Sprache und Rassismus
Ein kritischer Beitrag zur linguistischen Debatte
AbstractRacism, as it is being discussed in recent debates, is manifested especially in verbal utterances. Until now, appropriate categories in order to apprehend and deconstruct these, are still missing. This article aims to present categories that allow us to classify implicit racist utterances. The categories will be explained on the basis of an explicit verbal example.
TitleLanguage and Racism – a Critical Contribution to the Recent Linguistic Debate
Keywordscritical race theory; structural racism; pragmatics; sociolinguistics; orientalism
1. Einleitung
Neuerdings hat das Thema ›Rassismus‹ auch in die Sprachwissenschaft Einzug gehalten. Zu den neueren Beiträgen gehört Stefanowitschs Streitschrift Eine Frage der Moral (2018), Klugs Aufsatz Wortkritik im Zeichen der Political Correctness und aktuelle Formen antidiskriminierender Wortkritik (2020) sowie Hoffmanns Beitrag Zur Sprache des Rassismus (2020). Alle umreißen das Phänomen ›Rassismus‹ und wie es mehr oder weniger aus sprachwissenschaftlicher Perspektive zu betrachten ist. Anders als Hoffmann allerdings behauptet, fehlt es uns nicht an einer Definition von Rassismus (vgl. ebd.: 40) – vielfach wurde diese von vor allem Schwarzen1 Wissenschaftler*innen fundiert dargestellt (vgl. z.B. Auma 2018) –, sondern an Kategorien für die Linguistik, die es ermöglichen, sprachliche Äußerungen als rassistisch zu identifizieren. So ist dieses Thema insbesondere für die Linguistik wichtig, da sich Rassismus, wie er in sprachlichen Ausdrücken eingeschrieben und heute noch vorhanden ist, nicht mehr einfach identifizieren lässt. Es handelt sich häufig um Äußerungen, die auf den ersten Blick harmlosen Fragen oder Komplimenten gleichen, bei näherem Hinsehen aber diskriminierenden Mechanismen folgen.
Ziel dieses Aufsatzes ist es daher, Kategorien vorzustellen, die die Klassifizierung implizit rassistischer Äußerungen ermöglichen und sich an Attias (vgl. 2009) und Keskinkılıç’ (vgl. 2019) Ausführungen zu antimuslimischem Rassismus orientieren. Die Anwendbarkeit der Kategorien demonstriere ich exemplarisch anhand einer prominenten Äußerung, die in der alltäglichen Kommunikation vor allem rassifizierten Menschen begegnet. Dadurch, dass Rassismus ein gesamtgesellschaftliches Problem ist, hat dieser Aufsatz den Anspruch, auch über den akademischen Raum hinaus verständlich und zugänglich zu sein. Da Diskussionen über Rassismus oft an einer angemessenen Definition scheitern, soll damit vorab eingeleitet werden.
2. Rassismus
Eine Definition
Anders als häufig noch in der (linguistischen) Wissenschaft angenommen und rezipiert, hat das Konzept ›Rassismus‹ keinen ausschließlichen Bezug mehr zur Definition nach Kant und anderen Denkern2 dieser Zeit. Rassismus orientiert sich also nicht mehr primär an der Kategorisierung phänotypischer Merkmale, die dann in der Konsequenz zu einer Denkweise führt, die rechte Gewalttaten, Kolonisierung oder Völkermord legitimiert(e). In erster Linie beschreibt der Rassismusbegriff aktueller Debatten ein System, das ursprünglich auf der Annahme von ›Menschenrassen‹ entstanden ist, sich daraufhin aber strukturell festgesetzt hat und durch epistemische Gewalt manifestiert wird (vgl. Arndt 2019: 41), die heute noch deutlich werden. Gemeint ist hiermit, dass sich vor allem durch die Kolonisierung Machtverhältnisse entwickelt haben, die sich z.B. auch darauf auswirken, welches Wissen gesellschaftlich und institutionell als relevant bewertet wird und dadurch dominant in medialen und akademischen Diskursen ist. Mit Foucault gesprochen wird durch diese Diskurse eine Wahrheit produziert (vgl. Foucault 1991). Nachdem ausgiebig diskutiert und bewiesen wurde, dass es biologische Rassen nicht gibt, lebt das System weiter, welches auf der Annahme beruht, es gäbe diese ›Menschenrassen‹. Das Konzept von ›West‹ und ›Ost‹, ›Orient‹ und ›Okzident‹ hat sich kaum gewandelt. Lediglich explizit rassistische Bezeichnungen mussten dem ›höflichen‹ subtil impliziten Rassismus weichen und lassen sich nur noch selten an der Ausdrucksseite einzelner Wörter (›N-Wort‹, ›Kanake‹) festmachen. Stattdessen drückt sich dieser eher über Assoziationen und Stereotype aus, die tief mit der entsprechenden Wahrnehmung bestimmter Menschengruppen zusammenhängen und teils anhand ganzer Propositionen übermittelt werden (vgl. dazu Stefanowitsch 2018).
