manifester Trauminhalt‹ bezeichnet. Was mehr zählt, sind die ›latenten Traumgedanken‹ unter dem Trauminhalt. Andreas Mayer erklärte: »Während der durch die Erinnerung bewahrte manifeste Trauminhalt notgedrungen entstellt und lückenhaft ist, enthalten die Traumgedanken den unverstellten Wunsch« (Mayer 2016: 53). Freud wies auf die Aufgabe des Psychoanalytikers hin, »die Beziehungen des manifesten Trauminhalts zu den latenten Traumgedanken zu untersuchen und nachzuspüren, durch welche Vorgänge aus den letzteren der erstere geworden ist« (Freud 1989: 280). Es ist wichtig, die ›Traumgedanken‹ zurückzuverfolgen, die aus jüngsten Erfahrungen oder Kindheitserinnerungen stammen können. Wie Peter Gay zusammenfasste, repräsentieren und verschleiern Träume Konflikte: »usually fought out between the drives that want gratification and the defences that want to deny it« (Gay 1988: 109). In der Umzingelten Festung beschreibt Qian Zhongshu zwei Träume, einen von Zhao Xinmei und einen von Fang Hongjian. Im folgenden Abschnitt wird die Bedeutung dieser beiden bisher in den Untersuchungen vernachlässigten Träume analysiert.
Das oben referierte Grundwissen über Freuds Traumdeutung hilft den Lesern, den Traum von Zhao Xinmei im fünften Kapitel des Romans zu verstehen. Während seiner Reise von Shanghai in die Provinz Hunan hat Zhao Xinmei kein Geld, kann sich mehrere Tage lang kein Essen kaufen und träumt davon, ein Festmahl in einem eleganten Restaurant in Shanghai zu genießen:
Vor Morgengrauen wachte auch Xinmei auf und schimpfte, während er sich die Lippen leckte: »Verdammt, nicht mal im Traum kriegt man was zu essen, ganz zu schweigen vom Aufwachen!« Im Traum hatte er im Restaurant »Metropolis« zum Mittagessen einen Hamburger und eine Zitronencreme bestellt, aber lange vergeblich gewartet, bis er schließlich vor Hunger aufwachte. (DuF: 264)
Dieser Traum entspricht Freuds Argument, dass »in jedem Traum eine Anknüpfung an die Erlebnisse des letztabgelaufenen Tages aufzufinden ist« (Freud 1989: 179). Aber die jüngsten Erfahrungen sind natürlich nicht der einzige Ursprung des Traums. Tatsächlich umfassen die Ursprünge des Traums jüngste und ferne Erfahrungen (insbesondere während der Kindheit) sowie psychische Konflikte. Als offensichtlicher Hinweis auf Zhao Xinmeis nicht realisierten Wunsch, am Rande des Verhungerns eine gute Mahlzeit zu sich zu nehmen, veranschaulicht dieser Traum auch die freudsche Erklärung für die Beziehung zwischen Traum und Wunsch. Im Vergleich zu diesem Traum von Zhao Xinmei ist Fang Hongjians Traum jedoch schwieriger zu verstehen und erfordert mehr Wissen über Freuds Ansatz der Traumdeutung.
Fang Hongjian und seine vier Begleiter sind ungefähr zehn Tage von Shanghai nach Hunan mit Boot, Bus, Zug und Sänfte unterwegs, um ihre Lehrtätigkeit an der Sanlü Universität in Hunan anzutreten. Bei der letzten Station schlafen die fünf Reisenden auf Reisstroh statt Betten in einer Hütte in einer abgelegenen Berglandschaft. Fang Hongjian und Fräulein Sun Roujia haben am Abend vor ihrer Ankunft an der Universität ähnliche Albträume:
Als er schließlich eingeschlafen war, wimmerte tief in seinem Träumen eine Kinderstimme: »Leg dich nicht auf meine rote Jacke! Meine rote Jacke!« Instinktiv rollte Hongjian zur Seite und schrak hoch. Neben seinem Kopf seufzte es – so leise, als würden unterdrückte Gefühle heimlich atmen. […] In seiner Unruhe hörte Hongjian Fräulein Sun neben sich hastig atmen, als wollte sie weinen, aber könnte nicht. […] Er zündete ein Streichholz an. Wenn auch die zuckende Flamme sofort wieder verlöschte, hatte er doch durch einen Blick auf die Armbanduhr festgestellt, dass es Mitternacht war. Fräulein Sun, die von dem Lichtschein aufwachte, drehte sich auf die andere Seite. Als Hongjian sie fragte, ob sie einen Albtraum gehabt habe, sagte sie, im Traum hätten sie zwei Kinderhände gestoßen und nicht schlafen lassen. (DuF: 275f.)
