11.Elitäre Politik
Webers Vision
11.1Die institutionelle Ertüchtigung der Politik
Auf die kritische Gesellschaftsanalyse reflektiert Weber eine Vision einer modernen Gesellschaft, die durch eine elitäre Form von Politik gekennzeichnet ist. Es geht ihm darum, das Kontingenzbewusstsein und die Gestaltungsfreiheit der gesellschaftlichen Entwicklung aus der Erstarrung so weit es geht zu lösen.
Theoretisch geht Weber von zweierlei aus. Erstens ist für ihn die bürokratische Herrschaft eine notwendige und damit unumkehrbare Folge der historischen Entwicklung. Zweitens ist ihm, ob der »Zählebigkeit« des rationalen Betriebskapitalismus klar, dass nur »im Rahmen des bestehenden Systems«1 Möglichkeiten der Heilung von dieser Erstarrung liegen können, wie Wolfgang Mommsen festhält. Webers Position gegenüber der bürokratischen Organisation ist aus den bereits genannten Gründen als ambivalent zu bezeichnen. Sie ist, wie Jürgen Kocka bemerkt, gleichzeitig von einer »Faszination« der bürokratischen Leistungsfähigkeit und einem »Misstrauen gegen eine sich abzeichnende freiheitsbedrohende ›bürokratische Umklammerung‹«2 geprägt. Die »fortschrittliche Macht der starken Verwaltung«3 ist in Webers Denken das Herzstück der modernen komplexen Massengesellschaft. Die bisherige Entwicklung sieht Weber weder als umkehrbar noch als überwindbar, sie bildet damit die Grundlage seiner Vision.4
Weber setzt an einem Punkt an, der sich aus Gesellschaftskritik maßgeblich ergeben hat. Politik muss wieder die Gestaltungsfähigkeit erlangen und dafür der Bürokratisierung weitestgehend entzogen werden. Bezugspunkt ist dabei der komplexe Massenstaat und die komplexe Massengesellschaft.
Webers Vision einer modernen Gesellschaft baut sich dabei um die Vorstellung einer plebiszitären Führerdemokratie auf. Parlamentarismus und starke präsidiale Elemente sind ihre zentralen Punkte. Da die Bürokratisierung der Politik sich nach Weber insbesondere im institutionellen Rahmen, also bei Parteien und Parlament zeigt, sucht er entsprechend insbesondere in den Institutionen nach Lösungen. Darum wird es im ersten Abschnitt gehen. Danach müssen Webers Ausführungen darüber erläutert werden, wie Politik seiner Vorstellung nach in dieser plebiszitären Führerdemokratie aussieht.
Feststellend, dass es die politische Frage seiner Zeit ist, sucht Weber nach Wegen, wie mit den von ihm beobachteten Umständen des universellen Bürokratisierungstrends und der damit zusammenhängenden fortschreitenden Massendemokratie sowie der Konsequenzen neuer politischer Kampfmittel und Organisationen umzugehen ist.5 Für Weber kann es nur zwei Kräfte geben, die sich der in der Bedeutung zunehmenden Bürokratie als richtungsweisende und kontrollierende Instanz entgegensetzen können, die Monarchie und das Parlament.6 Die Monarchie disqualifiziert er dabei schnell, weil diese hinsichtlich des Fachwissens der Bürokratie immer unterlegen sei.7
Weber sieht nur im Parlament dasjenige geeignete Organ und in dem Parlamentarismus den einzig möglichen institutionellem Rahmen, die bürokratische Verwaltung einer starken politischen Führung zu unterstellen. Nur in einem parlamentarischen System kann ein Kontingenz- und Gestaltungsbewusstsein der gesellschaftlichen Entwicklung dauerhaft erhalten und immer wieder hervorgebracht werden. Die parlamentarische Repräsentation unter den Bedingungen voluntaristischer und sich bürokratisierender Parteien sowie der »moderne Gedanke rationaler Repräsentation durch Interessenvertreter«8 sieht Weber als nur dem Okzident spezifisch an. Sie sind
»nur durch die dortige Stände- und Klassen-Entwicklung erklärlich, welche schon im Mittelalter hier, und nur hier, die Vorläufer schuf. ›Städte‹ und ›Stände‹ […], ›Bürger‹ und ›Proletarier‹ gab es nur hier«9.
Doch sollte Webers Einstellung gegenüber dem Parlament nicht als schlicht positiv überinterpretiert werden. Obwohl er ein Befürworter eines starken Parlamentarismus war, erkannte er darin doch nicht das Allheilmittel. Für ihn ist vollkommen klar, dass durch die Änderung eines Teils niemals das Gesamte von bestimmten Mängeln zu kurieren sei.10 Eine Aufwertung des Parlaments darf also nicht als umfassende Lösung falschverstanden werden, denn
»[s]taatstechnische Änderungen machen an sich eine Nation weder tüchtig noch glücklich, noch wertvoll. Sie können nur mechanische Hemmnisse dafür forträumen, und sind also lediglich Mittel zum Zweck«11.
Das Parlament sieht er dabei zunächst als die Vertretung »der durch die Mittel der Bürokratie Beherrschten«12. Es ist dasjenige Organ, welches der bürokratischen Herrschaftsordnung im modernen Staat das notwendige »Minimum von innerer Zustimmung mindestens der sozial gewichtigen Schichten der Beherrschten« sichern soll und es äußerlich manifestiert.13 Das Parlament sieht Weber demnach als Quelle von Legitimtätsglauben der bürokratischen Herrschaft in der modernen bürgerlichen Gesellschaft und dem komplexen Massenstaat. Daneben kommen dem Parlament in Webers Theorie mehrere zentrale Funktionen zu, die sich explizit aus seiner Einsicht in die universelle Bürokratisierung der Politik ergeben.
Im Parlament besteht für Weber eine Gegenmacht zur modernen Bürokratie. Weber betont zwei wesentliche Instrumente des Parlaments: Das Budgetrecht und das Enqueterecht – ein Recht also, über die Mittel zu bestimmen, und ein Recht, jederzeit Untersuchungen anstellen zu können. Mit dem Budgetrecht hat das Parlament die Möglichkeit, den gesamten Rahmen unter Kontrolle zu halten, denn nach dem Budget richtet sich Umfang und Ausstattung der Verwaltung aus. Allerdings gibt es zahlreiche historische Beispiele, die zeigen, dass das Budgetrecht nicht unbeeinflussbar ist. Mit den richtigen Informationen ließen sich verschiedenen Parlamenten schon oft die nötigen Mittel entlocken. Grundlage dafür ist die tendenzielle Umwandlung von Dienstwissen in Geheimwissen der Verwaltung. Gerade das Enqueterecht ist dabei speziell gegen diese von Weber beobachtete Tendenz gerichtet. Geheimwissen erschwert erheblich jede wirksame parlamentarische Kontrolle. Es müssen entsprechend Möglichkeiten geschaffen sein, die den Wissensvorsprung der Bürokratie zugunsten des Parlamentes ausgleichen. Der Vorteil des technischen Fachwissens aufseiten der Bürokratie lässt sich nach Weber beheben, indem das Parlament ein Recht auf ein »(eidliches) Kreuzverhör von Sachverständigen […] unter Zuziehung der betreffenden Ressortbeamten […]«14 eingeräumt bekommt – dies ist ein starkes Enqueterecht.
