Praktische Wende – doing art
Atelierbesuche oder die Tätigkeit beim Einsehen
Was tun Künstlerinnen und Künstler? Worin besteht die besondere Praxis der Kunst? Und – was charakterisiert die spezifische Tätigkeit des künstlerischen Forschens? Betrachten wir die Orte und Abläufe des künstlerischen Tuns, um zu verstehen, worin diese Praxis der Kunst besteht und wodurch sie Einsichten generiert. Kneifen wir die Augen zusammen, wie beim Taxieren eines unfertigen Bildes, um von den bekannten Gehalten in der Szene des Kunstmachens abzusehen und die methodischen Strukturen zu erkennen, die wirksam sind, wenn in der Kunst gearbeitet wird. Das Zusammenkneifen der Augen hilft beim Betrachten. Es dient auch den Künstlerinnen und Künstler zur Beurteilung ihrer Arbeit, weil es den Blick verschleiert. Alles an der vorliegenden Szene wird mit zusammengekniffenen Augen verschwommen. Auf der digitalen Leinwand oder dem analogen Schauplatz sind nicht mehr die Inhalte zu sehen, die Figuren, Berge oder Gesichter, nicht die Dinge, die wir immer schon zu kennen meinen, sondern Farbkompositionen, Formenmuster, Bewegungssequenzen und Liniendichten. Es treten formalästhetische Prinzipien hervor. Eine solche formale, gleichsam unkundige Weise des Musterns kennzeichnet nicht nur den prüfenden künstlerischen Blick auf das eigene Werk, sondern auch die Arbeit der Ethnologen. Ethnologen ist der unkundige, formalästhetische Betrachtungsmodus unweigerlich mit auf den Forscherweg gegeben, denn sie können nicht anders. Sie kennen die Sachverhalte nicht, die sie beurteilen wollen. Sie mustern mit ungeübten Augen die fremden Kulturen und begreifen die Gehalte der Gegebenheiten nicht, die sich vor ihnen abspielen. Im Modus dieser Unkenntnis betrachten sie ihren Forschungsgegenstand. Der ethnologische Blick ist die Kunst des anderen Sehens. Begegnen wir also der Kunstpraxis ethnologisch. Kneifen wir die Augen zusammen, um das künstlerische Tun in seiner weniger bekannten Dimension als Praxis des Forschens zu verstehen.
»Im Atelier war ich auf mich selbst gestellt« notiert der Künstler Bruce Nauman. »Das warf dann die grundlegende Frage auf, was ein Künstler tut […] An diesem Punkt rückte die Kunst als Tätigkeit gegenüber der Kunst als Produkt in den Vordergrund. Das Produkt ist nicht wichtig für das eigene Bewusstsein.«1 Diese Erklärung aus dem Innern des Ateliers bietet einen ersten Hinweis darauf, dass aus der Perspektive von Künstlerinnen und Künstlern mitunter die Praxis und nicht das Werk im Zentrum dessen steht, was wir in einem vergegenständlichenden Sinne ›Kunst‹ zu nennen gewohnt sind. Wenn wir diese Praxis in den Mittelpunkt der Kunstbetrachtung rücken wollen, um das Forschen in der Kunst als eine spezifische Tätigkeit zu reflektieren – und um damit zugleich und notwendig eine praxologische Ästhetik zu befürworten, stehen wir vor dem Problem der Singularität. Ebenso wie in den Laboratorien der wissenschaftlichen Einrichtungen, in denen die Ethnologen schon gestöbert haben, so lassen sich auch beim Stöbern in den Ateliers unterschiedliche Arbeitsweisen finden. Die Aufgabe der Beobachtung besteht nicht darin, eine einzelne, originär künstlerische Praxis und Forschungsweise zu extrahieren und als Sonderbarkeit der Kunst zu präsentieren, sondern exemplarisch das Tätige des Kunstens verständlich zu machen und dieses in manchen Fällen als ein Forschen zu erkennen. Die Faktizität des Tuns ist als konstitutiv für die Sache der Kunst zu entdecken und in bestimmten Fällen als Forschung einzugrenzen.
Doch konkrete Erfahrungen mit Künstlerinnen und Künstlern der Gegenwart lehren nun auf irritierende Weise, dass gar keine großen Handlungen in den Atelierräumen mehr stattfinden. Der Atelierbesuch im 20. und 21. Jahrhundert ähnelt mitunter der Stippvisite bei einem Buchhalter. Wenig expressiv, oft formal wird hier operiert. Die Materie, die bearbeitet wird, steht den Händen nicht greifbar entgegen – nicht feuchter Ton, nicht dicke Farbe, nicht sperriges Holz, sondern artikuliertes Konzept. Es klingelt das Telefon, während der Atelierbesucher am Konferenztisch platziert wird. Vielleicht läuft ein Rechner und zu sehen sind die Einteilungen des Bildschirms in Schnittbalken, Quellmaterial und Bearbeitungssequenzen durch ein Videoschnittprogramm. Das Programm erinnert mit seinen ›Werkzeugpaletten‹ an abwesende, ehemals fassliche Werkstattwelten. Die Welt der Malerpalette und die Welt der Handwerkszeuge. Die gegenwärtigen digitalen Instrumente aber operieren auf ihrer Benutzeroberfläche mit anachronistischen Metaphern. Eine analoge Beziehung zwischen Hardware und Software wird suggeriert, mittels des ›Schreibtischs‹, auf dem – wie auf einem hölzernen Pult – ›Dokumente‹ und ›Ordner‹ abgelegt werden oder mit ›Werkzeugen‹, die – wie im Bastelraum – bereitgelegt sind, um Bilder zu ›beschneiden‹ oder Textfelder ›aufzukleben‹. Das alles aber sind nur Worte auf virtueller ›Oberfläche‹. Vom Rechner schweift der Blick durch den Atelierraum und den Betrachtenden fällt auf, dass ein Bücherregal zu einem guten Anteil in verschiedenen Bereichen des Ateliers verteilt liegt. Skizzierte Diagramme heften mnemotechnisch an den Wänden. Ausdrucke eines Antrags auf Projektförderung stecken im Drucker. Zeitschriften, Magazine und aus ihnen herausgerissene und aufeinander gelegte Seiten, Fotos von Alltagsszenen, Bildbände der Kunstgeschichte und Dokumentarfotografie stapeln sich auf dem Boden, während die Aktenordner mit Projektnamen und Ausstellungskataloge so wohlgeordnet dastehen, wie andernorts die selbst verfassten Monografien. Das Atelier ist kein abgeschlossener Ort introvertierter Schöpfungsakte. Es ist Büro und Archiv, Präsentationsstätte und Versammlungsraum oder wie die Kunsttheoretikerin Elke Bippus diagnostiziert: »In Anbetracht aktueller avancierter Kunstproduktionen und Praxen in der Kunst […] ist die Vorstellung vom Atelier als geschlossener Einheit von Werk und Künstler […] nicht mehr aufrecht zu erhalten. Das Atelier ist vielmehr von den Strukturen des Kunstsystems durchdrungen.«2 Das System Kunst speist Förderungsanträge ins Atelier und disponiert Erwartungshaltungen an Kontexte, Sachen und Verhaltensweisen.
Das Atelier ist ein Knotenpunkt im Netzwerk von Bezügen im Kunstfeld. Und entsprechend mutet das Arrangement von Dingen, die auf Tätigkeiten verweisen, welche zur Kunst führen, häufig gewöhnlich an. Die Auslegeordnung der Dinge verweist auf Kommunikation. Die künstlerische Praxis scheint abgemischt aus diversen Sequenzen des Hörens und Reagierens, des Fern- und Nahsehens, dem Ergreifen und Ergriffensein von Bildern und Situationen, dem Lesen in kulturellen Traditionen und Ermessen von gesellschaftlichen Räumen, dem Kommunizieren durch das Filmen, Zeichnen, Fotografieren, das Austauschen von Bildern, Verschicken von Texten oder Agieren im Kontext. Ein stetes und mitunter kleinteiliges Geben und Nehmen von immateriellen und materiellen Symbolen, die sich im Prozess des Bearbeitetwerdens zu Kunst als einer Position verklumpen. Während der Austausch mit der Welt durch verschiedene Mittel und Handlungsweisen vonstatten geht, bilden sich in der künstlerischen Arbeit Darstellungen, Bilderserien, performative Ideen. Im künstlerischen Prozess ›bildert‹ sich eine künstlerische Position im Prozess der Bilderzeugung durch das Erstellen, Prüfen, Herausstellen, Verwerfen, Entwickeln, Arrangieren, Modifizieren, Verbinden und Präsentieren von Darstellungselementen. Auf diese Weise können wir also das – im Grunde sehr gewöhnliche – Tätigsein im Atelier herausschälen und in seinen materiellen wie immateriellen Komponenten feststellen. Es bildern sich Sachen und Konzepte durch das kommunikative, performative und produktive Handeln.
Doch bildern sich durch diese Prozesse des Bearbeitens und Bearbeitetwerdens von Sachen und Konzepten am Ende auch Einsichten und kann von daher das Bildern als forschende Tätigkeit verstanden werden? Generieren diese tätigen künstlerischen Arbeitsformen materielle und immaterielle Verknüpfungen, die als Zusammenhänge von Welt einsehbar werden? Erbringt das Verbinden, Verwerfen und neuerliche Arrangieren von Bildprodukten visuelles Verstehen? Wie ist die Beziehung zwischen Einsehen und Praxis zu denken?
Über ein produktives Verhältnis von tätiger Praxis und verständiger Einsicht berichtet in einem sehr bekannten kleinen Text schon im 19. Jahrhundert der Literat und Denker Heinrich von Kleist. Ihm geht es dabei nicht um die tätige Kunst und ihr Einsichtsvermögen, sondern um die Theorie und ihre Praxis. Gleichwohl ist die Beschreibung von Kleists über die Praxis der Theorie aufschlussreich für ein Verständnis der Kunstpraxis als einer einsichtigen Forschung. Kleist will theoretisches Erkennen als eine Tätigkeit beschreiben, in deren Verlauf sich das Verstehen durch die Arbeit des Herausstellens und Artikulierens von Standpunkten einstellt. Er schildert den intellektuellen Vorgang, der bei der allmählichen Verfertigung des Gedankens stattfindet. Verstehen ist für Kleist ein Verlauf »während die Rede fortschreitet, von der dunklen Vorahnung, die einer hat, bis zur Erkenntnis«3, die zu Kleists Erstaunen dann mit der Beendigung der Rede fertig ist. »Ich mische unartikulierte Töne ein«, so notiert er über das Redegeschehen, das als Praxis des Verstehensprozesses durchdacht wird. Ich »ziehe die Verbindungswörter auseinander, gebrauche wohl eine Apposition, wo sie nicht nötig wäre, und bediene mich anderer, die Rede ausdehnender, Kunstgriffe, zur Fabrikation meiner Idee auf der Werkstätte der Vernunft, die gehörige Zeit zu gewinnen«. Die Rede wird bei von Kleist als Austragungsort und Ermöglichungsbedingung des Gedankens geschildert. Die Dichte der kleistschen Beschreibung des theoretisierenden Redevorgangs erlaubt es gleichsam zuzusehen, wie beim Stammeln und Sammeln von Worten die Gedanken gebildet werden, obwohl – oder eben weil – der Autor bloß formale Tätigkeitsverläufe schildert: Er beschreibt das Erstellen von Lücken im Redefluss, um darauf aufmerksam zu machen, wie das Denken im Reden Zeit gewinnt, ein Denken, das sich ohne den stammelnden Redefluss nicht in Klarheit entfalten kann. Im Akt des Denkens bildet sich die Einsicht heraus. Die Rede ist daher die »Werkstätte der Vernunft«, ein Arbeitsplatz des Denkens. Wenn Kleist uns auf die tätige Verfertigung des Gedankens im Fabrikationsprozess der Rede aufmerksam macht und damit eine Praxis des Erkennens nahe legt, so führt er uns nicht die Rede eines öffentlichen Referenten vor Augen. Kein namenloses Publikum wird mit »gedehnten Pausen« und labyrinthischen Einschüben irritiert. Kleists Stammeln wendet sich an ein »Antlitz«. Er wendet sich an seine Schwester, die hinter ihm an ihrem Schreibtisch sitzt und arbeitet. Man kann sich diese Szene vorstellen: Der in Gedanken versunkene Kleist, festgefahren in einem noch formenlosen Ideenschwarm, wendet sich um, die Schwester aus ihrer Arbeit aufstöbernd, so dass diese aufblickt und zunächst noch mit eigenen Gedanken beschäftigt nur halben Ohres, dann aber notgedrungen immer aufmerksamer dem Stammeln und den Halbsätzen ihres Bruders mit hochgezogenen Augenbrauen folgt: Was willst Du mir also sagen? »Es liegt ein besonderer Quell der Begeisterung für denjenigen, der spricht, in dem menschlichen Antlitz, das ihm gegenübersteht«, legt sich der Bruder die Güte an dieser Aussprache zurecht: »Ein Blick, der uns einen halb ausgedrückten Gedanken schon als begriffen ankündigt, schenkt uns oft den Ausdruck für die ganz andere Hälfte desselben.« Kleist schlägt uns vor, darüber nachzudenken, inwiefern eine Erkenntnis im Reden mit einem konkreten, gleichsam sensorisch antwortenden Anderen herausgearbeitet wird. Diese Erkenntnis entspränge einem intersubjektiven Verhandeln mit Begriffen, sowie deren Relationen und dem Augenkontakten mit dem Gegenüber. Es kommt in diesem Prozess jene, sich im Sprechen allmählich verfertigende Rede und das im Verfertigen am Anderen sich prüfende Sprechen als Gedankenbildungsprozess zusammen.
Auch unter zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern ist diese Arbeitsweise zu beobachten, die am Anderen den eigenen Kunstprozess und dessen Positionen überprüft. Künstlergruppen funktionieren wie die Bürogemeinschaft der von Kleists. Beseelt von unausgegorenen Vorstellungen legen sich Künstlergruppenmitglieder Projektideen oder Bildoptionen vor wie Schriftsteller Sätze. Nicht wenige verfertigen im gemeinsamen Austausch ihrer Gedanken, Skizzen und Darstellungsvarianten. Ihr gegenseitiges Antlitz verhilft ihnen zur Einsicht und allmählichen Verfertigung ihrer Projekte. Sie versuchen sich und ihre »künstlerische Rede« am wohlwollenden und zugleich prüfenden Anderen. Die Versuchsanordnung ihrer Ideenfindung ist nicht nur eine »Quelle der Begeisterung«, sondern als »Werkstätte der Vernunft« zugleich auch eine Fabrik künstlerischer Argumente – ikonischer, performativer oder objekthafter Einsichten.
Kleists Einsicht in die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden macht nachvollziehbar, dass das Denken kein Ereignis ist, sondern eine Praxis, die sich im Vollzug der Artikulation erst ereignet und zugleich überprüft. Verstehen erweist sich als Tätigkeit und nicht als Resultat. Erkenntnis entfaltet sich in der Praxis des ausgedrückten Denkens. Übertragen auf künstlerische Einsichten, bedeutet diese Behauptung von Kleists, dass künstlerisches Verstehen einherginge mit artikuliertem künstlerischem Tun – es läge mithin die künstlerische Forschung im tätigen Kunsten als einem sich ästhetisch Ausdrücken. Kleist nennt seine Verfertigung des Gedankens in der Rede nicht Forschung. Doch der beschriebene Prozess des Entwickelns von Worten und Sätzen und deren Überprüfung am Antlitz des Anderen reflektiert jenes Prozedere, mit dem sich das Forschen durch das Herausstellen von Zwischenergebnissen und Handlungsweisen entfaltet und dabei auf Überzeugungskraft oder Tragfähigkeit hin selber untersucht. Gedankliches oder künstlerisches Forschen probiert sich auf diesem Weg der Erkenntnis aus. Folgt man der Beschreibung von Kleists, sind diese Tätigkeiten des Herausstellens keine dem Erkennen bloß vorgelagerten Instrumente des Entdeckens, sondern das Einsehen im Kunstprozess ist ein Aspekt der Tätigkeit – ein regulativer Fluchtpunkt auf dem Weg des fortschreitenden Verstehens. Dieser praxische Charakter des Erkenntnisprozesses macht das Forschende der Forschung aus. Man möchte bei der Forschung daher immer nach den Praktiken fragen und was sie mit den Einsichten machen, die sich in ihnen entfalten. Auch Philosophinnen und Philosophen forschen mit und durch ihre Praxis und man kann ihnen bei der Lektüre ihrer Bücher gleichsam bei diesem prüfenden, herausstellenden Denkprozess zuschauen. Die Prozeduren der theoretischen Erkenntnisse werden nachvollzogen, wenn man erkennt, wie Argumente sich aneinander reihen und aufeinander aufbauen, wie Begriffe erwogen und an ihren Gebräuchen ermessen werden, wie Bezüge zu Sachverhalten und Texttraditionen hergestellt werden, wie Exkurse probehalber Vorstellungsräume öffnen und zurückkehren zu den Hauptüberlegungen, nicht ohne diese um weitere Aspekte anzureichern, so dass sich Satz für Satz die Erkenntnis am Gebrauch der Texttradition hinterfragt und überprüft. Aus dieser textlichen Arbeit ergibt sich die Fabrikation theoretischer Erkenntnis in der Tätigkeit des begrifflichen Forschens.