Am nächsten Morgen verlassen sie die Hütte und sehen, dass sich dahinter viele Gräber befinden. Dann stellen sie fest, dass diese Hütte tatsächlich auf einem ehemaligen Friedhof gebaut wurde. Fräulein Sun findet es merkwürdig, weil ihr eigener und Fang Hongjians Traum etwas mit Kindern zu tun hatte. Fang Hongjian beobachtet die umliegenden Gräber und antwortet: »Vielleicht haben wir auf einem Kindergrab geschlafen. Sehen Sie, die Gräber sind alle sehr klein« (DuF: 276). Es ist voreilig und sogar falsch, zu dem Schluss zu kommen, dass ihre Träume einfach auf Aberglauben beruhen, weil Fang Hongjian überhaupt nicht abergläubisch ist. Dies wird in Kapitel 2 angedeutet, als er sich wundert, dass die Bewohner »in einer so aufgeklärten Stadt wie Shanghai« immer noch an Horoskope und Wahrsager glauben (DuF: 69). Um die Funktion dieser Traum-Episode vollständig zu verstehen, kann es daher hilfreich sein, Freuds Traumdeutungstheorie anzuwenden.
Zu diesem Zweck besteht der erste Schritt darin, die latenten Traumgedanken unter dem manifestierten Trauminhalt zu erfassen. Die Schwierigkeit, den richtigen Trauminhalt zu verstehen, ist darauf zurückzuführen, dass der Gedanke durch die Traumarbeit entstellt wird, wofür wiederum Mechanismen wie ›Verdichtung‹, ›Verschiebung‹ und ›Rücksicht auf Darstellungsmittel‹ zum Einsatz kommen. Freud erklärte auf folgende Weise, wie Verdichtung und Verschiebung, die beiden Hauptmechanismen der Traumarbeit, funktionieren:
Die Verschiebungen […] erwiesen sich als Ersetzungen einer bestimmten Vorstellung durch eine andere, ihr in der Assoziation irgendwie nahestehende, und sie wurden der Verdichtung dienstbar gemacht, indem auf solche Weise anstatt zweier Elemente ein mittleres Gemeinsames zwischen ihnen zur Aufnahme in den Traum gelangte. (Freud 1989: 335)
Es ist schwierig, den Gedanken hinter dem Trauminhalt herauszufinden, obwohl der Gedanke in Bilder, Symbole und Szenen umgewandelt wird, d.h. in die Darstellbarkeit der Träume. Was sich im Trauminhalt manifestieren kann, ist durch innere Zensur bestimmt. Außerdem gilt für Freud: »Der Traum ist der Wächter des Schlafes, nicht sein Störer« (ebd.: 240). In Bezug auf diese Funktion des Traumes erklärte Henri F. Ellenberger: »Gefühle, die den Träumer wecken könnten, werden auf solche Weise verkleidet, daß sie ihn nicht stören. Sollte dieser Mechanismus versagen, hat der Träumer einen Albtraum und wacht auf« (Ellenberger 2005: 679). Im Traum von Fang Hongjian hört er den Schrei und die Beschwerde eines Kindes, was ihn sehr erschreckt. Das Entsetzen, das diese weinende Stimme hervorruft, ist so groß, dass er sofort aufwacht. Antony Easthope führt dazu aus: »Dreams are one way in which the unconscious speaks, ›a particular form of thinking‹ expressed in a specific form of representation« (Easthope 1999: 13). Fang Hongjians Entsetzen über die unbekannte und ferne Stimme eines Kindes, das seinen Mantel beansprucht, kann tatsächlich mit seiner Angst und Sorge um seine unbestimmte Zukunft an der Sanlü Universität verbunden sein, da sich diese an einem abgelegenen Ort befindet, an dem er noch nie zuvor gewesen war. Obwohl er das Angebot vom Rektor der Universität per Telegramm erhält, informiert dieser ihn nicht darüber, welche Kurse er unterrichten wird. Er weiß nicht einmal, an welchem Institut er lehren soll. Wie sich später herausstellt, verläuft sein erster Lehrauftrag nicht reibungslos. Er