»Durch effektive Parlamentskontrolle erzwungene Publizität der Verwaltung ist das, was als Vorbedingung jeder fruchtbaren Parlamentsarbeit und politischer Erziehung der Nation zu fordern ist.«15
Das Enqueterecht sichert damit drei Dinge. Erstens ist es gegen die Tendenz der Wandlung von Dienst- in Geheimwissen in der Verwaltung gerichtet. Es bringt immer wieder Geheimwissen der Verwaltung an die parlamentarische Öffentlichkeit und sorgt so bestenfalls dafür, dass die Tendenz der Wandlung in Geheimwissen generell abnimmt oder gar ganz verschwindet. Denn »nur wer sich diese Tatsachenkenntnis unabhängig [Herv. FB] vom guten Willen des Beamten beschaffen kann, vermag im Einzelfall die Verwaltung wirksam«16 zu kontrollieren. Das Enqueterecht soll nach Weber als gelegentliche Rute genutzt werden, um letztlich die Verwaltung sozusagen dazu zu erziehen, dieses Mittel gar nicht notwendig werden zu lassen. Zweitens dient das Enqueterecht als direkte ›Erziehung‹ der parlamentarischen, aber auch der gesellschaftlichen Öffentlichkeit. Es soll sozusagen eine Kultur schaffen, in der die Verhandlungen der Presse und einem interessierten Leserkreis so zugänglich sind und sich daraus ein hoher »politischer Reifegrad«17 der Gesellschaft ergibt, wie Weber das am Beispiel Großbritanniens erkennt. Ein solcher Reifegrad zeige sich gerade darin, dass die Gesamtgesellschaft »über die Art der Führung ihrer Geschäfte durch das Beamtentum orientiert ist, sie fortlaufend [Herv. FB] kontrolliert und beeinflußt«18. Der politische Reifegrad einer Gesellschaft bemisst sich also anhand des Kontingenzbewusstseins und dem Bewusstsein für die Gestaltungsmöglichkeiten der gesellschaftlichen Entwicklung. Allein ständige Ministeranklagen oder Misstrauensvoten allerdings stehen, wie in der Kritik deutlich wurde, nicht für eine solche politische Reife.19 Das Enqueterecht des Parlamentes dient der politischen Erziehung der gesamten Gesellschaft, die sich darüber über die Abläufe der politischen Geschäfte und über das Verwaltungshandeln informiert. Gleichzeitig entsteht dadurch auch ein besseres Verständnis bürokratischen Handelns generell. Verwaltungstechnische Probleme werden durch die parlamentarische Verhandlung an die Öffentlichkeit geholt, wo sonst über sie nur geringe bis keine Kenntnisse existieren. Dadurch kann die bürokratische Leistung insgesamt besser bewertet, verstanden und positiv kritisiert werden, statt des »sterile[n] Schimpfen[s] über den ›heiligen Bürokratius‹«20. Eine politisch reife parlamentarische und gesellschaftliche Öffentlichkeit kann wiederum eine erzieherische Wirkung für die Verwaltung entfalten und diese daran gewöhnen, gar nicht erst der Tendenz zu folgen, sich in sprichwörtliche Hinterzimmerverhandlungen zu begeben. Die erzieherische Wirkung der Parlamente kann sich nur durch parlamentarische Ausschüsse bilden. So wird das Enqueterecht drittens zu der institutionellen Sicherung der politischen Ertüchtigung der modernen Gesellschaft.
Ferner kann nur durch das Enqueterecht und durch die dann an der Verwaltung orientierten parlamentarischen Fachausschüsse das Parlament zur Auswahlstätte nicht nur von demagogischen, sondern von sachlich interessierten und arbeitenden (fach-)politischen Talenten werden. Durch konstante Arbeit in verschiedenen Ausschüssen sammelt sich auch im Parlament Sachkenntnis an, wird die sachliche Debatte elaborierter und erhalten politische Entscheidungen und Lösungsvorschläge eine sachliche Grundlage, die über die rein demagogische qualitativ hinausgeht.21
Ein so ausgestattetes und agierendes Parlament betreibe positive Politik. Darunter versteht Weber, dass es »kraft seines unter allen Umständen sehr großen Einflusses auf die Politik mitbestimmt, verschieden stark, also je nach seiner politischen Klugheit und Zielbewußtheit«22. Kontingenz- und Gestaltungsbewusstsein werden in einem solchen Parlament immer wieder hervorgebracht und gezeigt. Das ist der Unterschied zu einem Parlament, das nur rein ›negative Politik‹ betreibe, weil es sich nicht oder nur schwer in Kenntnis über die Tatsachen setzen kann und wo Gestaltungsfreiheit schon in der Bürokratisierung erstarrt ist. Die Parteiführer im Parlament können und müssen sich nie selbst als politisch leistungsfähig präsentieren, weshalb laut Weber in solchen Körperschaften »entweder kenntnislose Demagogie oder routinierte Impotenz«23 vorzufinden sei. Nur ein »arbeitendes Parlament,« also ein Parlament mit Enqueterecht und arbeitenden Fachausschüssen, stellt für ihn eine geeignete Arena dar, die mehr als reine Fassade ist. Hier können politische Führungspersönlichkeiten im Zuge einer Auslese hervorgehen und es kann sich daran eine politische Reife der Gesellschaft entwickeln; »ein arbeitendes Parlament aber ist ein solches, welches die Verwaltung fortlaufend mitarbeitend kontrolliert«.24 Nur Berufspolitiker, die durch die selektierende »Schule intensiver Ausschußarbeit eines Arbeitsparlamentes gegangen sind«25, haben überhaupt die Möglichkeit, zu solchen von Weber geforderten verantwortlichen Führungspersönlichkeiten zu werden. Nur dann übt der Beruf des Parlamentariers überhaupt einen Reiz aus, der Personen anlockt, die für die Politik leben wollen.26 Sie und nicht »besoldete Parteibeamte und Interessenvertreter«27, die von der Politik leben, sind es nämlich, die Weber für die politische Verantwortung bevorzugt. Solche Parlamentarier sind dann auch im wahrsten Sinne Akteure der »freien Repräsentation«28, also der gewählten und ungebundenen, nur den eigenen Überzeugungen gehorchenden Form der Vertretung. Solche Parlamentarier sind für Weber den »modernen parlamentarischen Repräsentationen« eigen, die die »allgemeine Versachlichung: Bindung an abstrakte (politische, ethische) Normen: das Charakteristikum der legalen Herrschaft, in dieser Form teilen«.29 So gesehen sind sie nicht Diener ihrer Deleganten, sondern deren Herren.