Die Einsichten zum tätigen Charakter des Erkenntnisprozesses lassen uns auch im Feld der Kunst den praxischen Charakter einer möglichen Wahrheitsproduktion als einem Herstellen, Überprüfen und Aushandeln identifizieren. Künstlerinnen und Künstler treten, anders als Theoretikerinnen und Theoretiker, nicht mit Begriffen in überprüfende und entwickelnde Aushandlungsprozesse, sondern mit Dingen, die etwa als Kameraobjektive, Rechnerbildschirme oder Zeichenstifte in ihren Qualitäten und Möglichkeiten die Verfahren der ästhetischen Forschung kanalisieren und intensivieren. In diesen Verfahren des medialen – nicht begrifflichen – Forschens sind Kunstakteure die Initiatoren eines Geschehens und Umgehens mit Welt, an dem die medialen Werkzeuge ebenso Anteil haben, wie die tätigen Künstlerinnen und Künstler. Walter Benjamin, der aufmerksame Beobachter neuer Darstellungstechniken, hat in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die erforschende Dynamik der neuen filmischen Optik registriert, als er schrieb, dass »die Kamera mit ihren Hilfsmitteln, ihrem Stürzen und Steigen, ihrem Unterbrechen und Isolieren, ihrem Dehnen und Raffen des Ablaufs, ihrem Vergrößern und ihrem Verkleinern« in die Untersuchung von Raum und Zeit eingreift. Für Benjamin bringt die Vergrößerungstechnik der Kamera nicht das Bekannte nahe, sondern »völlig neue Strukturbildungen der Materie zum Vorschein« und es wird handgreiflich, »daß es eine andere Natur ist, die zu der Kamera als die zum Auge spricht«4. Die filmische Bildergenese erzeugt für Benjamin ein Verstehen, welches mit den Mitteln der künstlerischen Praxis und den Beschaffenheiten der künstlerischen Medien herausgearbeitet wird. Als Ergebnis der Analyse künstlerischen Geschehens im Atelier kristallisiert sich heraus, dass die künstlerische Praxis mit dem Instrumentarium der Bildererzeugung des 21. Jahrhunderts bildernd in die Begreifbarkeit der wahrnehmbaren Facetten der Welt tritt und sich einen Weg in die Komposition und das Arrangement von Artefakten bahnt. In der künstlerischen Praxis und im Gebrauch der künstlerischen Mittel ist eine Tätigkeit im Umgang mit Welt am Werk. Doch mitnichten scheint dieses tätig bearbeitete Seiende als Bildnis und Gegenstand des Kunstverstehens ein bloß gegenständliches Kunstwerk – ein Gemälde, eine Skulptur, eine Installation – zu sein. Worte werden geformt, Beobachtungen kultiviert, Sequenzen konferieren, Räume durch Wegstrecken angeeignet und in Darstellungen verdichtet. Es wird verhandelt, mit der Welt, den Artefakten und der Fachgemeinde mittels der Wahrnehmung, Reflexion, Kameraeinstellung und Skizze und dabei in Darstellung gebracht. Es scheint durch diese Tätigkeiten in der Kunst ein Prozess des formierenden Einsehens möglich, der das Geschehen als bilderndes Forschen begreiflich macht. Durch ein Gewebe von Handlungen, Verständigungen und der Herstellung von Bildern sowie Szenen – wird Einsehen gebildet. So kommt es zumindest den Betrachtenden mit den halb zugekniffenen Augen im Atelier vor, die beobachten, dass die Kunst aus bildnerischen Tätigkeiten besteht, die mitunter zu Einsichten führen und sich in Darstellungen konsolidieren. Diese Beobachtungen – über die Kunst als Tätigkeit und das Einsehen als Verfahren – erweisen sich als Wegmarken für das Verständnis des künstlerischen Forschens, denen es weiter zu folgen gilt:
Von Kunst als geistig produzierter Tätigkeit
»Das Kunstwerk sei kein Naturprodukt, sondern durch menschliche Tätigkeit zuwege gebracht.«5 Georg Wilhelm Friedrich Hegel vertritt in seinen Vorlesungen über die Ästhetik diese, wie es scheint, banale Auffassung, dass die Kunst weder vom Himmel falle, noch aus dem Boden wachse, sondern das Resultat humaner Aktivitäten sei. Und entsprechend findet diese Feststellung gemäß ihrer vermeintlichen Trivialität ihren Niederschlag unter der Rubrik der »gewöhnlichen Vorstellungen von der Kunst« in der Einleitung der Ästhetik und sie dient Hegel im Wesentlichen dazu, eine Zäsur zum Naturschönen zu markieren. Das Naturschöne und das Kunstschöne unterscheiden sich durch die Differenz ihrer jeweiligen Ursprünge und wurden doch fälschlicherweise beide im Rahmen der traditionellen Ästhetik behandelt. Erzeugt in bewusster menschlicher Tätigkeit das Kunstschöne und geworden in geistlosen Prozessen das Naturschöne. Auch der Kunsttheoretiker Konrad Fiedler beginnt ein halbes Jahrhundert später seine Ästhetik mit dieser wesentlichen Unterscheidung zwischen gefundener Natur und gemachter Kunst, wenn er schreibt, »die Beurteilung eines Kunstwerks, als eines Erzeugnisses menschlicher Kraft, muß von anderen Voraussetzungen ausgehen, als die Beurteilung eines Naturproduktes.«6 Beide Theoretiker denken das humane Tun als Charakteristikum der Kunst. Es scheint, dass in der Ästhetik die praxologische Aufmerksamkeit auf die Tätigkeit der Künstler in dem Maße erwacht, wie sich der Fokus verschiebt von der Kategorie des wahrnehmbaren Schönen hin zur Kategorie der Herkunft der Objekte. Hegel wie Fiedler interessieren sich dafür, wie etwas wird und nicht nur wie wir es erfahren, weil die Genese dessen, was wir erfahren, der Erfahrung und Sache nicht äußerlich bleibt. Ästhetische Erfahrung wird zu einem Faktor zweiter Ordnung, die hinter den Faktor der Entstehungsweise des zu Erfahrenen zurücktritt. Warum kommt es zu dieser Perspektivverschiebung, in deren Folge sowohl die Natur wie auch die Schönheit in der Ästhetik an Bedeutung verlieren, zugleich aber die künstlerische Praxis und die epistemologischen Qualitäten des Kunstwerks an Gewicht gewinnen? Hegel wie Fiedler interessieren sich für Ästhetik unter dem Geschichtspunkt einer produktiven Epistemologie. Beide gehen davon aus, dass der Mensch sich und die Welt nicht durch passive Anschauung erkennt, sondern durch das produktive Herausarbeiten. Es ist daher die intentionale Arbeit als Wahrheitspraxis, welche diese Theoretiker an der Ästhetik fesselt, und damit die Kunst und nicht die Natur sowie die Tätigkeit und nicht die Schönheit in Betrachtung ziehen lässt.
Hegel geht es in seiner Ästhetik um die Darstellung des absoluten Geistes. Und er findet den Geist in der Kunst und zwar insofern, wie diese als humanes Produkt erkannt wird. Anders als die (schöne) Natur, die ein materiell Gegebenes ist, erweist sich die schöne Kunst für Hegel als ein aus dem Geiste gemachtes Materielles. Was uns an dieser hegelschen Grundauffassung zum geistig durchwirkten Charakter der materiellen Kunst interessiert und was für eine gegenwärtige epistemologische Ästhetik inspirierend wirkt, ist zweierlei: die Aufmerksamkeit auf das Tätige im Künstlerischen und die Bestimmung dieses Tätigen als einem Reflexivem. Hegel geht es mit seiner Aufmerksamkeit auf die Tätigkeit in der Kunst nicht um die gleichsam gedankenlose Fertigkeit von Kunstschaffenden. Es geht ihm ausdrücklich nicht um die handwerklichen Tätigkeiten im Künstlerischen. Anders gesprochen: die Kunst wird nicht zur Praxis durch die intuitive Betätigung des Künstlers an feuchtem Ton, dicker Farbe oder sperrigem Holz. Hegel geht es um die Kunst als einem Produkt geistiger Tätigkeit, in deren Folge das Werk als sinnlich wahrnehmbares Ergebnis in Erscheinung tritt. Es geht ihm um die Idee im Kunstwerk. Im künstlerisch gewordenen Erzeugnis schlägt sich geistige Anschauung sinnlich nieder. Mit der Kunst wird eine Praxis namhaft, die als Wahrheitspraxis für Hegel relevant ist. Das Werk ist nicht einfach da, sondern Effekt geistiger Arbeit und darin Verkörperung kultureller Anschauungen, die sich in ihm sinnlich kommunizieren.7 Kunst ist – unter diesem Blickwinkel betrachtet – eine epistemologisch gehaltvolle Praxis, die nicht alleine physisch, sondern auch geistig wirkt, und die durch die Tätigkeit des Kunstens humanes Selbstverständnis auszudrücken vermag.8 In den Worten Hegels, der damit schon im 19. Jahrhundert die rein sinnliche Dimension des materiellen Werks zurückweist und das Konzept in den Mittelpunkt der ästhetischen Betrachtung rückt: »… die Seite äußerlicher Existenz ist es nicht, die ein Werk zu einem Produkt der schönen Kunst macht; Kunstwerk ist es nur, insofern es, aus dem Geiste entsprungen, nun auch dem Boden des Geistes angehört, die Taufe des Geistigen erhalten hat und nur dasjenige darstellt, was nach dem Anklange des Geistes gebildet ist.«9
Aus dem Geiste aber »springt« das Werk und »bildet sich« durch das tätige ins-Werk-setzen der Künstlerinnen und Künstler – so könnte man den praxisästhetischen Effekt von Hegels Kunsttheorie zusammenfassen. Kunst ist human gebildeter, sinnlich wahrnehmbarer, materialisierter Ausdruck des kulturellen Geistes. Damit forscht die Kunst bei Hegel keineswegs in dem Sinne, dass sie in ihrem tätigen Prozess etwas Unerkanntes entdeckt. Aber sie bringt kulturelles Selbstverständnis und damit die Wahrheit einer gegebenen Zeit handelnd zum Ausdruck. Die hier vorgestellte Lektüre der »Vorlesungen über die Ästhetik« will vor allem zwei Gedanken Hegels fruchtbar machen für ein gegenwärtiges Verständnis von Kunst als einer Tätigkeit: den Gedanken, dass sich Konzept, Idee oder auch Geist im Kunstwerk kommunizieren, dass mithin die Kunst Anteil an der kulturellen Wahrheitsartikulation hat, und den Gedanken, dass dieses spezifische, kommunikative Material, das da als Kunstwerk aus der künstlerischen Praxis entsteht, ein wesentlich erarbeitetes, gewordenes, produziertes ist. Dieser Produktcharakter, der auf die Verfahren der künstlerischen Werkerzeugung verweist, erlaubt es letztlich abzusehen vom ausschließlichen Blick auf die Werke als Objekte und hinzusehen auf die Tätigkeiten der Akteure der Kunst, die als Wahrheitspraktiker kenntlich werden.
Wenn mit Hegels praxischem Kunstverständnis geistige Arbeit und körperliche Tätigkeit in der Gestaltung von Materie zusammenfallen, tritt schon im 19. Jahrhundert eine bemerkenswert konzeptuelle Anforderung an die Form-Inhalt-Relation der Kunst zutage. Kunst bestimmt sich schon für Hegel nicht durch irgendeine besondere Materie, wie etwa die Farbe auf Leinwand oder den Marmor als Figur. Obwohl Hegel die Phantasie zu einem erweiterten Kunstbegriff fehlte, ist doch aus der Logik der hegelschen Bestimmung heraus die Kunst nicht als Malerei, Bildhauerei oder Klangwerk bestimmt, sondern durch das formal angemessene Ins-Werk-Setzen einer Idee – Konzeptkunst gewissermaßen. Entsprechend dieser konzeptuellen Form-Inhalt-Relation des Künstlerischen »ergibt sich sogleich nach der Seite des Inhalts, daß die schöne Kunst nicht könne in wilder Fessellosigkeit der Phantasie umherschweifen, denn die geistigen Interessen setzen ihr für ihre Inhalte bestimmte Haltepunkte fest, mögen die Formen und Gestaltungen auch noch so mannigfaltig und unerschöpflich sein.«10 Das gleiche gilt nach Hegel auch für die Formen selbst: »Auch sie sind nicht dem bloßen Zufall anheimgegeben. Nicht jede Gestaltung ist fähig, der Ausdruck und die Darstellung jener Interessen zu sein, sie in sich aufzunehmen und wiederzugeben, sondern durch einen bestimmten Inhalt ist auch die ihm angemessene Form bestimmt.«11
Für Hegel führt dieser Anspruch an ein »wahrhaftes« Entsprechungsverhältnis von Idee und Darstellung zur bekannten Diagnose, dass in der klassischen griechischen Antike die Kunst zu ihrer Vollendung kam, weil die figürliche Form der antiken Skulptur dem kulturellen Selbstverständnis der Zeit entsprach und mithin die antike Idee der Humanität als Figur mit der Materie der Figurine zusammenfiel. »Der menschliche Körper gilt in der klassischen Kunstform nicht mehr bloß als sinnliches Dasein, sondern als Dasein und Naturgestalt des Geistes.«12 In der klassischen Antike mag der Geist der Zeit im Figürlichen gelegen haben, wie Hegel dies annahm. Die Gegenwart des 21. Jahrhunderts aber hat es mit einer allumfassenden visuellen Kultur zu tun, die Hegel nicht vorhersehen konnte. Es könnte also die Frage gestellt werden, inwiefern diese aktuelle umfassende Kultur des Ikonischen als »Dasein und Naturgestalt des Geistes« angesehen werden könnte und ihren formal angemessenen Darstellungsraum in der visuellen Kunst findet. Inspiriert von Hegels Konzept einer gegenseitigen Durchdringung von Idee und Darstellung könnte es der gegenwärtigen bildenden Kunst darum gehen, durch menschliche Tätigkeit die Idee der visuellen Kultur mittels der Bearbeitung und Formierung von Materie herauszuarbeiten. Was Hegel allerdings nicht bedachte, ist, dass die Tätigkeit des Kunstens nicht nur die Wahrheit des humanen Selbstverständnisses im Werk artikuliert, sondern auch diese Wahrheit zuallererst mittels ihres Tätigseins herausarbeitet. Hegels Erwartung an die Kunst, eine Darstellung zu sein, korrespondiert mit seiner Vorstellung von Wissen über die Idee als einer Gelehrtenweisheit, bei welcher die Idee, die es auszudrücken gilt, durch das Meisterstudium zum Künstler kommt und nicht von diesem selber durch künstlerische Tätigkeit gefunden wird. »So ist es wiederum das Studium, wodurch der Künstler den Gehalt [seiner Werke] zu seinem Bewusstsein bringt und den Stoff und Gehalt seiner Konzeption gewinnt,«13 schreibt Hegel zum Verhältnis von Wissen und Ausdruck oder eben Idee und Darstellung. Die Wahrheitspraxis der Kunst ist in der hegelschen Auffassung eine Tätigkeit, in der die Wahrheit sinnlich reformuliert wird. Die dargestellte Idee hat dabei ihren Ursprung nicht in der künstlerischen Arbeit. Wir halten daher fest, dass ein Unterschied zwischen einer künstlerischen Tätigkeit als materiell lancierter geistiger Artikulation besteht und einer künstlerischen Tätigkeit als materiell lancierter intellektueller Forschung. Eine praxologische Ästhetik kann auf Hegel aber insofern zurückgreifen, wie in dessen Vorlesungen das Augenmerk auf die tätigen Verfahren der Kunst lenken und diese Verfahren als wesentlich für die Kunst bestimmen.
Konrad Fiedler geht weiter: für ihn ist Kunst nicht alleine als humane Tätigkeit bestimmt, sondern diese erweist sich als Erkenntnisprozess. »Die Kunst tritt ebenso notwendig wie die Wissenschaft in dem Augenblick auf, in dem der Mensch für sein erkennendes Bewußtsein die Welt zu schaffen gezwungen ist.«14 Kunst, Daseinsgestaltung und Erkenntnis fallen in Fiedlers praxologischer Kunsttheorie zusammen und er schreibt schon im ausgehenden 19. Jahrhunderts von der Kunst in einer Weise als Forschung, die an die kritische Wissenschaftstheorie und die epistemologische Ästhetik des 20. und 21. Jahrhunderts erinnert: »Kunst ist so gut Forschung, wie die Wissenschaft, und die Wissenschaft ist so gut Gestaltung, wie die Kunst.«15 Der Kunsttheoretiker, der so viel Künstler, seiner Zeit beeinflusst hat, aber wenig Einfluss auf die Geschichte der Ästhetik hatte, weist in der Bestimmung dessen, was Kunst ausmacht, nicht nur die Werk- oder Rezeptionsästhetiken zurück, die von den Produktionsprozessen in der Kunst absehen. Fiedler pariert auch die bourgeoise Vorstellung von der Kunst als einer überschüssigen Dekoration. Bildende Kunst ist nicht Ornament, sondern humane Notwendigkeit als Wahrheitspraxis.
