Moritz Baßler: Populärer Realismus. Vom International Style gegenwärtigen Erzählens
München: C.H. Beck 2022 – ISBN 978-3-406-78336-4 – 24,00 €
Moritz Baßler hat mit Populärer Realismus eine Untersuchung zu erfolgreicher Gegenwartsliteratur vorgelegt. Er stellt auf ebenso provokante wie kurzweilige Weise grundlegende Fragen nach Zweck, Wert und den Funktionen von Literatur. Äußerst harsche Urteile fällt Baßler nicht zuletzt in Bezug auf gewisse Tendenzen in der Rezeption interkultureller Literatur in Feuilleton und Forschung, auf die diese Rezension besonders eingehen wird. Obwohl seinen Ergebnissen im Detail oft nicht zugestimmt werden kann, ist die klare Haltung, die diese Monographie zeigt, absolut zu begrüßen. Sie ist gerade kein Ausdruck einer auf Apodiktizität zielenden Immunisierungsstrategie. Im Gegenteil werden die Prämissen und Traditionen, aus denen heraus argumentiert wird, deutlich benannt, was sicherlich als Einladung zum produktiven Disput verstanden werden darf.
Der neue Midcult
Die Diskussion um einen sog. neuen Midcult ist der Ausgangspunkt der Monographie. Midcult als Terminus wurde bereits in den 1960er Jahren von Dwight MacDonald und Umberto Eco geprägt, um Literatur zu beschreiben, der »eine strukturelle[e] Lüge« (71) inhärent ist. Der Vorwurf lautet, die Literatur des Midcult signalisiere durch thematische, intertextuelle und (seltener) formale Eigenschaften, sie sei »High Art« (ebd.). Tatsächlich handle es sich jedoch um leicht Verdauliches, das neben der reinen Unterhaltung auch noch das Gefühl liefert, »man höre das Herz der Kultur schlagen«. (70 u. Eco 1986: 71). Dass es einen neuen Midcult gebe, hat Baßler bereits in einem Aufsatz (vgl. Baßler 2021) vertreten, auf den er laut eigener Aussage heftige und stark divergierende Rückmeldungen bekommen habe (vgl. 10). Ebenso taucht die These in der gemeinsam mit Heinz Drügh verfassten Monographie Gegenwartsästhetik (Drügh/Baßler 2021) auf, die Baßler als entscheidende theoretische Vorarbeit für Populärer Realismus beschreibt. Diese – hier rezensierte – Monographie stelle nun eine Ausdifferenzierung des Midcult-Arguments dar, so Baßler in der Vorbemerkung. Das Buch geht darüber jedoch deutlich hinaus. Die These über den neuen Midcult wird eingebettet in eine Diagnose der auf dem internationalen Buchmarkt sowie im Rennen um Literaturpreise erfolgreichen zeitgenössischen Literatur. Sein Urteil lautet: Es gibt einen international style weltweit auf dem Markt erfolgreicher Literatur, den man populären Realismus nennen könnte. Dieser Terminus ist jedoch im Gegensatz zu dem des Midcult nicht pejorativ zu verstehen. Als populären Realismus beschreibt Baßler ein auf dem Buchmarkt fast konkurrenzloses literarisches Verfahren, das sowohl das für ihn Beste der zeitgenössischen Literatur umfasst als auch das Schlechteste.
Ethik vs. Ästhetik
Das Neue am neuen Midcult
Ging es im alten Midcult laut Eco und MacDonald darum, bildungsbürgerlichen Eitelkeiten alter weißer Männer (und ihrer Gattinnen) zu schmeicheln, ohne sie zu überanstrengen, drehe es sich beim neuen Midcult, so Baßler, um moralisch-ethische Standpunkte eines Publikums, das »eher weiblich und divers« (185) sei. Wie beim alten Midcult entwickelten auch die Texte der neuen Spielart keine ästhetische Eigenlogik. Neu sei allerdings, dass sie von einer moralischen oder ethischen Logik hypercodiert seien, die zur Selbstversicherung »ästh-ethischer Stilgemeinschaften« (187) – der je »eigenen Tribe[s]« (186) – diene. »Zugespitzt gesagt, hat man immer schon verstanden, was wichtig ist und worauf es ankommt, und lässt es sich vom ästhetischen Gebilde, dem Roman (und am liebsten eigentlich direkt von seiner Autorin), im Grunde nur noch bestätigen.« (187) »Und die strukturelle Lüge, die eine Bezeichnung als ›Neuer Midcult‹ rechtfertigt, bestünde dann darin, etwas für bedeutende Literatur zu halten, weil es wundersamerweise das thematisiert und bestätigt, was man ohnehin für richtig, wahr und wichtig hält.« (189f.)