Politik ist für Weber an die vorhandene Realität gebunden. Politik muss also mit den Gegebenheiten umzugehen in der Lage sein. Es ergibt in Webers Augen keinen Sinn, eine Politik fernab der Realität zu imaginieren. Politik ist demnach also unausweichlich an die Frage von Macht und Herrschaft gebunden.30 Politik und das Parlament müssen unter den historischen Bedingungen als Betrieb die Ausbildung, Schulung und Auslese im Kampf um Macht und deren Methoden von potenziellen politischen Leitern gewährleisten.31 Die Leitung der Verwaltung und deren Kontrolle sind laut Weber elementare Aufgaben des Parlaments und, so fährt er fort, »Politiker müssen der Beamtenherrschaft das Gegengewicht geben.«32
Ausgehend von der Tatsache der fortschreitenden Bürokratisierung wird klar, warum Weber die politische Führungs- und weniger die Repräsentationsfunktion des Parlamentes betont hat, wie schon Dietrich Herzog bemerkt.33 Das Parlament als zentrale politische Institution ist damit »die Instanz zur Erzwingung der Verwaltungsöffentlichkeit, der Budgetfeststellung und endlich der Beratung und Verabschiedung von Gesetzentwürfen« und dies sind »Funktionen, in denen sie in der Tat in jeder Demokratie unersetzlich sind […]«.34 Es ist in Webers Vorstellung ferner der Ort, an dem sich zur Führung geeignete Menschen einfinden und sich in der politischen Auseinandersetzung üben sowie versuchen sollen sich hervorzutun.35
In der parlamentarischen Demokratie, in der Weber die einzig sinnvolle politische Ordnung der bürgerlichen Gesellschaft sieht, ist nicht nur das Parlament ein zentraler politischer Raum, sondern sind auch politische Parteien darin entscheidende politische Organe. Weber definiert Parteien, wie bereits gezeigt wurde und daher an dieser Stelle nur kurz wiederholt werden soll als auf Werbung beruhende Organisationen, die nach Macht innerhalb des politischen Verbandes streben.36
Parteien sind für Weber also von zwei Seiten her bestimmt. Parteien sind auf der einen Seite nur innerhalb von politischen Verbänden, also Staaten überhaupt denkbar, welchen sie auf der anderen Seite zu beeinflussen suchen.37
Die Bürokratisierung macht, wie bereits festgestellt, laut Weber auch vor den Partien keinen Halt. Im Zuge der Vermassung der Gesellschaft sowie der Massendemokratie werden auch die Parteien immer komplexer; sie werden zu Massenparteien:
»[D]ie modernsten Formen der Parteiorganisation […] sind Kinder der Demokratie, des Massenwahlrechts, der Notwendigkeit der Massenwerbung und Massenorganisation, der Entwicklung höchster Einheit der Leitung und strengster Disziplin.«38
»Parteibeamte« und auch eine bestimmte »Parteidisziplin« sind Folgen der »Massenwahlen rein als solcher«,39 und damit, wie bereits festgehalten, Folgen der notwendigen Bürokratisierung.
So unterschiedlich die Parteien in ihrer jeweiligen »inneren sozialen Struktur« auch sein mögen, »so sind doch hier wie überall Bureaukratisierung und rationale Finanzwirtschaft Begleiterscheinungen der Demokratisierung«.40 Durch die Entwicklung der Massendemokratie und das damit zusammenhängende ausgedehnte Wahlrecht werden die alten informellen und auf Bekanntschaft oder Honoratiorenverbindungen beruhenden Wahlklientele schnell zu klein und sind vor allem zu undynamisch und unflexibel. Eine ausgedehnte Wählerbasis macht eine diszipliniert geplante Wahlwerbung, eine strengere Parteidisziplin und letztlich eine insgesamt ausgebaute Parteibürokratie und -organisation notwendig. In Webers Analyse der bürokratischen Organisation zeigte sich, dass sich die Macht immer an der Spitze konzentriert, so auch in der bürokratisierten Partei. Die alltägliche Macht liegt bei der Parteibürokratie. Die Parteispitze gibt die großen Linien vor, organisiert die Parteifinanzen, bestimmt Programme und Kandidatenlisten.41 Hier werden die Ideen, Parolen und Wahlstrategien entworfen, mit denen dann der Massenwahlkampf bestritten wird. Die Parteibürokratie ist bezüglich dieser Form der Parteiarbeit weitestgehend und die Wähler gleich gänzlich inaktiv.
Grundsätzlich ist die Parteibürokratie gegenüber der politischen Führung misstrauisch. Sie strebt nach größtmöglicher Autonomie. Nur die Verknüpfung der politischen Existenz der Partei mit dem Erfolg einer potenziellen politischen Führungsperson sorgt dafür, dass sich tatsächlich auch die Parteibürokratie unterordnet. Es muss eine Verknüpfung ihrer materiellen Versorgung und sozialen Ehre mit dem Schicksal dieser Person geben, nur dann ist der Druck groß genug, dass sie sich unterordnen. Auf den gesamten systemischen Zusammenhang eines Arbeitsparlamentes, starker Parteien und verantwortlicher Führungspersonen wird später genauer eingegangen. An dieser Stelle ist zunächst nur wichtig zu betonen, dass auch, wenn für Weber idealerweise Politik von Menschen gemacht wird, die ›für die Politik‹ leben, er doch dahingehend nicht naiv ist. Er glaubt nicht, dass der Parteibetrieb in einer Massendemokratie an sich allein aus solchen Personen bestehen kann.
»[D]ie Masse der Arbeit außerhalb des Parlaments wird immer auf den Parteibeamten ruhen. Schon wegen ihrer Inanspruchnahme durch den Betrieb sind aber diese Beamten keineswegs immer die gegebenen Kandidaten für das Parlament selbst.«42
Insofern sind der leitende (politische) Kern der Partei und die Parteibürokratie nicht nur in einem latenten Konfliktverhältnis zueinander, sondern letztlich im Sinne des politischen Wahlerfolgs der Partei auch aufeinander angewiesen.43 Der Konflikt zwischen Parteibürokratie und der politischen Führungsperson besteht darin, dass die Parteiverwaltung ohne Leidenschaft eher auf den bestehenden Regeln und Programmen verharren will, wogegen die politische Führungsperson regelmäßig neue Inhalte und Vorstellungen einbringen muss, weil sie dem unaufhaltsamen dynamischen Fortschritt der Gesellschaft ausgesetzt ist. Diesen Konflikt zu überbrücken, geht allerdings nach Weber nicht ausschließlich parteiintern, sondern bedarf darüberhinausgehender struktureller Bedingungen des gesamten politischen Systems. Später wird sich zeigen, dass Webers politische ›Architektur‹ der plebiszitären Führerdemokratie genau diese Bedingungen erfüllt.
Eine mangelnde Bürokratisierung oder das Verharren als Honoratiorenpartei sorgt nach Weber für eine Instabilität des Parteiensystems einerseits und damit andererseits auch für eine gewisse Machtlosigkeit des Parlaments. Die interne Parteibürokratie wird zu einer Voraussetzung für fachlich kompetente politische Arbeit und ist unter den Bedingungen der rationalen bürgerlichen Gesellschaft somit essenziell für eine stetige Politik. Damit gibt es einmal eine positive Bewertung der parteiinternen Bürokratisierung, insofern als dass sie die Parteiorganisation stabilisiert, in gewissem Sinne verstetigt und routinisiert. Dies wirkt sich nicht nur auf die Partei positiv aus, sondern indirekt profitiert auch das Parlament von gut organisierten Parteien. Zum anderen sieht Weber dieselbe Bürokratisierung auch kritisch, weil die Parteibürokratie durchaus den Aufstieg von politischen Talenten hindern oder mit der politischen Führungsspitze konkurrieren kann. Die Bürokratisierung der Partei ist damit in der Tendenz beides, Voraussetzung und Hürde für politische Führung.44
Entscheidend ist für Weber, dass die Parteien als naturgemäßer »Interessentenbetrieb«45 und bürokratisierte Organisation dennoch derartig funktionieren und alle Interessen so wirken, »daß dadurch eine Auslese der mit Führerqualitäten begabten Männer wenigstens nicht geradezu verhindert wird«46. Dass solche Persönlichkeiten nach oben gelangen, ist für Weber eine »Funktion der Machtchancen der Parteien«47. Die Parteien müssen entsprechend vermittels ihrer Führungspersonen nach der Macht im Staat streben, und zwar kanalisiert in einem starken Parlament, wobei den Führungspersönlichkeiten dabei im Erfolgsfall die gesamte politische Verantwortung übergeben wird. Politische Führung und Gestaltung sind »nur dann möglich. Aber es ist damit allein allerdings noch nicht gesichert«48. Laut Dietrich Herzog sind Parteien für Weber daher
»kein Vehikel einer gesellschaftlichen Entwicklung oder eines historischen Gesetztes. Er erfasste sie vielmehr von ihrer Funktion innerhalb des Staatsgebildes her. Von hier aus erhalten sie ihre Kontrollfunktion und ihre mittelbare Relevanz zur Auswahl von politischen Talenten«49.