Intensiver noch als Hegel setzt sich Fiedler tatsächlich im Detail mit dem spezifischen Charakter der Kunst als einer Tätigkeit auseinander. Er versucht zu bestimmen, warum die Kunst als tätige kulturelle Praxis verstanden werden muss – weil sie nämlich einem notwendig gestaltenden menschlichen Erkenntnisbedürfnis entspringt – und was das Besondere dieser künstlerischen Tätigkeit ausmacht – nämlich ihre »psychophysische« Qualität. Fiedlers zentralen Schriften beanspruchen die bildende Kunst16 insgesamt auf die sinnstiftenden Aktivitäten der Kunstschaffenden zurückzuführen und abzusehen von den Werken oder den Erfahrungen der Betrachter. In den Aphorismen fasst er seinen praxistheoretischen Ansatz zusammen, wenn er schreibt: »Die Missverständnisse der bisherigen Kunstphilosophie kommen daher, daß die Kunst von der Seite der Wirkungen aufgefasst worden ist und man aus der Wirkung auf die Art der Entstehung zurückgeschlossen hat; […] Im Gegensatz dazu muß eine besonnene Kunstphilosophie die Kunst von der Seite ihrer Entstehung fassen…«17
Kunst ist die künstlerische Tätigkeit der Künstlergemeinde – so ließe sich die Argumentation zum Charakter der Kunst zusammenfassen – während die ästhetischen Erfahrungen der Betrachtenden – die Wirkungen der Kunst – zweitrangig werden. Auch die Werke stellen sich für Fiedler vor dem Hintergrund des Primats der künstlerischen Handlung nur als momenthafte Kristallisationspunkte des gestaltenden Ausdrucks dar. Die Kunstdinge markieren nicht das Wesen der Kunst: »Die geistige künstlerische Tätigkeit hat kein Resultat, sondern sie ist das Resultat.«18 Der fortlaufende Prozess künstlerischer Tätigkeiten ist im Rahmen dieser Betrachtungsweise das praxische Wesen der Kunst. Seine Beurteilung der bildenden Kunst kulminiert in der bekannten Vokabel der »Ausdrucksbewegung«. Die Idee zur »Ausdrucksbewegung« greift Fiedler aus philosophischen Theorien zur Wirkungsweise der menschlichen Sprache auf19 und entwickelt an dem Begriff eine Theorie zum spezifischen Charakter des künstlerischen Tuns als einer zugleich geistigen wie körperlichen und produktiven Artikulation. Die Ausdrucksbewegung ist eine innere Arbeit des Bewusstseins und ein körperliches Verfahren, dass sich äußerlich wahrnehmen lässt. Sie manifestiert sich in Dingen und erhöht dabei zugleich die Vorstellungswelt des Bewusstseins. Die Ausdrucksbewegung sei dabei nicht als Abfolge von zunächst geistiger Reflexion und anschließender physischer Handlung zu verstehen, denn. »der Sinn der Ausdrucksbewegung kann also nicht der sein, daß sich ein Inhalt geistiger Herkunft in seiner Bewegung körperlicher Organe ein Zeichen seines Daseins, einen Ausdruck seiner Bedeutung verschaffte, vielmehr können wir in der Ausdrucksbewegung nur eine Entwicklungsstufe eines psychophysischen Prozesses anerkennen.«20
Die so bestimmte Ausdrucksbewegung transzendiert als prozessuale »Bewegung« und mentaler »Ausdruck« in der bildenden Kunst den Leib-Seele-Dualismus, indem sie als fortlaufende Entwicklung zugleich seelischer wie körperlicher Vorgänge angenommen wird. Entscheidend ist in diesem Prozess der Chiasmus, mit dem sich für Fiedler körperliches Gestalten und geistiges Bewusstwerden überkreuzen und dabei zugleich Sachen und Einsichten produzieren. Für die epistemologische Ästhetik stellt sich die Frage, inwiefern die Vokabel der »Ausdrucksbewegung« nutzbar gemacht werden kann für ein gegenwärtiges Verständnis von künstlerischer Praxis, weil das Wort auf semantischer Ebene den reflexiv-aktiven Charakter artikuliert, um dessen Bestimmung es auch bei einer spezifisch forschenden künstlerischen Tätigkeit geht. Im Verhältnis zu den gegenwärtig gebräuchlichen, jedoch technisch klingenden Termini von »künstlerischen Verfahren« oder »Arbeitsweisen« bietet sich die »Ausdrucksbewegung« als Begrifflichkeit für eine gleichsam inhaltsschwere Praxis an – einerseits. Andererseits konnotiert die fiedlersche Vokabel mit dem »Ausdruck« eine eher idiosynkratische Expression und es erweitert sich in der Theorie von der künstlerischen Tätigkeit bei Fiedler vor allem das individuelle Bewusstsein des tätigen Künstlers, wie wir noch sehen werden.
Die für das Verständnis der Kunst so zentrale Tätigkeit der psychophysischen Ausdrucksbewegung kann für Fiedler aber in keinem Fall als zufälliger, persönlicher, kultureller Luxus angesehen werden. In der Kunst habe sich ein menschliches Grundbedürfnis ausdifferenziert, nämlich das Bedürfnis die sinnliche Welt in der Gestaltung zu klären. Kunst ist ein notwendiger psychophysischer Erkenntnisprozess, um die Welt zu verstehen – und mehr noch – die Welt wird durch die künstlerische Tätigkeit überhaupt in ihr Dasein geführt. Jede Person habe ein Formungsbedürfnis als Erkenntnisreflex in sich und Kunstschaffende sind mittels der Verfeinerung und Ausdifferenzierung ihrer Formungskompetenzen nur kulturelle Experten. Sie sind Spezialisten wie auch Wissenschaftler, die ihrerseits auf dem kulturellen Fundament forschender humanen Neugier fußen. »Die künstlerische Tätigkeit beginnt«, so Fiedlers Diagnose zum gestaltenden Welt-Verstehen, »wo der Mensch sich der Welt ihrer sichtbaren Erscheinung nach, als einem unendlich Rätselhaften gegenübergestellt findet, wo er, von einer inneren Notwendigkeit getrieben, die verworrene Masse des Sichtbaren, die auf ihn einstürmt, mit der Macht seines Geistes ergreift und zum gestalteten Dasein entwickelt.«21
Fiedler stellt sich im Rahmen seiner Theorie zur forschenden Tätigkeit der Künstler durchaus die für eine epistemologische Ästhetik des 21. Jahrhunderts relevante Frage, wodurch der tätige Erkenntnisprozess in der Kunst von statten geht und in welche Erkenntnis er mündet: Prämisse seiner ästhetischen Erkenntnistheorie ist die Produktivität des Verstehens und diese epistemische Produktivität macht es plausibel, in der Kunst eine vorzügliche Wahrheitspraxis zu vermuten. Seiendes ist für Fiedler im Wesentlichen erst als Gebildetes verständlich und das Kunstfeld ist die Werkstätte der verständigen Gestaltung von Welt: »Der Blick in die innere Werkstatt, in der die Bestandteile des Weltbildes erst entstehen müssen, wenn sie ein Sein für uns gewinnen sollen, lässt uns nicht einen festen Besitz an fertigen Gestalten gewahren, vielmehr enthüllt sich ihm ein rastloses Werden und Vergehen, eine Unendlichkeit von Vorgängen, in denen die Elemente alles Seins in den mannigfaltigen Arten auf den mannigfachsten Stufen ihrer Verarbeitung erscheinen, ohne daß das flüchtige, sich immer erneuernde Material jemals zu festen, unveränderlichen Formen erstarrte …«.22
Hier kommt ein weiterer Aspekt der fiedlerschen Erkenntnistheorie zum Tragen, der neben die Feststellung, dass Welt als Gestaltete erst Sein für uns Menschen gewinnt, jene andere Diagnose stellt, dass nämlich dieser Gestaltungsprozess zugleich unendlich ist. Die auf uns einstürmende und zur Durcharbeitung einladende Welt verändert sich stetig und mit ihr ist die künstlerische Gestaltungstätigkeit zu immer neuer Arbeit getrieben. Kein künstlerisches Verfahren bekommt die Welt abschließend zu fassen oder vermag endgültiges Bewusstsein zu schaffen. Kein Werk hat Dauer. Im Zentrum der künstlerischen Ausdrucksbewegung als Wahrheitspraxis steht daher nicht das Werk als Ziel, sondern der Prozess, mit dem sich Kunstschaffende durch die veränderliche und mannigfaltige, sinnliche Welt formend durcharbeiten. »Die Tätigkeit ist eine unendliche«, fasst Fiedler zusammen; »sie ist ein beständiges unablässiges Arbeiten des Geistes, die Welt der Erscheinungen im eigenen Bewußtsein zu immer reicherer Entfaltung, zu immer vollendeterer Gestaltung zu bringen.«23 Matrix dieses stetigen Prozesses künstlerischer Tätigkeit ist die epistemologische Annahme, dass alles Sein relativen Charakters sei24 und entsprechend das humane Grundbedürfnis der erkennenden Gestaltung zu keinem abschließenden Kristallisationspunkt kommt. Vor dem Hintergrund dieser Grundannahmen zum produktiven und rastlosen Erkenntnisprozess tritt die künstlerische Tätigkeit als sowohl seinsverstehend wie auch seinsbildend auf das epistemologische Parkett. Kunst als Tätigkeit ist die notwendige Antwort auf das wahrnehmbare Sein als einem Veränderlichen. Künstlerische Tätigkeit generiert fortlaufend und notwendig bewusstseinsbildende Gestaltung. Kunst kann daher für Fiedler und entgegen der Tradition in der Ästhetik, am Bild das Abbild zu betonen, auch niemals bloß Nachahmung sein, sondern schafft Neues. »Der geheime Sinn dessen, was vorgeht, indem sich das innere Geschehen, welches unser Bewußtsein von sichtbaren Dingen bildet, gleichsam verbreitet auf die Ausdrucksorgane und etwas hervorbringt, was wiederum nur von dem Gesichtssinn wahrgenommen werden kann, ist ein ganz anderer, tieferer und weittragender, als der einer müßigen und unvollkommenen Nachahmung von etwas bereits Vorhandenem.«25
Das geschaffene Neue tritt dann als »tieferer und weittragender« verstandenes Sein in das künstlerische Bewusstsein. Erkenntnis findet mithin durch diesen Prozess der formenden Erschaffung von physisch wahrnehmbarer Welt statt: »Was der Künstler im Fortschritt seiner Arbeit erlebt, ist, daß er in sich ein Bewußtsein entstehen und sich entwickeln sieht, wie er es sonst nicht kennen lernen kann.«26 Es wird an dieser Formulierung auch deutlich, dass Fiedler nicht alleine die Kunst – und zwar die gesamte bildende Kunst – aus der Perspektive künstlerischer Tätigkeit als Wahrheitspraxis bestimmt, sondern auch noch dem Künstler ausschließlich durch dessen Arbeitsprozess den Erkenntnisgewinn als Bewusstseinserweiterung zumutet. Anders formuliert stellt sich zumindest aus der Perspektive einer epistemologischen Ästhetik die Frage, wie das durch den Formungsprozess für die Künstler geschaffene neue Bewusstsein über die künstlerische Privaterkenntnis hinaus vermittelbar wird. Wenig wird in Fiedlers Texten über die Vermittelbarkeit und Verhandelbarkeit dessen gesagt, was in der Ausdrucksbewegung an Einsichten herausgearbeitet wird. Fiedler will systematisch absehen, von den Wirkungen der Werke, um den Blick umzulenken auf das Wesen der Kunst als Praxis. Zur Folge hat diese Perspektivverschiebung allerdings, dass Fiedler nur wenige Hinweise darauf gibt, wie die Kunstdinge, als Momentaufnahmen künstlerischer Wahrheitspraxis, ihre Einsichten auch weiter vermitteln. In dieser Theorie von der Kunst als Wahrheitspraxis entsteht keine Vorstellung von einem Verhandlungsfeld, auf dem sich Prozesse, Kunstschaffende, Werke und Betrachtende über das Sein und Verstehen der Welt in Beziehung setzen. Die Aufmerksamkeit in der Beschreibung liegt auf den monadischen Handlungen und Erkenntnisgewinnen der Individualkünstler. Fiedler erklärt an einer Stelle, dass das künstlerische Werk eine epistemologische Kommunikation durch die Differenz zwischen der Perzeption und der Apperzeption entfalte. Das künstlerische Bild befinde sich zwar als Wahrnehmungsgegenstand in einem perzeptiven Umkreis von anderem Wahrnehmbaren. Als ein gemachtes wird das Bild aber darüber hinaus apperzipiert und gelange dadurch in dem Mittelpunkt der betrachtenden Aufmerksamkeit. Als Fokussiertes erlangt es eine qualitativ andere »Klarheit und Deutlichkeit«27. Die Kunst stellt sich gleichsam als erzeugte auf einen Sockel, der sie exponiert und als bedenkenswerte präsentiert. Die an ihr durch die Kunstpraxis herausgearbeitete ›Wahrheit‹ verbleibt damit gleichsam unverhandelbar und innerlich.
Fiedler will uns aber immerhin darauf aufmerksam machen, dass wir die Kunst nicht verstehen, wenn wir die Tätigkeit des Kunstens nicht zur Kenntnis nehmen, die hinter jedem Werk als fortlaufender Einsichtsprozess zu finden ist. Bei ihm wird das Werk als zweitrangig erkannt, während die Praxis des humanen Selbstverständigungsprozesses in der Formungsarbeit im Zentrum steht. »Im Kunstwerk findet die gestaltende Tätigkeit ihren äußeren Abschluß, der Inhalt des Kunstwerks ist nichts anderes, als die Gestaltung selbst.«28 Kunst ist eine Praxis und diese ist epistemologisch gehaltvoll. Die künstlerische Tätigkeit hat für Fiedler als Erkenntnisprozess eine intrinsische Notwendigkeit jenseits aller Beliebigkeit, wenn er auf Goethes Ausspruch von der »exakten sinnlichen Phantasie« zurückgreift und über die künstlerische produktive Erkenntnis zusammenfasst, dass in ihr »vollständige Klarheit und Notwendigkeit« zusammen fallen.29 Kunst ist kein esoterischer Ausdruck beliebiger Ansichten – so die These. Kunst generiert Einsichten, die einer exakten Notwendigkeit gehorchen und nicht anders als im Werk herausgearbeitet zur Anschauung gebracht werden können. Während schon Hegel in seiner Polemik gegen die reine Intuition des Genies den bewussten, reflexiven, prüfenden Charakter der künstlerischen Arbeit hervorkehrt, radikalisiert Fiedler diesen gleichsam sachlichen Ansatz in der Ästhetik noch. Und auch er ist nicht frei von Polemik, wenn es darum geht, die Vorstellung zurückzuweisen, dass die Kunst etwas mit sinnlich evozierter Emotionalität und rationalitätsfreiem Wohlgefallen zu tun hätte.30 Kunst ist sachlich.
In jedem Fall liefern die praxologischen Positionen in der philosophischen Ästhetik eine Grundlage zum Verständnis zeitgenössischer forschender Künste in ihrem Charakter als Tätigkeit. Das Verständnis des künstlerischen Forschens entwickelt sich dabei nicht in direkter Linie aus der Ästhetik eines Hegels oder der Kunsttheorie eines Fiedlers – für Hegel ist die Kunst wesentlich eine Tätigkeit aber keine Forschung. Für Fiedler ist alle künstlerische Ausdrucksbewegung schon Forschung aber sie trägt vor allem zur Bewusstseinsbildung der Künstler selber bei. Doch diese Ästhetiken können zur Erklärung des Phänomens zeitgenössischer künstlerischer Forschung beitragen, weil sie die theoretische Perspektive auf die Kunst verschoben haben, wie umgekehrt die zu entwickelnde epistemologische Ästhetik auf die historischen Positionen zur Praxologie der Kunst zurückgreifen kann.
Mit den Positionen von Hegel und Fiedler ist der Schwerpunkt der Betrachtung auf die praxisästhetische Bestimmung der Kunst als Tätigkeit oder Ausdrucksbewegung gelegt. Nicht das Werk steht im Zentrum des Kunstverständnisses, sondern die Verfahren des sinnhaften und sinnstiftenden Kunstens als Daseinsform der Kunst. Diese praxisästhetische Aufbereitung der Kunst als einer Tätigkeit unterstützt die Atelierbeobachtungen. Im Atelier können Praktiken beobachtet werden, die wie Einsichten generierende, kommunikative, reflexive und produktive Handlungen wirken. Zum Verständnis der künstlerischen Forschung als einer tätigen Erscheinungsform der Kunst trägt also Hegels Ästhetik bei, wenn dort die »geistige Tätigkeit«, welche »das Moment der Sinnlichkeit und Unmittelbarkeit in sich hat«, im Mittelpunkt der Kunstbestimmung steht. Und auch Fiedlers Kunsttheorie hilft, das künstlerische Forschen reflexive und produktive Handlung zu verstehen, insofern bei ihm künstlerische Tätigkeit aus einem gestaltenden Erkenntnisbedürfnis in der menschlichen Natur heraus erklärt wird. Solche praxisästhetischen Theorien, die hinter die Werke und auf deren Entwicklungsprozesse blicken, können nun noch flankiert werden von Kunstverständnissen, die stärker noch als Fiedler oder Hegel auch die Werke selber im Lichte der Praxis sehen.
Werkssein als Praxis
Betrachten wir zunächst den ›Peutegrund‹. Er scheint ein Werk zu sein, das eine Praxis ist. Im ›Peutegrund‹ interveniert die Künstlerin Nana Petzet in ein brachliegendes, ehemals bewohntes, halb geflutetes, nunmehr überwachsenes, norddeutsches Hafengelände und rodet wuchernde Neophyten mithilfe einer lokalen Naturschutzorganisation. Aus dem Geäst des gerodeten Japanischen Knöterichs webt Petzet grobe Matten. Ihre künstlerische Arbeit besteht aus installativen, plastischen und performativen Komponenten. Die temporäre Aneignung und Markierung des Brachlandes durch den Akt der Rodung ist dabei nur eine der praxischen Werkebenen. Petzet hat das brachliegende Gelände mithilfe von Ornithologen, Entomologen und Botanikern durchstriffen und die vorhandene Fauna und Flora kartiert. Bei den feldforschenden Expeditionen durch den ›Peutegrund‹ wurde neben vielen Insekten, Vögeln und Pflanzen auch ein seltener Heuschreck entdeckt. Mit dieser Kartierung tritt also die bedrohte ›Zartschrecke‹ in die Sichtbarkeit des Geländes und neben den wild wuchernden Knöterich, der seinerseits durch seine Rodung sichtbar wurde. Die interventionistische, feldforschende und performative Arbeit von Petzet kulminiert schließlich in der Dokumentation der gefundenen und gesammelten Daten und Dinge im Rahmen einer Installation in der Nähe des untersuchten Geländes in einer Lagerhalle. Die Installation fungiert dabei als Recherchezentrum und Anlaufpunkt für das interessierte Kunstpublikum. Das Knöterichmaterial ist dort angehäuft zu einem Hügel neben einem Monitor platziert, der eine Videodokumentation zur Rodung zeigt. Die Knöterich-Webmatten hängen von der Decke. In einem zweiten Monitor kommen die Enten, Kraniche, Kormorane, Möwen, Heuschrecken, Doldenblütler, Spinnen, Nachtschattengewächse sowie die Ornithologen, Entomologen und Botanikern aus der Feldforschung ins Bild und zu Wort. Dieses zweite Video zitiert in seiner kontemplativen Beobachterästhetik das Genre von Naturfilmen und Petzet hat eigens einen Naturfilmer nebst dessen professioneller Ausrüstung für die Aufnahmen gebucht, um den vorbei fliegenden Möwen und gewöhnlichen Lippenblütlern angemessene Aufmerksamkeit schenken zu können. Zu sehen sind in der Installation auch Verlautbarungen der Umweltschutzorganisation, welche die ungenutzte Industriebrache als »Trittstein-Schutzgebiet« deklarieren möchte. In weiteren Schriftstücken meldet sich die Hafenbehörde zu Wort und besteht darauf, das Gelände für die Hafenwirtschaft vorzuhalten. Der Künstlerin wird in diesen Dokumenten wegen der künstlerischen Interventionen mit rechtlichen Schritten gedroht und wie in einer seriellen Kunstarbeit hat die Hafenbehörde das Gelände in Reaktion auf die Rodung mit »Betreten Verboten« Schildern umzingelt.
