Institutionalisierung: Von schönen Akademien zu ermittelnden Einrichtungen
Was sind die angemessenen Räume für die Kunst als Forscherin? Wo ist die Bühne, welche die forschende Kunst in Erscheinung treten lässt? Was sind die Foren, an denen ästhetische Einsichten zur Verhandlung gebracht werden? Sind es die musealen Hallen, die universitären Aulen oder die öffentlichen Räume, in denen sich die Kunst als Forscherin entwickelt?
Die jüngere Geschichte der künstlerischen Forschung ist jedoch nicht vom Engagement der Kunst auf der Suche nach ihrem forschenden Ort geprägt. Nicht die Kunst hat sich die Räume gesucht oder geschaffen, in denen es sich einsichtsvoll arbeiten lässt, um sich darin als Forschung zu etablieren. Die Etablierung kam von außen. Es waren die institutionellen Strukturen der Hochschulen, welche die Kunst als Forscherin durchgesetzt haben, indem sie ihr einen physischen und diskursiven Raum verschafften. Die forschende Kunst hat eine kunsthistorische Vorschichte in der politischen Kunst, aber sie hat auch eine institutionelle Vorgeschichte im Kontext der Hochschulen. Künstlerische Forschung wurde an Kunsthochschulen auf den Begriff und in den Diskursraum gebracht. Es war der Strukturwandel der Hochschullandschaft im beginnenden 21. Jahrhundert namens »Bologna-Prozess«, der aus den alten Akademien der schönen Künste neue forschende Lehreinrichtungen macht und dabei die Kunst als Forscherin installiert, weil im Rahmen dieses Strukturwandels der entscheidende Begriff erst erfunden wurde – der Begriff der künstlerischen Forschung – welcher den Einsichtspraktiken der Kunst einen eigenen Namen, institutionellen Resonanzraum und einen Verhandlungsraum gibt. Die Genealogie künstlerischer Forschung ist wesentlich von einem hochschulpolitischen Entwicklungsstrang geprägt.
Vor dem Hintergrund dieser Einschätzung zur Bedeutung der europäischen Bildungspolitik für die Entwicklung der künstlerischen Forschung stellen sich für die epistemologische Ästhetik drei grundsätzliche Fragen. Erstens, welche Rolle spielen gegenüber diesen institutionellen Faktoren im Aufkommen der künstlerischen Forschung dann überhaupt noch die kunsthistorischen Herkunftslinien? Zweitens, welche Rolle spielt der bildungspolitische Rahmen für das intrinsische Selbstverständnis einer Kunst als Forscherin – hat sie überhaupt ein eigens entwickeltes Verhältnis zu sich selbst oder ist sie nur ein politischer Effekt? Und drittens – welche Rolle können hochschulpolitische Entwicklungen überhaupt für das Denkgebäude einer epistemologischen Ästhetik spielen? Mit anderen Worten: Wie stehen Hochschulpolitik und Epistemologie zueinander? Man kann an dieser Stelle alle drei Fragen mit einer einzigen Antwort vorläufig parieren und damit den Begründungsrahmen setzen, innerhalb dessen es nicht nur sinnvoll, sondern auch geboten scheint, im Kontext einer epistemologischen Ästhetik die europäische Hochschulpolitik als institutionelle Vorgeschichte der künstlerischen Forschung zu denken. Die vorläufige Antwort lautet: Gerade, weil kunsthistorische Vorläufer die Kunst als Forscherin konzeptuell und praktisch vorbereitet und damit plausibel gemacht haben, vermochte der hochschulpolitische Impuls der Millenniumswende jene Durchsetzungskraft zu entfalten, mit der sich die künstlerische Forschung als Diskurstopos dann etablieren konnte. Und weil die Kunst sich solchermaßen hochschulpolitisch und begrifflich lanciert als Forscherin durchsetzen wird, ist das forschende Selbstverständnis der Kunst in der Lage, sich eigens ernst zu nehmen und auszubreiten. Die Kunst als Forscherin beginnt mit der hochschulpolitischen Kraft, die sie positioniert, einen wie auch immer ambivalenten aber identifizierbaren Namen, Sinn und Ort zu haben, ohne denn sie sich schlechterdings nicht solchermaßen hätte hörbar machen können. Anders formuliert: während sich künstlerische Forschung schon über Dekaden hinweg unter anderen Namen in verschiedenen künstlerischen Praktiken etabliert hat, findet sie mit dem bildungspolitisch bereiteten Rahmen zur Jahrtausendwende jenen begrifflichen und institutionellen Resonanzraum, mit dem sie als Forschung auch durchsetzbar wird. Es handelt sich bei der Konstellation, in welcher Hochschulpolitik, Kunstgeschichte und epistemologische Selbstverständnisse zueinander stehen, um ein Dispositiv – ein Kräfteverhältnis sich gegenseitig bestärkender Einflüsse – in dessen Energiefeld die Kunst als Forscherin auf der ideengeschichtlichen Bühne sichtbar wird. Die Bildungspolitik und der Strukturwandel der Kunsthochschulen haben dabei der künstlerischen Forschung ihren Namen und ihren institutionellen Möglichkeitsraum gegeben. In der Genealogie der Kunst als Forscherin übernimmt die Bildungspolitik damit die Funktion einer Aktualisierung von Latenz.
Politik macht Forschung
Politik macht also Forschung! Genauer formuliert, initiiert die europäische Bildungspolitik den epistemischen Begriff der künstlerischen Forschung und sie etabliert künstlerische Forschungseinrichtungen. Schauen wir allerdings auf die vielen, überall schon nachlesbaren Beschreibungen zum Verhältnis von künstlerischer Forschung und Bildungspolitik, wird deutlich, dass sie meist mit einer Wertung verknüpft sind. Die Wertung lautet: Politik mache nicht nur Forschung, sondern attackiert auch freie Kunst. Diese Einschätzung lässt sich etwa bei der Politikwissenschaftlerin Monika Mokre finden: »In Europa ist die Konjunktur der künstlerischen Forschung eng mit dem Bologna-Prozess verknüpft, der einen einheitlichen europäischen Hochschulraum schaffen und damit Mobilität erleichtern soll.« Und weiter: »Das primäre Ziel dieses Prozesses ist die Angleichung nationaler Standards und Bewertungsmethoden; in Bezug auf die Kunstuniversitäten führte diese Entwicklung aber zur Abwendung vom traditionellen Prinzip der Kunstakademie und der schrittweisen Angleichung an das Dispositiv der wissenschaftlichen Universität.«1
Mokre formuliert diese These zur Konjunktur der künstlerischen Forschung aus dem Geist des Bologna-Prozesses nicht ohne zugleich die Vorbehalte zu artikulieren, die mit diesem Prozess der Angleichung von Kunsthochschulen an wissenschaftliche Universitäten verbunden sind: »Insgesamt kann konstatiert werden, dass der Bologna-Prozess zur Verwissenschaftlichung der Kunsthochschulen und mittelbar auch des Kunstbetriebs beiträgt…« Ähnlich äußert sich der Kulturphilosoph Dieter Lesage mit seiner Einschätzung: »In vielen europäischen Ländern und Regionen hat sich die künstlerische Hochschulausbildung freiwillig oder unfreiwillig zur Implementierung des Bologna-Prozesses bekannt. In der Konsequenz wurde seit einigen Jahren der Zwang zur Akademisierung tatsächlich zum Kerngeschäft dessen was europäische Hochschulausbildung ausmacht.«2
Obwohl es mit Blick auf die historischen Gründungsszenarien von Kunsthochschulen im 15. Jahrhundert etwas verwirrend anmutet, eine Akademisierung und Verwissenschaftlichung der Kunst als Problem zu betrachten – wie wir noch sehen werden, denn Kunsthochschulen wurden ins Leben gerufen, gerade um die Kunst in den Rang einer Wissenschaft zu erheben – haben wir es gleichwohl im 21. Jahrhundert mit dieser Konstellation an Sorgen und Sachverhalten im Fall der Kunst und ihrer Forschung zu tun: Der politisch lancierte Bologna-Prozess sieht einen homogenisierten europäischen Hochschulraum vor. Die Homogenisierung bedeutet eine Angleichung von Kunsthochschulen an universitäre Standards. Universitäre Standards bedeuten wissenschaftliche Forschung. Die Forschungsanforderung auch an künstlerische Hochschulen provoziert die künstlerische Forschung einerseits aber auch die Akademisierung der Künste verstanden als Disziplinierung andererseits, so dass schließlich die forschende Kunst als Ergebnis der Akademisierung der Künste und wissenschaftlichen Zurichtung der Kunsthochschulen im 21. Jahrhundert in Erscheinung zu treten droht.
Was an dieser Sorgekonstellation für eine epistemologische Ästhetik interessiert, ist nicht alleine die Frage, ob die These zur dichten Verschränkung von politischer Deklaration, künstlerischer Forschung und Akademisierung der Kunstakademien ideengeschichtlich tatsächlich zutreffend ist, sondern auch die Frage, inwiefern der Diskursraum, in dem diese Rede formuliert wird, eine epistemische Kraft entfaltet? Führt schon die Anrufung einer Akademisierung der Kunsthochschulen zu einer Realisierung der künstlerischen Forschung, weil im Fahrwasser des Bologna-Prozesses überhaupt der Begriff der künstlerischen Forschung aufzutauchen beginnt? Die Vokabel ist neu. Sie war zuvor nicht gebräuchlich: Künstlerische Forschung! Daneben stellt sich die Frage, inwiefern die Strukturen der Hochschule tatsächlich dabei sind, sich so zu verändern, dass ehemalige Akademien als neue Universitäten einen Ort für das künstlerische Forschen bereithalten? Ändern sich die Hochschulen im beginnenden 21. Jahrhundert wirklich? Werden sie – wenn sie sich ändern – zu epistemischen Räume oder zu Disziplinareinrichtungen? Welches Denken und Tun ermöglichen Kunsthochschulen tatsächlich? Oder sind die neu strukturierten Bildungseinrichtungen vor allem diskursive Projektionsflächen für Begriffe von bildungspolitischer Relevanz – wie etwa den Begriff der künstlerischen Forschung? Und schließlich: was passiert mit diesen Begriffen? Hat eine bloß begriffliche Projektion gleichwohl reale und epistemische Konsequenzen? Diese verschachtelte Ausdifferenzierung von Frageebenen bedeutet zunächst nur, dass die Antworten zur Einschätzung der Rolle von Bildungspolitik für das künstlerische Forschen nicht von einfacher positiver oder negativer, affirmativer oder kritischer Art sein werden. Eine möglicherweise zu diagnostizierende bildungspolitische Zurichtung der Kunsthochschulen könnte zugleich mittels der Begriffsgeburt der künstlerischen Forschung einen inspirierenden epistemischen Effekt für die Kunst als Forscherin entfalten. Und diese Vermutung erweist sich als relevanter Aspekt im Rahmen einer Genealogie des ästhetischen Forschens – einer Genealogie, die sich als epistemische Kräfterelation versteht.