In dieser Hinsicht müssen die Parteien ertüchtigt werden, trotz der Bürokratisierungstendenzen erstens verantwortliche Politik im Parlament zu machen, und zweitens starken Persönlichkeiten in der Partei den Aufstieg attraktiv und möglich zu machen und sich daher als Partei im Zweifel gänzlich dieser Person unterzuordnen. Ein starkes Parlament und starke Parteien, so lässt sich abschließend festhalten, sind Webers zentrale Punkte einer modernen Bürgergesellschaft und Voraussetzung dafür, dass ein Kontingenz- und Gestaltungsbewusstsein flüssig und präsent bleibt.
11.2Die elitäre Erweckung der Politik
Politisierte Institutionen sind die eine Seite Webers Vorstellung der plebiszitären Führerdemokratie und wesentlicher Bestandteil seiner Vision einer modernen Gesellschaft. Sie sollen sicherstellen, dass zur Politik berufene Personen in die entscheidenden Stellen kommen. Diese Personen sind es, von denen Weber die Verflüssigung der bürokratischen Erstarrungstendenzen erwartet. In dieser Idee Webers steckt eine gewisse Form des Elitismus. Daher geht es im Folgenden um die elitäre Erweckung der Politik und um die politische Elite. Darin drückt sich allerdings auch Webers sehr eigene Position gegenüber der Demokratie als solcher aus.50
Diese ist geprägt durch sein Bild der Schwäche der repräsentativen Demokratie im Deutschland seiner Zeit. Gegenüber der fachgeschulten Bürokratie steht ein »Banausenparlament«51, dem die politische Gestaltungsmacht und das Gestaltungsbewusstsein abhanden gekommen sind. Zusätzlich dazu sind die Parteien laut Weber teils noch als »gesinnungspolitische Parteien«52 geprägt, hängen vielfach noch im Honoratiorenwesen fest und sind von »typischen Zunftinstinkten«53 gekennzeichnet. Weber kritisiert insgesamt die »durchaus kleinbürgerliche Führerfeindschaft aller Parteien«54. Die Bevölkerung wirtschaftet in zunehmender politischer Unreife vor sich hin und doch verzweifelt Weber angesichts dessen nicht oder sieht nur in der Technokratie die Lösung. Seine Reflexion setzt vielmehr an seiner Folgerung der natürlichen Leistungsbeschränkung aller bürokratischer Herrschaftsordnungen an. Bürokratien sind unfähig, eigenverantwortliche politische Gestaltung zu erbringen. In seiner Vorstellung ist Politik in einer ganz bestimmten Form und einem besonderen institutionellen Rahmen die Lösung bürokratischer Verkrustung. Der Gesellschaft ist damit der Kompromiss zwischen Gestaltungsaufgabe und notwendiger bürokratischer Organisation ermöglicht. Die moderne Gesellschaft muss ein politisches Primat über die unwiderruflichen Bürokratisierungstendenzen bekommen beziehungsweise erhalten.
Die von Weber als eine Folge der universellen Rationalisierung der Gesellschaft apostrophierte Massendemokratie gilt ihm zunächst durchaus als eine »staatspolitische Gefahr«55. Bestimmen die Massen maßgeblich über die Politik, so ist sich Weber unabhängig der Zusammensetzung der Masse sicher, dass insbesondere Emotionen ausschlaggebend sind. Denn die Masse, so Weber, »denkt nur bis übermorgen«56. An einer anderen Stelle stellt Weber fest, dass »[s]taatspolitisch völlig irrational […] die unorganisierte ›Masse‹ [ist, FB]: die Demokratie der Straße«57. Politik jedoch sollte nicht allein oder auch nur maßgeblich emotional oder irrational sein, sondern mit kühlem Kopf und klarem Verstand gemacht werden, nicht »mit anderen Teilen des Körpers oder der Seele«58. Diesem Anspruch folgt jedoch, dass erstens nur einige Wenige diesen erfüllen und zweitens politisch geschulte Personen sich damit befassen sollten – eine Tendenz zu einer politischen Elite wird hieran deutlich. Ferner sollten diese Wenigen mit klaren Verantwortlichkeiten ausgestattet sein.59 Obgleich Weber von der politischen Reife der Gesellschaft spricht und nach Wegen sucht, diese zu steigern, ist sein Ziel nicht zwangsläufig, dass alle oder möglichst viele Individuen ein Kontingenzbewusstsein ausbilden sollen.
Weber vertritt offenbar eine durchaus ambivalente Position gegenüber der Demokratie. Er bewertet Demokratisierung und Demokratie als grundlegend »irreführend«, denn für ihn ist offenkundig, dass »der Demos im Sinn einer ungegliederten Masse […] in größeren Verbänden nie selbst« verwaltet oder herrscht, sondern vielmehr verwaltet und beherrscht wird und dabei nur die »Art der Auslese der herrschenden Verwaltungsleiter« bestimmt.60 Es stellt sich hier offenkundig die Frage nach der Herrschaft innerhalb der demokratischen und bürokratischen Massengesellschaft sowie der Absicherung ihrer Gestaltungsfreiheiten. Der Gedanke der Demokratie als Herrschaft des Volkes über und für das Volk, also die Idee der Selbstregierung, muss Weber eigenartig erschienen sein, weil er gerade in der Herrschaftsform, die den Bedingungen einer modernen Gesellschaft am ehesten entspricht, erkennt, dass die Herrschaft faktisch im Alltag aufgrund der Bürokratisierung von der Verwaltung ausgeübt wird. Daher kann es nur um die Frage gehen, wie die Auslese derjenigen vonstattengeht, die direkt über diese bürokratische Verwaltung politisch befinden – wer also die politische Leitung innehat. Wirkliche Volkssouveränität, im Sinne einer Herrschaft des Volkes über das Volk, kann es nach Weber gar nicht geben, denn das Prinzip der kleinen Zahl hat für Weber totale Gültigkeit.61 Damit erklärt Weber in einem Brief an Robert Michels letztlich jeden Gedanken, »durch noch so ausgetüftelte Formen der ›Demokratie‹ die Herrschaft des Menschen über den Menschen zu beseitigen«62 zu reiner Utopie. Um einen Gedanken Heinrich von Treitschkes zu bemühen: »Herrschen bedeutet doch, daß Beherrschte da sind […], wenn aber alle herrschen sollen, wo sind da die Beherrschten?«63 Demokratie so verstanden, ist dann so etwas wie das Gegenprinzip von Herrschaft, mindestens in einer revolutionären oder antiautoritären Deutung. Demnach ist – und für Weber ist das ein Fakt – demokratische Herrschaft eigentlich eine contradictio in adjecto. Außer in kleinen Kommunen, Vereinen, Sekten oder Ähnlichem kann Weber diesem Konstrukt nichts abgewinnen beziehungsweise konstatiert:
»Die Bedingungen der Verwaltung von Massengebilden sind radikal andere als diejenigen kleiner, auf nachbarschaftlicher oder persönlicher Beziehung ruhender Verbände. Insbesondere wechselt der Begriff der ›Demokratie‹, wo es sich um Massenverwaltung handelt, derart seinen soziologischen Sinn, daß es widersinnig ist, hinter jenem Sammelnamen Gleichartiges zu suchen.«64
In einem Bericht der Neuen Freien Presse über Webers Vortrag »Probleme der Staatssoziologie« wird darauf eingegangen, dass Weber unter Umständen sogar versucht war, einen weiteren Typus legitimer Herrschaft zu definieren.65 Allerdings verwarf Weber die Idee, einen vierten und gleichberechtigten Typus demokratischer Herrschaft zu definieren.66 Demokratie selbst kann nach Webers Denken nie Konstitutions- oder Ordnungsprinzip von Herrschaft sein.67 Höchstens in kleinen, relativ homogenen, relativ wenig differenzierten Verbänden, die eher einfache und konstante Aufgaben zu erfüllen haben sowie gleichzeitig ein bestimmtes Bildungsniveau vorweisen, ist so etwas wie Selbstherrschaft der Beherrschten möglich.68 Weber hat ›demokratische‹ Herrschaft unter den Bedingungen der ›Vermassung‹ der Gesellschaft daher vermehrt aus der »antiautoritären oder herrschaftsfremden Umdeutung des Charismas hergeleitet«69.