Die Installation, durch welche der ›Peutegrund‹ für das Publikum visualisiert wird, ist ein Raum, in dem Bezüge sichtbar werden. Bilder, Videos, Schriftstücke und Rodungsmaterial werden zu Verweisen auf Handlungsketten und Kommunikationsverläufe. Die Auslegeordnung der Installation fordert das Publikum auf, symbolische Relationen zwischen den Dingen und Daten herzustellen. Die Installation zeigt dabei die künstlerisch untersuchte, gleichsam ontologische Frage: Was ist der ›Peutegrund‹? Kontaminiertes Naturschutzgebiet? Biodiverses Hafengelände? Durch den Japanischen Knöterich bedrohte Natur? Durch die Natur der seltenen Zartschrecke bedrohte Hafenwirtschaft? Performativ wie plastisch arbeitet sich die künstlerische Arbeit an diesen Fragen ab und ebenso verwoben wie das Werk stellte sich die Realität des ›Peutegrunds‹ dar: Die Gegend scheint komponiert zu sein aus Lebewesen und Interessen, Handlungen und Dingen, kulturellen und natürlichen Faktoren. Das Werk reflektiert durch die Wechselwirkung seiner objekthaften und performativen Ebenen den Aushandlungsprozess, in dem sich dieses Ensemble an Handlungen und Dingen stetig befindet. Der ›Peutegrund‹ gleicht einem Drama, in dem verschiedene menschliche und nichtmenschliche Akteure um Durchsetzung in der Frage kämpfen, wer die Deutungshoheit für das Gelände besitzt. Doch nur in dem Maße, wie sich die Akteure inszenierten oder inszeniert werden, haben das Werk und das Gelände als ›Peutegrund‹ Realität. Es ist eine Realität, die eine bewegliche und situative Konstellation darstellt und visuelle Zwischenergebnisse als Verhandlungsgrundlagen anbietet. Das Brachgelände, wie auch das Kunstwerk zeigen sich als eine Situation, deren Sein als eine Praxis des In-die-Welt-Setzens verständlich wird. Der ›Peutegrund‹ ist weder physisch noch künstlerisch ein stabiles Objekt, sondern die Momentaufnahme einer Verhandlung, bei der die jeweiligen Positionen durch die künstlerischen Handlungen herausgefordert und sichtbar gemacht wurden.
Wird aber nun dieses Werk als Praxis verständlich, weil es verschiedenen künstlerischen Handlungen entspringt? Eine performative Tätigkeit wie die aktive Rodung oder die feldforschende Kartierung ist offensichtlich eine Werkhandlung. Aber auch die Installation als Darbietungsform sprengt durch ihr Arrangement die Singularität von Einzelobjekten und offenbart durch die Vielheit der Aspekte in der Auslegeordnung den Umstand der Bezüglichkeit. Installationen können als Kontexträume verstanden werden und verweisen auf diesen ihren Charakter formalästhetisch mittels ihrer Figuration. Sie machen die Praxis des Herstellens von Bezügen und Schaffens von Kontexten durch das visuelle Auseinander-legen von Zusammen-hängen sichtbar. Installationen in Kunsträumen zeigen sich als etwas, was auch Analysen in Laboren sein wollen: Zerrgliederungen und Bezugnahmen von dichten Sinngeweben. Das Installieren ist eine epistemische Praxis. Installationen sind aber keine analytischen Zerrgliederungen alleine, sondern durch die Faktizität ihrer Auslegeordnung auch performative Akte der Kommunikation: sie drücken mittels einer ausgebreiteten Syntax der Dinge Bezüge aus. Der Sachverhalt also, dass der ›Peutegrund‹ aus performativen und installativen Elementen besteht, ermöglicht eine vergleichsweise einfache Identifikation des Werks als einer Praxis. Diese künstlerische Arbeit folgt offenbar den Kriterien eines erweiterten Werkbegriffs und hat sich als ein Kunstwerk im 21. Jahrhundert gelöst von der objekthaften Singularität traditioneller Tafelbilder oder kompakter Skulpturen.
Für eine epistemologische Ästhetik, die das Spezifische von Werken als Praxis erfassen will, um künstlerische Positionen als Verhandlungsangebote im Forschungsfeld verstehen zu können, stellt sich also die Frage, ob die Wahrnehmung eines Werks als einer Praxis an die künstlerischen Verfahren der Gegenwart geknüpft ist? Markiert der erweiterte Werkbegriff des 20. und 21. Jahrhunderts den Übergang zu einer Kunst als Forschung, weil die erweiterten künstlerischen Arbeitsweisen die Werke praxischer und damit prozessualer machen?
Tatsächlich legt insbesondere – aber keineswegs ausschließlich, wie wir sehen werden – die installative und performative Gestalt der Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts eine Theorie nahe, die den praxischen und kommunikativen, wenn nicht gleich forschenden Aspekt von Werken wahrnimmt und festhält. Entsprechend erleben Kunsttheorien des 20. und 21. Jahrhunderts eine praxistheoretische Neujustierung. Kunstwerke werden als Handlungen beschrieben, weil sie in der Moderne eine Prozessualisierung erfahren haben.31 Ausgehend von den ereignishaften Kunstformen wie Aktionen oder Performances tritt die tätige Dimension des Künstlerischen in den Mittelpunkt der kunsttheoretischen Betrachtung. Die Kunsthistorikerin Dorothea von Hantelmann macht allerdings klar, dass es bei einem praxistheoretischen Kunstbegriff nicht alleine um eine Kunst gehen kann, die mit Performances oder Interventionen ganz offensichtlich als Handlung operiert. Das Kunstwerk sei nicht durch eine explizit performativ handelnde Tätigkeit in der Präsentation als Praxis bestimmt. »Es gibt kein performatives Kunstwerk, genauso wenig, wie es ein nicht-performatives Kunstwerk gibt.«32 Das Handelnde der Kunst sei vielmehr – wie auch das Performative des Sprechens – die Realität, die durch den Akt des Kunst-Machens geschaffen wird. »Das Performative eines Kunstwerks ist die Realität, die es – kraft seiner Existenz an einem Ort, in einer Situation, kraft seines Produziertseins, Rezipiertwerdens und Überdauerns – hervorzubringen vermag.«33 In dieser Lesart ist es die Setzungsmacht des Werks, die als Handlung Realität schafft und mithilfe derer Kunst in ihrem Werksein als Praxis erkannt wird – eine Praxis, die in Analogie zum Sprech-Akt als Akt künstlerischer Setzung zu verstehen ist. Im Hintergrund dieser praxischen Kunsttheorie stehen die Performanz-Begriffe von Judith Butler und John Langshaw Austin.34 Von deren sprachtheoretischem Begriff der Performanz hin zu einem kunsttheoretischen Begriff der Performanz muss allerdings eine Perspektivverschiebung festgehalten werden. Butlers und Austins Hauptanliegen war es, die scheinbare Immaterialität von Sprechakten oder Diskursen hinsichtlich ihrer Effekte im Realen herauszuarbeiten. Diskurse wirken auf Körper, so die butlersche These. Körper werden mittels der Sprechweisen über sie materiell konstituiert. Symbole erzeugen Welt, so die zusammengeschnurrte Argumentation. Oder auch: die Wiederholung des Sprechens bewirkt die Realisierung der Wahrheit des Gesprochenen. Mit der künstlerischen Praxis – auch wenn sie symbolischen Charakter hat – verhält es sich aber in der praxistheoretischen Kunsttheorie umgekehrt: Nicht die immaterielle Welt der Diskurse wird vermittels der Sprech-Handlungen als Welt konstituierend verstanden, sondern die plastische Werk-Welt erscheint als eine Handlung, mittels derer wirksam gesprochen wird. Das Kunstwerk ist als Kunsthandlung Realität und als Praxis ist das Werk sprechend.
Vor dem Hintergrund dieser kunsttheoretischen Diagnose werden Kunstwerke als ver-handelnde, positionierte Sinngewebe verständlich und für das Feld der Forschung als einem Verhandlungsraum über Einsichten fruchtbar. Werke können als aktive Setzungen und darin als situiert begriffen werden. Auch der ›Peutegrund‹ erhält aus dieser Perspektive sein Werksein als Praxis nicht vermittels der explizit performativen Kunsthandlungen, die tätig ins Gelände intervenieren, sondern mittels der Setzung, durch welche das Werk in all seinen auch plastischen und ikonischen Ebenen in die Welt gebracht wurde. Das Kunstwerk wird als Praxis verständlich, nicht weil es zufällig im 20. und 21. Jahrhundert als Performance in Erscheinung tritt, sondern weil es eine Ebene der Bedeutungsproduktion hat, die physische wie mentale Effekte zeitigt. Durch die erweiterten künstlerischen Verfahren des 20. und 21. Jahrhunderts intensiviert sich das praxische Verständnis von Kunstwerken, es entspringt aber diesen nicht.35
Und so wundert es wenig, dass auch Hans-Georg Gadamer eine generelle Bestimmung der Kunst als Praxis vorschlagen kann, ohne dabei auf aktionistische Kunstverfahren des 20. Jahrhunderts zu blicken. Gadamer trägt damit ebenso zu einem Verständnis vom Werk als einer Praxis bei, wie die jünger praxistheoretische Kunsttheorie, und kann entsprechend herangezogen werden, um die Rolle der Werke im Kontext der Kunst als Forschung zu bestimmen. Der Philosoph erkennt im Kunstwerk eine Handlung, die in ihrem Tun besteht.36 Kunst wird als »Spiel« bestimmt. Dieser Spiel-Begriff ist zunächst dramaturgisch gemeint, denn Gadamer untersucht die Kunst, indem er vom Genre der darstellenden Künste ausgeht. In ihrem spielenden Sein ist darstellende Kunst für Gadamer ausdrücklich eine kontinuierlich tätige Praxis. Denn ebenso wie das Spiel nur anwesend ist, wenn die Spielenden spielen, so ist bei Gadamer Kunst nur im Moment des Aufgeführtseins da, wobei die Spielenden zwar Akteure sind, aber gegenüber dem Sein des so in die Welt gespielten Kunstwerks zurücktreten. »Das Sein alles Spieles ist stets Einlösung, reine Erfüllung, Energeia, die ihr ›Telos‹ in sich selbst hat«, diagnostiziert er und schlägt den aristotelischen Praxisbegriff für das Verständnis der Seinsweise dieser Kunst vor. Das Aufgeführtsein des Werks im Spiel hat für Gadamer dabei bemerkenswerterweise zugleich den Charakter der Weltveränderung in der Aufführung, denn »die Welt des Kunstwerks, in der ein Spiel sich derart in der Einheit seines Ablaufs voll aussagt, ist in der Tat eine ganz und gar verwandelte Welt […] Der Begriff der Verwandlung soll also die selbstständige und überlegene Seinsart dessen, was wir Gebilde nennen, charakterisieren.«37 Gadamer nennt das Kunstwerk ein »Gebilde«, weil es ein Sein im Vollzug seines Aufgeführtwerdens hat, bei dem sich die Dynamik des Spiels als Werk manifestiert und damit »ablöst« vom darstellenden Tun der Spieler. Das Gebilde hat sein Sein in der Praxis dieses Dargestelltwerdens. Diese Bestimmung des Werks als einem Spiel entwickelt Gadamer mit Blick auf die bildende Kunst weiter, indem er den Spielbegriff auf die Farbigkeit von Bildern überträgt und von einem »Farbenspiel« schreibt. Er meint dabei nicht, »daß da eine einzelne Farbe ist, die in eine andere spielt, sondern wir meinen den einheitlichen Vorgang oder Anblick, in dem sich eine wechselnde Mannigfaltigkeit von Farben zeigt.«38 Auch die Produkte der bildenden Kunst sind in dieser Diagnose, wie jene der darstellenden Kunst, als ephemere Gebilde zu verstehen, deren Anwesenheit durch die Präsenz des Farbenspiels erst entsteht und nicht unabhängig von dieser Erfahrung der Vielheit von miteinander in Beziehung stehender Farben existiert. Das Kunstwerk ist so gesehen kein Gegenstand, sondern die Erfahrung der Anwesenheit des Spiels. Und diese Erfahrung der spielerischen Farben und formenden Praxis etabliert eine Kunst, die auf die Betrachtenden einwirkt. Auch die rezeptionsästhetische Seite von Gadamers Kunsttheorie ist praxisch, insofern das betrachtende Subjekt die Kunst als solche in der Bewegung seiner Erfahrung und als Veränderung an sich selbst wahrnimmt. »Das Kunstwerk hat vielmehr sein eigentümliches Sein darin, daß es zur Erfahrung wird, die den Einzelnen verwandelt. Das ›Subjekt‹ der Erfahrung der Kunst, das was bleibt und beharrt, ist nicht die Subjektivität dessen, der sie erfährt, sondern das Kunstwerk selber.«39 Gadamer identifiziert mit der Figur des Zuschauers ein Subjekt der Betrachtung, das sich durch ein Bei-der-Sache-sein auszeichnet. Diese Versenkung in der Sache des Spiels ist die Haltung, innerhalb derer ein Verstehen stattfindet. Als Versunkene sind Zuschauende Teil des Gebildes, welches als Zusammenspiel das Kunstwerk ist. Gadamer denkt das künstlerische Werk als das eigentlich Tätige. Künstlerische Werke werden im Spiel ihrer Akteure und Elemente geboren und sie verwandeln als tätige die Welt. In dieser werk- und rezeptionsästhetischen Kunsttheorie artikuliert sich eine prozessual verstandene und dezentrierte Daseinsform der künstlerischen Werke. Es handelt sich um eine praxologische Werk- und Rezeptionsästhetik: Künstlerische Positionen zeigen sich in dem Maße, wie sie als tätige Gebilde aus dem Prozess ins Sein kommen. Das prozessuale Sein der Werke wäre eine Praxis zu nennen, insofern es auf einer Tätigkeit beruht, die ihren Sinn und Zweck in sich selbst hat: dem in die Welt bringen der künstlerischen Handlung um der künstlerischen Handlung willen, die das Werk, wie ein Spiel, da sein lässt. Dieses praxische Verständnis vom Charakter der Kunstwerke entspräche keinesfalls einem l’art pour l’art, mithin keinem monadischen Kunstverständnis, sondern einer Kontextkunst mit humanem Auftrag, auch wenn Gadamer, dies vielleicht so nicht formulieren würde. Doch das Spiel, das die Kunst ist, tritt mit der humanen Welt in ein transformatives Zusammenspiel und nur in diesem Zusammenspiel existiert die Kunst. Es handelt sich um ästhetische Doppelpässe, die das vermeintlich rezeptive Umfeld als aktiven Teil der künstlerischen Praxis benötigen und dabei sich und die soziale Welt kontinuierlich verändern. Bei Gadamer ist dieses transformative Zusammenspiel als eine Versunkenheit der Betrachtenden ausdrücklich auch ein Verstehensprozess. Verstehend verändern sich die Betrachtenden im Zusammenwirken mit Werken, die ihrerseits nur existieren, indem das Ensemble ihrer materiellen Elemente für die Betrachtenden zusammenspielt.
Für eine epistemologische Ästhetik, welche die Kunst als Wahrheitspraxis und forschendes Tätigsein im Blick hat, bereitet Gadamers Kunsttheorie das Feld für einen fundamental praxischen Werkbegriff, der das Interaktive und Kontextuelle, ebenso wie das Prozessuale und Ephemere der Kunst auch in ihrer werkhaften Materialität betont. Ein solchermaßen praxischer und dezentrierter Werkbegriff transzendiert den Monumentcharakter, den Kunstwerke mitunter haben, und macht sie brauchbar für das filigrane Geschäft der Genese und Verhandlung von Einsichten, das Forschung im Zeitalter ihrer Kontextualisierung ist. Nicht Undurchsichtigkeit und Singularität kennzeichnen dann künstlerische Werke, sondern ein unabgeschlossener Spielcharakter und dezentrale Verständnisbewegungen. Ob diese Verständnisbewegungen tatsächlich, wie bei Gadamer vorgeschlagen, als pathische Versunkenheiten beschrieben werden müssen, wäre zu klären. Wenn wir die Kunst – zumindest auch – als Forschung verstehen und als Beitrag zum Wissensbestand der Gegenwart ansehen, werden wir über andere als nur pathische Modi der Vermittlung und Verhandelbarkeit von Erkenntnisgehalten nachdenken müssen. Und wir werden uns vielleicht genötigt fühlen, auch die Werke noch radikaler als offene Einsichtsangebote in den Blick zu nehmen. Die introvertierte und exklusive Inhalation von Kunstgehalten durch pathische Ergriffenheit widerstrebt einem kritisch aufgeklärtem Forschungsverständnis und dem Anspruch an die Verhandelbarkeit von Erkenntnisvorschlägen. Anschlussfähig für eine epistemologische Ästhetik ist allerdings Gadamers Aufbereitung der Kunstwerke als einer Praxis, von der wir mitnehmen können, dass Werke das ebenso flüchtige wie tätige Spiel ihrer Elemente sind, an dem Verständigungsprozesse im Zusammenspiel von Werkformationen und Betrachterdispositionen einen wesentlichen Anteil haben.