Wenn wir die Frageebenen im einzelnen behandeln, so ist ideengeschichtlich zunächst einzuwenden, dass in der ursprünglichen Deklaration von Bologna von 1999 eine Verwissenschaftlichung nicht vorgesehen war. Weder modulare, quasi-methodisch reglementierte Master- und Bachelorstudiengänge waren als Ziele festgeschrieben, noch waren die Kunsthochschulen überhaupt gezwungen, diese Formate zu implementieren. Auf der Grundlage der Bologna-Deklaration hätte alles so bleiben können, wie es war, und künstlerische Forschung wäre als Vorstellung und Vokabel nicht mit Bologna in Verbindung gebracht worden. Bei dem Ministertreffen in der Stadt Bologna wurde nur eine irgendwie geartete, zweistufige Hochschulausbildung an allen Bildungseinrichtungen Europas empfohlen und keine durchkanonisierte Modulbildung oder Forschungsebene befohlen. Die Deklaration der Minister, die sich in Bologna trafen, pocht auf die Beibehaltung der Unterschiedlichkeiten von europäischen Bildungskulturen und versteht Homogenisierung der Hochschullandschaft entsprechend nicht als Gleichmacherei. Vergleicht man den Ursprungstext von Bologna mit dem, was als »Bologna-Prozess« seit 1999 in der Bildungslandschaft realisiert wurde, entsteht allerdings der Eindruck, dass der Begriff »Bologna« auf der Wegstrecke von der ursprünglichen »Deklaration« zum darauffolgenden »Prozess« zu einer frei flottierenden Referenz für verschiedene politische Vorhaben, Befürchtungen und institutionelle Transformationen geworden ist.3 Die ursprünglich Bologna-Deklaration war nur der Auftakt zu einem Prozess, der im Laufe der Jahre über Konferenzstationen in Prag, Berlin und Bergen aus der Erklärung ein Programm machte – ein Programm, das Homogenisierung schließlich tatsächlich als Anpassung, Verschlankung und Ökonomisierung in den Mittelpunkt der zu realisierenden Maßnahmen stellte.4 Diese Entwicklung weist auf die ursprüngliche Bologna-Deklaration zurück, deren wenigen Passagen zum Verhältnis von Ökonomie und Hochschulstruktur nachträglich ein besonderes Gewicht erhalten. Denn auch die Deklaration enthielt schon Textbausteine, die zumindest einer Ökonomisierung des Wissensbetriebs Vorschub leisten konnten und von daher den Verdacht eine Zurichtung des universitären Feldes insgesamt schürten. Erklärtes Ziel der Deklaration war ein »Europa des Wissens« und »die Schaffung eines europäischen Hochschulraumes«. Dieser europäische Hochschulraum wird in der Deklaration ökonomisch konkretisiert als »Schlüssel zur Förderung der Mobilität und arbeitsmarktbezogenen Qualifizierung seiner Bürger und der Entwicklung des europäischen Kontinents insgesamt,« wobei gleichzeitig die Umsetzung dieser Idee »unter uneingeschränkter Achtung der Vielfalt der Kulturen, der Sprachen, der nationalen Bildungssysteme und der Autonomie der Universitäten« stattzufinden habe.5 Wir haben es bei dem Inaugurationsdokument von Bologna mit einer – spezifisch politischen – plurivokalen Gemengelage zu tun: Wissen soll als kulturelles Gut in seiner Autonomie und Vielfältigkeit geschätzt, zugleich aber in einem homogenen Hochschulraum gebündelt und für den Arbeitsmarkt qualifiziert werden. Diese Qualifikation fürs Ökonomische imprägniert damit aber auch von Anbeginn das Ansehen und Ansinnen der Bologna-Deklaration und als Bologna-Prozess scheint sich klar diese Disziplinierung des Wissens gegenüber der Achtung von Vielfalt durchgesetzt zu haben. Die Hochschullandschaft erfährt tatsächlich durch die Modularisierung der Studienstruktur und die Stufenstruktur der Studienverläufe eine Straffung und teilweise Ausrichtung aufs Ökonomische, die als Verschulung und Reglementierung wahrgenommen wird.
Relevant für die epistemologische Ästhetik ist hier die damit einhergehende Verschiebung im Verständnis dessen, was unter Forschung verstanden wird und wann Forschung stattfinden soll. Die Fokussierung im Bologna-Prozess auf ein ausbildungsorientiertes Bachelorstudium als flächendeckender erster Ausbildungsstufe unterwandert nämlich eigentlich die traditionelle universitäre Verschränkung von Forschung und Lehre, bei der es ursprünglich – zumindest im Ideal – von Anbeginn eines jeden Universitätsstudiums auch um die Vermittlung und Aneignung von forschungsrelevanten Themen, Methoden und Vorgehensweisen gegangen war. Forschung wird mit Bologna im Hochschulausbildungsalltag gleichsam vertagt und es kann jetzt schon irritieren, dass im Kontext der Kunst ausgerechnet der Bologna-Prozess als Verwissenschaftlichung wahrgenommen wird. Mit den Bachelorstudiengängen und den Bologna-Umstrukturierungen scheint faktisch eine Deakademisierung und Entwissenschaftlichung in der Form einer Verschulung und Kanalisation von Lehre in das gesamte universitäre Ausbildungssystem einzusickern. Die Forschung im universitären Unterrichtsbetrieb reduziert sich auf den exklusiven Kreis von Masterstudierenden und Promovierenden. Wir können das Gegenteil von Akademisierung verzeichnen und es stellt sich die Frage, wie es zur Angst vor einer Verwissenschaftlichung der Künste im Zusammenhang mit dem Bologna-Prozess kommen konnte und zur Vorstellung, dass die künstlerische Forschung ein Produkt aus Bologna sei?
Zum Verständnis dieser Verknotung der Sachverhalte von künstlerischer Forschung, Bologna und Verwissenschaftlichung sind die Schlüsselbegriffe der »Disziplinierung« oder »Akademisierung« sowie der »Angleichung« von wesentlicher Bedeutung. Diese Vokabeln entfalten eine semantische Energie im Prozess von Bologna. Denn was passiert genau: Auch wenn es nicht von ihnen gefordert wurde, orientieren sich viele Hochschulen für Kunst und Gestaltung am zweistufigen Ausbildungstypus, der von Bologna vorgeschlagen wurde, und strukturierten ihre Studiengänge nach dem Modell von Bachelor und Masterstudiengänge um. Sie gleichen sich damit einerseits dem zeitgleich stattfinden Strukturwandel der Universitäten an und brechen dadurch andererseits mit ihrer jahrhundertealten Tradition der Meisterklasse. Die Vokabel der Angleichung an universitäre Standards führt hier zur irritierenden Überlagerung. Angeglichen wird sich an eine Struktur, die auch vielen Universitäten neu ist, und weniger an wissenschaftliche Forschungsstandards, die bisher Teil von universitären Ausbildungsverfahren gewesen waren. Die viel diskutierte Gleichung – Kunstakademie wird Universität und Universität ist Forschung und also ist die Kunstakademie zu Forschung verpflichtet und institutionalisiert mithin künstlerische Forschung – hat einen Fehler. Denn das, was einmal für den Begriff der Universität einstand, hat sich gerade durch den Bologna-Prozess verändert. Die Universitäten, an welche die Angleichung vollzogen wird, sind nicht mehr die, welche sie einmal waren. Universität ist nicht gleich Universität und mithin nicht gleich Forschung. Es handelt sich bei genauerer Betrachtung um eine Angleichung der Kunsthochschulen an Universitäten, die ihrerseits in vielen Bereichen keine Forschungspraxis mehr haben. Man dürfte eigentlich die inflationäre Rede von der künstlerischen Forschung geradezu emphatisch als Wiederbelebung und Ausweitung eines Forschergeistes wertschätzen, der an den Universitäten verloren zu gehen droht. Die Gleichung der Angleichung von Ungleichem, geht fehl, nicht ohne dabei gleichwohl jenen begrifflichen Funken zu schlagen, aus dem die künstlerische Forschung zumindest als neue Vokabel geboren wird. Im Diskursraum bleibt die Forschung an den Kunsthochschulen und damit die künstlerische Forschung als Auftrag an die Institution als Ergebnis der Gedankenkette hängen. Das ist einer der epistemologisch relevanten Effekte des bildungspolitisch motivierten Bologna-Prozesses. Denn als existierende Vokabel entfaltet der Begriff der künstlerischen Forschung ein Eigenleben in Anrufungen, Befragungen und Einrichtung.