ist beauftragt, Ethik zu unterrichten, ein Fach, das er kaum kennt, und ein Kurs, der von den Studenten verachtet wird. Schlimmer noch, er muss sich mit Intrigen zwischen Kollegen auseinandersetzen. Außerdem kann er nicht vergessen, dass er in Berlin von einem in Amerika lebenden irischen Amateurbetrüger eine gefälschte Promotion gekauft hat, weil sein Vater und Schwiegervater mehrmals nachgefragt hatten, ob er bereits einen Doktortitel erhalten habe. Dies ist ein Makel, der aber niemals ungeschehen gemacht werden kann. Daher ist es ihm peinlich, wenn er darüber reflektiert oder wenn er mit Menschen konfrontiert wird, die tatsächlich einen Doktortitel haben. Diese Schande und die Angst, dass die Wahrheit über seine Promotion ans Licht kommt, beschäftigen ihn ständig. In seinem Traum lösen Kinder, genauer gesagt, ein Teil der Merkmale von Kindern, seine Angst und Furcht aus.
Außerdem repräsentieren Kinder in Qian Zhongshus Roman unkontrollierte Emotionen und unkultivierte Direktheit (vgl. Kapitel 1 und 9). Kinder werden in diesem Roman nicht liebenswert dargestellt. Stattdessen werden sie immer lächerlich gemacht. Im ersten Kapitel, während der Reise von Fang Hongjian von Frankreich zurück nach Shanghai, befindet sich ein ungefähr zweijähriges chinesisches Kind auf demselben Dampfer. Der Erzähler beschreibt diesen kleinen Jungen sarkastisch:
Auf Deck waren nur zwei Chinesinnen und ein unmenschliches Kleinkind – jedenfalls betrachtete die Reederei es nicht als Mensch und hatte von seinen Eltern nicht verlangt, ihm einen eigenen Fahrschein zu kaufen. […] Das Kind war noch nicht zwei Jahre alt und hatte ein Stupsnäschen und schräge Augenschlitze. Augenbrauen und Augen waren so weit voneinander entfernt, dass sie sicher vor Sehnsucht nacheinander vergingen. Das Kleine glich aufs Haar der Zeitungskarikatur eines chinesischen Gesichts. (DuF: 15)
Selbstverständlich wird die Karikatur chinesischer Gesichter in Zeitungen immer deren prägnante Züge für eine maximale humoristische Wirkung übertreiben. Anscheinend ist dieser Junge auf dem Dampfer jedenfalls zu hässlich, um entzückend zu sein. Nicht nur der Protagonist Fang Hongjian, sondern auch die meisten Romanfiguren wie Sun Roujia, Su Wenwan und Zhao Xinmei mögen keine Kinder, die meist als laute und unkultivierte Unruhestifter dargestellt werden. Auch die beiden Neffen von Fang Hongjian werden als typische Beispiele dafür beschrieben (vgl. Kapitel 9). Die Erwachsenen bemühen sich oft, Abstand zu lästigen Kindern zu halten. In dieser von Qian Zhongshu geschaffenen fiktiven Welt stehen Kinder nicht für Unschuld, Niedlichkeit und Gehorsam. Stattdessen sind sie Symbole für schlechte Bildung, Unhöflichkeit, Krach und Ärger. Ohne dieses Verständnis der unkonventionellen Bedeutung von Kindern würden die Träume von Fang Hongjian und Sun Roujia aus der Perspektive des Aberglaubens vorschnell und falsch interpretiert werden. Der Grund, warum in ihren Albträumen Kinder vorkommen, ist nicht, dass sie in einer Hütte schlafen, die auf Kindergräbern gebaut ist. Stattdessen fühlen sie sich auch im täglichen Leben von Kindern gestört. Infolgedessen scheinen Kinder, ihre Stimmen und Hände, Schrecken in ihren Träumen zu erzeugen. Mit anderen Worten sind Kinder Teil des Trauminhalts und stehen für ihre ähnlichen Traumgedanken, d.h. die Angst um ihre Zukunft, die unberechenbar und unbändig wie das Verhalten von Kindern ist.