Rassismus steht also für ein System, das ursprünglich auf ›biologischen‹ Kategorien beruhte, nun aber vor allem in einer im kulturellen Gedächtnis verankerten Sicht auf die Welt wurzelt (vgl. Auma 2018: 2). Die vermeintlich neutrale Sicht auf die Welt und deren dadurch strukturierte Wahrnehmung ist damit ausgehend von der westlichen Perspektive geprägt, die vor allem durch die Kolonialzeit Deutungshoheit über Völker, Kulturen und Religionen gewonnen hatte. Schon Said (vgl. 2017: 45) zeigte auf, dass britische Kolonialherren die ägyptische Bevölkerung als Abweichung der durch sie selbst bestimmten Norm gesehen haben. Alles, was nicht als westlich definiert wurde, war unkultiviert, primitiv und bedurfte der Zivilisierung (vgl. Schmitz 2019: 486). Wissenschaftliche Disziplinen wie die Orientalistik z.B. basierten dann auf der voreingenommenen Perspektive der Europäer*innen, die ihre westlichen Werte als Maßstab für ihre Betrachtungen genutzt haben und andere Völker mittels der Definition von Abweichungspunkten darstellten. Die Bewertung musste also nicht explizit erfolgen, sondern war schon Teil der vermeintlich neutralen Perspektive bzw. Weltanschauung. Schmitz bezeichnet dies auch als institutionalisiertes »europäisches Aussagensystem« (ebd.: 488). Der Europäer betrachtete sich in Abgrenzung zu dem Orientalen als neutral und objektiv und sah sich dabei gleichzeitig als normativen Ausgangs- und Mittelpunkt seiner wissenschaftlichen Beobachtungen (vgl. ebd.: 487).
An dieser Stelle spielt das Diskurselement ›Macht‹ eine entscheidende Rolle. Durch Macht sind Gesellschaften in der Lage, »überhistorisch[e], universell[e] Wahrheiten [zu erzeugen]« (Bublitz 2003: 67), die sich durch die diskursive Praxis manifestieren. In Bezug auf den Orientalismus bedeutet dies, dass die Europäer*innen aufgrund von Kolonisierung und Imperialismus sowie militärischer Interventionen eine immer noch andauernde machtvolle Stellung erreicht haben, die es ermöglicht, ihre teils individuellen Erfahrungen mit diversen Völkern als universelle Wahrheiten im Rahmen von wissenschaftlichen Disziplinen geltend zu machen. Auch die fehlende Thematisierung und Problematisierung von historischen Sachverhalten bzw. die vornehmlich eurozentrische Sicht auf eben jene Sachverhalte z.B. im Unterricht führen zur Selbsterhaltung dieser Verhältnisse und Dynamiken.
Die Problematik, das möchte ich an dieser Stelle betonen, liegt nicht ausschließlich darin, dass diese Praxis vollzogen wurde, sondern vor allem darin, dass sie nicht aufgearbeitet und dekonstruiert wurde und wird, sodass sich viele Fächer wie die Orientalistik immer noch auf Theorien dieser Zeit beziehen bzw. Literatur nutzen, die auf diesen Theorien basiert und diese rezipiert. Symptomatisch ist hierbei, dass sich Europa und insbesondere Deutschland kaum bis gar nicht mit der eigenen kolonialen Vergangenheit auseinandersetzt (vgl. Schulze-Engler 2019: 292). Dabei wären die Aufarbeitung und Dekonstruktion der Denkmuster, die zur Legitimation der Kolonisierung beigetragen haben, besonders wichtig, denn Denken und Sprachgebrauch von Gesellschaften sind immer subjektiv durch kontingente Ereignisse geprägt, die durch diskursive Praxis im kulturellen Bewusstsein verankert werden und so Wahrheit bilden (vgl. ebd.: 46). Diese Prozesse werden dann vor allem zum Problem, wenn eine machtvolle Perspektive unmarkiert bleibt, als neutral konstruiert wird und Deutungshoheit beansprucht. Aufgrund des Machtungleichgewichts kann es marginalisierten Gruppen dann nicht gelingen, die Deutungshoheit zu problematisieren, geschweige denn zu dekonstruieren (vgl. Dieckmann 1974: 220f.).