Doch produziert der bildungspolitische Strukturwandel der Kunsthochschulen auch real die künstlerische Forschung als Praxis und nicht bloß als Begriff? Es scheint tatsächlich so, als träte die Kunst in der Form einer wissenschaftlichen Disziplin auf die akademische Bühne. Und zwar mittels einer Disziplinierung der künstlerischen Ausbildung in den neu strukturierten Kunsthochschulen durch die Abschaffung der Meisterklassen. Meisterklassen scheinen im Zug der Strukturmaßnahmen an den Kunsthochschulen abgeschafft zu werden, nicht ohne, dass dabei die Kunst als Disziplin geboren würde. Wie geht diese Entwicklung vonstatten? Die Meisterklassen an Kunsthochschulen, die bis ins 20. Jahrhundert hinein das mittelalterliche Ausbildungsmodell der Handwerksgilden am Leben erhielten, indem sie ein konzentriertes Verhältnis zwischen Meistern und Schülern realisierten, diese Meisterklassen werden spätestens im modularisierten Studienmodell der Bachelor- und Masterstudiengänge durch Modulpläne abgelöst. Diese Modifikation findet durch die Umstrukturierung der Hochschulen statt. In den Worten des niederländischen Kuratoren und langjährigen Beobachter des bildungspolitischen Prozesses in Europa Henk Slager wird diese Veränderung so formuliert: »Die schrittweise Implementierung der Bologna Bedingungen machte es langsam aber sicher sehr deutlich, dass das introvertierte, romantische, vor-demokratische und nicht-dialogische Meister-Schüler Modell der Meisterklassenausbildung an sein Ende gekommen war.«6 Nicht mehr der künstlerische Meister und eine ihm innewohnende Urteilsgabe sowie Vorbildlichkeit wird als didaktische Maßnahme auf die künstlerisch Auszubildenden angewendet, sondern ein modularisierter Themenkanon. Nach den Strukturreformen an Kunsthochschulen durchlaufen die angehenden Künstlerinnen und Künstler im Laufe ihres Studiums themenorientierte Modulkurse. Die Vermittlungsinstanzen für die Inhalte in diesen Modulen sind nicht mehr an personelle Aura gebunden, sondern durch thematische Qualifikation garantiert. Studierende gehen in Kurse – nicht mehr zu Meistern. Meister werden austauschbar. Es geht um Inhalte. Inhalte aber werden im Zuge der neuen künstlerischen Studiengangplanung kanonisiert – so zumindest die Sorge. Denn an diesem Punkt, bei dem im Zuge der Transformation der Kunsthochschulen die meisterfixierte aber ansonsten nicht festgelegte Ausbildungspraxis in eine themenfixierte aber ansonsten meisterbefreite Lehrstruktur umschlägt, kommen die Disziplinierungsängste ins Spiel. Der Themenkanon, den es für einen künstlerische Studienverlauf in Modulen festzulegen gilt, beseitigt die künstlerische Freiheit, so scheint es. Kunst droht zu etwas zu werden, was eine Fachdisziplin ausmacht, nämlich ein Ensemble von Themen, Regeln und Verfahren, welche die Identität der Disziplin und damit ihr Zentrum markieren in Abgrenzung zu Nichtdazugehörigem und damit nicht zu Lehrendem. In dieser Hinsicht des Modulierens von Einschlüssen und Ausschlüssen und des Organisierens von Regeln erweist sich nämlich eine Disziplin als Disziplinierung ihrer selbst. Diszipliniertheit bedeutet dann, sich an die Regeln der Disziplin zu halten. Auf diese Weise fusionieren wissenschaftliche Fächer semantisch und normativ mit kanonisierten Ordnungen. Durch die Angleichung der Kunsthochschulen an neue, modular organisierte Ausbildungsstrukturen drohen die Disziplinierung und Disziplinwerdung der Kunst. Diese Disziplinwerdung habe eine verwissenschaftliche Kunst als Fachdisziplin zur Folge, innerhalb derer dann diszipliniert geforscht würde. Im Einzugsbereich dieser Zusammenhangskette von Modulbildung, Disziplinierung und Fachdisziplin etabliere sich an Kunsthochschulen die künstlerische Forschung und macht sich dabei der Verabschiedung von künstlerischer Autonomie verdächtig. Wir haben es hier erneut mit einer Gleichung zu tun, deren Junktoren überprüft werden müssen. Die Gleichung lautet: Modularisierte Studienverläufe ergeben kanonisierte Kunstverständnisse, kanonisierte Kunstverständnisse bedeuten Disziplinierung, Disziplinierung bedeuten Disziplinwerdung der Kunst, Disziplinwerdung der Kunst ergibt die Kunst als wissenschaftlicher Disziplin und damit die künstlerische Forschung als disziplinierter Praxis der Disziplin. Keiner dieser Schritte beinhaltet jene hinreichende Notwendigkeit, mit der von der Modularisierung des Ausbildungssystems auf eine künstlerische Forschung geschlossen werden kann.
Wir haben es also bei Geburt der künstlerischen Forschung aus dem institutionalisierten Geist des Bologna-Prozesses auch in diesem Fall vor allem mit einem diskursiven Ergebnis zu tun: begriffliche Setzungen und Verschiebungen führen von der Angleichung an Universitäten und Disziplinierung der Kunst zur semantischen Disziplinbildung und von dort zur Einsetzung der künstlerischen Forschung als Begriff. Die künstlerische Forschung wird zweifach angerufen: Vom Diskursfeld der Angleichung von Akademien an Universitäten aus und vom Diskursfeld der Disziplinierung der Künste durch Studiengangänderungen aus. Die Überkreuzung dieser doppelten Anrufung provoziert in der Folge den Begriff der künstlerischen Forschung im Resonanzraum des Bologna-Prozesses. In diesem Resonanzraum ist der Begriff häufig negativ geprägt, weil die Angleichung eine Verabschiedung von Eigenheit konnotiert und die Disziplinierung einen Mangel an Freiheit impliziert. Das epistemologisch relevante an dieser Diagnose zur Einsetzung des Begriffs der künstlerischen Forschung durch den bildungspolitischen und institutionellen Bologna-Prozess bei seiner gleichzeitigen Zurückweisung aber ist: Die diskursiven Prozesse zeitigen Effekte von realer und ideengeschichtlicher Bedeutung. Die Gleichung – Bologna macht künstlerische Forschung – funktioniert als Vorstellung und als Realisierung. Real werden Institute für Forschung an künstlerischen Hochschulen gegründet, diskursiv wird an Hochschulen über die künstlerische Forschung unter diesem Topos debattiert und ideengeschichtlich setzt sich die Vorstellung durch, der bildungspolitische Bologna-Prozess habe die epistemisch relevante Bewegung einer Kunst als Forscherin provoziert und institutionalisiert. »Es wäre ahistorisch zu behaupten, dass künstlerische Forschung (aka Artistic Research) erst seit Bologna entstanden ist, und entspricht einer ganz bestimmten Methodologie, die sich jetzt erst recht entwickelt,«7 schreibt Dieter Lesage. Zutreffend an dieser verbreiteten Vorstellung ist aber, dass vor dem Bologna-Prozess tatsächlich niemand über künstlerische Forschung gesprochen hat, weil der Begriff mit dem Bologna-Prozess erst geprägt wurde. Lasage bestätigt diese These, wenn er schreibt, dass Forschung in den Künsten schon länger praktiziert wird, nicht aber immer so benannt wurde. Seine Konsequenz aus dieser Beobachtung ist nicht die Zurückweisung der künstlerischen Forschung als bloßer Rhetorik und die Problematisierung des Akademisierungsprozesses der Kunsthochschulen als reiner Disziplinierung, wenn er schreibt: »Akademisierung könnte man deswegen, positiv betrachtet, auch als einen Prozess sehen, der künstlerisches Forschen als Voraussetzung für qualitative Kunstproduktion betont und dabei auch die Mittel fordert, die es braucht, damit die Kunstproduktion ihre Qualität behält.«8
Politik macht künstlerische Forschung, indem sie Begriffe und Denkrichtungen evoziert, aus denen Diskurse, Praktiken und schließlich Institutionen werden, an denen die Kunst als Forscherin auftritt. In der Genealogie der künstlerischen Forschung übernimmt die Politik der Hochschulen jene Rolle des katalysierenden Sandkorns in der Muschel, an der sich dann eine Perle realisieren kann. Ohne das vorhandene ›Perlmutt‹ der Forschung in der Kunst gäbe es mit dem begrifflichen ›Sandkorn‹ nicht den Effekt der künstlerischen Forschung als wirklichem ›Objekt‹. Als schon vorhandene Tätigkeit aber findet die Einsichtspraxis in der Kunst mit dem Begriff der künstlerischen Forschung im Bologna-Prozess und den institutionellen Strukturwandel der Hochschulen ihren Kristallisationspunkt. Sie beginnt eine sichtbare, wenn auch ambivalente Figur zwischen institutioneller Affirmation und langsamer Selbstfindung auszubilden.
Für diese langsame Findung der Kunst als Forscherin und den Prozess der epistemischen wie institutionellen Behauptung ist es nun von inspirierender Relevanz, dass in einem früheren Moment der Kulturgeschichte schon einmal die Bildungspolitik und die forschende Kunst in einem strukturverändernden Verhältnis zueinander gestanden haben und dabei – nicht die künstlerische Forschung aber – die künstlerischen Hochschulen hervorgebracht haben. Und zwar gerade, weil die Kunst sich selber und selbstbewusst als Wissenschaft verstand. Diese lange zurückliegende Gründungphase der Kunsthochschulen im Klima einer Kunst, die sich ausdrücklich als Wissenschaft verstanden wissen wollte, ist lehrreich anzusehen für die gegenwärtige Gründungsphase der Kunst als Forscherin, weil seinerzeit nicht die Politik mittels der Hochschulen die Kunst zur Forschung animierte, sondern die forschende Kunst mit der Forderung nach Kunsthochschulen die Bildungspolitik motivierte:
Über das principio della scienza dell’arte
»Leonardos hauptsächliches Bestreben war es, die Malerei von einer manuellen Geschicklichkeit in den Rang einer Wissenschaft zu erheben.« Diese Einschätzung artikuliert der Kunsthistoriker Nikolaus Pevsner in seiner Geschichte der Kunstakademien.9 Seine These lässt sich grob zusammenfassen: Weil die Renaissancekünstler als Wissenschaftler anerkannt werden wollten, wurden die Kunsthochschulen geboren. Die frühen Akademien sollten die Künste als Wissenschaften etablieren und dabei aus den mittelalterlichen Handwerksgilden befreien. In die Gilden waren die Künstler nach Medium und Material aufgeteilt, je nachdem ob sie mit Pigmenten, Metall oder Stein werkten. Und sie waren Handwerkerregeln unterworfen, welche die Ausbildung und das Selbstverständnis der Künstler als Dienstleistende strukturierten. Was Leonardo da Vinci demgegenüber hervorkehren wollte, so Pevsner, war das »principio della scientia della pittura« – das Prinzip der Wissenschaft der Malerei. In einer bemerkenswert unbescheidenen Vorwegnahme von Ansprüchen der künstlerischen Forschung im 21. Jahrhundert fordert Leonardo da Vinci im 15. Jahrhundert, dass die Kunst als Wissenschaft zu begreifen und wertzuschätzen sei, denn sie folge den Prinzipien der Wissenschaftlichkeit. Diese Wissenschaftlichkeit, die Leonardo für die Kunst reklamiert, orientiert sich für ihn dabei keineswegs an ungefähren Anschauungen, sondern verfährt »per le mattematiche dimostrazioni« und beruht auf »esperientia«. Sie verfährt nach mathematischen Beweisen und beruht auf empirischer Erfahrung. Aufgrund dieser Forderung der Renaissancekünstler, als wissenschaftliche Gelehrte anerkannt zu werden, hat sich zwar die Kunst in der Bildungsgeschichte nicht wirklich zu einer anerkannten artes liberales entwickelt. Sie wurde nicht parallel zu Grammatik, Geometrie oder Astronomie an den Universitäten gelehrt. Aber es haben sich Kunsthochschulen gebildet. Das Lernen der Nachwuchskünstler sollte sich seit der Renaissance nicht mehr ausschließlich an den manuellen Praktiken in den Werkstätten der Meister orientieren, sondern die Wissenschaft zur Grundlage nehmen. Dazu wurden Akademien gegründet.