Baßler spielt hier nicht nur mit dem Image des alten weißen Mannes, sondern genießt diese Provokation sichtlich, wenn er mit Pierre Bourdieu, einem Säulenheiligen der von Baßler denunzierten Literatur, den Vorwurf formuliert, der postkoloniale, intersektionale oder sonst irgendwie politisch-moralische Ruf »Das muss endlich eine Stimme bekommen« sei auch nichts anderes als das empörte »Das wird man ja wohl noch sagen dürfen« (189), das man eigentlich von rechts kennt und mit dem man nichts gemein haben möchte. Unabhängig davon, dass diese Gleichsetzung sicher nicht haltbar ist, weil die rechte Position durch einen kalkulierten Tabubruch zu provozieren hofft, was die von Baßler kritisierten Texte nicht tun; und unabhängig davon, ob man Baßlers Zündeln an der Lunte des Shitstorms sympathisch findet oder nicht, täte man schlecht daran, seine Argumente einfach mit Hinweis auf seinen Phänotypus (alt, weiß, männlich) abzutun und ihm sozusagen auf den Leim zu gehen. Es lohnt sich durchaus, Baßlers Argumente zu prüfen, um zu sehen, ob seine Analysen methodisch haltbar sind.
Realismus als Verfahren
Wichtig und zentral für Baßlers Argument ist, dass der Terminus Realismus weder prima facie meint ›nach Art der Texte des bürgerlichen Realismus gearbeitet‹, noch ›eine Diegese entwerfend, in der die gewohnten Naturgesetze herrschen‹. Vielmehr bezeichnet er damit ein Verfahren, das sich durch eine weitgehend intuitive Entschlüsselbarkeit auszeichnet. In diesem Sinne realistisch verfahrende Texte, Filme und Werke in anderen Medien sind diejenigen, deren Zeichenebene in der Rezeption keine Widerständigkeit besitzt und die in dieser Hinsicht transparent ist. Als dem Realismus in paradigmatischer Weise entgegenstehende Verfahren beschreibt er z.B. jene der klassischen Avantgarden, darunter besonders die des Surrealismus. Mit diesem Realismusbegriff umgeht Baßler die problematischen ontologischen Fragen nach der Wirklichkeit und die damit zusammenhängenden repräsentationstheoretischen Fragen nach einem Gelingenskriterium ihrer Darstellung. So ergibt sich die Möglichkeit, die Phänomene in den Fokus zu rücken, um die es Baßler geht. Eine vermeintliche Vielfalt der Literatur kann durch seinen Realismusbegriff in einer wesentlichen Hinsicht als sehr homogen gezeigt werden. Denn sowohl den multimedialen Fantasy-Universen von Mittelerde oder Harry Potter, Wolfgang Herrndorfs Tschick, den Autofiktionsprojekten von Karl Ove Knausgård und Elena Ferrante als auch den Texten von Daniel Kehlmann oder Christian Kracht diagnostiziert Baßler eine entscheidende Gemeinsamkeit – obwohl er sie hinsichtlich ihrer literarischen Qualität komplett unterschiedlich bewertet. Diese besteht in der, nicht zuletzt auch für den Erfolg auf dem Buchmarkt notwendigen, Zugehörigkeit zum populären Realismus: »eine literarische Textur, eine Machart […], die sich selbst sozusagen unsichtbar macht und uns in der Lektüre direkt auf die Ebene befördert, auf die es hier ankommt – die Ebene der Story.« (18f.)
