Planetare Agenda
In Zeiten galoppierenden Artensterbens, beschleunigten Klimawandels und akuter Pandemie ist alles Leben auf unserem Planeten in Gefahr. Dass etwas anders werden muss, radikal anders, liegt auf der Hand, doch lassen die erhofften Durchbrüche auf sich warten. Kann es sein, dass wir immer noch nicht weit genug denken? »Planetar Denken« beschreibt eine Weitung von Weltbild und Weltanschauung in den Wissenschaften und darüber hinaus, eine Grenzen überschreitende Denkform, die wir hier historisch nachvollziehen, bildhaft beschreiben und in ihren Konsequenzen für gesellschaftliches und politisches Handeln diskutieren wollen. Es verstärkt sich gerade der Eindruck vom »Ende der Welt, wie wir sie kannten« – das könnte der »planetary moment« sein, der die erd- und menschenfixierte Leitidee der Globalisierung hinter sich lässt.
Im ersten Kapitel »Overview« betreten wir den planetaren Denkraum aus Sicht der Raumfahrt, die (so der englische Ausnahmeastronom Fred Hoyle schon 1948) bei aller Megalomanie schlagartig die Relativität und Relationalität menschlicher Existenz auf dem sprichwörtlich gewordenen »Raumschiff Erde« zu erkennen gab und das Thema der Nachhaltigkeit auf die Tagesordnung setzte. Wir stellen Varianten der planetaren Perspektive vor, denen der Dualismus von Natur und Kultur zu starr erscheint, von den holistischen Vorstellungen indigener Kulturen bis zu jüngst formalisierten Ansätzen der interdisziplinären Erdsystemforschung.
Im zweiten und Hauptkapitel »Engführung« breiten wir das Repertoire planetaren Denkens aus, nähern uns seinen poetischen und epistemischen Semantiken an und schlagen eine erste Sortierung planetarer Wissensökologien vor. Dabei kommen konkrete Wechselwirkungen zwischen Planeten und Menschen in den Blick wie zum Beispiel: Warum führte das Weltraumwetter fast zu einem dritten Weltkrieg und wie ist mit »anthropogenic space weather« umzugehen? Warum markierte ein Zyklon die Geburtsstunde des Staates Bangladesch? Soll man vergangene Erdzeitalter wie im Pleistozän Park wieder zum Leben erwecken? Was ist aus dem historischen »Columbian Exchange«, der mit Kolumbus’ »Entdeckungen« verbundenen Vernetzung eines atlantischen Raumes, für einen künftigen »Martian Exchange«, für eine auf den Mars und weiter ausgreifende interplanetare Konstellation zu lernen? Und wie »klingt« eigentlich eine Pandemie?
Im dritten Kapitel »Durchführung« reflektieren wir Handlungskonsequenzen planetaren Denkens für die Politik einer Weltgesellschaft, deren nationalstaatliche Begrenztheit obsolet ist und die unter enormem Zeitdruck stehen, so dass zur Vermeidung des Kollapses megatechnische Lösungen, künstliche Intelligenz und sogar »Terraforming«, die Umgestaltung anderer Planeten in erdähnlich bewohnbare Himmelskörper, erwogen werden. Wir skizzieren hier vor allem eine planetare Umweltverfassung, die nicht-menschliche Akteure als Wirkmächtige und Mitwirkende einbezieht.
Im Schlusskapitel »Down to Earth« resümieren wir Prinzipien planetaren Denkens im Blick auf die akute Pandemie (die uns beim Schreiben ständig umgab) und legen planetare Denkpfade für das Bildungswesen, die Politikberatung und den Wissenstransfer in die Gesellschaft aus.
Erdaufgang
»Oh, mein Gott! Seht euch dieses Bild da an!
Hier geht die Erde auf. Mann, ist das schön!«
Bill Anders: »Apollo Flight Journal«.
Foto/Quelle: © NASA 2013