Wenn wir also in Anschluss an Gadamer die Kunstwerke als Praxis verstehen wollen, müssen wir uns allerdings auch der Frage stellen, ob dabei tatsächlich – wie Gadamer vorschlägt – mit dem aristotelischen Praxisbegriff gearbeitet werden kann, wenn es darum geht, in der Bestimmung des prozessualen Werks als einem spielerisch-in-der-Welt-seiendem Erkenntnisangebot weiter zu kommen? Aristoteles bestimmt die Praxis als eine Handlung, die ihren Zweck in sich selbst hat. Diese formale Bestimmung der Selbstzwecklichkeit scheint für den spielerischen Werkbegriff in Gebrauch genommen werden zu können. In ihrer Bestimmung als Aufführung oder Vorgang wäre die Kunst als eine Handlung zu verstehen, der es um das Vollzogenwerden ihrer selbst als gleichzeitigem Vorgang einer Darstellung und Einsicht geht. Doch im sechsten Buch der »Nikomachischen Ethik« positioniert Aristoteles die selbstzwecklich gedachte Praxis ausdrücklich in Abgrenzung zur Kunst. Denn Kunst sei eine hervorbringende poiesis, die »baut« und die das »Entstehen« betrifft. Diese poiesis, als »das Hervorbringen hat ein Ziel außerhalb seiner selbst, das Handeln nicht. Denn das gute Handeln ist selbst ein Ziel«40, schreibt Aristoteles und hält fest, dass die Praxis nicht auf Werke hinausläuft, gerade im Gegensatz zur poiesis. Diese poiesis habe ihren Ursprung im »Hervorbringenden« und »da nun Hervorbringen und Handeln verschieden sind, so muß die Kunst zum Hervorbringen und nicht zum Handeln gehören«.41 Die Kunst ist bei Aristoteles nicht um ihrer selbst willen gedacht, weil sie nämlich auf physische Werke ausgerichtet sind. Die Werke sind bei Aristoteles auch keine handelnden und können mithin nicht als Praxis bestimmt werden. In einer zentralen Passage seiner Schrift konkretisiert Aristoteles, worum es ihm mit dem Praxisbegriff in Abgrenzung zur poiesis geht, wenn er resümiert, dass insbesondere »das rechte Verhalten«42 das Ziel der selbstzwecklichen Praxis sei. Korrekt könnte man bei Aristoteles zur Verdeutlichung der Differenz von poiesis und praxis also von einer Tätigkeit als Produzieren einerseits und einer Tätigkeit als Verhalten andererseits sprechen. Mit dem Produzieren im Unterschied zum Verhalten wird semantisch die Differenz dieser Tätigkeiten verdeutlichet zugleich aber auch der wesentlich politisch-ethischen Charakter der handelnden Praxis bei Aristoteles betont. Praxis ist nicht nur ein selbstzweckliches, sondern auch ein tugendhaftes Verhalten. Dieses Verhalten pflegen Individuen um ihrer selbst willen als edle Bürger im Rahmen einer politischen Gemeinschaft der Freien. Was bedeutet aber dieser aristotelische Kontext, aus dem heraus der Praxisbegriff geboren wurde, für dessen Brauchbarkeit im Rahmen einer epistemologischen Ästhetik, der es um die Kunst als tätigem Forschen geht? Anders als bei Aristoteles, der die Kunst als téchne vom Gebauten oder Gemeißelten her denkt und dabei das Endprodukt fokussiert, das ihm als konstitutiv für die Charakterisierung der Tätigkeit des Herstellens gilt, geht es der epistemologischen Ästhetik um einen symbolischen Kunstbegriff – es geht mithin nicht um téchne, sondern signe. Aristoteles denkt über angewandte Kunst nach und den Charakter der Tätigkeit, die zu dieser führt. Er hat ein Feld der Hervorbringung im Blick, das im 20. und 21. Jahrhundert vom Design, der Architektur oder Ingenieurskunst besetzt wird, und dessen Ziel in der Tat die Objekte als Beweggründe der Herstellung sind. Man stellt Werke in der Ingenieurskunst, im Bauwesen oder der Gestaltung her, weil sie für die Lebensvollzüge des Alltags benötigt werden. Ihre Herstellung hat keinen Zweck in sich, sondern eine Gebrauchsfunktion für die Menschen. Kunstwerke, wie wir sie für eine epistemologische Ästhetik verstehen wollen, sind demgegenüber nicht hervorgebrachte Gegenstände des Gebrauchs, sondern Reflexionsvehikel, Kommunikationsmedien oder Erfahrungskatalysatoren. Materiell gewordene Kristallisationen der Auseinandersetzung mit Welt. Wenn Gadamer vom Farbenspiel schreibt, aus dem heraus das Kunstwerk für den Betrachter zu existieren beginnt, charakterisiert er die Kunst als eine, über ihren Objektcharakter hinausgehende symbolhaltige Entität, die Verstehen evoziert.
Die entscheidende theoretische Bewegung, die hier zwischen den beiden Kunstbegriffen – etwa eines Aristoteles und eines Gadamers – stattfindet, ist jene, von einer gegenständlichen Werkästhetik, die auf Objekte schaut, zu einer epistemologischen Ästhetik, welche die Materialität der Kunst im Kontext eines ephemeren Geschehens verortet, das auf Weltverstehen ausgerichtet ist. Für eine epistemologische Ästhetik muss sich die Rede vom praxischen Werksein daher letztlich eher an jenem aristotelischen Verständnis von Praxis orientieren, das unter selbstzwecklichem Handeln auch das philosophische Betrachten versteht. Auch das kontemplative Philosophieren ist bei Aristoteles nämlich ein Tun, das sich als Praxis auf sich selbst bezieht. Für den Denker der Antike stellt sich das betrachtende Leben der Philosophen sogar als die beste aller Praxisformen dar, weil sich diese kontemplative Tätigkeit selbst in der Beschäftigung mit dem Geistigen erfüllt. Dem bios theoretikos geht es um das Reflektieren als Selbstzweck. In Hinblick auf dieses reflektierende Verhalten kann von Aristoteles her über die Praxis als eine ›Wahrheitshandlung‹ gesprochen werden. Und es ist explizit dieser Begriff der Praxis als einer Wahrheitshandlung, welcher für die epistemologische Ästhetik und das Verständnis von Kunst als forschender Tätigkeit fruchtbar gemacht werden kann. Aristoteles selber reserviert die Wahrheitspraxis für die kontemplative, distanzierte und unstoffliche Tätigkeit des theoretischen Räsonierens. Worüber Aristoteles nicht nachgedacht hat, ist die Kristallisation der betrachtenden Reflexion im Spiel der Materie, weswegen er das Kunstwerk nur als Produkt nicht hingegen als Wahrheitshandlung denken kann. Ebenso wenig hat er die Erweiterung des Erkenntnisvorgangs auf eine, mehr als bloß distanziert betrachtende Tätigkeit in Erwägung gezogen. Aristoteles hat nicht die Erkenntnishandlung der Forschung im Blick, die mit dem zu Erkennenden als tätige Hervorbringung verwickelt ist, sondern eine Wahrheitspraxis, die abgesonderte sinniert. Die epistemologische Ästhetik will demgegenüber die Handlung im Kunsten als Erkenntnisprozess beschreiben und ein Verständnis vom tätigen Einsehen etablieren, das an den Fabrikationsorten der Kunst mit der Welt verwickelt ist. Es geht mit der epistemologischen Ästhetik um eine Idee vom Erkennen, die praxisch im Aristotelischen Sinne ist, weil sie das Forschen selber als Einsichtsprozess im Blick hat.
Auf dem Weg zu dieser Praxologie des Einsehens haben wir den Werken als Praxis Aufmerksamkeit geschenkt und der Praxis als einer Wahrheitshandlung. Wir haben mit Hegel über die produktiven geistigen Verfahren der Kunst nachgedacht und das gestaltende Erkenntnisbedürfnis des Menschen mit Fiedler diskutiert. Wir haben uns von der Arbeit am Gedanken im Vollzug des Redens bei Kleist inspirieren lassen und die Tätigkeiten in den künstlerischen Ateliers beobachtet. Ein künstlerisches Tätigkeitsfeld aber blieb bisher unbedacht. Dieses unbedachte Tätigkeitsfeld ist jedoch bedeutsam für das Verständnis der Kunst als Praxis. Und mehr noch, wird es sich als bedeutsam für das Verständnis von Kunst als Forschung erweisen. Doch selbst jene Ästhetiken, die ausdrücklich der Kunst als Praxis Beachtung schenken, nehmen dieses ästhetische Tätigkeitsfeld selten in den Blick. Es geht um das Ausstellen als künstlerische Aktivität und als Einsichten verhandelnde Darstellungspraxis:
Die tätige Kunst des Ausstellens
Eine ›Ausstellungsplattform‹ kann begrifflich die Bühne markieren, die eine Ausstellung sein kann, wenn es ihr ausdrücklich um die versammelnde Darstellung und sinnstiftende Anordnung von Inhalten und Themen geht. Um die epistemische Qualität von Ausstellungen als Darstellungsformen künstlerischen Forschens ermessen zu können, hilft es tatsächlich, einen konkreten und dabei detaillierten Blick auf eine solche Ausstellungsplattform zu werfen. Dieser Blick ins konkrete Detail verspricht die Darstellungspraxis des Ausstellens figurativ als sinnstiftende Anordnung nachvollziehbar zu machen. ›Kultur|Natur‹43 war eine solche konkrete Ausstellungsplattform. Ihr Thema war die Stadt im Klimawandel am Beispiel einer Gegend im Süden der norddeutschen Metropole Hamburg. Ihre epistemologische Relevanz aber beruht auf dem dezentralen und Bezüge ausbreitenden Ausstellungdisplay, das eine sinnstiftende Praxis des Betrachtens nachvollziehbar werden lässt. Thematisch bildeten Hafenindustrie, Wohngebiete, Transportwegeschneisen, Landwirtschaftsflächen und Naturräumen die komplexe Gemengelage der Gegend, in der die Ausstellung stattfand. Diese thematische Gemengelage ist dabei einerseits ortsspezifisch aber andererseits auch paradigmatisch für urbane Randbereiche weltweit. Die Fragestellung der Ausstellungsplattform war auf die konkrete Situation des Ortes zugeschnitten und zugleich von jener übergeordneten Bedeutung, mit der Städte weltweit im Rahmen ihrer Metropolenentwicklung vor der Frage stehen, wie politische Interessen, ökologische Belange sowie landschaftliche Ästhetik ineinander verwoben sind, wenn es um die Risiken des Klimawandels, die wirtschaftliche Entwicklung der Region und den Freizeitwert des städtischen Umlandes geht. Eine Frage, welche die Ästhetik und die Politik gleichermaßen betrifft. In Hamburg-Wilhelmsburg, wo die Ausstellungsplattform ›Kultur|Natur‹ stattfand, vermischen sich die Geschichte des Stadtteils, seine Nähe zum Hamburger Hafen, seine Wasser- und Deltasituation, seine Bevölkerungsstruktur, die politischen Machtverhältnisse, die individuellen Erfahrungen der Bewohnerinnen und Bewohner, die ökonomischen Dynamiken und vieles mehr zu einem Kollektiv. In diesem Kollektiv trennt der Deich die Elbe vom Inland, stapeln sich die Container zu Metallbergen, sind Kanäle und Brachen mit industriellen Altlasten kontaminiert, wuchern Autobahnpläne und werden Fahrradwege gefordert. Sind Fahrradwege in diesem Zusammenhang Kultur und die Elbefeuchtgebiete Natur? Mit einer zentralen Ausstellungshalle, dezentralen künstlerischen Interventionen und philosophischen Ausflügen nahm sich die Ausstellungsplattform ›Kultur|Natur‹ ihres Themas an und stellte dabei Fragen aus verschiedenen Blickrichtungen mittels verschiedener theoretischer und ästhetischer sowie performativer und praktischer Verfahren.
Im Detail waren fünf künstlerische Positionen zur Ausstellung eingeladen, um lokal zu arbeiten und sich an verschiedenen Orten von Hamburg-Wilhelmsburg zu artikulieren. In einem Umkreis von mehreren Kilometern fanden Interventionen statt oder wurden Installationen im Gelände aufgebaut: auf dem Deich, in den Wohngegenden oder im Hafengelände. Diese ästhetischen Projekte präsentierten sich als situiertes Wissen. Zur Wahrnehmung dieses Wissens kamen die Besuchenden, wenn sie tatsächlich Suchende wurden und sich an die jeweiligen Orte der Kunstprojekte und in deren spezifische Situation begaben. Bündelndes Zentrum dieser verstreuten Kunstorte war dabei eine Ausstellungshalle, die als Archiv fungierte. Dieses Archiv versammelte künstlerische Positionen zum Thema der Ausstellung mit dem Anspruch – einem Forschungskontext gleich – Vorarbeiten zu präsentieren, in denen die aktuellen künstlerischen Projekte verortet waren. Denn künstlerische Projekte sind ebenso wenig wie theoretische Vorträge Schöpfungen aus freien Stücken, sondern eingebettet in eine Vorgeschichte ästhetischer und intellektueller Auseinandersetzungen. Mit der Ausstellungshalle als Archiv im Zentrum der Ausstellungsplattform wurde der bestehende Wissensfundus zu allen dezentralen Kunstorten thematisch und räumlich vergegenwärtigt. Das Archiv schuf – gleich einem Basislager oder einer Bibliografie – die thematische Grundlage, auf der ästhetisch und intellektuell weitergearbeitet worden war.
Ausgehend von diesem Archiv machten sich als drittes Format die ›Ausflüge des Denkens‹ auf den Weg. Es waren kleine Exkursionen, die sich mit Besuchenden der Ausstellungsplattform an Sonntag Nachmittagen mit unterschiedlichen Vehikeln wie Bussen, Barkassen und Fahrrädern ins Gelände begaben, um zu Orten der Reflexion und Anschauung in der näheren Umgebung zu kommen und dabei Philosophen und lokale Akteure auf Bahnbrachen, Müllbergen oder Schiffsanlegern in Vorträgen zur Sprache kommen zu lassen. ›Kultur|Natur‹ war eine dezentrale Ausstellung, die thematische Bezüge durch physische Bewegung herstellte und ein Gewebe an künstlerischen Interventionen und theoretischen Reflexionen über das Gelände von Hamburg-Wilhelmsburg für den Zeitraum eines Sommers legte. Als ein solches Gewebe machte sie vielleicht überdeutlich, was Ausstellungsplattformen als Darlegungsgebilde der Einsicht zu leisten in der Lage sind: Ausstellungsplattformen präsentieren künstlerische wie theoretische Positionen im Kontext des zu beforschenden Gegenstandsbereichs und setzen diese miteinander prüfend in Beziehung. Die reale und rhetorische Figur der Plattform meint dabei das Podest, auf dem Positionen auftreten, wie Vortragende auf einem Symposium. Im Fall von ›Kultur|Natur‹ wurde der ganze Stadtteil zur Plattform eines ästhetisch-intellektuellen Symposiums. Intensiver als ein konzentriertes Vortragssymposium nötigt ein dezentral ausstellendes Symposium dem Publikum insbesondere die Bezüge auf, die zwischen den Beiträgen bestehen. Es provoziert Beteiligte und Betrachtende, Zusammenhänge nicht nur zu denken, sondern auch physisch zu durchschreiten.