Der Sprache kommt an dieser Stelle eine besondere Bedeutung zu. In ihr lassen sich eben jene Denkschemata ablesen, die sich im kulturellen Gedächtnis manifestiert haben (vgl. ebd.: 217). Gleichzeitig werden diese Denkschemata weitervermittelt und oftmals unreflektiert internalisiert. Demnach ist es sogar möglich, dass rassistische Denkmuster, die zunächst nicht rassistisch erscheinen, weil sie wie gesagt als neutral verklärt wurden, aber dennoch kolonialistische Logiken subtil in sich tragen, an Individuen weitergegeben werden. Diese haben dann in einigen Fällen selbst keine Erfahrungswerte, auf die sie zurückgreifen können, um Aussagen einordnen und abgleichen zu können. Ein Kategoriensystem kann an dieser Stelle Abhilfe leisten, eben jene subtilen Äußerungen zu identifizieren und gleichzeitig koloniale Logiken aufzudecken, die sich in unserem Unterbewusstsein befinden und im Sprachgebrauch widerspiegeln.
3. Das Kategoriensystem
Bereits in den 1990er Jahren haben sich Galliker und Wagner damit beschäftigt, ein Kategoriensystem zu entwickeln, das neben expliziter Diskriminierung auch implizit diskriminierende Äußerungen identifizieren sollte (vgl. Galliker/Wagner 1995: 36). Hierunter fallen vor allem rassistisch diskriminierende Äußerungen (vgl. ebd.). Ihr System basiert auf drei Kategorien:
Trennen (»Separieren, Distanzieren und in einem gewissen Sinne auch Akzentuieren werden als Elemente dieser Funktion aufgefaßt«);
Fixieren (»mit den Elementen Typisieren und Beeigenschaften«);
Devaluation. (Ebd.)
Beim Trennen erfolgt die Separierung einer Ingroup von einer Outgroup (vgl. ebd.: 37). Die Ingroup entspricht der Dominanzgesellschaft eines Kulturraums, die gleichzeitig auch die Deutungshoheit über das Diskursgeschehen hat. Die Outgroup besteht vor allem aus Menschen, die durch ein bestimmtes Merkmal marginalisiert werden (vgl. ebd.: 35). Mit der Kategorie Fixieren wird beschrieben, dass entsprechende Vertreter*innen einer Outgroup auf ein bestimmtes, sie von der Ingroup vermeintlich unterscheidendes Merkmal reduziert werden (vgl. ebd.: 37). Die Devaluation beschreibt die implizite oder explizite Abwertung jener Outgroup (vgl. ebd.).
Diese Kategorien bilden einen ersten guten Ansatz, um implizit rassistische Äußerungen identifizieren zu können. Jedoch lassen sich damit weitere wichtige Dimensionen rassistischer Äußerungen nicht erfassen. Ich möchte daher im Folgenden ein Kategoriensystem vorstellen, das an Theorien von Attia (vgl. 2009) und Keskinkılıç (vgl. 2019) angelehnt ist und sich weitaus besser eignet, um die verschiedenen Dimensionen zu erfassen, und terminologisch auch den Kern sprachlicher Diskriminierungsmechanismen trifft. Im Rahmen der Anwendung werde ich darauf eingehen, inwiefern sich diese Kategorien im Vergleich zu denen von Galliker und Wagner besser anwenden lassen bzw. präziser sind.
Das System besteht aus fünf Kategorien, die wie folgt eingeteilt sind:
Dichotomisierung
Homogenisierung
Essentialisierung
Naturalisierung
Hierarchisierung
Die Dichotomisierung bezeichnet einen ähnlichen Prozess wie den, der mit der Kategorie ›Trennen‹ bezeichnet wird. Es wird eine Outgroup geschaffen, die mit ihren Merkmalen von der normgebenden Ingroup abweicht, die sich wiederum über diese Differenz konstruiert (vgl. Keskinkılıç 2019: 37). Die Ingroup ist der Standard, der Normen formuliert.