3. Die umzingelte Festung, Humor und Psychoanalyse
Sowohl aus der Perspektive der Geschichte als auch des Diskurses dient Qian Zhong-shus geschickte Verwendung und Integration von Freuds psychoanalytischer Theorie in diesem Roman als Beweis für seine sorgfältige Auseinandersetzung mit westlichen Gedanken. Mit seinem satirischen und zynischen Ton fungiert der allwissende Erzähler als Psychoanalytiker und enthüllt die verborgenen Motive der Figuren unter ihrem oberflächlich kultivierten Verhalten und ihren höflichen Gesprächen. Der Erzähler bewegt sich frei in den Köpfen aller Protagonisten und offenbart gnadenlos ihre inneren Gedanken. Diese psychologische Enthüllung ist ähnlich einer Psychoanalyse, deren Ziel es ist, unbekannte Wünsche zu identifizieren, die hinter dem Verhalten und der Angst der Patienten verborgen sind.
Das innerste – meist geheime und nicht den allgemeinen Verhaltensregeln entsprechende – (Un-)Bewusste, die heuchlerische Höflichkeit als oberflächliche Aufführung und die ironische Beschreibung des Erzählers, durch die die Leser zu ihren eigenen didaktischen Schlussfolgerungen gelangen sollen, ähneln Freuds Struktur von Es, Ich und Über-Ich, wie er sie in Das Ich und das Es (1923) erklärt. Freud schrieb: »Das Es ist ganz amoralisch, das Ich ist bemüht, moralisch zu sein, das Über-Ich kann hypermoralisch und dann so grausam werden wie nur das Es« (Freud 1994a: 320). Einerseits steht das Es unter der Kontrolle des Lustprinzips und bemüht sich daher, alle seine Wünsche rücksichtslos zu befriedigen, ohne moralische Normen zu berücksichtigen oder zu befolgen. Andererseits ist das Ich, manipuliert durch das Realitätsprinzip, rationaler als das Es und bemüht sich, seine Wünsche und Verhaltensweisen an die Außenwelt anzupassen. Während das Es das Ich zum Handeln motiviert, wird das Ich die grenzenlosen und sogar amoralischen Triebansprüche des Es einschränken. Als höhere seelische Form sagt das Über-Ich dem Ich, was es tun soll und was nicht. Der Einfluss der Eltern als Ursprung des Über-Ichs wurde von Freud auf den Einfluss des größeren sozialen Umfelds erweitert. Henri F. Ellenberger erklärt: »Das Über-Ich ist die wachsame, urteilende, strafende Instanz im Individuum; der Ursprung sozialer und religiöser Gefühle der Menschheit« (Ellenberger 2005: 714). Die moralischen Normen, die das Über-Ich den individuellen Wünschen auferlegt, stammen sowohl aus der Familie (insbesondere vom Vater) als auch aus der sozialen Tradition. Oder, wie Irene Berkel zusammenfasst, das Über-Ich hat »das Amt eines Richters inne; ihm obliegt die Be- und Verurteilung des Ichs, es kritisiert, tadelt, lobt und belohnt« (Berkel 2008: 79). Diese Dreiecksstruktur ist der Kern, um Qian Zhongshus satirische Methode von Satire zu verstehen.