Angesichts der von ihm beobachteten Entwicklung kann nur eine elitäre, aber demokratisch verfasste Herrschaft die Bürokratisierung wirkungsvoll in politische Schranken verweisen. Diese gestaltet er gemäß den Erkenntnissen seiner Analyse.70 Weber versucht nicht die Herrschaft an sich zu überwinden, sondern lediglich ihr einen politischen Impetus zu geben, welcher durch die Bürokratisierung zu erstarren droht. Herrschaft soll politische Gestaltung bringen und nicht nur verwalten. Herrschaft ist in Webers gesamtem Denken Existenzbedingung von Ordnung71 und Grundbedingung des Zusammenhalts von Gesellschaften und ermöglicht ein Handeln als Ganzes. Nur vermittels Herrschaft treten Ordnungen in Kraft, welche wiederum das soziale Leben regeln und das soziale Handeln der Individuen ordnen und aufeinander abstimmen.72 Herrschaft versteht Weber unter dem Interesse an politischem Handeln als im Extremfall einzusetzende Gewaltanwendung, denn »Gewaltsamkeit« ist mitentscheidend für die »Garantie von ›Ordnungen‹«73. In Webers Vorstellung einer modernen Gesellschaft wird nicht der Versuch unternommen, politische Herrschaft zu demokratisieren, verstanden als Befreiung von Herrschaft; vielmehr soll eine politische Führung über die bürokratische Herrschaft her- beziehungsweise sichergestellt werden.74 Das Spannungsverhältnis von politischer Gestaltung, die immer auch Unsicherheit und Kontingenz bedeutet, und notwendiger bürokratischer Organisation sowie rationalem Betriebskapitalismus versucht Weber hier auszubalancieren. Er ist auf der Suche nach einem institutionellen Arrangement, das den Aufstieg von herausragenden politischen Führungspersönlichkeiten gewährleistet, die sowohl die notwendige und omnipotente Bürokratie politisch führen.75
In einer ›Sonderform‹ der parlamentarischen Demokratie, der plebiszitären Führerdemokratie beziehungsweise der »plebiszitär-repräsentativen Regierung«76 erkennt Weber einen geeigneten Rahmen, in dem zur Politik berufene Führungspersönlichkeiten77 auch unter den Bedingungen der Massengesellschaft und Massendemokratie an die Macht kommen können.78 Politik kann so die Oberhand über die Bürokratie gewinnen und der modernen bürgerlichen Gesellschaft eine politische Gestaltung angedeihen lassen. Dieses institutionelle Arrangement sorgt dafür, dass auch die bürokratisierten Parteien sich politischen Führerpersönlichkeiten unterordnen und das Parlament eine positiv gestaltende Rolle einnimmt, wie im vorigen Abschnitt erläutert wurde.79 Die politische Führungspersönlichkeit sieht Weber »nicht mehr auf Grund der Anerkennung seiner Bewährung im Kreise einer Honoratiorenschicht zum Kandidaten proklamiert«, auch nicht zwingend »kraft seines Hervortretens im Parlament«, sondern weil sie »das Vertrauen und den Glauben der Massen an sich und also seine Macht mit massendemokratischen Mitteln« gewonnen hat; »[d]em Wesen der Sache nach bedeutet dies eine cäsaristische Wendung der Führerauslese«.80 Diesen »›cäsaristischen‹ Einschlag« hält Weber in Massenstaaten für »unausrottbar«.81 Hinter Webers Bezug auf den Cäsarismus schimmert durchaus ein diktatorischen Charakter dieser Ordnung hervor, der sich in der Figur der leitenden politischen Person offenbart.82 Eine Person stellt sich mit einem Programm und einer Kandidatenliste für die zu besetzenden Ämter zur Wahl, wirbt um Stimmen und Gefolgschaft, erringt damit die Macht und trägt dafür die volle Verantwortung. Dies trifft auch Webers Vorstellung von Politik eindeutig, denn er sagt: »Wer Politik treibt, erstrebt Macht.«83 Es geht dabei immer darum, die »plebiszitäre Anerkennung durch das souveräne Volk«84 zu erhalten. Misserfolg oder fehlende Unterstützung sind dann aber auch gleichbedeutend mit dem Rücktritt dieser Person von ihrer leitenden politischen Stellung.85 Dies ist sicherlich eine sehr eindrückliche Stelle, die belegt, dass Webers Demokratievorstellung keine normative war. Es ging ihm primär nicht darum, den politischen Einfluss der Gesellschaft möglichst breit zu institutionalisieren.86 Vielmehr war er auf der Suche nach strukturellen Vorkehrungen, die herausragende Einzelpersonen an die Macht bringen und diese mit genügend Macht ausstatten, die sie zur Domestizierung der Bürokratie nutzen sollten sowie nach Möglichkeiten, die gesellschaftliche Entwicklung durch das Handeln dieser elitären Personen insgesamt flüssig zu halten. Nicht eine aus normativen Gründen heraus überlegene politische Ordnung ist das Ziel seiner Suche, sondern eine, die die von ihm erkannten praktischen Probleme zu bändigen in der Lage ist.87
Die plebiszitäre Führerdemokratie bezeichnet Weber als
»ihrem genuinen Sinn nach eine Art der charismatischen Herrschaft, die sich unter der Form einer vom Willen der Beherrschten abgeleiteten und nur durch ihn fortbestehenden Legitimität verbirgt. Der Führer (Demagoge) herrscht tatsächlich kraft der Anhänglichkeit und des Vertrauens seiner politischen Gefolgschaft zu seiner Person als solcher«88.