Bei der Homogenisierung werden alle Vertreter*innen der Outgroup auf dieselben Merkmale beschränkt (»›alle sind gleich‹«, ebd.: 39).
Die Kategorie Essentialisierung orientiert sich am Essentialismus und beschreibt, dass das Wesen der Outgroup bestimmt ist durch ein spezifisches Merkmal, z.B. durch ihre Kultur oder Religion, worauf ihr ganzes Sein reduziert wird (vgl. ebd.).
Mit der Kategorie Naturalisierung werden Äußerungen beschrieben, die darauf verweisen, dass die Outgroup nicht in der Lage ist, von den jeweiligen Eigenschaften, die ihnen zugeschrieben werden, abzuweichen bzw. sich von ihnen zu lösen, da diese Eigenschaften vermeintlich fest in ihrem Sein verankert sind und Generationen überdauern können (vgl. ebd.: 40). Bei Diskursen um antimuslimischen Rassismus ließe sich auch von einer Kulturalisierung sprechen (vgl. ebd.).
Die Hierarchisierung beschreibt zum einen, dass sich die Ingroup als neutrale Position konstituiert, welche die Outgroup analysiert und bewertet und sie aufgrund ihrer vermeintlich neutralen Position überhaupt erst kategorisieren kann (vgl. Attia 2013: 9). Zum anderen lässt sich hiermit auch das Phänomen erfassen, dass innerhalb verschiedener Outgroups hierarchisiert wird (XY ist gut integriert, andere dagegen nicht).
An dieser Stelle möchte ich die Kategorien auf die Aussage: »Du sprichst aber gut Deutsch«, anwenden und gleichzeitig die Vorteile illustrieren, die diese Terminologie im Gegensatz zu der von Galliker und Wagner bietet. Ich habe dieses Beispiel unter anderem ausgewählt, da diese Äußerung rassifizierten Menschen gegenüber sehr häufig getätigt wird und auf der Satzoberfläche als Kompliment erscheint, was die Einordnung erschwert.
In Bezug auf die erste Kategorie erfolgt mittels der Aussage: »Du sprichst aber gut Deutsch«, eine zweifache Dichotomisierung. Die erste wird durch die Modalpartikel ›aber‹ signalisiert, die die Einstellung von Sprecher*innen ausdrückt. In diesem Fall offenbart sich durch das ›aber‹ die Überraschung der Sprechenden. In Kombination mit dem ›du‹ vermittelt der Subtext: »Menschen, die aussehen/sind wie du, ordne ich der Kategorie ›spricht kein (gutes) Deutsch‹ zu.« Hier wird ganz klar deutlich, dass unterschwellig eine Ingroup und eine Outgroup geformt werden. Der pragmatische Zusammenhang verschärft diese Annahme. Auch gegenwärtig, während bspw. die Nachkommen der Gastarbeiter*innen mittlerweile in der dritten oder vierten Generation in Deutschland leben, wird Gutes-Deutsch-Sprechen immer noch mit einem ganz bestimmten Phänotyp zusammengebracht.3 Ausgehend von der sprechenden Person wird dann die Ingroup geformt (alle, die so erscheinen, als würden sie gutes Deutsch sprechen) und eine Outgroup (alle, die nicht so erscheinen, als würden sie gutes Deutsch sprechen). Die Analyse bei Galliker und Wagner lässt allerdings den Umstand aus, dass im Prozess des Trennens auch Aussagen über die Gruppe getroffen werden, von der abgetrennt wird (Ingroup): Im Rahmen dieser Analyse wird aber eben jener Prozess mit einbezogen. Bei diskriminierenden Äußerungen und bei rassistischen im Speziellen werden also nicht nur Aussagen über die Werte, Merkmale, Verhaltensweisen der Anderen getroffen, sondern das Wir der Ingroup wird über die Differenz zur Outgroup definiert (vgl. Keskinkılıç 2019: 37).
Die zweite Trennung erfolgt dann dadurch, dass die Person, an die dieser Satz adressiert wird, aus der homogenisierten Outgroup extrahiert wird und dann zwischen In- und Outgroup steht.