Der Humor und die Satire in der Umzingelten Festung entspringen teilweise den Kontrasten zwischen dem, was Figuren sagen (oder wie sie sich verhalten), was sie dabei denken und wie andere Figuren darauf reagieren. Der freie Zugang des Erzählers zu den innersten Wünschen aller Figuren spielt eine entscheidende Rolle bei der Aufdeckung der Heuchelei und Lächerlichkeit der modernen Zivilisation. Sprache wird nicht nur als Kommunikationsmittel eingesetzt, sondern auch als wichtiges Instrument für die Figuren, um ihr (Un-)Bewusstes zu unterdrücken oder zu vermeiden. Gemäß Peter-André Alt haust nach Freud »bekanntlich nicht nur die Sprache im Unbewussten, sondern ebenso das Unbewusste in der Sprache« (Alt 2008: 6). Der Erzähler wird, wie ein Psychoanalytiker, die geheimen Gedanken oder Ängste der Figuren offenbaren, deren Existenz den Figuren selbst vielleicht nicht bekannt ist. Auf ihrer Rückreise aus Frankreich nach Shanghai wartet das stolze Fräulein Su Wenwan immer noch darauf, dass Fang Hongjian ihr erliegt und ihr seine Liebe anträgt. Zu ihrer Verärgerung wurde er jedoch vom sinnlichen Fräulein Bao verführt. Frau Sun, eine weitere chinesische Passagierin, sagt voraus, dass Fang Hongjian und Fräulein Bao verlobt sein werden, wenn der Dampfer in Hongkong ankommt. »Fräulein Su gab das einen Stich ins Herz. Als Erwiderung und auch zur eigenen Beruhigung sagte sie: ›Ausgeschlossen! Fräulein Bao ist verlobt, das hat sie mir selbst gesagt. Ihr Verlobter hat ihr sogar ihr Auslandsstudium bezahlt.‹« (DuF: 17; Hervorh. X.J.)
Und wenn die Rede einer Figur ihrem Bewusstsein entgegengesetzt ist, erreicht die Satire ihren Höhepunkt. Obwohl Fang Hongjian und Fräulein Sun Roujia nicht offiziell verheiratet sind, schlafen sie auf ihrer Reise von Hunan zurück nach Shanghai im selben Zimmer. Zhao Xinmei vermutet, dass Sun Roujia möglicherweise schwanger ist, weil sie sich immer wieder erbricht. Als Fang Hongjian dies hört, ist er äußerst erschrocken. »Da für Scham und Ärger keine Zeit war, rief er bloß: ›Unmöglich!‹ Gleichzeitig kam die Angst, denn er wusste sehr wohl, dass es möglich war« (DuF: 409). Zur Aufrechterhaltung muss das Ich mit dem Druck von beiden, dem Es und dem Über-Ich, fertig werden. Eine seiner Methoden ist die Verneinung. Die Antworten von Fräulein Su Wenwan und Fang Hongjian in diesen beiden Beispielen zeigen deutlich, wie sie Verneinung einsetzen, um ihre verborgenen Ängste zu beruhigen. Der komödiantische Effekt wird erzielt, wenn die Leser aufgrund der Enthüllung durch den psychoanalytischen Erzähler Zugang zu Es und Ich dieser Figuren erhält.
