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Zeitschrift für interkulturelle Germanistik – 15. Jahrgang, 2024: GiG im Gespräch 2024

Zeitschrift für interkulturelle Germanistik – 15. Jahrgang, 2024

GiG im Gespräch 2024

GiG im Gespräch 2024

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

liebe Mitglieder der Gesellschaft für interkulturelle Germanistik,

sehr geehrte Leserinnen und Leser der Zeitschrift für interkulturelle Germanistik,

es ist mir eine Freude, wieder von einer eindrucksvollen und erfolgreichen Konferenz berichten zu können. Denn vom 28. bis 30. Juni fand die diesjährige GiG-Tagung an der renommierten Seoul National University in Korea statt. Vorbereitet, organisiert und durchgeführt wurde sie von den Kolleginnen und Kollegen des Department of German Language and Literature, federführend verantwortet wurde sie von Prof. Dr. Hong Jin Ho. Ihm und allen Mitwirkenden vor Ort danke ich im Namen der GiG an dieser Stelle nochmals für die ausgezeichnete und sehr gelungene Tagung mit dem Titel Krisen als Impulse für die Germanistik? Überlegungen, Untersuchungen, Reflexionen.

Der breit gefächerte Zugang zum Thema der Krise mit Fachvertreterinnen und -vertretern der germanistischen Teilfächer einschließlich der Literatur- und Sprachwissenschaft, der Mediävistik, Translationswissenschaft, von Deutsch als Fremdsprache und der Mehrsprachigkeitsforschung ergab ein abgerundetes Bild der aktuellen Forschung in diesem Bereich. In seinem Plenarvortrag zeigte Daniel Hugo Rellstab von der PH Schwäbisch-Gmünd zum Thema Linguistik der Interkulturalität. Die sprachwissenschaftliche Erforschung sprachlich und kulturell vielfältiger Lebenswelten Perspektiven eines wichtigen interdisziplinären Forschungsfeldes auf, das ansonsten in der Gesellschaft für interkulturelle Germanistik leider immer noch zu wenig forciert wird. Ein zweiter Plenarvortrag wurde von Ahn Mi-Hyun von der Mokpo National University präsentiert; hier ging es um Die Risikogesellschaft und literarische Gegendiskurse. Das Phänomen der Geschwindigkeit und das Ethos der Langsamkeit.

Bereichernd war auch der Abendempfang mit Kulturprogramm in der Hugunghwa Hall des auf dem Universitätscampus befindlichen Hoam Faculty House. Besondere Erwähnung verdienen der Vortrag des deutschen Botschafters in Seoul, Georg Wilfried Schmidt, der ausführlich auf das Tagungsthema einging und dabei u.a. eindringlich auf die andauernde politische Krisensituation in Korea hinwies, sowie die Begrüßungen des Dekans des ›College of Humanities‹ an der Seoul National University, Prof. Dr. Kang Chang-Uh, und der Vorstandsvorsitzenden des ›Instituts für Übersetzungsforschung zur deutschen und koreanischen Literatur‹, Prof. em. Kim Edeltrud.

Großer Dank gilt dem DAAD für die Unterstützung und maßgebliche Förderung der GiG-Tagungen. Sehr zu danken ist auch dem ›College of Humanities‹ an der Seoul National University, der Initiative Research and Education des ›College of Humanities‹, Frau Kim Edeltrud, der Vorstandsvorsitzenden des ›Instituts für Übersetzungsforschung zur deutschen und koreanischen Literatur‹, sowie der Kim Hee-Kyung Scholarship Foundation for European Humanities.

Schon jetzt sind sogar die Vorbereitungen der nächsten GiG-Tagung angelaufen. Sie wird in Bangkok stattfinden und von der renommierten Chulalongkorn-Universität ausgerichtet werden. Nachdem an dieser Hochschule 2011 schon einmal eine GiG-Tagung stattgefunden hat, wollen wir dorthin noch einmal zurückkehren. Inzwischen wurde an der Universität ein Generationenwechsel vollzogen und jüngere Nachwuchsforscherinnen und -forscher sind nunmehr in die Leitungsfunktionen aufgerückt. Sie fühlen sich jetzt der großen Aufgabe der Veranstaltung einer GiG-Tagung gewachsen und werden dabei unterstützt von der erfahrenen Kollegin Pornsan Watanangura. Sämtliche Informationen zu den Daten und der Einreichung von Beitragsvorschlägen erhalten Sie zu gegebener Zeit. Da im kommenden Jahr 2025 mit dem IVG-Kongress in Graz und der IDT in Lübeck zwei große internationale germanistische Tagungen durchgeführt werden, steht die GiG wie üblich zurück und setzt 2025 mit ihren Jahrestagungen aus.