Solche Ausstellungsplattformen sind nun, ebenso wie Kunstwerke, keine Naturprodukte, sondern durch menschliche Tätigkeit zuwege gebracht, um mit Hegel zu sprechen. Präsentationsformate ergeben sich als Effekte einer aktiven Gestaltungsarbeit und werden in Prozessen entwickelt, in denen Künstlerinnen und Künstler die räumlichen und inhaltlichen Kontexte ihrer Arbeit bedenken und für die Vermittlung ihrer Positionen und Forschungsergebnisse sichtbar machen. Wir denken hier im Rahmen der epistemologischen Ästhetik nicht über das Ausstellen generell nach, sondern über das Ausstellen als Plattform und Facette der reflektierenden künstlerischen Praxis. Dabei sind »Ausstellungen«, so stellt die Künstlerin und Theoretikerin Julie Ault vor dem Hintergrund ihrer eigenen künstlerischen Praxis und Erfahrung klar, »zentrale Orte, wo Kunst und Kunstprodukte öffentlich gemacht werden und wo die sozialen Prozesse und Kontexte, aus denen Kunst und andere Produkte entstehen, den Betrachtern beschrieben oder präsentiert werden können«.44 Ault entwickelt diese Argumentation zur Bedeutung des Ausstellens, um deutlich zu machen, warum es Künstlerinnen und Künstlern darum gehen muss, das Ausstellen als kontextualisierende Tätigkeit ihrer künstlerischen Arbeiten selber in die Hand zu nehmen. Es geht beim Ausstellen um die Hoheit der Bedeutungsproduktion durch die Herstellung von Präsentationskontexten und die aktive Gestaltung von Darstellungsformaten.45 Das Ausstellen kann als zentrales Tätigkeitsfeld des künstlerischen Forschens verstanden werden, weil beim Ausstellen Forschende um der Positionierung ihrer Einsichten willen, die Umstände ihrer Tätigkeit bedenken, Bezüge herstellen, Vorarbeiten reflektieren, räumliche Gegebenheiten in die Erscheinungsform ihrer Position integrieren oder von Anbeginn ortspezifisch agieren, das heißt mit den Gegebenheiten arbeiten, welche die Orte, an denen künstlerisch gearbeitet wird, hinsichtlich ihrer physischen oder sozialen Struktur mitbringen. Diese inhaltlichen, historischen oder räumlichen Zusammenhänge der künstlerischen Untersuchungen manifestieren sich in solchen Ausstellungsplattformen, die konstellativ durch die Vielheit und die Positionierung der vorgestellten Einsichten, deren Bezogenheit visualisieren und daher im eigentlichen Sinne verorten. Ausstellungen oder Aufführungen, Inszenierungen oder Interventionen können mithin künstlerische Einsichten verorten, indem sie diese sichtbar in einem Raum positionieren, der dadurch zu einem Raum der Auseinandersetzung wird. »Die Praxis des Ausstellens ist eine Form des Stellung-Beziehens, eine Stellungnahme: das bewusste Einnehmen einer Position.«46 Der Kunsttheoretiker Oliver Marchart betont mit dieser These den Charakter des Ausstellens als eines Positionierens von Ansichten oder Einsichten. Ausstellungen sind in dieser Hinsicht ein Dispositiv – ein Umstand, in dem Positionen gruppiert in Erscheinung treten. Oder, wie es die Kunstwissenschaftlerin Katja Hoffmann vorschlägt, Ausstellungen können als Anordnungen begriffen werden, die konstitutiv für die Ordnungen des Wissens sind. Hoffmann prägt dabei den, für eine epistemologische Ästhetik brauchbaren Topos der »szenografischen Ordnung« der sowohl die Auswahl der Arbeiten wie auch die räumliche Anordnung der Werke in deren Zusammenwirken bezeichnet.47
Als sichtbare Manifestationen der Verortung von künstlerischen Positionen sind Ausstellungen schließlich nicht nur Räume der Verortung, Bühnen der Wissensordnung und Plattformen der Auseinandersetzung, sondern auch die Schauplätze der Kunst für den Austausch mit der Welt. Denn das Ausstellen ist eine öffentliche Angelegenheit und stellt sich von daher als eine unerlässliche Handlung im Praxisfeld der künstlerischen Forschung dar. Nur durch die Praxis des situierenden Ausstellens wird Kunst zu einer verorteten und dabei zugleich öffentlich wahrnehmbaren, vermittelbaren, verhandelbaren, intersubjektiven Angelegenheit. Und nur durch das Ausstellen kontextualisieren sich künstlerische Positionen im Geflecht der Bezüge der gezeigten Arbeiten. Für die Kunsttheoretikerin Elke Bippus kann daher davon gesprochen werden, dass Ausstellungsräume die Erweiterungen der Atelierräume als Ort künstlerischen Forschens sind.48 Für Bippus sind beide Orte – das Atelier und die Ausstellung – Laboratorien, in denen epistemische Dinge verhandelt werden und als Ermöglichungsbedingungen »eines Experimentalsystems kollektiv-konstellativer Forschungs- und Wissensbildungsprozesse«49 angesehen werden können. Mit dem Topos der »konstellativen Anordnung« kehrt Bippus – wie Hoffman mit dem Topos der »szenografischen Ordnung« – das Arrangement heraus, das Ausstellungen sind. Es handelt sich bei diesem Arrangement um eine tätig erzeugte Konstellation von Sach-verhalten – Sachen und Verhaltensweisen – die zueinander solchermaßen eine szenische Beziehung im Raum der Ausstellung eingehen, dass »Sinnbildungsprozesse« stattfinden.50 Oder, um es in den Worten von Ault auszusprechen, »Ausstellungen sind soziale Räume, wo Bedeutungen, Erzählungen, Geschichten und Funktionen kulturellen Materials aktiv erzeugt werden«.51
Mit den Topoi der »szenografischen Ordnung« oder der »konstellativen Anordnung« sind also nicht nur die ostentative Bezugnahme einzelner ästhetischer Sachen und Verhaltensweisen auf ihren Kontext gemeint, sondern auch das Verfahren der Erzeugung von Sinn. In Ausstellungen werden Positionen verortet und zugleich wird zwischen diesen Orten Sinn geknüpft oder verhandelt. Die Tätigkeit der Positionierung im Kontext macht aus einer künstlerischen Behauptung eine situierte Einsicht. Die konstellative Anordnung der künstlerischen Sachverhalte im Kollektiv der Ausstellung als einer Plattform der Positionen öffnet den Raum für Prozesse des Verstehens und Verhandelns. Durch die szenische Bezugnahme werden aus Sachverhalten, die der ästhetischen Forschung entspringen, epistemische Dinge in der Praxis des Ausstellens. Im Zuge eines Selbstverständnisses der Kunst als einer Einsichten generierenden Disziplin muss daher das konstellative und szenische Ausstellen als ein Zur-Disposition-stellen verstanden werden und als eine wesentliche Tätigkeit forschender Künstlerinnen und Künstler in den Blick geraten. Drei zentrale Versprechen der Forschung verbinden sich schließlich mit dieser tätigen Kunst des Ausstellens: Das Versprechen der Verortung, welches Erkenntnisse in Kontexte stellt, das Versprechen der Veröffentlichung, mit dem sich künstlerische Positionen als Einsichtsvorschläge an eine Expertengemeinde wenden, und das Versprechen der Debatte, mit dem sich künstlerische Positionen im Rahmen von konstellativen Ausstellungen aneinander aussetzen und im Rahmen ihrer szenografischen Ordnung um ihre Plausibilität werben. Die Ausstellung ist für die künstlerische Forschung das gewollte Gelage – das Symposium von Werken, die zusammenkommen, um Positionen zu markieren, Einsichten zu proklamieren, sich aneinander zu überprüfen und miteinander zu kommunizieren.
Warum also – so können wir uns an dieser Stelle tatsächlich fragen – warum wurde diese epistemische, sinnstiftende, intersubjektive, erweiterte Praxis lange nicht systematisch als ein konstitutives Element von Kunst reflektiert? Aus der Geschichte und kulturellen Rolle der Kunst heraus ist das Ausstellen tatsächlich ein blinder Fleck in der Wahrnehmung dessen geblieben, was die ästhetische Praxis des Kunstens ausmacht. Das ausgestellte Symposium aufeinander bezogener Arbeiten wurde in den Ästhetiken selten als Erzeugnis künstlerischer Arbeit bedacht und das positionierende Darstellen wenig als künstlerische Tätigkeit zur Kenntnis genommen. Diese Achtlosigkeit gegenüber dem Ausstellen als künstlerischer Gestaltungspraxis entspringt einer Reihe von traditionellen Annahmen über den Charakter der Kunst und ihrer Darreichungsform: Präsentationsräume schienen weiße Orte zu sein, die im Verhältnis zu den Werken nicht thematisiert, sondern ignoriert wurden. Auch die Idee des autonomen Werks, die sich in Bilderrahmen oder Skulpturensockeln materialisiert, verhinderte es nachhaltig, das vernetzende Ausstellen als eine Werkwirklichkeit schaffende Praxis solchermaßen anzuerkennen, dass sich nicht nur eine Museologie daran knüpft, sondern eine epistemische Praxologie der Kunst. Schließlich wurde mit einer gewissen Kurzsichtigkeit das Feld der Kunst nicht als Betrieb wahrgenommen, wo Kunstwerke nicht nur für das Atelier, sondern als Ausstellungsbeiträge gestaltet wurden. Das Beitragen zur Ausstellung wurde, ebenso wie das Grundieren von Leinwand, nicht als werkrelevante Angelegenheit angesehen. »Künstler können sich weder für die Präsentation ihrer Werke noch für die Ausstellung als Medium interessieren« steht noch im Jahre 2007 in einer Kunstpublikation zum »Neuen Ausstellen«, um direkt im Anschluss festzustellen, dass das Ausstellen allerdings bedeute, »ein Ding in einen bestimmten Kontext zu stellen. Ausstellen ist Beziehungsstiftung: Dinge zueinander in Beziehung setzen und dieses Ensemble von Dingen zu einem Ort in Beziehung setzen, der seinerseits mit der Welt in Beziehung steht.«52 Dieses Geflecht aus Annahmen über kontextvergessene Künstler, Ansichten über neutrale Räume, autonome Werkverständnisse, Vorstellungen über ein wesentlich kontemplatives Rezipiententum und eine als Salon begriffener Ausstellungsbetrieb disponiert die theoretische Achtlosigkeit gegenüber dem Ausstellen als künstlerischer Darstellungspraxis. Unbedacht bleibt daher weitestgehend die Praxis des Ausstellens als einem Prozess der ästhetischen Positionierung und konstellativen Bedeutungsproduktion.
Die Tradition, jedoch, den Handlungsraum nicht zu denken, in dem Kunst öffentlich wird und damit den Darstellungsraum zu ignorieren, in dem künstlerische Einsichten verhandelbar werden, entspricht einem verbreiteten Brauch. Auch andere Disziplinen verkennen ihre Präsentationsmodi als Positionierungen und Wahrheitspraktiken. Die traditionelle Ausstellungsvergessenheit in der Kunsttheorie wird aber in dem Maße bedenklich, wie sich die Kunst als neuer Ort der Einsichtspraxis etabliert und eine theoretische Achtlosigkeit gegenüber dem Ausstellen nun bemerkenswert geschmeidig anschließt, an die etablierte Achtlosigkeit, mit der die anderen Orte der Wissenserzeugung traditionell ihre Darstellungsweisen als Wahrheitspraktiken verkennen: Der Buchmarkt und das Verlegergeschäft spielt im Theoriebetrieb ebenso selten eine Rolle, wie die Konferenztätigkeit wissenschaftstheoretisch und methodologisch als Praxis des Denkens reflektiert wird. Auch die Aktivitäten, welche Präsentationsfolien und Infografiken generieren, um Forschungsergebnisse in Fachzeitschriften und auf Tagungen präsentabel zu machen, werden im Rahmen der Reflexion über das Forschen in den Naturwissenschaften kaum als Wissenshandlungen bedacht. Wir haben es hier mit einem epistemischen Paradox zu tun: Auf der einen Seite steht die fundamentale und disziplinübergreifende Grundanforderung an die Forschung, Ergebnisse, Einsichten oder Problemhorizonte in ihren jeweiligen Argumentationen, Genesen oder Beweisführungen nachvollziehbar zu machen. Auf der anderen Seite lässt sich eine fundamentale Vergessenheit über die Bedingungen und Effekte eben jener Kontexte und Praktiken diagnostizieren, die Nachvollziehbarkeit durch Zuschaustellung überhaupt erst ermöglichen. Dabei würde die Reflexion über Darstellungsräume, Vermittlungsfelder oder Diskussionsforen nicht nur eine wissenspolitische Vergegenwärtigung darüber leisten, wer, wann und zu welchen Konditionen sprechen und präsentieren darf. Es geht bei der Reflexion über Präsentationsebenen tatsächlich darum, fundamentale Praktiken der Erkenntnis zu denken. Die Art und Weisen, wie Einsichten und Erkenntnisse positioniert und in die Wissensgemeinschaft eingebracht werden, in welchen Zusammenhängen sie verhandelt werden und welche Alternativen zur Disposition stehen – oder eben nicht – wirken auf die Prozesse der Wissensgenese zurück. Diese Wirkung ergibt sich, weil Forschungsprozesse im Präsentationsmodus oder als Veröffentlichungen aus ihrer Selbstgenügsamkeit in das Forum einer Öffentlichkeit aus Experten und Ergebnissen gehoben werden. Diese Öffentlichkeit nimmt Angebote über Einsichten und Erkenntnisse zur Kenntnis, bezeugt, überprüft und kommentiert sie. Das antizipierte Szenario der Kenntnisnahme disponiert im Vornherein den Forschungsprozess. Die Kommentierung trägt weiterführende Sichtweisen ein. In beiderlei Hinsicht wirken Präsentation und Öffentlichkeit konstituierend und regulierend auf Forschungsprozesse ein. Und Forschungsprozesse stellen sich hinsichtlich dieser Rückkopplungsschleifen des Analysierens, Präsentierens und Debattierens als kollektive Verfahren dar. Mit dem Topos der Öffentlichkeit haben wir noch einmal die Spur zur Bedeutung des Ausstellens als einem offenen Debattenfeld gelegt. Das Ausstellen ist ein Zur-Disposition-stellen und darin sowohl Darstellungspraxis wie auch das Bereitstellen eines öffentlichen Verhandlungsraumes, in den fragend und prüfend interveniert werden kann.
Bezogen auf die Kunst als Einsichtspraxis haben wir es also mit einem doppelten Befund zu tun: Zum einen verschafft die prüfende Öffentlichkeit, die mittels der Tätigkeit des Ausstellens arrangiert wird, den künstlerischen Positionen einen Resonanzraum, innerhalb dessen die Einsichtsangebote zwischen der Darstellung und der Diskussion hin und her schwingen. Sei es, weil sich das Publikum im Modus ästhetischer Erfahrungen auf Kunstwerke einlässt und deren Figurationen als Gehalte realisiert und ins Verhältnis zu anderen Figurationen setzt, oder sei es, dass die Öffentlichkeit im Fall der ortspezifischen und interventionistischen Kunst als Verhandlungspartner schon zum inhärenten Teil der künstlerischen Artikulation wird. Die Angelegenheiten des Veröffentlichens, Verhandelns und Verständigens schnüren sich auf der Plattform des Ausstellens zusammen. Zum anderen bedarf aber diese forschungsrelevante Kunst des Ausstellens der Thematisierung und Analyse im Rahmen einer epistemologischen Ästhetik, denn das Ausstellen will als Wahrheitspraxis bedacht werden. Und die epistemologische Diagnose lautet: Das Kunsten als tätiges Einsehen ist auch ein konstellatives Darstellen im Rahmen einer szenischen Ordnung.
Wenn dieser doppelte Befund über die Bedeutung des Ausstellens für die künstlerische Forschung und die epistemologische Ästhetik umgewendet und auf die Praxis und Theorie des Forschens in nichtkünstlerischen Disziplinen angewendet wird, so tritt deren Mangel an einer Kunst des Ausstellens um so deutlicher hervor. Weder wird die Praxis der Präsentation epistemologisch bedacht noch als Tätigkeit entwickelt. Von der konstellativen Ausstellungspraxis in der forschenden Kunst und ihrer epistemologischen Ästhetik aus, kann also die Forschung in anderen Wissenschaften profitieren und wird hingewiesen auf den fundamentalen Charakter des Darstellens als einer Wahrheitspraxis. Künstlerinnen und Künstler haben Expertise in der Sache des Ausstellens. Dies ist ebenso selbstverständlich, wie es theoretisch häufig ignoriert wurde. Relevant für eine epistemologische Ästhetik ist, dass sie diese Expertise als Wahrheitspraxis einsetzen können und so wird die Epistemologie insgesamt durch die ästhetische Forschungspraxis angereichert. Das ganze wissenschaftliche Feld kann sich von diesen ästhetischen Qualifikationen inspirieren und aufklären lassen hinsichtlich der Rolle des Präsentierens von Forschungseinsichten. Der in allen Disziplinen vernachlässigte und unterreflektierte Darstellungsmodus rückt durch das Aufkommen der künstlerischen Forschung und der sie bedenkenden epistemologischen Ästhetik ins Blickfeld.