In einer anderen Sequenz beschreibt der Erzähler nicht die geistige Aktivität der Figur, sondern verwendet ihre Körpersprache als Ausdruck ihres inneren Zustandes. Li Meiting (李梅亭), ein berechnender, lüsterner und selbstsüchtiger Professor für alte chinesische Literatur, hat Angst, seine Mitreisenden könnten herausfinden, dass er eine große Menge westlicher Medikamente mitgenommen hat, um sie an der Sanlü Universität zu einem extrem hohen Preis zu verkaufen. Um das geheim zu halten, ist er bestrebt, seinen Koffer zu schließen. Aber Fang Hongjian spielt ihm einen Streich:
»Gestohlen ist natürlich nichts, aber vielleicht hat dieser Grobian von Gepäckträger einige Fläschchen ruiniert«, suggerierte Hongjian tückisch. »Besser prüfen Sie alles genau auch.«
Zwar widersprach Li: »Wohl kaum, ich habe alles gut mit Watte ausgestopft«, aber seine Hände zogen instinktiv die Fächer auf. (DuF: 236)
Die körperliche Reaktion von Li Meiting widerspricht seinen Worten. Einerseits besteht sein sprachlicher Ausdruck darin, sich zu trösten und gleichzeitig vor seinen Mitreisenden so zu tun, als sei er ruhig und nicht ängstlich. Er beabsichtigt damit, seinen Ruf als reifer und selbstbewusster Gelehrter zu wahren. Andererseits widerspricht sein Unbewusstes, d.h. seine große Sorge um die Sicherheit dieser Medikamente, seinem Bestreben, diesen Ruf aufrechtzuerhalten. Die Angst ist zu stark, um zurückgehalten zu werden. Infolgedessen mobilisiert sie seine Körperaktivität, was seinen verdrängten Wunsch verrät, den Zustand seiner Medikamente zu untersuchen.
Gemäß Freuds Erklärung des Unbewussten und seiner Schrift Zur Psychopathologie des Alltagslebens (1901) fungieren Fehlleistungen im täglichen Leben wie Vergessen, Versprechen, Verlesen, Verschreiben, Vergreifen und Verlieren als wichtige Hinweise auf die verdrängten und widersprüchlichen Gedanken der Menschen. Freuds Analyse der alltäglichen Fehlleistungen spiegelt zusammen mit seiner früheren Arbeit Die Traumdeutung (1899/1900) seine Überzeugung vom psychischen Determinismus wider, einem gängigen Mechanismus für Fehl- und Zufallshandlungen und Traumbildung. Wie Freud in der Psychopathologie des Alltagslebens schreibt, ist »die Situation […] die nämliche, daß unbewußte Gedanken sich auf ungewöhnlichen Wegen, über äußere Assoziationen, als Modifikation von anderen Gedanken zum Ausdruck bringen« (Freud 1999: 308). In einem von Fang Hongjians Briefen an Fräulein Tang Xiaofu drückt er seine Liebe und Loyalität zu ihr und seine Bereitschaft aus, ihren Schritten in Zukunft zu folgen. Er schreibt:
Kurz, ich umgarne Dich, umklammere Dich, folge Dir wie ein böser Geist und lasse Dich nicht in Frieden. Schon längst wollte ich mir – oh, es sollte eigentlich »Dir« heißen, der Fehler hat seine Gründe, denk mal nach –, schon längst wollte ich Dir einen kleinen Satz sagen, den ich für mich allein schon tausend Mal geübt habe. (DuF: 156)4
Nach Freud stammen einige der Fehlleistungen aus dem Konflikt zwischen bewussten Absichten und unbewussten Wünschen. Freud legte Wert auf die vorherrschenden Moralkodizes, die die Wünsche und Verhaltensweisen der Menschen prägen und einschränken. »Das Gewährenlassen dieser Fehl- und Zufallshandlungen entspricht zum guten Teile einer bequemen Duldung des Unmoralischen«, schrieb er (Freud 1999: 306). In dieser Szene wird der Protagonist teilweise durch die traditionelle chinesische Sitte eingeschränkt, sich in Bezug auf Emotionen und Sprache eher zurückzuhalten, und ist sich gleichzeitig der Haltung von Tang Xiaofu nicht sicher, sodass er es nicht wagt, seine Liebe offensichtlicher und intimer auszudrücken. Sein inneres starkes Streben kann nicht vollständig und klar in Worte gefasst werden, was schließlich zu seinem Verschreiber führt. Seine psychologischen Kenntnisse ermöglichen es ihm, sein eigenes Verhalten zu analysieren und zu verstehen. Ironischerweise hilft ihm diese Selbstanalyse nicht, Fräulein Tang von seiner Aufrichtigkeit und Leidenschaft zu überzeugen. Am Ende wird er von ihr wegen der bösartigen Einmischung von Su Wenwan, Fräulein Tangs älterer Cousine, abgelehnt, die wütend ist, nachdem sie vom Protagonisten abgewiesen wurde.