Verschiedene erkenntnistheoretische Vorstellungen, institutionelle Maßnahmen und impulsgebende Akteure verschränken sich hier auf eine, für das 21. Jahrhundert und die Frage nach dem Verhältnis von Hochschulpolitik, Kunst und Epistemologie inspirierende und zugleich irritierende Weise: Während im 21. Jahrhundert die Künstlerinnen und Künstler Angst vor der Verwissenschaftlichung der Kunst artikulieren und die alten Kunstakademien mit ihren Meisterlassen als Versprechen auf künstlerische Freiheit anrufen, liegt der Ursprung eben dieser Akademien im 15. Jahrhundert in einem Kampf um Anerkennung der Wissenschaftlichkeit der Kunst und einer Zurückweisung der Werkstätten der Meister, die als Einschränkung erfahren wurden. Was uns für die Frage nach der Genealogie der künstlerischen Forschung im 21. Jahrhunderts an dieser neuzeitlichen Vorgeschichte der künstlerischen Forschung und dieser Ursprungsgeschichte der Akademien interessiert, ist nicht alleine das bemerkenswert forschende Selbstverständnis, welches die Renaissancekünstler offensiv an den Tag legten, sondern auch das Kräfteverhältnis, in dem Bildungspolitik, Hochschullandschaft und künstlerisches Selbstverständnis zueinander standen und einander bedingten. Für das 21. Jahrhundert haben wir den Eindruck gewonnen, dass der Begriff der künstlerischen Forschung nicht von den Künstlerinnen und Künstlern provoziert wurde, obwohl deren Arbeitsweisen schon lange forschende Praktiken beinhalteten. Künstlerische Forschung ist als Topos ein Effekt der Verzahnung von bildungspolitischen Maßnahmen und akademischen Diskursen nach der Millenniumswende. Im 15. Jahrhundert haben dagegen die Künstler selber den Impuls für die Wissenschaftlichkeit der Kunst und in der Folge für die akademischen Hochschulen gegeben – inspiriert von einem Selbstverständnis als zeichnende Gelehrte. Leonardo da Vinci verstand sich als Forscher. Die Kräfte, die in der Renaissance zur Kunst als Wissenschaft und zur Hochschule als Institution geführt haben, waren andere als jene, welche zur Kunst als Forscherin in der Nachmoderne führen. Aber die Akteure sind die gleichen, nur die Konstellationen haben sich geändert. In beiden historischen Fällen – im 15. wie im 21. Jahrhundert – transformieren sich die Bezüge von Politik, Bildung, Kunst sowie Wissenschaft und führen zu einer neuen Rolle der Institution und einer veränderten epistemischen Landschaft. Wie stehen nun die unterschiedlichen Konstellationen zueinander und wie konnte es von der einen zur anderen kommen? Was passierte zwischen dem wissenschaftlichen Selbstverständnis der Renaissancekünstler und den Disziplinierungssorgen in der Nachmoderne? Was geschah zwischen den Akademiegründungen im 15. Jahrhundert und dem Strukturwandel an Kunsthochschulen im 21. Jahrhundert? Und schließlich – welche Einflüsse haben diese historischen Verschiebungen auf die Kunst als Forscherin?
Folgen wir den historischen Untersuchungen des Kunsthistorikers Pevsner, so lässt sich die Geschichte der Kunsthochschulen schnell zusammenfassen: Gewollt von Künstlern als wissenschaftliche Einrichtungen und für die Ausbildung des Nachwuchses wie auch zur Selbstorganisation der Künste, werden die Kunsthochschulen im 15. Jahrhundert als Akademien gegründet, um dann über die Jahrhunderte zu keinem Zeitpunkt wirklich diese Wissenschaftlichkeit und Eigenständigkeit auszuüben, sondern zu Instrumenten der ökonomischen Vereinnahmung und Disziplinierung zu werden, so dass sich schließlich im 19. Jahrhundert die Kunstschaffenden vehement gegen diese Institutionen der Kunstlehre zu wehren beginnen und die Akademien obsolet zu werden drohen. Erst die »Arts and Crafts« Bewegung des 20. Jahrhunderts – so Pevsner – rehabilitiert dann Kunsthochschulen. Aber bleiben wir noch einen Moment bei den Anfangsgründen der Akademien. Denn bemerkenswert und genealogisch bedeutsam ist der Grund, weswegen in der Renaissance die Künstler auf die Idee kommen, dass die Kunst kein Handwerk sei, obwohl sie doch mit den Händen agiere, und damit den Auftakt geben für neue künstlerische Institutionen. Leonardo erkennt in der Fingerfertigkeit des Zeichnens eine epistemische Praxis. Durch das Zeichnen werden Wahrheiten ersichtlich. Dabei spielen die manuellen Fertigkeiten die Rolle einer Technik, mittels derer Verstehensprozesse geistig und kreativ lanciert werden. Denn nicht durch das perfekte manuelle Abzeichnen von Wahrgenommenem verstehen Künstler die Welt und das Vorfindliche, sondern durch den kreativ-verständigen Akt, mit dem im Zeichnen das zuvor mehrfach und multiperspektivisch Gezeichnete und skizzenhaft Erprobte zu einem Gesamtbild verschmilzt, und damit eine Wahrheit zum Vorschein bringt, die es in einfacher Abzeichnung nicht gibt. »Das Zeichnen ist also in erster Linie als ein kreativer, Erkenntnis bringender und dynamischer Akt zu verstehen.«10 Der Kunsthistoriker Alessandro Nova beschreibt in seinen Analysen der anatomischen Zeichnungen da Vincis, wie dieser die Körpererkenntnis als Verschmelzung unzähliger Studien aus unterschiedlichen Perspektiven sowie Nah- und Fernsichten darstellbar macht. Es entsteht dabei eine Visualisierung, die mittels des Zeichnens als einem kontinuierlichen epistemischen Vorgang zeigt, was nicht einfach gesehen werden kann. Leonardo selber preist die Kunst als ein patente d’Iddio – eine Lizenz Gottes. Ohne disegno – ohne das Zeichnen – könne keine der Wissenschaften existieren, so paraphrasiert Pevsner die Ansichten Leonardos.11 Die Beobachtung seiner Praxis des Erkennens mit den Mitteln des zeichnenden Skizzierens führte Leonardo zur Neubewertung der Kunst als einer Wissenschaft. In folgerichtiger Konsequenz bildet sich in der Renaissance die Forderung nach akademischen Lehreinrichtungen anstelle der handwerklichen Ausbildungsstätten aus. Diese Erweckung der künstlerischen Tätigkeit des Zeichnens aus seinem Zustand der manuellen Tätigkeit in den Stand einer wissenschaftlichen Grundlagenpraktik wird tatsächlich die Geschichte der Akademisierung der Kunst bis in die Neuzeit prägen. Zeichnen wird zur Fundamentalpraxis an den Kunsthochschulen: Die ersten Akademien werden in Italien als Zeichenschulen gegründet – als Accademia del Disegno. Alle Kunstinstitutionen stellen in der Folge über Jahrhunderte das Zeichnen ins Zentrum ihrer Ausbildungspraxis. Auch im 17. Jahrhundert wird das Zeichnen an der Pariser Akademie als das Wesen künstlerischen Tuns angesehen und noch im 18. Jahrhundert war eine Kunstakademie im Wesentlichen eine Zeichenschule.12 Die Signatur dessen, wofür das Zeichnen allerdings im Laufe dieser Geschichte der Kunsthochschulen zu stehen begann, änderte sich. Leonardos Anspruch war, im disegno dessen epistemische Qualität als Erprobung und Artikulation geistiger Einsichten und Visionen zu betonen. Im 18. Jahrhundert ist die Zeichenakademie dagegen zu einem Exerzierplatz manueller Imitation geworden. Die alte handwerkliche Idee einer praktischen Geschicklichkeit als Charakteristikum der Kunst konnte sich innerhalb der neu gegründeten Kunstakademien unterschwellig halten und schließlich vollständig wieder durchsetzen. Ausgedrückt wird an den Hochschulen der Moderne mit dem Zeichnen dann nicht die ästhetische Erkenntnis im Sinne Leonardos, sondern nachgeahmt wird eine reine Ansicht. In den Akademien des 17. und 18. Jahrhunderts wird abgemalt – viel, stetig und diszipliniert – aber es wird nicht zeichnend verstanden. Als Abmalmuster dienen in diesen Kunsthochschulen neben den antiken Werken auf fast tragische Weise auch jene Arbeiten der Renaissancekünstler, mit denen diese seinerzeit nicht oberflächliche Wiederholungen, sondern tiefere Einsichten vorhatten. Statt zeichnend zu sehen und kreativ zu erkennen, müssen im 18. Jahrhundert die Studierenden fleißig sein und viel nach Vorbildern zeichnen, »denn sie werden sich dadurch nicht nur den richtigen Blick und das Verständnis für die schöne Form aneignen, sondern auch Kenntnisse der Licht- und Schattenverhältnisse,«13 so der Kunstphilosoph Johann Georg Sulzer in seiner »Allgemeinen Theorie der bildenden Künste« von 1792. Diese Vorstellung vom reproduktiven Charakter des Zeichnens als edukativer Kernmethode zur Einübung von Vorgewusstem im Feld der Kunst manifestiert sich paradigmatisch in einem Stundenplan der Berliner Kunstakademie von 1800, den Pevsner wiederentdeckt und in seine »Geschichte der Kunsthochschulen« als Dokument integriert. Jeder Arbeitstag der Woche von Montag bis Freitag ist hier zeichnerisch durchdekliniert: Morgens zwischen sieben und neun Uhr ist die Zeichnung des Faltenwurfs vorgesehen. Nachmittags steht täglich das Aktzeichnen von fünf bis sieben Uhr auf dem Stundenplan. Die Ausbildungszeiten sind durchgeplant und das Abzeichnen wird als praktische Übung systematisch durchexerziert.