Ästhetisches Gelingen
Baßlers Ziel ist es, innerhalb des Korpus des populären Realismus Literatur in gute und schlechte einzuteilen. Man mag entgegnen, dass das nicht sein einziges Ziel sei, da er vor allem im ersten Teil der Monographie viel Platz darauf verwendet, das Zusammenspiel von ästhetischen mit marktförmigen Logiken darzustellen. Die Einzeltextanalysen – das, worum es eigentlich geht – sind jedoch entweder eindeutige Lobeshymnen oder Verrisse. Nicht zuletzt meint ja auch das Verdikt, ein Text sei neuer Midcult, dieser werde für gut gehalten, sei es aber nicht. Das Kriterium, das Baßler anlegt, könnte man als das Vermögen eines Textes bezeichnen, eine ästhetische Eigenlogik zu entwickeln – ein Terminus, den Baßler nicht verwendet, der aber sehr gut beschreibt, was er meint. Es geht ihm darum, ob literarische Verfahren zum Einsatz kommen, welche die Deutungen herausfordern, indem Ambivalenzen produziert werden. Nur wenn Literatur das tut, wäre tatsächlich von einer Eigenlogik zu sprechen. Andernfalls würde sich Literatur – quasi heteronom – einer fremden Logik unterwerfen. Diese ist zumeist eine moralische, wie beim neuen Midcult. Literatur besitzt aufgrund dieser rein ästhetischen Eigenlogik nun die Fähigkeit, einen Möglichkeitsraum zu entwerfen. Baßler orientiert sich dabei stark am klassischen Strukturalismus Roman Jakobsons. Bekanntlich ist bei diesem ein sprachlich realisiertes Element nicht allein aus dem Syntagma verständlich, in dem es steht. Es muss immer auch das Paradigma als Hintergrundfolie mitverstanden werden, das aus den Möglichkeiten besteht, die auch hätten realisiert werden können. Was der Satz ›Ich mag dich auch‹ als Entgegnung auf den Satz ›Ich liebe dich‹ bedeutet, erschließt sich nicht allein aus der syntagmatischen Verbindung der Elemente ›Ich‹, ›mag‹, ›dich‹ und ›auch‹. Vielmehr weiß man, wie dieser Satz zu verstehen ist, weil man um die nicht realisierte (aber virtuell vorhandene) Möglichkeit weiß, dass auch ›Ich liebe dich auch‹ hätte gesagt werden können. Analog begreift Baßler die Wirklichkeit, die deswegen durch Literatur gestaltet werden kann. Denn die Welt ist nicht allein von dem her verständlich, was tatsächlich ist. Vielmehr ist es so, dass das, was es gibt, auf das hin verstanden und bewertet werden muss, was auch möglich gewesen wäre (und ist). Diesen Möglichkeitsraum (in strukturalistischer Terminologie: das Paradigma) zu gestalten, ist für Baßler der Zweck von Literatur – und zwar alleiniger.
Um darzustellen, wie dies vonstattengeht, unterscheidet Baßler drei Ebenen des literarischen Textes: Es gibt einmal die Zeichen, aus denen der Text besteht; dann gibt es die Diegese, die erzählte Welt, den Inhalt; und schließlich gibt es eine dritte Ebene der Bedeutung oder Bewertung. Diese Ebenen werden an verschiedenen Stellen unterschiedlich von Baßler benannt, es wird aber sehr klar, was er meint (vgl. 201-209). Wie oben schon dargestellt, heißt Realismus alles, worin ein müheloser Übergang von erster zu zweiter Ebene möglich ist. Schafft es der Text nun Ambivalenzen im Übergang von zweiter zu dritter Ebene zu erzeugen, dann wäre dies laut Baßler positiv zu bewerten. Denn literarische Verfahren, denen dies gelänge, produzierten neue Möglichkeitsentwürfe der Welt. Oder sie stellen zumindest in Frage, dass die bekannten Möglichkeiten die einzigen seien. Das Paradigma der Realität werde verändert, weswegen Baßler auch von einem »paradigmatische[n] Realismus« (376) spricht. Historischer Gewährsmann für diese Art von Realismus mit Möglichkeitssinn ist – wenig überraschend – Robert Musil. Der Midcult hingegen wäre ein Realismus, der die Denkmöglichkeiten derjenigen Gruppe, für die er jeweils geschrieben ist, bestätigt. In diesen Texten gilt: »Man liest und versteht.« (36)
Baßler plädiert also für einen Literaturbegriff, für den Literatur ein Medium ist, das ein naives Verständnis sowie Verstehen als Vorgang problematisiert und nicht ermöglicht. Denn »[w]as sich immer von selbst versteht, ist sozusagen kein würdiger Gegenstand von Literatur« (201). Er findet eine griffige Wendung für die von ihm favorisierte Spielart von Realismus: »Ein solcher Realismus hätte zu seinem Prinzip nicht die Identität (A = A), sondern die Äquivalenz (A ~ A oder: Wo A ist, könnte auch Aˈ sein).« (305)
Er teilt die Literatur, die er interpretiert, dann auch dementsprechend eindeutig in gute und schlechte ein: Gut ist: Wolf Haas, Wolfgang Herrndorf, Christian Kracht, Hengameh Yaghoobifarah, Dietmar Dath, Slata Roschal, Mithu Sanyal, Leif Randt und andere. Schlecht dagegen sind: Olivia Wenzel, Karl Ove Knausgård, Annie Ernaux, Anke Stelling, Sharon Dodua Otoo, Elena Ferrante und ebenso einige andere. Man kann an dieser Stelle eine Reihe kritischer Nachfragen einschalten.