Im Folgenden möchte ich Sie wieder auf drei aktuelle Publikationen aufmerksam machen, die in den vergangenen Monaten ihren Weg auf meinen Schreibtisch gefunden haben und deren Lektüre ich als Bereicherung empfinde. Zunächst ist dies der Band des langjährigen GiG-Mitglieds Dietrich Rall Das poetischste Land der Erde. Mexiko in der deutschsprachigen Literatur des 18.-21. Jahrhunderts, 2023 bei Edition Tandem in Salzburg/Wien erschienen. Es ist ein aus meiner Sicht in bestem Sinn zugleich persönliches und wissenschaftliches Buch. Die persönlichen Facetten beziehen sich auf Dietrichs Rall Leben und akademisches Wirken in Mexiko-Stadt an einer der bedeutendsten Universitäten Lateinamerikas, der Universidad Nacional Autonoma de México (UNAM), und tragen teilweise Züge von Reiseberichten und -literatur. Es ist sehr bereichernd, die Erfahrungen eines Kollegen kennen zu lernen, der seit 1969 und damit seit 55 Jahren nahezu durchgehend in Mexiko lebt, zunächst gemeinsam mit seiner 2003 verstorbenen Frau Marlene und nun mit seiner Frau Adriana Haro Luviano de Rall:

Mir war nicht zu träumen zumute, als ich Ende Januar 1969, ein Semester später als geplant, in Mexiko [beeindruckt vom Anflug über die Riesenstadt; G.L.S.] einschwebte, sondern ich wollte endlich das moderne Mexiko kennenlernen. Aufgrund der Studentenproteste und der blutigen Repression auf dem »Platz der drei Kulturen« in Tlatelolco im Oktober des Jahres der Olympischen Spiele in Mexiko 1968, war die Universität geschlossen worden. Als ich an meinem neuen Arbeitsplatz eintraf, um als DAAD-Lektor am Aufbau des neuen Sprachenzentrums der Universität mitzuwirken, waren meine mexikanischen Kolleg*innen gerade damit beschäftigt, die Schäden in den Büros und den Seminarräumen zu besichtigen und zu beseitigen, welche das Militär während der Schließung der Universität hinterlassen hatte. (Rall 2023: 6)

Der wissenschaftliche Schwerpunkt des Bandes liegt in der Auseinandersetzung mit literarischen Mexikobildern aus vier Jahrhunderten unter expliziter Herausarbeitung der Lesart, Beurteilung und des individuellen Zugangs von Dietrich Rall.

In einem eigenen Kapitel wird der Chiapas-Konflikt thematisiert und hier unter 4. der Beginn des Konflikts aus der Sicht der deutschen Presse (vgl. Rall 2023: 184-186). Dietrich Rall blickt dabei auch auf die interkulturelle Germanistik mit ihren Optionen mehrfacher Perspektiven:

Es ist aber auch heute noch aufschlussreich, den Motiven der europäischen Wortführer nachzuspüren, weshalb sie sich für den Zapatisten-Aufstand engagierten und warum sie sich für Konfliktherde in der »Dritten Welt«, wie z.B. in Chiapas, interessierten und internationale Solidaritätsbewegungen ins Leben riefen oder rufen und unterstützen. Den »Third Worldism« der Deutschen und Europäer zum Thema in der Interkulturellen Germanistik zu machen, bleibt aktuell und wirft ein Schlaglicht zurück auf den Wandel der Ideologien und Wertvorstellungen im Laufe der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. (Rall 2023: 189f.)

Es handelt sich um ein Buch – mit besonders schönem sonnig-gelben Einband –, das sowohl bereichert, anregt als auch Freude macht in seiner frischen Reflektiertheit und seinem Kenntnisreichtum.