Leonardos Idee aber war eine andere gewesen: Im Zentrum der künstlerischen Praxis stand bei ihm das Zeichnen als geistiger Tätigkeit. Um diese in der Ausbildung zu entwickeln, sah der Renaissancekünstler keine manuelle Wiederholung des schon Gezeichneten vor, sondern ein mentales Verständnis von den wissenschaftlichen Grundlagen des Einsehens und Darstellens. Sein »Rat für Anfänger lautet: »Studia prima la scientia, e poi seguita la praricha nata da essa scientia« [Studiere zuerst die Wissenschaft – aus der Wissenschaft wird dann die Praxis geboren]. Denn »Quelli che s’inamorano di pratica senza scientia sono come li nocchieri che entran in naviglio senza timone o bussola« [Diejenigen, die sich in die Praxis ohne Wissenschaft verlieben, sind wie Kapitäne, die auf das Schiff ohne Ruder oder Kompass gehen]. Dann schlägt Leonardo einen neuen und für die Zeit in höchstem Maße revolutionären Lehrplan vor, so findet Pevsner durch die Analyse der Quellen heraus: »Erster Unterrichtsgegenstand hat die Perspektive zu sein. Anschließend wird der Student in Theorie und Praxis der Proportionslehre eingeführt. Dann erst erfolgt Zeichnen nach Zeichnungen seines Meisters, nach Reliefs, nach der Natur und schließlich praktische Ausübung seiner Kunst.«14 Die Theorie steht in diesem Leonardo-Lehrplan vor der Praxis und gerade deswegen werden im 15. Jahrhundert Hochschulen für die Künste projektiert und die praxisnahen Handwerkstätten der Gilden für unangemessen gehalten.
Im Florenz der Medici wird tatsächlich um 1490 im Garten des Lorenzo il Magnifico die erste kleine und von Gildensatzungen freie Schule für Schüler der Malerei und Bildhauerei gegründet. Michelangelo gehört zu jenen ersten Lehrlingen, die aus den Meisterwerkstätten herausgeholt und für diese kleine Kunstschule ausgewählt werden. Die Ausbildung der Schüler in dieser Gartenschule von Lorenzo besteht nicht aus manueller Hilfe für die Aufträge ihrer Meister, sondern im intellektuellen Studium antiker und zeitgenössischer künstlerischer Werke.15 Ein halbes Jahrhundert später im Jahr 1563 wird in Florenz die erste richtige Accademia del Disegno gegründet. Das Disegno im Namen dieser Akademie steht im 16. Jahrhundert noch paradigmatisch für das Primat des Zeichnens als geistiger künstlerischer Praxis, um deren Willen eine Akademiegründung für nötig erachtet wird. Die Tatsache, dass die Mitglieder der Accademia del Disegno »in vielen verschiedenen Materialien arbeiteten und daher verschiedenen Gilden angehört hatten, verlor jetzt an Bedeutung, da sie nunmehr alle mit ›disegno‹ befaßt waren, jener allein wichtigen ›espressione e dichiarazione del concetto che si[l]a nell’animo‹.«16 Als »Ausdruck und Erklärung der Konzepte der Seele« steht das Zeichnen im akademischen Mittelpunkt und sollte auf wissenschaftlicher Grundlage gelehrt werden unter anderem durch Vorlesungen zu Mathematik und Physik. Am Ende des 16. Jahrhunderts folgt der ersten Akademie in Florenz eine Akademie der Künste in Rom – die Accademia di San Luca. Sie entwickelte Ansätze eines akademischen Kunstunterrichts. »Jeden Tag ist eine Stunde nach dem Mittagessen theoretischen Debatten vorbehalten, und alle vierzehn Tage soll sich eine ganze Sitzung mit diesem Thema beschäftigen.«17 In Bologna sowie Mailand werden im Laufe des 17. Jahrhunderts die nächsten Versuche unternommen, mittels der Gründung von Akademien die mittelalterliche Macht der Gilden zu durchbrechen und durch ein intellektuelleres Ausbildungssystem und Wertschätzungsprogram für die Künstler zu ersetzen. Auch in Frankreich beginnt man zur Gründung einer Pariser Akademie mit den gleichen Absichten, wie im italienischen Florenz oder Rom, nämlich die Künstler aus den verschiedenen, mittelalterlich organisierten, handwerklichen Gilden zu befreien, die unterschiedlichen Künste in einer gemeinsamen Körperschaft zusammenzuführen sowie der künstlerischen Ausbildung ein neues, dem aufgewerteten Selbstverständnis angemesseneres Profil zu geben. Eingebettet wird diese Argumentation in Frankreich in die Klage über die miserable Qualität einheimischer Künste, deren Güte eine Akademie mittels Intellektualisierung und Autonomisierung zu steigern verspricht. »Besonderes Gewicht wird auf die Notwendigkeit gründlicher Kenntnisse in Architektur, Geometrie, Perspektive, Arithmetik, Anatomie, Astronomie und Geschichte gelegt.«18 Auch hier arbeitet Pevsner aus Unterlagen, Gutachten und Programmen zunächst eine Idee von Hochschule heraus, die künstlerisches Schaffen auf wissenschaftliche Grundlagen stellen will und theoretische Kenntnisse vor praktische Fingerfertigkeiten stellt. Kerngedanke dieses neuen Ausbildungsplans für die kommende französische Künstlerschaft ist, dass nur jene, die wissen, wie die Körper anatomisch gebaut sind und wie mathematische Formen gedacht werden, die Idee dessen auch ästhetisch zu erfassen und weiterzuentwickeln in der Lage sind. Theorie ist das Primat der Praxis und notwendiger Grund zur Gründung von Hochschulen – allerdings mehr in der Theorie als tatsächlich in der Praxis der Akademie. Pevsner muss feststellen, dass in allen diesen ersten hohen Schule des ästhetischen Verstehens und künstlerischen Zeichnens am Ende wenig akademische Lehre und wenig wissenschaftliches Verständnis dafür aber viel körperschaftliche Seilschaft gepflegt wurden.
Leonardos Vorstellungen von der Kunst als Wissenschaft sind offenbar gescheitert bevor sie beginnen konnten, sich in Lehre und Forschung umfassend zu organisieren. Die Idee von der Kunst als Wissenschaft hat zu Beginn der Neuzeit eine Institution provoziert – die Kunsthochschule, die sich nach ihrer Gründung aber immer wieder nur als praktische Zeichenschule entwickelte, nicht aber als Ort für das Skizzieren und Reflektieren von ästhetischen Einsichten. Der Kunstunterricht wurde trotz anspruchsvoller Ziele und formulierter Programme auf das manuelle Abzeichnen nach Vorbildern reduziert. So legen die Statuten der Akademie in Rom den Hauptzweck der Institution auf die praktische Ausbildung. Es soll zwar nicht – wie in den mittelalterlichen Werkstätten – die ausführende Arbeit für die Meister erledigt werden. Aber es soll nach Gipsmodellen und der Natur nachgezeichnet werden. Es sollen Lehrer anstelle der Meister ernannt werden, welche die Übungen der Schüler überwachen und korrigieren. Professionelle Künstlermitglieder sollen der Akademie Werke zur Anschauung und Übung überlassen. Eine Galerie soll aufgebaut und die Institution ein Monopol in der Bewertung von Kunstwerken erlangen. Aber Vorlesungen finden nicht statt, Künstler üben ihre Lehrerfunktion nicht aus, private Zeichenklassen entstehen außerhalb der Akademie und untergraben den neuen Ausbildungsanspruch dieser frühen Kunsthochschule. Die Kunst wird nicht als Wissenschaft gelehrt. In Italien wird offenbar insgesamt wenig gelehrt und in den französischen sowie schließlich auch den deutschen Akademien setzen sich modularisierte, kanonisierte, durchorganisierte Lehrpläne durch. Außerdem passiert ab dem 17. Jahrhundert noch etwas anderes – paradigmatisches – an der Kunstakademie in Paris. Etwas, das die um ihre Autonomie besorgten Künstlerinnen und Künstler des 21. Jahrhunderts alarmieren könnte:
Ökonomische Interessen beginnen die Lehre und das Selbstverständnis der Kunstakademie zu beherrschen. 1664 wird im absolutistischen Frankreich Jean-Baptiste Colbert zum maßgeblichen Vizeprotektor der unter Finanznot leidenden Pariser »Académie Royal de Peinture et Sculpture« gewählt. Colbert – der erste Staatsmann unter dem Sonnenkönig Ludwig XIV – reformiert die Institution nachhaltig. Er macht sie zur Kaderschmiede künstlerischer Dienstleister und setzt damit im Kunstbetrieb des 17. Jahrhunderts merkantilistische Interessen durch. Die Akademie und ihr Versprechen auf künstlerische Freiheit werden zunächst zum Instrument, um die immer noch herrschende ökonomische Macht der Gilden zu zerschlagen. Mit dem faktischen Monopol einer zentralen künstlerischen Ausbildungsstätte geht es Colbert dann aber darum, die Kunst als produktives Gewerbe zu organisieren und den Nachwuchs und dessen Aktivitäten marktorientiert zu kanalisieren. »Der Absolutismus hatte erfolgreich über jene tatsächliche Unabhängigkeit des einzelnen Künstlers triumphiert, für die weniger als 100 Jahre vorher die ersten Akademien geründet worden waren,« fasst Pevsner die Volte des Frühkapitalismus im Umgang mit Autonomiebestrebungen und Freiheitsansprüchen von Kunst und Wissenschaft zusammen. »Während nach außen hin die mittelalterliche Struktur der Gilden bekämpft wurde, setzte man ein System an ihre Stelle, das von der tatsächlichen Entscheidungsfreiheit des Malers und Bildhauers weniger übrig ließ, als er unter der Herrschaft der Gilden besessen hatte.«19 Wie die Bologna-Deklaration des ausgehenden 20. Jahrhunderts Wissen und Kultur vordergründig so sehr wertschätzt, dass es diese in einem harmonisierten europäischen Hochschulraum organisieren wollte, um schließlich Harmonisierung für die »arbeitsmarktbezogene Qualifizierung seiner Bürger« zu nutzen, so schätzt auch Colbert im 17. Jahrhundert die Hochschulen als Zurichtungssystem zur auftragsbezogenen Qualifikation der Künstler. Colbert macht sich dafür die Ambivalenz des Pädagogischen zu nutzen, das zwischen Bildung und Erziehung oszilliert. Er greift die Vision einer von Gildenzwang befreiten Aus-bildung des Künstlerischen auf und realisiert diese als eine Er-ziehung, die mit den Schülern die verkäuflichen Standards guten Geschmacks einübt. Die Pariser Akademie war angetreten, eine künstlerisch-wissenschaftliche Kunsthochschulbildung anzubieten, und mündete in einer Erziehungsanstalt. Die ökonomischen Kategorien werden in Richtlinien und Lehrpläne eingelassen, in denen das Verkäufliche als Wertvolles kanonisiert und vermittelt wird. Noblesse wird zum Standard. Doch was gilt als edler Geschmack des Künstlerischen im Absolutismus und sichert den Absolventen der Académie Royal de Peinture et Sculpture sicheres Einkommen bei geregelter ästhetischer Produktion? Für die Malerei empfindet man die Erscheinung von Tieren wie Kamelen, Ochsen oder Eseln als vulgär, auch Stillleben rangieren am Fuße der Stufenleiter des malerisch Wertvollen. Landschaften werden höher bewertet. Die Welt der Menschen gilt als grundsätzlich der Tierwelt überlegen. Historienbilder krönen schließlich als umfassende Ansichten des Humanen auch gegenüber Portraits von menschlichen Einzelwesen die Rangordnung malerischer Sujets.20 Mittels der Kanonisierung von Themen lässt sich die Kunst zum erfolgreichen Wirtschaftszweig entwickeln. Der ökonomische Wille strukturiert die Praxis der Kunst durch eine Politik der Akademisierung.