Wendy Larson analysiert, wie chinesische Schriftsteller und Gelehrte Freud in den 1920er bis 1980er Jahren aufnahmen: »Freud’s most original and influential invention – the sexualized unconscious – fails to take hold« (Larson 2009: 33). Aber es kann angemerkt werden, dass der Sexualtrieb, ein zentrales Konzept von Freud, in Qian Zhongshus Roman – wenngleich nur vage – vorkommt. Allerdings finden sich in der Umzingelten Festung entsprechende Konzepte Freuds wie Kastrations- und Ödipuskomplex ebenfalls nicht. Qian Zhongshu nutzt diese Konzepte nicht für die Erklärung der dynamischen Beziehungen zwischen Eltern und Kindern, obwohl der Protagonist kein gutes Verhältnis zu seinen Eltern hat und er nicht die freudsche Intimität zwischen Sohn und Mutter erlebt. Auch seine Ehefrau Sun Roujia, deren jüngerer Bruder von ihren Eltern bevorzugt wird, hat eine schlechte Beziehung zu ihren Eltern. Der Vater und die Mutter von Su Wenwan nehmen an ihrem Leben ebenfalls fast nicht teil. Ihr Vater arbeitet als hochrangiger Regierungsbeamter in Sichuan und will sich nicht um ihre Heiratspläne und die Hochzeit in Shanghai kümmern. Die Abwesenheit dieser freudschen Konzepte in Qian Zhongshus Roman spiegelt eines der Merkmale der chinesischen Rezeption von Freud wider, z.B. wird die komplizierte Sohn-Mutter-Beziehung, die in Freuds Gedanken eine herausragende Stellung einnimmt, bis zu einem gewissen Grad durch andere gesellschaftliche Ereignisse ersetzt, die außerhalb der Familie stattfinden. Dies gilt insbesondere für Qian Zhongshu selbst, der sich weder streng an das freudsche Diagnosemodell hielt noch ähnliche Schlussfolgerungen hinsichtlich der Wurzeln psychischer Probleme zog.
4. Zusammenfassung
Die umzingelte Festung, eine rücksichtslose Satire über unterschiedliche Mitglieder der chinesischen Gesellschaft, ist Qian Zhongshus praktische Umsetzung nach seiner theoretischen Kritik an chinesischen Romanen. In seinem englischen Aufsatz Chinese Literature (1945) stellt Qian Zhongshu fest:
There is no novel of pure humour in Chinese, but a good deal of social satire. The satire is almost exclusively directed against the corruption and snobbery of officialdom and literati. […] But the Chinese satirists glide off the surface and never probe into the essential rottenness of human nature. They accept the traditional values, social and moral, believe in the innate goodness of man, and poke gentle fun at what they regard as unfortunate backsliding from probity and decorum. They lack that clear-sighted and dry-eyed misanthropy which understands that ›the best of men are but men at the best‹. Just as the Chinese dramatists have no sense of ›tragic justice‹, so the Chinese satirists also lack that terrible saeva indignatio which like fire can purify the filth it touches. They remain only witty and shrewd observers (Qian Zhongshu 2019b: 297f.; Hervorh. i.O.).