In der charismatischen Herrschaft erfüllt der Beruf der Politik seine höchsten Ansprüche. Der charismatische Führer wird aufgrund seiner inneren Eignung als der persönlich berufene Leiter einer festen Gruppe Menschen gesehen. Er ist also kraft der ihm eigenen oder der in ihm gesehenen Fähigkeiten zum Berufspolitiker bestimmt, im Sinne von: er leitet (Politik) beruflich.89
Die politische Führungsperson fühlt sich persönlich aufgrund ihres eigenen Machtinteresses zur Politik berufen. Dieses bildet sodann auch die Grundlage der innerlichen Berufung, welche wiederum auch den Legitimitätsglauben der Beherrschten hervorbringt. Charismatisch legitimiert ist dabei eine solche Person aufgrund ihrer herausragenden Eigenschaften, die als vermeintliche Wunder erscheinen, und das Leben der Beherrschten verbessert. Die Herausforderung ist, diese ›Wunder‹ wiederholt hervorzubringen, denn darin liegt die Legitimität der charismatischen Herrschaft. Die Beherrschten folgen der herrschenden Personen kraft ihres Glaubens an deren außerweltliche Kräfte. In der Notwendigkeit der Bewährung des Charismas besteht allerdings zugleich die Fragilität dieses Herrschaftstypus. Weber bezeichnet die plebiszitäre Führerdemokratie allerdings als »herrschaftsfremde Umdeutung des Charisma«90. »Bei zunehmender Rationalisierung der Verbandsbeziehungen«, wird laut Weber die Anerkennung und Gefolgschaft allmählich, »statt als Folge der Legitimität, als Legitimitäsgrund angesehen […] (demokratische Legitimität)«.91 Insbesondere weil die charismatische Person in der plebiszitären Führerdemokratie gewählt wird, ist sie sodann »Beauftragter und also Diener seiner Wähler, nicht ihr gekürter Herr«92. Damit ist – und deswegen spricht Weber von herrschaftsfremder Umdeutung – die eigentliche Grundlage der charismatischen Herrschaft verlassen. Allerdings ist dies nur eine Wirkung der extremen Form, der unmittelbaren Demokratie. Etwas davon abgerückt – und Weber drückt dies hier nicht explizit aus, aber seine weiteren Aussagen dazu lassen diesen Schluss zu – bleibt in seiner Vorstellung der plebiszitären Führerdemokratie durchaus ein charismatischer Einschlag zurück.
In der plebiszitären Führung erfüllen sich beide Ansprüche, nach Rationalität beziehungsweise rationaler Herrschaft auf der einen und politischer Führung auf der anderen Seite. Es ist nämlich in keinem Falle so, dass die ›Qualität‹ der Verwaltung in der plebiszitären Führerdemokratie abnimmt. Der mit der Bürokratisierung einhergehende Machtkonzentration im Nationalstaat folgt ein enger Bezug Webers plebiszitärer Führung; er bezieht sich ausschließlich auf die Spitze des Nationalstaates. Insofern führt laut Weber die plebiszitäre Führerdemokratie »normalerweise in die Bahn der Rationalität. Der plebiszitäre Herrscher wird sich regelmäßig auf einen prompt und reibungslos fungierenden Beamtenstab zu stützen suchen.«93
Es müssen nun die Punkte erläutert werden, wie Weber aus den politisierten Institutionen von Parlament und Parteien tatsächlich politische Führungspersonen hervorgehen sieht. Unter der Bedingung, dass für Weber Politik im Kern an einen politischen Verband, für ihn ist dies der Staat, gebunden ist94, ist auch Webers Vorstellung einer politisch verantwortlichen Führungsperson letztlich nur im modernen demokratischen Staat gänzlich denkbar.95
Politische Führungspersönlichkeiten sollen maßgeblich für die Politik leben und nicht von der Politik. Lebt jemand »für die Politik«, versteht Weber darunter, dass diese Person aus der Politik »im innerlichsten Sinn [ihr] Leben daraus‹« macht; »[v]on der Politik« leben Menschen, die danach streben, »daraus eine dauernde Einflussquelle zu machen«.96 Letzter Fall ist immer dann zu erwarten, wenn Politik eine Sache der Bürokratie wird. Entweder, indem diese selbst es schafft, die leitenden Stellen aus sich heraus zu besetzen, oder aber, wenn bürokratisierte Parteien nicht die Voraussetzungen bergen, den im Sinne der gerade beschriebenen Personen zur Macht zu verhelfen. Bürokratisierte Politik heißt, dass Beamte auf politischen Stellen sitzen. Diese leben dann nicht nur von der Politik, sondern machen »nur allzu oft durch technisch ›schlechte‹ Führung eine in jenem Sinne ›gute‹ Sache zur ›schlechten‹«97. Der Gegensatz von ›für‹ oder ›von der Politik‹ zu leben, ist für Weber kein exklusiver. Vielmehr bedeutet ›für die Politik‹ leben auch ›von der Politik‹ zu leben und das sowohl ideell als oftmals auch materiell. Der Besitz der Macht ist der innere Reiz oder das Selbstbewusstsein, einen Dienst an der Sache zu tun. »In diesem innerlichen Sinn lebt wohl jeder ernste Mensch, der für eine Sache lebt, auch von dieser Sache.«98
In solchen Personen sieht er die einzigen Personen, die das notwendige Gegengewicht gegen eine starke, aber unentbehrliche Bürokratie bilden können.99 Sie allein vermögen es, die Bürokratie immer wieder in Schranken zu verweisen und die Kontingenz der gesellschaftlichen Entwicklung bewusst und diese damit gestaltbar zu erhalten.100 Bürokraten finden sich entsprechend ihres ständischen Charakters »sehr leicht bereit […], für jeden zu arbeiten, der sich der Herrschaft […] einmal zu bemächtigen gewusst hat«101. Daran wird auch deutlich, wie zentral die Frage der Besetzung der höchsten politischen Ämter ist, denn aus sich heraus bietet die bürokratische Herrschaftsordnung keine Gewähr dafür, dass politische Personen an der Spitze stehen oder überhaupt Personen mit einer demokratischen und republikanischen Gesinnung.102 Weber definiert die leitende politische Person daher als »Demagogen«, welcher »vollends seit der Demokratie der Typus des führenden Politikers im Okzident« ist.103 (Massen-)Demokratie und Demagogie sind für Weber zwei Seiten einer Medaille.104 Das Charisma der politisch verantwortlichen Person ist für Weber der beste Schutz davor, die politische Führung entweder durch die Bürokratie oder durch andere organisierte Interessen als der der politischen Parteien beirren zu lassen.105
Politische Führungspersonen sollen Politik mit Leidenschaft106 und Verantwortungsgefühl für die Sache beziehungsweise den Dienst daran107 sowie mit Augenmaß betreiben. Weber denkt Leidenschaft hier als Sachlichkeit. Diese Betonung der Leidenschaft für eine bestimmte Sache, kann als Ausdruck der Notwendigkeit des Bewusstseins von Kontingenz von politischen Führungspersonen angesehen werden. Weber fordert den leidenschaftlichen Kampf unterschiedlicher Vorstellungen über die kontingente gesellschaftliche Entwicklung. Unter Augenmaß versteht Weber die Fähigkeit, die Wirklichkeit, aber auch die eigene Position ruhig und mit dem gebotenen Abstand wahrzunehmen und Entscheidungen mit kühlem Kopf zu treffen.108 Dies sind für ihn die Schutzbarrieren vor Eitelkeit, die er in der plebiszitären Führerdemokratie besonders fürchtet, erhöht sie doch die Wahrscheinlichkeit dafür, dass notwendiges Machtstreben ins Negative, also selbstreferenzielle Streben, umkippt. Machtstreben sollte allerdings eine der originären Qualitäten eines Politikers sein. Gerade die demagogische Politik sieht er als besonders gefährdet für Eitelkeit. Politik muss es immer auf die Wirkung ankommen, womit schnell die Gefahr der Schauspielerei aufkommt und die Verantwortlichkeit für politisches Handeln zu leichtgenommen wird.109 Sicherlich läuft politisches Handeln regelmäßig in geradezu paradoxem und nicht passendem Verhältnis zu seinem eigentlichen Sinn. Denn, so Weber, »[w]ie die Sache auszusehen hat, in deren Dienst der Politiker Macht erstrebt und Macht verwendet, ist Glaubenssache«110. Es muss ein politische Vorstellung da sein, aber welchen Inhalts ist letztlich irrelevant. Weber benennt hier die Notwendigkeit zu politischem Handeln, wohl aber in einem spezifischen Sinn.