Durch die Überraschung, die über die Modalpartikel ›aber‹ ausgedrückt wird, zeichnet sich die Homogenisierung ab. Die Person, an die der Satz adressiert ist, ist eine Abweichung der sonst homogenen Outgroup, deren Merkmal ›kann kein (gutes) Deutsch sprechen‹ allgemeingültig für alle Vertreter*innen ist. Obwohl also die Person, an die der Satz gerichtet ist, extrahiert wird, erfolgt eine Homogenisierung in Bezug auf die restlichen Menschen, die dieser Outgroup zugerechnet werden – ganz im Sinne der Redewendung: ›Ausnahmen bestätigen die Regel‹. Zwar findet hier auch eine Fixierung statt, wie sie Galliker und Wagner vorschlagen, auf die eine einzelne Person der Outgroup fixiert wird, doch wird das Merkmal vor allem auf die gesamte Gruppe bezogen, womit der Begriff Fixierung den eigentlichen Prozess an dieser Stelle nicht einbezieht. Auch Gümüşay (vgl. 2020: 65) weist darauf hin, dass marginalisierten Gruppen selten der Raum für Individualität gelassen wird, sondern sie vor allem als Vertreter*innen gesamter Gruppen gesehen werden.
Auch die Essentialisierung ist an diesem Beispiel erkennbar. Aufgrund eines bestimmten Merkmals – in meinem Fall war es mein Nachname in Kombination mit meinem Aussehen – wird auf die Fähigkeiten der entsprechenden Person – hier die Fähigkeit des Deutschsprechens – geschlossen. Der Grund dafür, dass dieser Satz also überhaupt an mich gerichtet wurde, ergibt sich aus der Sprechsituation bzw. den anwesenden Personen selbst. Auch in Debatten um Integration lässt sich eine Essentialisierung sehr häufig finden. Aufgrund eines Hijabs wird dann bspw. über die Unterdrückung der Frau spekuliert, die eben jenen Hijab trägt, oder über die Fähigkeit im Allgemeinen, sich integrieren zu können, da sich die Zugehörigkeit zum Islam eher negativ auf diese Fähigkeit auswirke. Das macht an dieser Stelle jedoch auch deutlich, dass rassistische Äußerungen mit ihrem pragmatischen – an wen wird welche Äußerung von wem adressiert – Zusammenhang gemeinsam analysiert werden müssen.
Der zuvor angesprochene Umstand, dass Nachkommen der Gastarbeiter*innen mittlerweile in der dritten oder vierten Generation in Deutschland leben, aber solche Äußerungen dennoch an sie gerichtet werden, weist auf die Kategorie der Naturalisierung hin. An der Überraschung, ausgedrückt durch die Modalpartikel, lässt sich demnach neben der Homogenisierung auch die stereotype Wahrnehmung von migrantisch markierten Menschen ablesen. Ungeachtet der Zeitspanne, die vergangen ist, seitdem die Vorfahr*innen der migrantisch markierten Menschen z.B. als Gararbeiter*innen nach Deutschland gekommen sind, haftet das Merkmal ›kann kein gutes Deutsch sprechen‹ an ihnen. Eine Abweichung von dieser stereotypen Vorstellung sorgt dann im Umkehrschluss für Überraschung. Für die Kategorie der Naturalisierung eignen sich darüber hinaus aber besonders Äußerungen, die in der Integrationsdebatte getätigt werden, und hier insbesondere solche, die sich auf die Sexualität von muslimischen Männern beziehen. Ganz entscheidend ist dabei der Topos des »›hypersexuellen Muslims‹« (Keskinkılıç 2019: 50), der zuletzt durch Diskurse um die Kölner Silvesternacht stark befeuert wurde. Aber auch Theorien über mangelnde Intelligenz von z.B. Menschen aus der Türkei, wie sie bei Sarrazin (vgl. 2010) zu finden sind, fallen in die Kategorie der Naturalisierung.