Die Kunst zeigt uns, wie die szenische Gestaltung eines reflexiven Raumes geht, in dem Einsichten in der Darstellung auch mitvollzogen werden können. Und sie wendet diese Kenntnis entlarvend auch auf jene Wissenschaften an, die in ihrer Darstellungspraxis mangelhaft performen. Forschungskontexte, die, an der kritischen Öffentlichkeit vorbei, Wissen nicht im offenen Darstellungsmodus nachvollziehbar machen, können durch die künstlerische Ausstellungspraxis in diesem Mangel enttarnt werden. Eine kritische Wissenschaftsforschung wird gerade aus dem Feld der Kunst und ihrer Ausstellungsexpertise heraus möglich – und sie findet tatsächlich schon statt. Die Kunst forscht seit Jahren schon über das Forschen in der Forschung und deren Darstellungsformaten:
Heitere Einsichten
Wenden wir uns zum Beispiel dem Critical Art Ensemble zu. Es betreibt eine künstlerische Forschung am wissenschaftlichen Forschen. Die Künstlergruppe analysiert naturwissenschaftliche Forschungspraktiken durch künstlerische Imitation und stellt experimentelle Versuchsanordnungen in Performances oder Installationen öffentlich zur Schau. Dabei widmet sich das Critical Art Ensemble jenen wissenschaftlichen Forschungskontexten, die politisch und machtstrategisch besonders brisant sind und wo die Frage nach der prüfenden Öffentlichkeit besonders relevant ist. In ihrem Projekt ›Target Deception‹ geht es um militärische Kampfmittelforschung für Biowaffen. Während der Inszenierung von ›Target Deception‹ in Leipzig im Jahr 200753 sehen wir das Mitglied des Critical Art Ensembles Steve Kurtz in die Dokumentarkamera blicken und gegenüber dem virtuellen Publikum feststellt, dass die Performance des gerade inszenierten Bakterienexperiments einen sehr gelungenen Eindruck mache, wohingegen das Experiment in wissenschaftlicher Hinsicht wahrscheinlich mangelhaft ausfallen werde. Während Kurtz spricht, spielt hinter ihm eine Marschkapelle im öffentlichen Raum vor dem Leipziger Rathaus und formiert sich entlang einer Reihe von menschlichen Probanden. Beispielhaft wird in dieser Performance der inszenatorische Charakter wissenschaftlicher Experimente vorgeführt, um deren Anspruch auf quasi natürliche Objektivität zu konterkarieren. Denn anders als wissenschaftliche Forschungseinrichtungen stellen die Künstler das experimentelle Szenario der Forschung im öffentlichen Raum aus und zeigen dem interessierten Publikum damit den Spektakelcharakter des Experimentierens, der ansonsten hinter verschlossenen Türen oder an geheimen Orten stattfindet. Das Critical Art Ensemble imitiert im öffentlichen Raum Leipzigs die geheimen Experimente militärischer Forschungseinrichtungen, bei denen es um die Analyse der Verbreitung von Bakterien geht. Wie verhalten sich versprühte Bakterienkulturen im Luftraum? Wie verteilen sie sich in der urbanen Landschaft? Diese Fragen sind für den effektiven militärischen Einsatz von biologischen Kampfmitteln relevant. Das künstlerische Szenario für Leipzig sah vor, dass Bakterienkulturen durch Mitglieder des Künstlerkollektivs vom neo-mittelalterlichen Burgturm des Leipziger Rathauses gezielt versprüht wurden. Das Critical Art Ensemble übernahm bei dieser Operation die Rolle der wissenschaftlichen Laborleitung und war entsprechend mit weißen Laborkitteln ausgestattet. Dem pittoresken Rathausturm Leipzigs kam die Rolle zu, jene politische Macht zu symbolisieren, mithilfe derer wissenschaftliche Experimente hegemonial finanziert, organisiert und durchgesetzt werden. Um das militärische Interesse am Experiment mit den Bakterien im Stadtraum zu versinnbildlichen, spielte zu Füßen des Rathauses die kostümierte Militärkapelle in Marschformation auf. Anhand von studentischen Probanden, die in Reihe unterhalb des Turmes standen und die, wie im echten Experiment, davon ausgingen, dass es sich bei den versprühten Bakterien um harmlose Exemplare ihrer Gattung handele, sollte die Verteilung und der Niederschlag der Mikroorganismen untersucht werden. Die Kleidung der Versuchsteilnehmer wurde nach dem Freisetzen der Bakterien gescannt – in dieser künstlerischen Versuchsanordnung konnten keine Bakterien auf den Probanden nachgewiesen werden. Ein Erfolg im Sinne der wissenschaftlichen Fragestellung und militärischen Interessenlage wäre gewesen, wenn sich die Mikrokulturen nicht irgendwo im Luftraum verstreut hätten, sondern auf den Kleidern belegbar gewesen wären und so das Ausbringen, Verteilen und Ankommen der Kulturen in einem nachvollziehbaren und praktisch verwertbaren Zusammenhang gestanden hätten. Der Leipziger Wind hatte jedoch die Bakterien in alle Himmelsrichtungen verstreut und von einer kontrollierten Verseuchung des städtischen Luftraums konnte keine Rede sein – ganz wie im echten militärischen Experiment, stellt das Critical Art Ensemble Mitglied Steven Kurtz fest. Die Ambivalenz von schöner Performance und mangelhaftem Experiment, von welcher der Künstler spricht, stellt sich als künstlerisch-forschender Erfolg und wesentlicher Aspekt der Aktion dar. Ohne dass die Künstler das wissenschaftliche Experiment planmäßig unterminiert hätten, ging es ihnen um die performative Darstellung und inszenatorische Sichtbarmachung eben dieser mangelhaften Versuchsergebnisse. Akkurat wurde von den Künstlern der wissenschaftliche Experimentalaufbau in seinen formalen Elementen reinszeniert und trotzdem misslang der Versuch – wissenschaftlich korrekt – ebenso häufig, wie in den Forschungseinrichtungen die Experimente misslingen, ohne dass diese Uneinschätzbarkeit des Verhaltens der Natur Auswirkungen auf den Glauben an die Objektivität der Wissenschaft hätte. In den Wissenschaften werden Fehlerquoten weder so süffisant ausgestellt noch so offensiv kommuniziert, wie in dieser Kunst, die an der Praxis der Forschung performativ forscht. Die zufällig anwesenden oder kunstinteressierten Zuschauer im Stadtraum von Leipzig bildeten, abweichend von den geheim gehaltenen Militärforschungen, eine prüfende Öffentlichkeit, die sich fragen konnte, inwiefern wissenschaftliche Experimente gelingen, wenn sie unter realen Bedingungen ablaufen und eine deutlich erkennbare Interessenlage die Ausgangskonstellation des Forschens leitet. Das Künstlerkollektiv vermittelt durch seine Reenactment-Forschung am theatralen Charakter der Forschung die Einsicht, dass Wissenserzeugung von Interessen geleitet ist. Doch muss uns diese, im Stadtraum wahrnehmbare Einsicht nicht beunruhigen, so lautet die weitere ironisch-heitere Nachricht des Künstlerkollektivs an das kritische Publikum. Denn der praktische Einsatz von vermeintlich objektiven Forschungsergebnissen würde ohnehin am chaotischen System der Wirklichkeit scheitern.
Die künstlerische Beweisführung des Critical Art Ensembles operiert mit zwei klassischen Mitteln naturwissenschaftlicher Überzeugungskunst, welche auch künstlerische Verfahren sind: der Installation experimenteller Aufbauten und der Zeugenschaft. Wissenschaftliche Forschungsergebnisse werden auf der Bühne des Labors im Rahmen präzise arrangierter Szenarien generiert und erhalten Geltungskraft durch die kollektive Beobachtung eines beglaubigenden Publikums. Sie müssen im Kollektiv nachvollziehbar sein. Das Zeugenkollektiv bei der realen militärischen Kampfmittelforschung ist auf ein Mindestmaß an Beobachtenden reduziert, die zur Geheimhaltung verpflichtet sind. Doch auch in den zivilen Wissenschaften besteht der Zeugenstand meist aus einem übersichtlichen Kreis von Fachpersonal. Während also die normalwissenschaftliche Laborbühne einem Kammerspiel gleicht, erweitert das Critical Art Ensemble diese geschlossene Gesellschaft durch die Inszenierung des Experiments für die allgemeine Öffentlichkeit. Sie stellen eine wissenschaftliche Experimentalanordnung als künstlerische Installation und Performance aus. Dadurch vermag die prüfende Öffentlichkeit das Spektakel der Experimental-Inszenierung nicht nur zu verfolgen, zu beglaubigen oder zurückzuweisen, sondern auch dem theatralen Charakter des Forschens selber angesichtig zu werden. Inhalt und Form des Experiments werden ausstellend vorgeführt und in der Vorführung auf ihre Plausibilität hin kontrolliert. Mit den nachahmenden Praktiken der künstlerischen Inszenierung und szenischen Installation wird systematisch das Forschen selber als Praxis erforscht und einer kritischen Öffentlichkeit als erweiterter Zeugenschaft vorgeführt. Und mehr noch: Über den darstellenden Charakter der künstlerischen Performance hinaus wird bei manchen interventionistischen Arbeiten des Critical Art Ensembles auch die kritische Öffentlichkeit selber zum Forschen und damit zur eigenhändigen Überprüfung vorgeführter und vorgefertigter Forschungsergebnisse animiert. Die Künstlergruppe schlägt damit konstruktiv vor, wie erweiterte Forschung und öffentliche Zeugenschaft im Rahmen einer produktiv kritischen künstlerischen Wissenschaftsforschung gehen kann:
An einem romantischen Kanal in einem ehemaligen Industriegebiet in Hamburg hält bei einer künstlerischen Intervention54 der Künstler Kurtz dahinspazierende Angler auf dem Weg zu ihrer Wasserstelle auf und konfrontiert sie mit der Frage, welche Qualität das Kanalwasser habe, aus welchem sie ihre Fische gleich angeln würden. Mittels dieser sokratischen Geste der fragenden Intervention in Alltagshandlungen55 fordert das Critical Art Ensemble einzelne Bürgerinnen und Bürger auf, sich um sich selbst und das Wissen über ihre Umwelt zu kümmern. Mit Wasserprobenteststreifen ausgerüstet ermutigt die Künstlergruppe die Angler als Forschende tätig zu werden und sich Expertise über das Forschen als Praxis und das Wissen in seiner ortsspezifischen Dimension anzueignen. Dabei werden die aufgehaltenen Laien am Kanalrand nicht nur zu Forschenden in der Sache ihrer eigenen Umwelt und befragen kritisch das vorherrschende Wissen, sondern sie werden auch zu Mitarbeitern im Rahmen einer, die Forschung erforschenden Kunst. Die Angler mit den Wasserproben sind Publikum und Inhalt der performativen Intervention und nehmen produktiv und regulativ am künstlerischen Aushandlungsprozess über das Forschen als Praxis und die szenische Inszenierung des Forschungsprozesses teil. Mit ihren Handlungsweisen regulieren die einbezogen Laien den Plausibilitätsgehalt, welchen das Kunstwerk des Critical Art Ensembles durch seine künstlerischen Maßnahmen generiert. Und mit ihren Forschungsergebnissen fabrizieren die wasserprüfenden Angler an der performativen wissenschaftskritischen Intervention mit, deren Teil und Gegenstand sie sind. Beim Critical Art Ensemble bildet sich mithin die künstlerische Position im kooperativen Prozess des Initiierens, Prüfens, Verwerfens, Arrangierens, Modifizierens und Präsentierens von Handlungsangeboten und Darstellungsweisen heraus. Ihre gegenseitige Anwesenheit und Eigensinnigkeit verhilft den Künstlern wie den Passanten zur allmählichen Verfertigung ihrer Kunsthandlungen und ihrer kritischen Einsichten. Das Critical Art Ensemble probiert sich und seine ›künstlerische Rede‹ gleichsam an den prüfenden Anderen aus, die wiederum zu einem wesentlichen Faktor in der Herstellung künstlerischer Argumente werden. In der künstlerischen Praxis und im Gebrauch der künstlerischen Mittel wird mit der Welt, den Artefakten und den einbezogenen Personen ›verhandelt‹. Es formt sich durch diese kooperative Tätigkeit ein inszeniertes Einsehen in die praxische Qualität des Forschens heraus.
Mit den wissenschaftskritischen Forschungsprojekten des Critical Art Ensembles wird offensichtlich, was gemeint ist, wenn die forschende Kunst als ein wesentlich tätiges Verfahren angesehen wird. Nicht das stabile Werk, sondern die ephemere reflexiv-physische Arbeit am Material der Umwelt und mit dem Gegenüber kennzeichnet diese forschende Kunst. Voraussetzung für die ästhetische Einsichtspraxis ist dabei die prüfende Produktivität des Verstehens, die darin besteht, dass sich mittels der Herstellung von ästhetisch wahrnehmbaren Szenen und Objekten Gewissheiten einstellen. Diese epistemische Produktivität macht es plausibel, in der Kunst eine Wahrheitshandlung zu erkennen. Wesentlich für die künstlerischen Verfahren ist daher nicht die Idee von einem vollendeten Werk als Fluchtpunkt der Aktivität, sondern der Prozess, mit dem sich die Kunstschaffenden durch die Welt fragend und formend durcharbeiten und Werke als Spieleinsätze über das Weltverstehen generieren. Die Praxis des kritischen Selbstverständigungsprozesses, die im Fall des Critical Art Ensembles am Kanalgewässer in Hamburg mit jeder Begegnung und jeder Wasserprobe neu beginnt, steht im Zentrum dieser Formungsarbeit, die ihr Sein im Vollzug des Getan-werdens hat. Nicht Singularität und Monumentalität kennzeichnet diese künstlerische praxische Arbeit, sondern ihr positionaler Verhandlungscharakter und dezentrale Verständnisbewegungen. Es handelt sich um ein interaktives, kontextuelles, situatives, ephemeres und prozesshaftes Werk, sofern am Werkbegriff als einer Praxis festgehalten werden soll. Nicht stabilisierende Feststellungen kennzeichnen dieses tätige Werk, sondern prüfende, variierende, bildnerische Praktiken, die sich in Positionen auskristallisieren.
Mit seinen Themen und seinen künstlerischen Arbeitsmethoden bündelt das Critical Art Ensemble mehrere Argumentationsstränge zum künstlerischen Forschen: Den Argumentationsstrang, dass das Forschen eine Praxis und das künstlerische Forschen ein tätiges Einsehen ist, den Argumentationsstrang, dass sich die Kunst als Wissensproduzentin in ephemeren, offenporigen Werken artikuliert, den Argumentationsstrang, dass mittels der künstlerischen Expertise des Ausstellens, der Darstellungsmodus in der Forschung einen neuen Wert erhält und auch die Forschung in anderen Disziplinen untersucht werden kann. Die Folge davon ist: Kunst forscht nicht nur; sie erforscht auch die Forschung in einem Metadiskurs über das Forschen als Wahrheitspraxis. Indem es diese Forschung an der Forschung mit den Mitteln der künstlerischen Forschungspraxis betreibt, bestätigt das Critical Art Ensemble nicht nur beispielhaft die Thesen einer epistemologischen Ästhetik zur Praxologie der Erkenntnis, sondern es flankiert auch die Beiträge einer einflussreichen philosophischen, ethnologischen und soziologischen Wissenschaftsforschung zur Praxis des Wissens.
Denn seit einiger Zeit kristallisiert sich im Feld der Wissenschaftsforschung die Diagnose heraus, dass Erkenntnisse und Einsichten als Effekte einer laborierenden Praxis verstanden werden müssen. Eine »Fabrikation der Erkenntnis« nennt die Wissenschaftsforscherin Karin Knorr-Cetina, dasjenige was sie in den naturwissenschaftlichen Forschungslaboren zu sehen bekommt.56 Und auch aus der Sicht des Anthropologen Bruno Latour sieht es im Forschungsbetrieb nach einer »Wissenschaft in Aktion« aus. Latour ist einer jener Ethnologen, die im Modus halb zugekniffener, sich selber verblendender Augen die Welt betrachten. Interessiert wandert er durch Laboratorien der Naturwissenschaften, um dort die tätigen Verhaltensweisen so zu beobachten, als würde er Forschung nicht kennen. Oder er begleitet wissenschaftliche Expeditionen ins Feld, um sein Augenmerk auf das zu richten, was als epistemische Anordnungen die Praxis dessen ausmacht, was wir Forschung zu nennen gewohnt sind. Latour schenkt, wie er es nennt, den »warmen« unstabilen Schmieden der Wissensproduktion und ihren aktiv dampfenden Gärungsprozessen seine Aufmerksamkeit.57 Seine Analysen sind Ethnografien der emsig laborierenden Naturwissenschaften und seine Beschreibungen bringen eine Epistemologie der tätigen Produktion von naturwissenschaftlicher Wahrheit hervor. In den Berichten des Ethnologen Latour werden engagierte Forscherteams geschildert, die etwa bei einer Untersuchung am Regenwald Amazoniens mit großer Aufmerksam und voller Wissensdurst aus der Fülle dessen, was als Natur undurchsichtig wie der Dschungel Lateinamerikas daliegt, bestimmte Figurationen als erachtenswert herausheben – und andere nicht.58 Schon dieser Akt der bestimmenden Wahl einer Bodenprobe oder eines Blattes und mehr noch die Dekontextualisierung der auserwählten Objekte, ihre Konservierung, Sortierung, Analyse und Zuordnung sind Forschungshandlungen, in denen sich Wahrheitswerte als Schöpfungsakte herausstellen. Latours Erzählungen über die Wege und Wandlungen von Forschungsprozessen und Forschungsobjekten hin zu Forschungsergebnissen sind präzise und aufmerksame Annäherungen an das Geschehen zwischen Forschenden und Dingen als einer tätigen Forschung, in deren Verlauf sich alle drei – die Dinge, die Forschenden und die Forschung – als solche im Auffinden auch erfinden. Dass diese ethnografischen Untersuchungen der laborierenden Forschungsprozesse eine Kritik an den Objektivitätsansprüchen der Naturwissenschaften beinhalteten, ist offensichtlich. Wie das Critical Art Ensemble so will auch Latour zeigen, dass die Wissenschaften in ihren Forschungen nicht die Wahrheit der Natur entdecken, sondern eine Natur herausarbeiten, deren Wahrheit sie zu sehen in der Lage und gewillt sind. Dass Latours eindringlichen Analysen aber auch Liebeserklärungen an die Forschung als wunderbaren Wandlungsprozess, Schöpfungsverlauf und Entwicklungsgang sind, wird häufig übersehen. Naturwissenschaften entdecken ihre Forschungsobjekte nicht nur, sondern formen und erzeugen sie auch. Die Diagnose zu diesem wissenschaftlichen Schöpfungsprozess von Einsichten lässt sich tatsächlich parallel zur praxischen Produktivität künstlerischer Forschungsverfahren verstehen. Naturwissenschaftliche Erkenntnisse können als Resultate einer produktiv-reflexiven Tätigkeit beschrieben werden und gesellen sich von daher – fast wie von selbst – neben die konstellativen Werke der forschenden Kunst, die aus einer geistig-produktiven Tätigkeit hervorgehen. Latour enttarnt die Wissenschaft als Kunst, so wie das Critical Art Ensemble die Forschung als theatrale Praxis und ästhetische Performance inszeniert.
Wir könnten an dieser Stelle des Gedankengangs nun folgern, dass das naturwissenschaftliche Forschen im Grunde wie ein forschendes Kunsten sei und dass das Wissen der Wissenschaften den Werken der Kunst entspräche: Ephemer seiend im Spiel der beteiligten Komponenten die Werke und das Wissen. Produktiv reflektierend das künstlerische und wissenschaftliche Forschen. Wissenschaft könne als eine künstlerische Praxis angesehen werden, nur dass die Wissenschaft fälschlicherweise den Denkmantel der Objektivität getragen haben, bis die forschende Kunst und die kritische Wissenschaftsforschung ihr diesen abnahmen.