Dieses politische Handeln findet, wenn überhaupt, nur im soeben beschriebenen Rahmen eine ethische Rückbindung. Sachlichkeit, eine gewisse Würde und Verantwortung für die Zukunft sollten die Leitlinien politischen Handelns sein. Ethik wird oftmals als Legitimierung eines bestimmten Handelns herangezogen, häufig sogar zur nachträglichen Legitimierung. Eine bestimmte, etwa religiöse Ethik enge politisches Handeln ein. Für Weber sollte daher eine Universalethik, unabhängig welchen Ursprungs, in der Politik keine Rolle spielen.111 Für eine politische Ethik gibt es für Weber nur zwei gegensätzliche Maximen: Gesinnung und Verantwortung. Das darf dabei nicht so verstanden werden, dass eine Verantwortungsethik automatisch gesinnungslos wäre. Den Gesinnungsethiker beschreibt Webers wie folgt:
»Wenn die Folgen einer aus reiner Gesinnung fließenden Handlung üble sind, so gilt ihm nicht der Handelnde, sondern die Welt dafür verantwortlich, die Dummheit der anderen Menschen oder – der Wille des Gottes, der sie so schuf. ›Verantwortlich‹ fühlt sich der Gesinnungsethiker nur dafür, daß die Flamme der reinen Gesinnung, die Flamme z.B. des Protests gegen die Ungerechtigkeit der sozialen Ordnung, nicht erlischt. Sie stets neu anzufachen, ist der Zweck seiner, vom möglichen Erfolg her beurteilt, ganz irrationalen Taten, die nur exemplarischen Wert haben können und sollen.«112
Den Verantwortungsethiker definiert er hingegen so:
»Der Verantwortungsethiker dagegen rechnet mit eben jenen durchschnittlichen Defekten der Menschen, – er hat, wie Fichte richtig gesagt hat, gar kein Recht, ihre Güte und Vollkommenheit vorauszusetzen, er fühlt sich in der Lage, die Folgen eigenen Tuns, soweit er sie voraussehen konnte, auf andere abzuwälzen.«113
Beide bezüglich der Handlungsfolgen gegensätzlichen Einstellungen beruhen für Weber auf der unterschiedlichen Einschätzung der Folgen menschlichen Handelns. Negative Handlungsfolgen sind in der Gesinnungsethik Zeichen und Beweis für die Schlechtheit der Welt, ohne einen eigenen Anteil daran zu erkennen. Die eigene Gesinnung nimmt an den Folgen keinen Schaden. In der Verantwortungsethik hingegen steckt eine Annahme, die die Schlechtheit oder Unvollkommenheit des Menschen antizipiert. Daher wird hier versucht, die Folgen eigenen Handelns vorab zu erkennen und dafür Verantwortung zu übernehmen.114 Webers Ideal des leitenden Politikers sollte nun verantwortungsethisch handeln; nimmt man Webers Ausführungen wortgetreu, kann er gar nur in dieser Art handeln. Immer wird es für diese Person Situationen geben, in denen Kompromisse das Mittel der Wahl sind.
Dies wird anhand folgenden Gedankens deutlich. Es ist nach Weber keinesfalls so, »daß aus Gutem nie Böses, aus Bösem nie Gutes«115 folgen kann. Gleichzeitig hat Weber aber auch aus seiner historischen Analyse der Entwicklung der Religionen dezidiert, dass nicht aus »Gutem nur Gutes, aus Bösem nur Böses kommen könne, sondern oft das Gegenteil«116. So ist es auch mit der Politik, mit der man sich »einlässt« und damit »mit diabolischen Mächten einen Pakt schließt«.117 Politik bedeutet immer das Hervorbringen, Aushalten und Beilegen von Konflikten – Unsicherheit über die Folgen der eigenen Entscheidungen ist ein ständiger Begleiter von Kontingenz, und in dieser muss sich der Politiker bewusst bewegen. Gerade darin besteht laut Weber die zentrale Aufgabe von Politik, Widersprüche und Kontingenz sichtbar zu machen, womit immer auch Kompromisse, teils auch schmerzhafte, notwendig werden. Dies hat mehrere Ursachen.
Zum einen nimmt die Unvollständigkeit des Wissens über die kontingente Zukunft die Möglichkeit, die Folgen politischen Handelns immer richtig einschätzen zu können. Politisch handeln heißt also immer auch unter der Bedingung der Unsicherheit handeln. Es geht immer wieder darum, das Mögliche zu erreichen und dazu »immer wieder in der Welt nach dem Unmöglichen«118 zu greifen. Dadurch entstehen politische Widersprüche und unterschiedliche Gestaltungsvorstellungen. Darin zeigt sich allerdings auch wiederum die Kontingenz der gesellschaftlichen Entwicklung. Sich dieser Tatsache bewusst zu sein, ist unter rein gesinnungsethischen Bedingungen schwer möglich, sondern kann nur verantwortungsethisch geleistet werden. Gesinnungspolitik würde regelmäßig in Resignation über die Schlechtheit der Welt enden und sich dadurch selbst ausbremsen. Die legitime Gewaltsamkeit verursacht auch ein ethisches Problem politischen Handelns, denn politisch zu handeln heißt im Extremfall, auf Macht und Gewalt zuzugreifen119, und zwar auch, wenn über deren ›korrekte‹ Anwendung keine Sicherheit besteht. Nur durch die Verantwortungsethik sind die Widersprüche, die Konflikte und die Unsicherheit auszuhalten und können trotz allem Entscheidungen getroffen werden. Auch lässt nur die Verantwortungsethik eine ehrliche Selbsteinschätzung zu und sorgt dafür, dass Fehler auch zu Verantwortungsübernahme führen. Sie ist geeignet, die geforderte Leidenschaftlichkeit sinnvoll zu temperieren. Die Gesinnungsethik kennt keine eigenen Fehler, sondern nur solche von anderen oder der Welt. Verantwortliche Politik muss immer eine »economy of violence«120 praktizieren. Auch hier lässt sich wieder das zentrale Thema erkennen: Webers Suche nach der tatsächlich politischen Gestaltung der grundsätzlich notwendigen Herrschaft und Gewaltsamkeit. Einfach ausgedrückt: Das ethische Problem politischen Handelns resultiert aus der von Weber konstatierten allgemeinen Notwendigkeit von Herrschaft und Macht beziehungsweise letztlich von potenzieller Gewaltanwendung.121
Zum anderen sieht Weber das Einstehen für eigene Werte und Vorstellungen, dafür Unterstützung zu suchen und eine Anhängerschaft zu gewinnen als die Pflicht des Berufspolitikers an. Dass Menschen eigene Interessen und Vorstellungen in der Politik verfolgen, ist für Weber Grundbedingung für Kontingenzbewusstsein. Es ist eine Grundeigenschaft und Webers Idealbild einer politischen Führungsperson. Sie soll nach eigenem Gutdünken handeln und ihre eigenen politischen Vorstellungen zur Wahl stellen. Weber geht hier sogar noch weiter und hält es für eine logische Folge oder gar eine Notwendigkeit, dass Politik in großen Verbänden »Interessentenbetrieb« ist;
»[d]as heißt, eine relativ kleine Zahl primär am politischen Leben, also an der Teilnahme an der politischen Macht, Interessierter schaffen sich Gefolgschaft durch freie Werbung, präsentieren sich oder ihre Schutzbefohlenen als Wahlkandidaten, sammeln die Geldmittel und gehen auf den Stimmenfang.«122
Politische Führungspersonen sollen mit unterschiedlichen Vorstellungen über Gestaltung in den politischen Wettkampf treten. Diese Vorstellungen sind dabei, dafür soll die parlamentarische Auslese sorgen, keine Hirngespinste, sondern aus der politischen Praxis abgeleitete Programme. Verschiedene leitende politische Personen, die sich im Wahlkampf präsentieren, bringen durch die Unterschiedlichkeit ihrer Vorstellungen die Kontingenz der gesellschaftlichen Entwicklung zutage. Dann ist die gesellschaftliche Entwicklung ein politisches Thema und ihr kann bewusste politische Gestaltung angedeihen. Doch darin besteht kein Selbstzweck. Zur Politik berufene Personen begeben sich auf ein Feld, auf dem beständig neue Umstände auftreten und sich neue Notwendigkeiten ergeben, Kompromisse zu schließen. Dabei ist es fast unmöglich, konsequent zu bleiben. In der Notwendigkeit eigener politischer Vorstellungen und Ziele auf der einen und dem Entscheidungs- und Kompromisszwang von Realpolitik auf der anderen Seite ist der von Weber erkannte und unauflösbare Widerspruch von Politik.123 Politik steht demnach oft oder sogar regelmäßig im Widerspruch zu den zuvor gesetzten Zielen. Verantwortliche Realpolitik macht es laut Weber regelmäßig nötig, »Kompromisse zu schließen, das heißt: Unwichtigeres dem Wichtigeren zu opfern«124. Politische Verantwortung und eine gewisse Form politischer Schuld gehören daher zusammen.