Durchsetzen konnte sich in Paris entsprechend dieser politischen Interessen an der employability des Künstlernachwuchs ein ordentlich zu befolgender, systematisch modulierter Lehrplan, der in dem mündet was auch im 21. Jahrhundert noch unter dem negativ konnotierten Begriff der Akademisierung gemeint wird: Minutengenaue Wochenpläne, die freiraumarme Durchdeklinierung dessen, was als Kanon gelehrt und vermittelt wird, das Gegenteil dessen, was einmal unter dem Topos der ars liberalis für die Befreiung der Kunst gefordert worden war und auf Imagination, Experiment oder individuelle Vision gesetzt hatte. Wir beginnen die Disziplinierungsängste des 21. Jahrhunderts zu verstehen, wenn wir die Geschichte der Akademisierung der Kunst seit dem 17. Jahrhundert verfolgen, die tatsächlich unter der Devise von Freiheit und Wissenschaftlichkeit einmal installiert worden war. »Würde und Freiheit waren die Leitbilder des Kampfes im Cinquecento gewesen, jetzt waren es Würde und Dienstleistung«21, fasst Pevsner die Entwicklung des 17. Jahrhunderts zusammen und beschreibt den Kunst-Akademiker, wie er in Paris existierte, als einen Künstler, der in der Regel für private Kunden oder öffentliche Auftraggeber arbeitete. »Seine gesellschaftliche Position war höher als die seiner meisten ausländischen Kollegen, doch war er so sehr zum Diener des Hofes geworden, daß er in seiner Kunst weniger frei war als sie.«22 Die Frage, die sich mit diesen historischen Erfahrungen stellt, ist offenkundig jene nach der Kraft, welche ökonomische Interessen zu nutzen in der Lage sind, wenn akademische Umstrukturierungsprozesse zunächst schwache Institutionen oder unübersichtliche didaktische und epistemische Gemengelagen zur Folge haben.
Die Geburt einer Institution oder Wissenschaft ist ein schwieriger und umkämpfter Prozess, bei dem es um veränderte Selbstverständnisse aber auch neue Verteilungsregeln für Ressourcen geht. Die Fragen, die in diesen Umstrukturierungsprozessen noch verhandelt werden und Leerstellen zur Folge haben, sind: Was ist die Kunst als Wissenschaft? Worum geht es mit der künstlerischen Autonomie? Welche institutionellen Rahmen benötigen beide? Was muss Ausbildung in diesem schillernden Geflecht aus Visionen und Interessen leisten und wer finanziert die Hochschulen aufgrund welcher Ziele und Interessen? Diese Fragen sind im Moment der Transformation von künstlerischen Selbstverständnissen, Arbeitsorten und Zuständigkeitsbereichen noch nicht verlässlich beantwortet und entsprechend ambivalent zeigen sich auch die Strukturen, in denen sich das Künstlerische bilden soll. Unterfinanzierung der Hochschulen, merkantile Tendenzen in der Bildungspolitik, die Zerschlagung der Meisterwerkstätten als eigenmächtige Institutionen – alle diese Aspekte, die im 17. Jahrhundert im Fall der Académie Royal de Peinture et Sculpture eine Rolle spielen und die Colbert zu nutzen weiß, um eine Hochschule als Ausbildungszentrum für den Markt zu etablieren, sind Aspekte, die auch in der Bologna-Ära des 21. Jahrhunderts eine offensichtliche Rolle spielen: Der Bologna-Prozess hat den Ruf, unterhalb der formalen Strukturveränderung vor allem einer Politik der Einsparung an den Hochschulen zu folgen. Tendenzen, das Hochschulsystem als Dienstleister für den Arbeitsmarkt zu begreifen, infiltrieren die Bildungspolitik. Die Zerschlagung der Meisterwerkklassen destabilisiert die Autorität der Künstlerindividuen als maßgeblicher Institutionen im Ausbildungsbetrieb. Die Sorgen, dass mit der epistemologischen Verheißung einer künstlerischen Forschung tatsächlich eine bildungspolitische Domestizierung der Kunst verbunden ist, die durch den Strukturwandel der Hochschule lanciert wird, kann zumindest auf einen historischen Vorläufer verweisen. Colbert hat im 17. Jahrhundert mit dem Strukturwandel der Künstlerausbildung das Versprechen auf eine Intellektualisierung der Kunst genutzt, um tatsächlich eine Einhegung der Kunst auf marktgängige Sujets zu betreiben.
Disziplinierungsängste und der Warenwert ästhetischen Wissens
»Warum würde man eine Disziplin brauchen, wenn nicht, um jemanden oder etwas zu disziplinieren?«23 Die Künstlerin Hito Steyerl verdichtet in dieser Behauptung die Sorge vor einer Reglementierung und Akademisierung der Kunst zehn Jahre nach der Deklaration von Bologna und rund 350 Jahre nach der Übernahme der Pariser Kunsthochschule durch Colbert. Steyerls These lautet: Der Topos der künstlerischen Forschung ist vor allem dazu da, die Kunst in eine disziplinierende Forschungsdisziplin zu überführen. Dieses Szenario sei beunruhigend, denn »eine Disziplin diszipliniert selbstverständlich; sie normalisiert, generalisiert und reguliert; sie probt ein Kontingent an Antworten und trainiert auf diese Weise Leute, in einer Umwelt symbolischer Arbeit, dauerhafter Planung und stromlinienförmiger Kreativität zu funktionieren.«24 Möglicherweise wird der Begriff der künstlerischen Forschung im Prozess der Hochschulstrukturreform des frühen 21. Jahrhunderts also geboren, um die Kunst zu disziplinieren. Das scheint zumindest die Sorge zahlreicher Künstlerinnen und Künstler zu sein. Für sie ist künstlerische Forschung keine Herausforderung, um neue Zuständigkeiten zu erproben, und keine Chance, sich von den Seilschaften des Kunstbetriebs zu befreien. Für sie ist künstlerische Forschung eine Bedrohung ihrer Autonomie. Flankiert wird diese Diagnose zum disziplinierenden Charakter der Kunst als Forscherin durch eine weitere Sorge: Die Furcht, dass die Kunst zu einer Wissensproduzentin wird und damit zur Ökonomisierung der Bildungslandschaft im Allgemeinen und des Kunstfeldes im Besonderen beiträgt. Die These lautet hier: Wissen ist in der gegenwärtigen Wissensökonomie des 21. Jahrhunderts als Produktivkraft in wirtschaftliche Interessensgebiete eingebettet und wird von diesen direkt oder indirekt geregelt. Wo die künstlerische Forschung institutionell als Wissensproduzentin angesprochen wird, mache sie sich mithin – wie jede Wissensproduktion – der Zweckdienlichkeit verdächtig.25 Die Kunst als Forscherin diene sich gleichsam strukturbedingt der Wissensökonomie an – so die kritische Beobachtung. Die Kunsttheoretikerin Elke Bippus verknüpft diese beiden Befürchtungen der Disziplinierung und der Ökonomisierung zu einem möglichen Hochschulszenario, wenn sie an verschiedenen Stellen im Bildungssystem eine »Verwissenschaftlichung und curriculare Engführung der künstlerischen Ausbildung durch die Bologna-Reform«26 erkennt, welche dem Umgang mit künstlerischer Forschung die Leichtfüßigkeit genommen haben. Bippus stellt fest, dass das Wissen nach Bologna insgesamt und stärker als ohnehin dem Verdacht der Ökonomisierung ausgesetzt sei, weil der Topos der employability die Studienverläufe regele. Disziplinierungsängste und Ökonomisierungsbefürchtungen charakterisieren also auf der einen Seite die Haltung gegenüber der künstlerischen Forschung im frühen 21. Jahrhundert.