Bei dem erwähnten zweiten Buch handelt es sich um den von Áine McMurtry, Barbara Siller und Sandra Vlasta herausgegebenen Band Mehrsprachigkeit in der Literatur. Das probeweise Einführen neuer Spielregeln, erschienen 2023 im Narr Francke Attempto Verlag, der ganz in ein wichtiges Schwerpunktgebiet der ZiG fällt. Die in der Einleitung dargelegten Grundannahmen orientieren sich mit Wittgensteins Sprachspielbegriff und der Verfremdung der Prager Schule an inzwischen in der literaturwissenschaftlichen Mehrsprachigkeitsforschung etablierten Sets von Ansätzen. Mehrere Beiträge fokussieren renommierte Autorinnen und Autoren der Gegenwartsliteratur, darunter die Trägerin des – leider vor einigen Jahren von der Robert Bosch Stiftung eingestellten – Adelbert von Chamisso-Preises Uljana Wolf und der Chamisso-Preisträger Vladimir Vertlib. Aber auch bislang im Horizont dieser Forschungsrichtung kaum oder nicht berücksichtigte Autorinnen und Autoren wie zum Beispiel Jean Paul finden vor dem Hintergrund meiner eigenen Dissertationsschrift Cognitio symbolica. Lamberts semiotische Wissenschaft und ihre Diskussion bei Herder, Jean Paul und Novalis (vgl. Schiewer 1996), in der die Vorschule der Ästhetik Jean Pauls einen wichtigen Untersuchungsgegenstand ausmachte, zu meiner Freude nunmehr erste Berücksichtigung.

Schließlich überreichte mir die Kollegin Anna Chita aus Athen den Band Mitteln oder Vermitteln? Translingualität und Transkulturalität in der Fremdsprachendidaktik, den sie gemeinsam mit Dafni Wiedenmayer, ebenfalls Nationale und Kapodistrische Universität Athen, verfasst hat. In diesem anregenden Band wird ein zentraler Grundgedanke der Translationswissenschaft und -praxis, nämlich die Sprach- mit der Kulturarbeit zu verbinden, mit der Zielsetzung der Fremdsprachendidaktik verknüpft. Es geht darum, Lernende zu befähigen, situationsadäquat und erfolgreich zu kommunizieren, wobei der Ansatz darüber hinaus in die Mehrsprachigkeitsforschung einbettet wird, indem mehrsprachige Lebenswelten und ihre Gegebenheiten hervorgehoben werden. Das macht den Band für die Zweitsprachendidaktik ebenso interessant wie für die Fremdsprachendidaktik und trägt dem Umstand Rechnung, dass das Deutsche heute oftmals in von Mehrsprachigkeit geprägten Kontexten Verwendung findet. Die wissenschaftlich fundierte Sprachvermittlung bei gleichzeitig hohem Anspruch an die Alltagstauglichkeit der erworbenen Kenntnisse wird in diesem Band bestens entwickelt.

Leider muss ich Ihnen auch wieder eine Nachricht übermitteln, die traurig stimmt. Denn Ende des vergangenen Jahres ist Herr Dr. Withold Bonner verstorben. Den Angehörigen möchte ich im Namen der Gesellschaft für interkulturelle Germanistik mein Mitempfinden ausdrücken. Ich danke unserem Kollegen Ewald Reuter für seinen Nachruf, den Sie hier beiliegend finden.

Ich verbleibe

mit herzlichen Grüßen und meinen besten Wünschen

Ihre Gesine Lenore Schiewer

Literatur

McMurtry, Áine/Siller, Barbara/Vlasta, Sandra (Hg.; 2023): Mehrsprachigkeit in der Literatur. Das probeweise Einführen neuer Spielregeln. Tübingen.

Rall, Dietrich (2023): Das poetischste Land der Erde. Mexiko in der deutschsprachigen Literatur des 18.-21. Jahrhunderts. Salzburg/Wien.

Schiewer, Gesine Lenore (1996): Cognitio symbolica. Lamberts semiotische Wissenschaft und ihre Diskussion bei Herder, Jean Paul und Novalis. Tübingen.

Wiedenmayer, Dafni/Chita, Anna (2023): Mitteln oder Vermitteln? Translingualität und Transkulturalität in der Fremdsprachendidaktik. Athen.

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Nachruf Withold Bonner (1949–2023)
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