Literaturwissenschaft und Wertung
Baßler liefert eine Theorie vom Wesen und Zweck von Literatur, die er zwar provokant vorträgt, im Kern aber recht vielen Literaturwissenschaftler*innen sympathisch sein dürfte. Denn sie beharrt einerseits mit Pathos auf dem Ästhetischen als Konstituens von Literatur, legt andererseits aber nüchtern dar, was mit ›dem Ästhetischen‹ eigentlich gemeint sei. Er bezieht sich in seinem Begriff von Kunst und Literatur emphatisch auf die um 1800 entwickelte Idee der Kunstautonomie (vgl. z.B. 30, 135, 191, 297f.). Es fragt sich allerdings, ob diese nicht in einem bestimmten Punkt verkürzt begriffen wird, wenn Baßler der Literatur einen eindeutigen Zweck zuweist – die Gestaltung des Paradigmas. Denn Literatur ist damit letztlich nur autonom in den Verfahren, die sie wählt, und den Möglichkeiten, die sie gestaltet, nicht aber in ihrer Zwecksetzung. Der Zweck von Literatur wäre demgemäß nicht mehr Aushandlungssache der Literatur selbst. Dieser Vorwurf soll nicht als ein Totschlagargument gegen jede Form von präskriptiver Literaturwissenschaft oder Literaturkritik verstanden werden, es scheint aber so, als enge Baßlers strukturalistische Herangehensweise ein, was mit ›ästhetischem Gelingen‹ gemeint sein könnte.
Baßler positioniert sich rhetorisch dabei als Verteidiger der ästhetischen Eigenlogik von Literatur und einer Literaturwissenschaft, die diese nicht über Bord zu werfen bereit ist. Er zitiert zwar nicht viele Stimmen aus der Forschung, versucht aber durchaus, den Eindruck zu erwecken, es bestünde die Gefahr, die Literaturwissenschaft schwenke auf die Bewertungslogiken des neuen Midcult ein. Dies macht er z.B. an Amy Hungerfords Aussage fest, David Foster Wallace aus feministischen Gründen nicht mehr lesen zu wollen (vgl. 186). Man kann sich fragen, an wen dieser Vorwurf innerhalb der deutschsprachigen Forschung gerichtet ist. Wahrscheinlich ist es eine Literaturwissenschaft, die in dem Sinne kritisch ist, dass sie versucht, gesellschaftliche Bedingungen und Konsequenzen – also auch ethisch-moralische Fragestellungen – ihrer Arbeit mitzureflektieren: feministische, postkoloniale, intersektionale und neben anderen auch interkulturelle Literaturwissenschaft. Eine unausgesprochene Prämisse Baßlers scheint zu sein, dass es letztlich nur zwei Arten der Literaturwissenschaft gibt: seine, die integer allein das ästhetische Urteil sucht, und die falsche, die durch andere Logiken korrumpiert wird. Hierunter würden die genannten Spielarten der Literaturwissenschaft fallen.
So eindeutig wie die Literaturwissenschaft eingeteilt wird, wird auch mit den literarischen Texten verfahren: In der Aussage über die Ambivalenz der Texte – denn das ist ja sein Kriterium für gelungene Literatur – gibt es selbst gar keinen Raum für Ambivalenz. Natürlich müssen Urteile, die einem Gegenstand Ambivalenz unterstellen, selbst nicht per se ambivalent sein. Dennoch liegt im Vorgehen Baßlers, weil seine Analysen immer auf ein ›gut‹ oder ›schlecht‹ hinauslaufen sollen, eine Gefahr der Vereinfachung, der er nicht immer entrinnt. Es fragt sich, warum ein literaturtheoretischer Aufwand betrieben und warum ein (wirklich beeindruckend) breites Corpus an Primärtexten befragt wird, nur um eine simple zweiwertige Logik zu bedienen. Seine eigene Arbeit wird so selbst in gewisser Weise hypercodiert. Denn der Blick auf die literarischen Verfahren, den die strukturalistische, medien- und kommunikationstheoretische Herangehensweise ermöglicht, wird durch den unbedingten Willen, Literaturkritik zu betreiben, zum Teil wieder einkassiert. So muss Stuckrad-Barres Panikherz eindeutig gut und Otoos Adas Raum eindeutig schlecht sein. Man hätte beide auch als mittel beschreiben können.