Auf der anderen Seite werden aber auch die Möglichkeiten angesprochen, welche die Kunst mit der Forschung habe, um sich in eine neue und der Kunst angemessene Position zu manövrieren. Der Theoretiker Lasage schreibt zu diesem Möglichkeitsraum der künstlerischen Forschung: »Nur wenige KunsthochschulprofessorInnen hatten gleich verstanden, dass dieser sozusagen vom Bologna-Prozess auferlegte Zwang zum Forschen auch als Chance verstanden werden konnte. Dafür nämlich, endlich die Zeit, die KünstlerInnen zum Forschen brauchen, auch als konstitutiv für die Ausübung des Berufs als KunsthochschulprofessorIn anzuerkennen.«27
Die These auf dieser Seite der Kommentatoren lautet mithin: Die Rede von der künstlerischen Forschung und der Zwang zur Akademisierung von Hochschulen durch den Bologna-Prozess beinhaltet tatsächlich eine Chance – die Chance zur Entkopplung der Kunst von den ökonomischen Zwängen des Galeriemarktes und den Durchsetzungsritualen im Ausstellungsbetrieb. Von einem epistemischen Selbstverständnis der Künstlerinnen und Künstler ist an dieser Stelle noch nicht viel zu spüren. Aber mit der Gründung von Instituten und dem Forschungsauftrag an Kunsthochschulen werden tatsächlich Räume und Ressourcen frei, die von der Kunst genutzt werden können, um sich jenseits von Kunstmarkt und Ausstellungsbetrieb in anderen Strukturen und Systemen neu zu behaupten. Wenn die Kunst mithilfe des Begriffs der künstlerischen Forschung, tatsächlich Forschungsräume bekommen sollte, erhielte sie damit auch Foren, Gelder und Zeit, sich jenseits des Biennalen-Zirkus und der Galerien-Konsumzone eigensinnig zu behaupten – so die hoffnungsvolle Erwartung.
Epistemologisch und genealogisch relevant an diesem Disput der Einschätzungen von Disziplinierungsängsten und Ökonomisierungsbefürchtungen auf der einen Seite und Positionierungschancen auf der anderen, ausgelöst oder reaktiviert durch den neuen Begriff der künstlerischen Forschung und die Hochschulreform im Rahmen des Bologna-Prozesses, ist zunächst der Sachverhalt der engagierten Auseinandersetzung selber und dann das jeweilige Bild von Forschung, das auf der einen wie der anderen Seite gezeichnet wird. Bleiben wir zunächst beim Sachverhalt der engagierten Debatte selber: Die Dispute darüber, ob die künstlerische Forschung eine Befreiung der Kunst aus den Zwängen des hegemonialen Kunstbetriebs bedeute oder aber eine Disziplinierung der Kunst als Wissensproduzentin zur Folge habe, können als Geschichtszeichen gewertet werden. Als Zeichen weisen die leidenschaftlich geführten Debatten auf das wissenschaftspolitische Problemfeld der Neuformation von Kunst und Wissenschaft. Die streitbaren Reden zum Verhältnis von Kunst, Wissen und Forschung markieren ein ungeklärtes Terrain, auf dem Kunstbegriffe, Forschungshoheiten, die Zukunft der Wissenschaften sowie die Zukunft der Kunst verhandelt werden. Auf diesem Verhandlungsplatz wird mit generalisierenden Ängsten und idealisierten Chancen argumentiert. Denn es geht um Grundsätzliches, wenn Kunst, Wissen, Forschung und Ökonomie erörtert werden: Es geht um das erkennende Verhältnis zur Welt, es geht um die Freiheit der jeweiligen Tätigkeiten und es geht um den Wert des Wissens im aktuellen Gesellschaftssystem und den Wert der Kunst als eigenständiger Kulturpraxis. Dass der Umgang mit diesen grundsätzlichen Themen nicht den Bildungsbeamten und Staatsleuten überlassen werden sollte, hat die Geschichte der Kunsthochschulen gezeigt. Forschung in der Kunst kann als Befreiung vom Betrieb der Galerien und Museen begriffen werden oder aber als Zurichtung auf die Wissensökonomie. Der Bologna-Prozess spielt in dieser historischen Debatte die Rolle eines Katalysators. Er lanciert mit dem Begriff der künstlerischen Forschung und der darin eingebetteten Forschungsvokabel einen Ausdruck, der die schon lange schwelende, einsichtige Praxis der Kunst adressiert und mit der Benennung ebenso disputabel wie real macht. Damit wird die Hochschulpolitik zu einer Geburtshelferin der Kunst als Forscherin. Lange schon ausgebrütet wird die künstlerische Forschung angesprochen und damit ans Licht der Welt gezogen. Als benennbares Phänomen ist die künstlerische Forschung damit aber ebenso umstritten wie wirklich. Darin besteht die genealogische Bedeutung der Politik von Bologna und des ihr nachfolgenden Diskussionsprozesses für die Kunst als Forscherin. Epistemologisch wird mit dem Diskussionsprozess um die künstlerische Forschung auch der Forschungsbegriff selber herausgefordert. Mit der Behauptung einer Kunst als Forscherin stellt sich die Frage nach dem Status des Wissens, das sie zu entwickeln in der Lage ist. Kann die künstlerische Einsicht als ein unvorhersehbarer Effekt der künstlerischen Forschung gewertet werden oder systematisiert sich die künstlerische Forschung als Disziplin und wird zur Wissensproduzentin? Was bedeutet es, sich als Wissensproduzentin in einem Kontext zu etablieren, in dem Forschung in eine Ökonomie der Ausbildung und den Legitimationszwang durch Nutzbarmachung eingewoben ist? Mit der künstlerischen Forschung, die im Bologna-Prozesses nicht nur namentlich hervorgebracht wird, sondern zugleich auch auf eine Hochschulbühne tritt, die von einer Ökonomisierung des Bildungsbetriebs durchzogen ist, wird mithin eine neue Diskussion um das Verhältnis von Wissen und Wirtschaft provoziert – gerade weil die Kunst sich – wie auch immer idealisiert – als autonom und eigensinnig versteht. Das Selbstverständnis autonomer Kunst trifft auf die Sorge vor einer Durchdringung des Wissenschaftlichen von ökonomischen Interessen und in der Mitte dieser beiden Szenarien steht die künstlerische Forschung, die droht oder verspricht, beides zu verbinden. Durch die Überkreuzung von Forschung einerseits und ökonomischem Kalkül andererseits am Ort der Kunst als Forscherin im geschichtlichen Moment des Bologna-Prozesses als einer Ökonomisierung der Hochschullandschaft drängt sich die generelle Auseinandersetzung über das Verhältnis von Ökonomie und Wissen auf. Die künstlerische Forschung provoziert diese Auseinandersetzung nur deswegen so ausdrücklich, weil sie als neue Spielpraxis im Feld der wissenschaftlichen Disziplinen gleichsam naiv und überrascht auf diese Beziehung stößt – und vor dem Hintergrund ihres alten autonomen künstlerischen Selbstverständnisses reflexartig zu schimpfen beginnt. Diese Schimpftriade aber kann aufklärend wirken für das gesamte Feld der wissenschaftlichen Disziplinen und sie kann mit der viel älteren Diagnose zum Warenwert des Wissens des Philosophen Jean-François Lyotard verknüpft werden.