Doch ist es zumindest in der Reihenfolge der Bezüge angemessener, nicht die Wissenschaft neben die Kunst zu stellen, sondern in einer umgekehrten Bewegung des Denkens, von den Studien über die naturwissenschaftlichen Forschungstätigkeiten auf die Bestimmungen der Tätigkeiten in der Kunst als einer einsehenden Praxis zu schließen. Denn ursprünglich wurde der gegenwärtige praxisästhetische Blick auf die forschende Kunst tatsächlich vom »practical turn« in der Wissenschaftsforschung seit den 1990er Jahren inspiriert – und nicht von den Erwägungen über die Kunst als Tätigkeit in den Ästhetiken des 19. und 20. Jahrhunderts. Nicht Hegels Studien zur Kunst als einer geistig-schöpferischen Tätigkeit haben primär dazu angehalten, die Kunst als Forschung und Praxis zu denken und von dort aus das Forschen generell als Praxis zu enttarnen, nicht Fiedlers Konzept von der Ausdrucksbewegung oder Gadamers Werkbegriff etablieren das gegenwärtige Verständnis von einer tätigen Kunst des Einsehens, die einer tätigen Kunst des wissenschaftlichen Forschens entspricht. Es waren die Schlagworte von doing science oder doing culture in den wissenschaftskritischen, kulturtheoretischen oder anthropologischen Studien des 20. und 21. Jahrhunderts, welche die Prozesse und Tätigkeiten in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rückten und damit das Forschen praxologisch durchdachten. In der Folge verschaffte sich die Praxologie auch Eingang in die Kunsttheorie. In den wissenschaftskritischen Studien hat man angefangen, unter praxologischen Gesichtspunkten über Erkenntnis, Wissen, Kultur und deren Seinsweisen nachzudenken, und so schlug sich der practical turn auch als praxisästhetische Wende in den Vorstellungen von Kunst nieder. Unsere epistemologische Ästhetik, die das Geschehen mancher Kunst als Forschung verstehen und bestimmen will, ist von daher in das praxische und wissenschaftskritische Dispositiv der Gegenwart mehr eingelassen als in die Ästhetiken der Vergangenheit. Die Rückbezüge auf die traditionellen Ästhetiken von Hegel, Fiedler oder Gadamer sind nachträgliche genealogische Rekonstruktionen, um Komponenten der gegenwärtigen epistemologischen Ästhetik historisch anzubinden und argumentativ abzustützen.
Mittels dieser nachträglichen Rückbezüge auf die Ästhetiken des 19. und 20. Jahrhunderts intensiviert das epistemologische Denken allerdings seine argumentative Achtsamkeit in Hinblick auf die einsichtigen Tätigkeiten der Kunst. Und in der Folge dieser neuen Wahrnehmungsfähigkeit für die epistemische Dimension von Praktiken rücken in allen Disziplinen – der Kunst, der Philosophie und der Wissenschaft – insbesondere die Tätigkeiten beim Forschen noch stärker in den Fokus. Die gesamte Erkenntnistheorie wird zu einer Theorie der forschenden Tätigkeiten – sie wird zu einer epistemischen Praxologie. Nicht Erkenntnisse oder Einsichten stehen dabei dann im Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit, sondern – in einer Verkehrung der Perspektive und damit der Werte – schöpferische Praktiken des Forschens. Wir sprechen dann nicht mehr von Erkenntnissen und Einsichten als Ergebnissen der Forschung, sondern von Forschungsverfahren, die Effekte in der Erkenntnis zeitigen. Der Unterschied zwischen Ergebnissen und Effekten liegt auf der Hand – zielgerichtet und hergeleitet die einen, sich ergebend, erarbeitet, schöpferisch und konstellativ die anderen. Angesichts dieser Diagnose zu den konstellativen Qualitäten von Forschungseffekten wird deutlich, warum eine epistemologische Ästhetik des 21. Jahrhunderts in ihren Fundamenten vom practical turn inspiriert ist und nicht von den praxologischen Stimmen innerhalb der traditionellen Ästhetik. Die traditionellen Ästhetiken, die scharfsinnig aber vereinzelt auf das Kunstgeschehen als Praxis blicken, basieren nicht auf einem konstellativen Konzept von Erkenntnis. Konrad Fiedler denkt die Bewusstseinsbildung des Menschen in der Ausdrucksbewegung der Kunst immerhin als unabschließbaren Prozess, nicht aber als »situiertes Wissen«59. Situiertes Wissen ist vorläufig und relativ, kontextuell und positional. Es weiß um die Bedingtheit der für wahr genommenen Erkenntnisposition. Und es ist dieses kritische Bewusstsein von einer Kontextualität der Erkenntnis, hinter die eine epistemologische Ästhetik des 21. Jahrhunderts vor dem Hintergrund der wissenschaftskritischen Studien nicht zurücktreten kann. Die Kontextualität von Wahrheit, Wissen und Erkenntnis ist der wesentliche Effekt und das zentrale Ergebnis der kritischen Wissenschaftstheorien des 20. Jahrhunderts und von diesen Theorien her zu denken. Am Ende war es auch dieses kritische Bewusstsein von der Kontextualität des Wissens, das innerhalb der Kunst im letzten Jahrhundert dazu beitrug, dass die Kunst begann, sich als alternative Forschung zu begreifen. Das Critical Art Ensemble ist nur einer der jüngeren Vertreter einer Kunst, die seit Jahrzehnten antritt, um kritische Wissenschaftskritik zu betreiben oder alternative Wissensformen zu etablieren. Aber damit befinden wir uns schon auf dem Terrain der verzweigten Genealogie, die zur gegenwärtigen Kunst des Forschens geführt hat.
1Bruce Nauman, Kunst, die eigentliche Tätigkeit, in: Hoffmann (Hg.): Bruce Nauman. Interviews 1967-1988, 1996, S. 113, gefunden in dem Buch: Kunst des Forschens, von Elke Bippus, 2009 auf S. 11.
2Bippus: Modellierung ästhetischer Wissensproduktion in Laboratorien der Kunst, in: Tröndle, Warmers (Hg.): Kunstforschung als ästhetische Wissenschaft, 2012.
3von Kleist: Über die allmählige Verfertigung der Gedanken beim Reden. postum in: Lindau (Hg.) Nord und Süd, 1878.
4Vgl. Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, 1963, S. 36.
5Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik, 1970, S. 44.
6Fiedler: Beurteilung von Werken der Bildenden Kunst (1876), in: Fiedler: Schriften zur Kunst, Bd.1, 1991. S. 1
7Vgl. Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik, 1970, S. 21: »In Kunstwerken haben die Völker ihre gehaltreichsten inneren Anschauungen und Vorstellungen niedergelegt, und für das Verständnis der Weisheit und Religion macht die schöne Kunst oftmals, und bei manchen Völkern sie alleine, den Schlüssel aus. Diese Bestimmung hat die Kunst mit der Religion und Philosophie gemein, jedoch in der eigentümlichen Art, daß sie auch das Höchste sinnlich darstellt und es mit der Erscheinungsweise der Natur, den Sinnen und der Empfindung näher bringt.«
8Vgl. Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik, 1970, S. 28: Der Kunst »ihre wahrhafte Aufgabe [ist es], die höchsten Interessen des Geistes zum Bewußtsein zu bringen.«
9Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik, 1970, S. 48.
10Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik, 1970, S. 28/29.
11Ebd.
12Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik, 1970, S. 110.
13Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik, 1970, S. 47.
14Fiedler: Beurteilung von Werken der Bildenden Kunst, in: Fiedler: Schriften zur Kunst, Bd 1, 1991, S. 31.
15Ebd.
16Fiedlers Schriften beziehen sich nur auf die bildende Kunst.
17Fiedler: Aphorismen, in: Fiedler: Schriften zur Kunst, Bd. 2, 1991, S. 48, § 82.
18Fiedler: Beurteilung von Werken der Bildenden Kunst, in: Fiedler Schriften zur Kunst, Bd.1, S. 34.
19Vgl. Fiedler: Über den Ursprung der künstlerischen Tätigkeit, in: Fiedler: Schriften zur Kunst, Bd. 1, 1991, S. 115 bzw. die einleitenden Anmerkungen von Gottfried Boehm, »Ausdruck als Sprache«, in welcher der Einfluss Humboldts auf Fiedler herausgehoben wird. S.XIII.
20Fiedler: Über den Ursprung der künstlerischen Tätigkeit, in: Fiedler: Schriften zur Kunst, Bd. 1, S. 116.
21Fiedler: Über die Beurteilung von Werken der Bildenden Kunst, in: Fiedler Schriften zur Kunst, Bd.1, S. 32.
22Fiedler: Über den Ursprung der künstlerischen Tätigkeit, in: Fiedler Schriften zur Kunst, Bd. 1, S. 119.
23Fiedler: Über die Beurteilung von Werken der Bildenden Kunst, in: Fiedler Schriften zur Kunst, Bd.1, S. 35.
24Vgl. auch Fiedler: Über den Ursprung der künstlerischen Tätigkeit, in: Fiedler Schriften zur Kunst, Bd.1, S. 138: »War durch die Einsicht in den relativen Charakter alles Seins die Wirklichkeit, die uns so unabhängig gegenüber zu stehen schien, aufgelöst worden in eine Wirklichkeit, deren Sein nur durch unsere Vorstellung möglich wurde, so erscheint nun durch die Einsicht in die Unmöglichkeit der Existenz von Vorstellungen als vorhandener geistiger Bestandteile unseres Bewußtseins auch die Wirklichkeit als Vorstellung aufgelöst…«
25Fiedler: Über den Ursprung der künstlerischen Tätigkeit, in: Fiedler Schriften zur Kunst, Bd.1, S. 165.
26Fiedler: Über den Ursprung der künstlerischen Tätigkeit, in: Fiedler Schriften zur Kunst, Bd.1, S. 179.
27Vgl. Fiedler: Über den Ursprung der künstlerischen Tätigkeit, in: Fiedler Schriften zur Kunst, Bd.1, S. 151.
28Fiedler: Über die Beurteilung von Werken der Bildenden Kunst, in: Fiedler Schriften zur Kunst, Bd.1, S. 37.
29Vgl. Fiedler: Über die Beurteilung von Werken der Bildenden Kunst, in: Fiedler Schriften zur Kunst, Bd.1, Vgl. S. 38.
30Vgl. Fiedler: Über den Ursprung der künstlerischen Tätigkeit in: Fiedler Schriften zur Kunst, Bd.1, S. 173: »Es ist eine eigentümliche Erscheinung, daß dieselben Menschen, die im Leben und in ihrem Fache einen durchaus sachlichen Ernst besitzen, alsbald in Sentimentalität verfallen, wenn sie sich der Kunst nähern; sie begreifen nicht, daß die künstlerische Tätigkeit auf einer Sachlichkeit und Klarheit beruht, die von ihren Gefühlsorgien so weit entfernt ist, wie von der Trockenheit und Nüchternheit derer, die der Kunst mit denjenigen Hilfsmitteln beikommen zu können glauben, die ihnen eine wissenschaftliche Disziplinierung an die Hand gibt.«
31Vgl. Gludovatz, von Hantelmann, Lüthy, Schieder (Hg.): Kunsthandeln, 2010, S. 7.
32Von Hantelmann: How to do Things with Art, 2007, S. 11.
33Ebd.
34Butler entwickelt ihren Begriff der Performanz als Prozess der Materialisierung von Bedeutung im Rückgriff auf die von Austin formulierte Diagnose zur wirklichkeitsverändernden Wirkung performativer Sprechakte. Vgl. bspw. Butler: Hass spricht, 2006, S 216ff.
35Eine weitere Dimension des Performativen müsste hier allerding im Blick behalten werden und wird an anderer Stelle thematisiert: Mit dem Butlerschen Performanz-Begriff im Gepäck, kann es nicht nur darum gehen, die Kunstobjekte als Sprechakte zu identifizieren, sondern auch die Kunstwerke als Wiederholungstaten im Feld des Kunstdiskurses zu begreifen. Durch die performative Wiederaufführung von Handlungen, die als Kunsthandlungen den hegemonialen Erwartungen an die Kunst entsprechen, realisiert sich Kunst als Realität – so müsste ein Satz aus der Feder Butlers lauten und relevant würde dann die machtpolitische Frage nach der Rolle von Künstlerinnen und Künstlern als Reproduzenten von herrschenden Vorstellungen von der Kunst. Sie müssen etwas aufführen, dass den Tatkonventionen des Kunstbetriebs entspricht, um erkennbar etwas als Kunst akzeptabel zu machen. Dieser stabilisierende Effekt der künstlerischen Praxis als Rädchen im Kunstbetrieb ist ein wichtiges, aber hier nicht diskutiertes Thema.
36Vgl. Gadamer: Wahrheit und Methode, 1986. In Gadamers Buch steht die Kunsttheorie nicht eigentlich im Fokus, sondern die textbezogene Hermeneutik. Gadamer selber setzt diesen Schwerpunkt in der Einleitung, wenn er schreibt, es gehe ihm um das »Verstehen und Auslegen von Texten« und zwar als einer »Welterfahrung«, die sich neben der »neuzeitlichen Wissenschaft und ihrer Methode« behaupten könne. Das theoretische Feld ist damit abgesteckt. Auf der einen Seite die wirkungsmächtigen »neuzeitlichen Naturwissenschaften« und deren Erkenntnistyp, den Gadamer »Methode« nennt. Auf der anderen Seite die Geisteswissenschaften und ihr Erkenntnistyp, der durch die Erfahrung des »hermeneutischen Verstehens« in Erscheinung tritt und nicht eigentlich Erkenntnis, sondern »Wahrheit« hervorbringt. Doch findet Gadamer den wesentlichen Hinweis auf die Verfasstheit des Verstehens als Erfahrung nicht bei den geisteswissenschaftlichen Texten selber, sondern bei der Erfahrung der Kunst. Gadamers Theorie zur Kunst entspringt der gedanklichen Schleife, dass Kunsterfahrung als Vorbild für die Erfahrung des textuellen Verstehens herangezogen wird.
37Gadamer: Wahrheit und Methode, 1986, S. 118.
38Gadamer: Wahrheit und Methode, 1986, S. 109.
39Gadamer: Wahrheit und Methode, 1986, S. 108.
40Aristoteles: Nikomachische Ethik, Sechstes Buch II40 b 5-6.
41Aristoteles: Nikomachische Ethik, Sechstes Buch II40 a 10-20, 1967.
42Aristoteles: Nikomachische Ethik, Sechstes Buch II39 b 1-5, 1967.
43Vgl. Haarmann, Lemke (Hg.): Kultur | Natur. Kunst und Philosophie im Kontext der Stadtentwicklung, 2009.
44Ault: Exhibition as Political Space, in: Rollig, Sturm (Hg.): Dürfen die Das? Kunst als sozialer Raum, Wien 2002, S. 56. Im englischen Original: »Exhibitions are key sites where art and artefact are made public, where social processes and contexts that art and other kinds of production come from can be described or represented to viewers.« (Übersetzung A.H.).
45Auf diese Dimension des Kunstmachens und Ausstellens als einer Aneignung der Bedeutungsproduktion wird im Kapitel zu Herkunft der künstlerischen Forschung aus dem Geist des künstlerischen Aktivismus zurückzukommen sein (vgl. das Kapitel: Politisierung: Von der Anschauung zur Einmischung).
46Marchart: Public Art als politische Praxis, in Schenker, Hiltbrunner (Hg.): Kunst und Öffentlichkeit, Zürich, 2007.
47Vgl. Hoffmann: Ausstellungen als Wissensordnungen, 2013, S. 136.
48Bippus: Modellierung ästhetischer Wissensproduktion in Laboratorien der Kunst, in: Tröndle, Warmers (Hg.): Kunstforschung als ästhetische Wissenschaft, 2012.
49Bippus: Modellierung ästhetischer Wissensproduktion in Laboratorien der Kunst, in: Tröndle, Warmers (Hg.): Kunstforschung als ästhetische Wissenschaft 2012, S. 121.
50Bippus: Modellierung ästhetischer Wissensproduktion in Laboratorien der Kunst, in: Tröndle, Warmers (Hg.): Kunstforschung als ästhetische Wissenschaft, 2012, S, 119.
51Ault: Exhibition as Political Space, 2002, S. 56. Im englischen Original: »Exhibitions are social spaces, where meanings, narratives, histories, and functions of cultural materials are actively produced.« (Übersetzung A.H.)
52Bianchi: Das »Medium Ausstellung« als experimentelle Probebühne, in: Kunstforum International, Bd. 186, 2007.
53Vgl. http://critical-art.net/target-deception/ bzw. http://critical-art.net/target-deception-2007/ (Aufruf September 2018).
54Vgl. Critical Art Ensemble: Peep under the Elbe, in: Haarmann, Lemke (Hg.): Kultur|Natur, 2009.
55Sokrates hielt angeblich auf dem Markt des antiken Athens die Bürger an, um sie zu fragen, wo sie denn einkaufen würden, tatsächlich aber, um sie in eine Selbstbefragung darüber zu verwickeln, ob sie sich um sich selber sorgten.
56Vgl. Knorr-Cetina: Die Fabrikation von Erkenntnis, 1984.
57Vgl. etwa Latour, Science in Action, 1988, S. 2.
58Vgl. Latour, Die Hoffnung der Pandora, 2002, S 36ff.
59Der Topos vom situierten Wissen (situated knowledge) geht auf die Studien der Wissenschaftstheoretikerin Donna Haraway zurück, die naturwissenschaftliche Erkenntnisse auf diskursive Kontexte zurückgeführt bzw. im Umfeld kultureller, gesellschaftlicher und politischer Dispositive verortet hat. Vgl. Haraway, Die Neuerfindung der Natur, 1995 S. 73ff.