Fazit
Der oben angesprochene mögliche Vorwurf, Moritz Baßler rede als alter weißer Mann einem ›anti-woken‹ Gestus das Wort, lässt sich nicht halten, da alte weiße Männer genauso wie diverse junge Menschen als Autor*innen sowohl ins Töpfchen wie auch ins Kröpfchen sortiert werden.
Allein die Analysen der Einzeltexte scheinen in genau der Hinsicht, dass es nicht mehr Schubladen gibt als diese beiden, doch teilweise enttäuschend. Unverfänglich scheint die Feststellung zu sein, dass der Buch- und Literaturpreismarkt Tendenzen zu einem neuen Midcult hat. Nicht beantwortet wird aber die Frage, ob es nicht einfach normal ist, dass ein Geschmack von gehobener Mittelmäßigkeit die Mode bestimmt. Eben wie schon bei Eco und MacDonald, aber auch wie bereits in der Goethezeit, in der nicht Goethe, sondern Kotzebue der erfolgreichste Autor war (vgl. Birgfeld/Bohnengel/ Košenina 2020: IX; ich danke Nikola Keller für diesen Hinweis).
Gewichtiger ist der insinuierte Vorwurf an Teile der Literaturwissenschaft, sie würden der Logik des Midcult folgen. Aber gerade hier bleibt Baßler Belege schuldig, die zeigen, dass dem in nennenswertem Umfang so sei. Gerade in der interkulturellen Germanistik scheint eine Wachsamkeit dahingehend grundlegend für das Selbstverständnis zu sein. Man denke z.B. an Norbert Mecklenburgs Unterscheidung von poetischer und kultureller Differenz und seine These, dass genuin literarische interkulturelle Potentiale nur dort entstehen, wo der poetischen Logik Vorrang vor allen anderen eingeräumt wird (vgl. Mecklenburg 2008: 233).
Doch auch aufs Fach insgesamt geblickt, fragt sich, ob Baßlers Monographie nicht eher einem Trend oder zumindest einer weit verbreiteten Sehnsucht das Wort redet, als dass er der einsame Rufer in der Wüste wäre, als der er in der Selbststilisierung manchmal erscheint. Dies wird man erst mit einigem Abstand beurteilen können.
Trotz aller Kritik muss abschließend gesagt werden, dass Populärer Realismus ein großartiges Buch ist, das fesselt wie selten eine literaturwissenschaftliche Monographie – nicht obwohl, sondern gerade weil sie zu Widerspruch reizt. Denn sie drängt damit eben auch zur Reevaluation der eigenen Positionen. In diesem Sinne:
Selbstverständlich dürfen, können und sollen wir an jede Art von Literatur den allerhöchsten Anspruch stellen, und das ist der Anspruch auf ästhetisches Gelingen, in dem sie uns etwas »sehen und nicht nur wiedererkennen« lässt, und zwar nach ihren eigenen (nicht unseren) Regeln. Ob und wodurch dieses Gelingen jeweils eintritt, darüber lässt sich – auch akademisch – im Einzelfall durchaus streiten. Tun wir das doch! (319)
Dominik Zink
Literatur
Baßler, Moritz (2021): Der Neue Midcult. Vom Wandel populärer Leseschaften als Herausforderung der Kritik. In: POP. Kultur & Kritik 10, H. 18, S. 132-149.
Ders./Drügh, Heinz (2021): Gegenwartsästhetik. Konstanz.
Birgfeld, Johannes/Bohnengel, Julia/ Košenina, Alexander (22020): Vorwort. In: Dies. (Hg.): Kotzebues Dramen. Ein Lexikon. Hannover, S. IX-XIV.
Eco, Umberto (1986): Die Struktur des schlechten Geschmacks. In: Ders.: Apokalyptiker und Integrierte. Zur kritischen Kritik der Massenkultur. Aus dem Ital. v. Max Looser. Frankfurt a.M., S. 59-115.
Mecklenburg, Norbert (2008): Das Mädchen aus der Fremde. Germanistik als interkulturelle Literaturwissenschaft. München.