Eine Hierarchisierung ergibt sich ebenfalls vor allem aus dem pragmatischen Zusammenhang. Äußerungen dieser Art treten häufig unvermittelt in Situationen auf, in denen sie nicht angebracht sind, da sie der entsprechenden kommunikativen Situation nicht angemessen sind. Ich möchte als Beispiel wieder die von mir erlebte Situation anführen: Eine Person an meiner Wohnungstür wollte mir ein Magazin verkaufen und äußerte im Verkaufsgespräch den Satz: »Du sprichst aber gut Deutsch.« Der Umstand, dass ich diesen Satz verstehe und dass er in dieser Situation geäußert wird, zeigt, dass auch unsere Sprecher*innenrollen den diskursiven Praktiken entsprechend verteilt sind. Der Sprechakt konnte ›glücken‹, da ich mir über die Präsupposition, dass ich zur Outgroup gehöre bzw. meine Gesprächspartnerin mich der Outgroup zuweist, bewusst bin. Die Person, die sich also der Ingroup zugehörig fühlt und die Äußerung an mich richtet, analysiert und bewertet mich und kann dies nur tun, da bei uns beiden das kulturell kollektive Wissen besteht, dass, auch wenn meine Staatsangehörigkeit deutsch ist und ich hier geboren, aufgewachsen und zur Schule gegangen bin, mein Platz immer noch in der Outgroup ist. Gleichzeitig hinterfragen wird beide nicht, warum diese Person erstens in der Lage ist zu bewerten, was gutes Deutsch ist, und zweitens, wer gutes Deutsch spricht.
Jedoch erfolgt die Hierarchisierung nicht nur über die Analyse und Bewertung meiner Fähigkeiten, sondern auch mit Blick auf andere in der Outgroup. Durch das vermeintliche Kompliment werde ich innerhalb ›meiner‹ Gruppe privilegiert, aber der Rest der Gruppe abgewertet. Vertreter*innen der Ingroup sind damit ebenfalls in der Lage, die Verhältnisse der Outgroup zu strukturieren. Auch hier zeigt sich, wie komplex und weitreichend rassistische Äußerungen sind und dass mit diesen nicht einfach nur eine Devaluation erfolgt, wie Galliker und Wagner vorschlagen, sondern auch eine Hierarchisierung mit Blick auf die Ingroup, aber auch innerhalb der Outgroup. Dadurch kann es zudem zu Phänomenen kommen, die häufig als sogenannter ›positiver Rassismus‹4 bezeichnet werden. Dieser entsteht bspw. dann, wenn einer Gruppe auf Basis ihrer vermeintlichen ethnischen Zugehörigkeit oder Kultur Kompetenzen zugesprochen werden. Dadurch entsteht eine Trennung in ›gute Migrant*innen‹ vs. ›böse Migrant*innen‹.5
4. Fazit und Ausblick
Wie Galliker und Wagner bereits festgestellt haben, hat auch diese Analyse gezeigt, dass sich an der Textoberfläche sprachliche Diskriminierung, in diesem Fall Rassismus, vor allem über Partikel ausdrückt (vgl. Galliker/Wagner 1995: 39). Besonders die Kategorie der Dichotomisierung und die der Homogenisierung lassen sich anhand der Textoberfläche erkennen. (Teil-)Äußerungen, die sich den Kategorien Essentialisierung, Naturalisierung und Hierarchisierung zuordnen lassen, funktionieren häufig über Präsuppositionen. Die sprachliche Diskriminierung lässt sich demnach nicht unmittelbar an einzelnen Wortarten festmachen sondern ergibt sich mitunter durch das Füllen bestimmter Leerstellen mit kollektiv kulturellem Wissen, wozu z.B. die eigene Position im Diskurs und in der Gesellschaft zählt. Dadurch zeigte sich ebenfalls, dass bei der Analyse auch der pragmatische Zusammenhang von wesentlicher Bedeutung ist. Gleichzeitig hat sich die Dichotomisierung als Bedingung für die anderen Kategorien ergeben, denn erst dadurch, dass sich die Ingroup abgrenzt und über diese Abgrenzung konstruiert, kann diese Aussagen über die Outgroup treffen, die die Unterschiede zu den Anderen bestärken und manifestieren.
Diese Analyse stellt einen ersten Versuch dar, um die Dimensionen von Rassismus zu beschreiben und geeignete Kategorien vorzuschlagen, die Rassismus in der Sprache erfassbar und beschreibbar machen, und könnte bspw. durch eine korpuslinguistische Untersuchung erweitert werden. Außerdem zeigten sich typische Mechanismen, die teilweise schon von Galliker und Wagner analysiert wurden. Im Gegensatz zu jenem Kategoriensystem verdeutlicht allerdings die Ausweitung der Kategorien auf Dichotomisierung, Homogenisierung, Essentialisierung, Naturalisierung und Hierarchisierung, dass implizit rassistische Äußerungen auch immer Aussagen über die Ingroup selbst treffen. Gleichzeitig wurde die Flexibilität rassistischer Deutungsmuster deutlich, die selbst gesellschaftliche Veränderungen überdauern, und dass sich Kontinuitäten rassistischer Logiken über implizit rassistische Äußerungen ausdrücken.