Schon Jahre vor dem Aufkommen des Begriffs der künstlerischen Forschung stellt nämlich Lyotard generell zum Verhältnis von Wissen und Ökonomie fest: »Das alte Prinzip, wonach der Wissenserwerb unauflösbar mit der Bildung des Geistes und des selbst der Person verbunden ist, verfällt mehr und mehr. Die Beziehung der Lieferanten und Benutzer der Erkenntnis zu dieser strebt und wird danach streben, sich in der Form darzustellen, die das Verhältnis von Konsumenten und Produzenten von Waren zu diesen auszeichnet: die Wertform.«28
Für Lyotard wird das Wissen zunehmend für seinen Verkauf geschaffen und hört auf, sein eigener Zweck zu sein. Wissen wird verwertet und konsumiert. Lyotard zeichnet ein Szenario der Wissensökonomie, in dem die Wissenschaft von einem Legitimationsproblem geprägt ist, denn Wissenschaft benötigt Konsumenten der Erkenntnis als Legitimation für ihr Tun – ein Tun, das Geld kostet. »Schon Descartes«, so Lyotard, »verlangt am Ende des Discours Kredite für die Laboratorien. Das Problem war damit gestellt: Die Apparate, welche die Leistungen des menschlichen Körpers zum Zweck der Erbringung des Beweises optimieren, verlangen einen Zuschuß an Ausgaben. Also kein Beweis, keine Verifizierung von Aussagen und keine Wahrheit ohne Geld.«29
Auch keine ästhetische Einsicht und kein künstlerisches Forschungsvorhaben ohne Finanzierung. Neben dieser ökonomischen Pragmatik der Wissenschaft macht Lyotard ebenso darauf aufmerksam, dass das »Spielfeld« der Wissenschaft selber Strukturen hat, die den Möglichkeitsraum von Forschung regeln. Es gibt keine Forschung ohne disziplinären Kontext. Auch die Kunst als Forscherin wird sich nicht alleine aus den Forschungsergebnissen ihrer Akteure, dem Einsichtswert der ästhetischen Analyse oder der Begriffssetzung durch den Bologna-Prozess durchsetzen können. Forschung kostet nicht nur Geld, sie existiert auch nur im Rahmen eines Spielfeldes, auf dem »Mitspieler« vorhanden sein müssen und einen Platz und definierte Aufgaben haben. Lyotard betont, dass Wissen niemals aus der Sache des Forschungsgegenstandes alleine heraus behauptet werden kann oder aus der Erkenntnis der Forschenden. »Denn der Wissenschaftler bedarf eines Empfängers, der seinerseits ein Sender sein könnte, also Partner. Andernfalls ist die Verifikation seiner Aussage mangels einer kontradiktorischen Auseinandersetzung unmöglich, die durch eine Nicht-Erneuerung der Kompetenzen unmöglich gemacht würde.« In dieser Auseinandersetzung steht für Lyotard, »nicht nur die Wahrheit einer Aussage, sondern auch seine eigene Kompetenz auf dem Spiel: denn die Kompetenz ist nie endgültig erworben, sie hängt davon ab, ob die vorgeschlagene Aussage in einer Folge von Beweisführungen und Widerlegungen zwischen Ebenbürtigen als diskussionswürdig betrachtet wird oder nicht.«30
Eingeflochten in ökonomische und epistemische Legitimationsstrategien ist Forschung von dem bestimmt, was Lyotard die »Metaregeln« nennt. Regeln, die sich nicht aus dem Forschen selber ergeben. Regeln, die nicht mit der Aussagekraft der Erkenntnisse oder Einsichten zu tun haben: präskriptive Aussagen darüber, »wer entscheidet, was Wissen ist, und wer weiß, was es zu entscheiden gilt?«31 Relevant für eine epistemologische Ästhetik über die Herkunft und Rolle der künstlerischen Forschung ist an dieser Analyse nicht alleine der Hinweis auf die Metaregeln einer jeden Wissenschaft, der uns daran erinnert, dass auch die künstlerische Forschung keine sich selbst setzende, rein epistemische zu begründende Praxis ist oder sein kann. Der Bologna-Prozess inklusive seiner ökonomischen Kalküle und hochschulpolitischen Strukturvorhaben bildet durch Begriffssetzung und Institutionalisierung das Spielfeld der Kunst als Forscherin aus, auf dem die Spieler dieses neuen ›Teams‹ dann anfangen können, sich auf ihre Positionen zu begeben und die ›Bälle‹ zuzuspielen. ›Gedrippelt‹ haben sie vielleicht vor diesem Stadionbau schon, um im Bilde zu bleiben. Mit den institutionalisierten Räumen und der Teambenennung beginnt die Kunst als Forscherin aber sichtbar in einer ›Liga‹ zu spielen – einerseits – sowie ein ›Stadion‹ vorzufinden – anderseits. Für die epistemologische Ästhetik, die sich mit der Herkunft und Rolle der künstlerischen Forschung beschäftigt, ist an der Position Lyotards allerdings auch relevant, dass er behauptet, durch neue »postmoderne« Spielzüge in der Wissenschaft würden die Regelsysteme des Spielfeldes offenbar. Das Spielfeld kann nicht mehr so tun, als regelten alleine Erkenntnisse und Einsichten das Tun und Lassen der Forscherinnen und Forscher. Die Metaregeln sind präsent geworden. Für Lyotard sind es naturwissenschaftliche Arabesken wie die Quantenphysik, welche die Aufklärung über die Regelhaftigkeit des Wissens leisten. Diese postmoderne Wissenschaft »verändert den Sinn des Wortes Wissen, und sie sagt, wie diese Veränderung stattfinden kann. Sie bringt nicht Bekanntes, sondern Unbekanntes hervor. Und sie legt ein Legitimationsmodell nahe, das keineswegs das der besten Performanz ist, sondern der als Paralogie verstandenen Differenz.«32 Die Nützlichkeit einer Theorie besteht dann darin, dass sie neue Ideen hervorruft, nicht dass sie verwertbar ist. Ihr Wert ist der des Ideenreichtums und des Hervorbringens neuer Aussagen, nicht dass sie einen positionierten Mitspieler vorfindet. Für Lyotard haben mithin die erfinderischen postmodernen Aktivitäten in den Wissenschaften den präskriptiven Charakter der Regeln des Wissenschaftlichen sichtbar gemacht. Die Erkenntnis vom regelgeleiteten Wesen der Wissensproduktion fordere nun aber die Wissenschaften auf – so Lyotards hoffungsvolle Erwartung – andere »Partner« zu akzeptieren. Neue Partner, als nur die etablierten wissenschaftlichen Forschergemeinden. Partner, die neue Ideen in neuen Erkenntnisverfahren hervorbringen. Genau diese Rolle könnte – mit Lyotard gehofft – die Kunst als Forscherin auch spielen. Sie könnte mit ihren noch unbekannten Praktiken und ihren »paralogisch« verrückten Forschungsgegenständen neue Einsichten über den Zustand der zeitgenössischen Wissenschaft bringen. Oder mit Bippus formuliert: »Ist es nicht auch so, dass die (künstlerische) Forschung gültige Perspektivierungen von Wissen zur Disposition stellt und damit auch die Zuschreibungen an die Darstellungs- und Erkenntnisformen von Kunst und Wissenschaft neu zu denken gibt?«33 Diese Möglichkeit wird animiert durch eine Disziplinierung der Kunst als Forschung, die sich tatsächlich als Sichtbarmachung disziplinärer Regelsysteme herausstellen kann. Diese Möglichkeit wird auch lanciert durch die Namensgebung der künstlerischen Forschung und Institutionalisierung der Kunst als Forscherin im Rahmen des bildungspolitischen Bologna-Prozesses, der sich daher epistemologisch und genealogisch als bedeutsam erweist.
1Mokre: Forschungs- und Wissenschaftspolitik, in: Badura, Dubach, Haarmann et al. (Hg.): Künstlerische Forschung: Ein Handbuch, 2015, S. 249.
2Lesage: Who’s Afraid of Artistic Research? in: Art&Research, 2009, im Original: »In many European countries and regions, higher arts education committed itself to implement the Bologna Process, willingly or unwillingly. As a consequence, since a few years, the obligation to become ›academic‹ is what all the fuss in an important part of European higher arts education is about.«
3Vgl. zu dieser Beobachtung Wuggenig: Art Schools, Universities and the Bologna Process, 2007 S. 142-148.
4Vgl. Keller: alma mater bolognaise, in: Analysen und Alternativen für Bildung und Wissenschaft, 2004.
5Die Deklaration ist dokumentiert u.a. auf der Internetseite der deutschen Hochschulrektorenkonferenz https://www.hrk.de/fileadmin/redaktion/hrk/02-Dokumente/02-03-Studium/02-03-01-Studium-Studienreform/Bologna_Dokumente/Bologna_1999.pdf (Aufruf September 2018).
6Slager: The Pleasure of Research, 2015, S. 7. Übersetzung von A.H. im englischen Original lautet der Text: »The gradual implementation of the Bologna framework slowly but surely made it very clear that the introverted, romantic, pre-democratic and non-dialogic master-pupil model of masterclass education had definitively come to an end in most European countries.«
7Lesage: Akademisierung, in: Badura, Dubach, Haarmann et al. (Hg.): Künstlerische Forschung: Ein Handbuch, 2015, S. 223.
8Ebd.
9Pevsner: Die Geschichte der Kunstakademien, 1986, S. 45.
10Nova: La Dolce Morte. Die anatomischen Zeichnungen Leonardo da Vincis und der kognitive Wert der Bilder, in: Nortmann, Wagner (Hg.): In Bildern denken, 2010, S. 165.
11Vgl. Pevsner: Die Geschichte der Kunstakademien, 1986, S. 45.
12Vgl. Pevsner: Die Geschichte der Kunstakademien, 1986, S. 104 bzw. 170.
13Johann Georg Sulzer in: Allgemeine Theorie der bildenden Künste von 1792 zitiert nach Pevsner, S. 170.
14Pevsner: Die Geschichte der Kunstakademien, 1986, S. 49.
15Vgl Pevsner: Die Geschichte der Kunstakademie, 1986, S. 51/52.
16Pevsner: Die Geschichte der Kunstakademien, 1986, S. 60. Das Zitat in Pevsners Text stammt aus Le opere di Giorgio Vasari, Bd. 1 (vgl. Fußnote 58 bei Pevsner) und lautet vollständig bzw. ohne den Fehler, der sich bei Pevsner eingeschlichen hat: »E perchè da questa cognizione nasce un certo concetto e giudizio che si forma nella mente quella tal cosa, che poi espressa con le mani si chiama disegno, si può conchiudere che esso disegno altro non sia, che una apparente espressione e dichiarazione del concetto che si la nell’animo, e di quello che alti si è nella mente immaginato e fabbricato nell’idea« – in etwa: Weil dasjenige eine Zeichnung genannt wird, was an Wissen von Konzepten und geistigen Urteilen mit Händen ausgedrückt wird, ist auch die Zeichnung nichts anderes als der Ausdruck und die Erklärung der Ideen, die in den Köpfen vorgestellt und gebildet werden.
17Pevsner: Die Geschichte der Kunstakademie, S. 70.
18Pevsner: Die Geschichte der Kunstakademie, S. 94.
19Pevsner: Die Geschichte der Kunstakademie, 1986, S. 96/97.
20Vgl. Pevsner: Die Geschichte der Kunstakademie, 1986, S. 103.
21Pevsner: Die Geschichte der Kunstakademie, 1986, S. 114.
22Pevsner: Die Geschichte der Kunstakademie, 1986, S. 139.
23Steyerl: Aesthetics of Resistance? Artistic Research as Discipline and Conflict, in: maHUKUZine Nr. 8, 2010, S 31, übersetzt von A.H. Im Original lautet der Satz: »Why would one need a discipline if it wasn’t to discipline somebody or something?«
24Steyerl: Aesthetics of Resistance? 2010, S 31, übersetzt von A.H. Im Original lautet die Passage: »A discipline is of course disciplinarian; it normalizes, generalizes and regulates; it rehearses a set of responses and in this case trains people to function in an environment of symbolic labor, permanent design and streamlined creativity.«
25Vgl. zu dieser Argumentation etwa Holert: »Unmittelbare Produktivkraft? Künstlerisches Wissen unter Bedingungen der Wissensökonomie«, in: Peters (Hg.): Das Forschen aller, 2013, S. 225-238.
26Bippus: Kunst des Forschens, 2009, S. 8.
27Lesage: Akademisierung, in: Badura, Dubach, Haarmann et al. (Hg.): Künstlerische Forschung: Ein Handbuch, 2015, S. 222.
28Lyotard: Das postmoderne Wissen, 1986, S. 24.
29Lyotard: Das postmoderne Wissen, 1986, S. 131.
30Lyotard: Das postmoderne Wissen, 1986, S. 79.
31Lyotard: Das postmoderne Wissen, 1986, S. 35.
32Lyotard: Das postmoderne Wissen, 1986, S. 173.
33Bippus: Künstlerische Forschung, in: Badura, Dubach, Haarmann et al. (Hg.): Künstlerische Forschung: Ein Handbuch, 2015, S. 65.