Qian Zhongshu benutzte die Theorien Freuds als Werkzeug und stellte seine eigene Diagnose der modernen chinesischen Gesellschaft, nachdem er die westliche Literatur ausgiebig studiert und drei Jahre in Europa gelebt hatte, ohne dabei die einheimische chinesische Literatur und Tradition aufzugeben. In seinem Roman, dessen historischer Hintergrund der chinesisch-japanische Krieg ist, enthüllte und verspottete er die Schwächen der Menschheit wie Heuchelei, Eitelkeit, Gier, Lust, blinde Verehrung der westlichen Kultur, oberflächliche Nachahmung westlicher Sprachen und Stile etc. Diese Mängel sind jedoch kein spezifisches Produkt eines vom Krieg betroffenen Landes oder einer bestimmten sozialen Klasse, sondern können sowohl in turbulenten als auch friedlichen Zeiten bei Menschen unterschiedlichen Alters, Geschlechts, Bildungshintergrunds, wirtschaftlicher und sozialer Klasse beobachtet werden. So wie Qian Zhongshu im Roman schrieb:
In Wirklichkeit sind menschliche Fehler wie ein Affenschwanz, der unsichtbar bleibt, solange der Affe am Boden hockt, und erst bewundert werden kann, wenn der Affe auf einen Baum klettert und uns sein Hinterteil darbietet. Doch der rote Affenpopo mit dem langen Schwanz ist immer da und nicht Resultat einer hohen Stellung. (DuF: 318)
Qian Zhongshu zeigt in seiner literarischen Kritik in Tan yi lu (Über die Kunst des Gedichtes) und Guan zhui bian (Mit Bambusrohr und Ahle), dass die Literatur unterschiedlicher Nationen einen Spiegel füreinander darstellt. Er schreibt im Vorwort (datiert 1942) zu Tan yi lu: »东海西海,心理攸同;南学北学,道术未裂« (Qian Zhongshu 2010: 1).5 Deshalb sollten fremde Literaturen nicht der blinden Anbetung und unkritischen Nachahmung, sondern zur Erkenntnis der Ähnlichkeiten von Gesinnungen und Emotionen in Literatur, dem Leben, den Gesellschaften und der Menschen dienen. Daraus kann man zusammenfassend folgern, dass Qian Zhongshu Freuds Theorie des Unbewussten und Träumens angewendet und in seinem Roman als einen Spiegel genutzt hat, um die Komplexität der Befindlichkeiten des modernen chinesischen Volkes aufzudecken. Er analysierte die verschiedenen Ebenen des (Un-)Bewussten von Individuen und ihre ambivalenten Gefühle in der modernen Gesellschaft in Bezug auf ihre Zukunft und ihr Schicksal. Aus diesem Grund hat er eine Satire geschrieben, die anders, umfassender, tiefgreifender und grausamer ist als die frühen Romane wie Rulin waishi (儒林外史, Der Weg zu den weißen Wolken: Geschichten aus dem Gelehrtenwald, geschrieben von Wu Jingzi 吴敬梓, circa im Jahr 1750). Mit den psychoanalytischen Theorien als ein Spiegel und ein Werkzeug ist er nicht nur ein schlauer Beobachter, sondern auch ein unbarmherziger Diagnostiker, und er entlarvt furchtlos die internen Probleme der chinesischen Gesellschaft.
Anmerkungen
1 Diese Studie wurde im Zuge eines Projekts (Nummer: 136020279) von der Universität Yangzhou unterstützt.
2 Er übersetzt den Terminus Psychoanalyse als Xinjie shu 心解术.
3 Die Sigle DuF steht für Qian Zhongshu 2008.
4 Im Vergleich zu der deutschen Übersetzung dieses Abschnitts ist die englische Übersetzung genauer: »In short, I possess you, bind you, follow you like the spirit of a ghost that’s been wronged, and will not leave you in peace. For a long time I’ve thought of me – oops! Instead of ›you‹, I accidently wrote ›me‹, but there’s good reason for such a slip of the pen. Do you know why? To put it simply, I’ve already practised that sentence a thousand times in my head.« (Qian Zhongshu 2006: 111; Hervorh. X.J.).
5 ›Zwischen östlichen und westlichen Meeren sind die Mentalitäten ähnlich; zwischen südlichen und nördlichen Schulen sind die Methoden nicht getrennt‹ (Übersetzung X.J.).
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