Anmerkungen
1 Mit der Großschreibung des Adjektivs Schwarz orientiere ich mich an neueren rassismuskritischen Arbeiten, die auf diese Weise auf die soziale Konstruktio von Schwarz-sein hinweisen.
2 Ich benutze an dieser Stelle bewusst die maskuline Form.
3 Einige von Ihnen denken jetzt womöglich, dass so etwas der Vergangenheit angehört, jedoch wurde mir selbst genau das Anfang 2020 gesagt.
4 Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass diese Formulierung ziemlich sinnbefreit ist, da Rassismus niemals positiv ist.
5 Hierunter fallen alle stereotypen Klischees ganzer Volksgruppen, die vermeintliche Komplimente darstellen.
Literatur
Arndt, Susan (32019): Rassismus. In: Dies./Nadja Ofuatey-Alazard (Hg.): Wie Rassismus aus Wörtern spricht. (K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutscher Sprache. Ein kritisches Nachschlagwerk. Münster, S. 37-43.
Attia, Iman (2009): Die »westliche Kultur« und ihr Anderes. Zur Dekonstruktion von Orientalismus und antimuslimischem Rassismus. Bielefeld.
Dies. (2013): Rassismusforschung trifft auf Disability Studies. Zur Konstruktion und Marginalisierung von »Fremdheit« und »Behinderung« als Andere [Vortrag im Rahmen der Ringvorlesung »Behinderung ohne Behinderte?! Perspektiven der Disability Studies«, Universität Hamburg, 11. November 2013]; online unter: https://www.zedis-hamburg.de/wp-content/download-pdfs/attia_rassismusforschung_ds.pdf [Stand: 1.3.2023].
Auma, Maureen Maisha (2018): Rassismus. Eine Definition für die Alltagspraxis. Berlin.
Bublitz, Hannelore (2003): Diskurs. Bielefeld.
Dieckmann, Walter (1974): Sprache und Ideologie – über die Ideologiegebundenheit der Sprache und der Macht des Wortes. In: Marlis Gerhardt (Hg.): Linguistik und Sprachphilosophie. München, S. 207-222.
Foucault, Michel (1991): Die Ordnung des Diskurses. Aus dem Franz. v. Walter Seitter. Frankfurt a.M.
Galliker, Mark/Wagner, Franc (1995): Ein Kategoriensystem zur Wahrnehmung und Kodierung sprachlicher Diskriminierung. In: Journal für Psychologie 3, H. 3, S. 33-43; online unter: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-29625 [Stand: 1.3.2023].
Gümüşay, Kübra (2020): Sprache und Sein. München.
Hoffmann, Ludger (2020): Zur Sprache des Rassismus. In: Sprachreport 36, H. 1, S. 40-47.
Keskinkılıç, Ozan Zakariya (2019): Die Islamdebatte gehört zu Deutschland. Rechtspopulismus und antimuslimischer Rassismus im (post-)kolonialen Kontext. Berlin.
Klug, Nina-Maria (2020): Wortkritik im Zeichen der Political Correctness und aktuelle Formen antidiskriminierender Wortkritik. In: Thomas Niehr/Jörg Kilian/Jürgen Schiewe (Hg.): Handbuch Sprachkritik. Stuttgart, S. 81-87.
Said, Edward W. (52017): Orientalismus. Aus dem Engl. v. Hans Günter Holl. Frankfurt a.M.
Sarrazin, Thilo (2010): Deutschland schafft sich ab. Wie wir unser Land aufs Spiel setzen. München.
Schmitz, Markus (32019): Orient. In: Susan Arndt/Nadja Ofuatey-Alazard (Hg.): Wie Rassismus aus Wörtern spricht. (K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutscher Sprache. Ein kritisches Nachschlagwerk. Münster, S. 483-496.
Schulze-Engler, Frank (32019): Europa. In: Susan Arndt/Nadja Ofuatey-Alazard (Hg.): Wie Rassismus aus Wörtern spricht. (K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutscher Sprache. Ein kritisches Nachschlagwerk. Münster, S. 289-293.
Stefanowitsch, Anatol (2018): Eine Frage der Moral. Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen. Berlin.