Insofern formuliert er die Anforderung an den Idealtypus der politisch verantwortlichen Führungsperson: Sie hat sowohl eine rationale als auch eine irrationale Seite – rational, weil Weber die Erwartungen an diese Person auf Kompromisse und eine Verantwortungsethik hin ausrichtet, und irrational, weil diese Person entgegen dem Wissen, was sie in der Politik erwartet, dennoch zu ihr hinstreben.125 Es ist Ausdruck einer grundsätzlich von Weber als folgerichtig erkannten Irrationalität der Politik, die immer mit unvollständigem Wissen, Unsicherheit über die Konsequenzen politischen Handelns unter der Bedingung der Kontingenz und der Gefahr individueller Fehler arbeiten muss. Individuen handeln nicht immer rational und das Irrationale lässt sich nur schwer einkalkulieren. So hält die Welt immer Irrationales bereit, mit dem vollständig rational umzugehen kaum möglich ist.126 Dies lässt mit Dana Villa als Ironie politischen Handelns bezeichnen.127 Daran nicht zu zerbrechen ist letztlich die wesentlichste Anforderung Webers an politische Führungspersonen:
»Nur wer sicher ist, daß er daran nicht zerbricht, wenn die Welt, von seinem Standpunkt aus gesehen, zu dumm oder zu gemein ist für das, was er ihr bieten will, daß er all dem gegenüber: ›dennoch!‹ zu sagen vermag, nur der hat den ›Beruf‹ zur Politik.«128
Aus dieser Tatsache heraus wird verständlich, weswegen Webers Vorstellung politischer Führungspersonen fast unweigerlich Reminiszenzen an aristokratische Figuren hervorruft und tatsächlich nur als elitär bezeichnet werden kann.129 Es geht um eine geistige und charakterliche Überlegenheit und Opferbereitschaft einer Person, die sich bewusst und nur aus der eigenen Überzeugung heraus den bekannten Gefahren politischen Handeln aussetzt sowie allen Gefahren von potenzieller Korruption und Selbstzerstörung widerstehen soll.130 Webers Antwort auf die politische Frage seiner Zeit versöhnt letztlich die beiden von ihm getrennten politischen Ethiken. Politik bedeutet »ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich«131. Verantwortungsbewusst und mit einer gewissen Leidenschaft und damit auch Gesinnung für die Sache sollen zur Politik berufene Personen politisch handeln. Diese Leidenschaftlichkeit allerdings mit dem gebotenen Abstand einzubringen, sich nicht in ihr zu versteifen und darüber die eigene Verantwortung zu verlieren, ist von Weber wohl als Lösung des Dilemmas politischen Handelns gedacht; Distanz zu sich selbst, zu anderen und insgesamt zur ganzen äußeren Welt.132 Die zur Politik berufenen Personen verbinden in sich zwei Gegenprinzipien, nämlich leidenschaftliche Gesinnung mit Verantwortung.133
Eine verantwortungsvoll streitende Politik ist für Weber die einzige Möglichkeit, in der neuen Welt der modernen bürgerlichen Gesellschaft Kontingenzbewusstsein zu erhalten, verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten dauerhaft zu zeigen und daran gleichzeitig nicht zu zerbrechen oder sich darin zu verlieren. Die hohen Ansprüche an die leitenden politischen Personen gelten ihm dabei als Gewährleistung dafür, dass diese dabei keine Luftschlösser bauen und die moderne Gesellschaft nun im Streit anstatt bürokratisch erstarrt. Diese Form elitärer Politik ist für Weber also nicht nur die Bedingung von Kontingenzbewusstsein, sondern soll auch Ausdruck davon sein. Gestaltungsanspruch bedeutet noch keine tatsächliche Gestaltung, nur wer die Widersprüche der Kontingenz aushalten kann, ist zur Politik berufen.
Weber geht es nicht um eine gute oder harmonische Politik. Eine solche ist in seinen Augen nicht möglich. In einer kontingenten gesellschaftlichen Entwicklung kann dann nur sinnvoll gestaltet werden, wenn die leitenden politischen Personen in der Lage dazu sind, wiederholt von Maximalpositionen abzurücken, Realpolitik zu betreiben und also Kompromisse zu finden. Wie Maurizio Ferrera bemerkt, dient nicht nur die Verantwortungsethik, sondern auch die Notwendigkeit, die liberalen Freiheiten zu erhalten als Begrenzung von Politik als Kampf unterschiedlicher Vorstellungen. Außerdem bestehen Grenzen in der Struktur der der plebiszitären Führerdemokratie, Parlamentarismus und politisch verantwortlich agierende Parteien, als Grundbedingung des politischen Kampfes zu erhalten.134
Deutlich geworden ist bisher, dass Webers Theorie der plebiszitären Führerdemokratie tatsächlich eine Theorie elitärer Politik ist. Nicht alle Menschen sollen sich der politischen Gestaltung der gesellschaftlichen Entwicklung verschreiben, sondern diejenigen, die charakterlich dafür geeignet sind und aus einem parlamentarischen Ausleseprozess kommen. Aber auch das Parlament selbst, von Weber in seiner Bedeutung als sehr wesentlich betont, ist Ausdruck dieser elitären Politik. Im Parlament sitzen Vertreter des Volkes. Durch das Prinzip der Repräsentation bilden die Parlamentarier, im Vergleich zur Gesamtgesellschaft, selbst eine kleine Zahl. Webers elitäre politische Theorie der plebiszitären Führerdemokratie ist damit ganz deutlich eine Form der parlamentarischen Demokratie.
11.3Elitäre Politik in der plebiszitären Führerdemokratie
In diesem Abschnitt soll dargelegt werden, wie die plebiszitäre Führerdemokratie insgesamt unter den irreversiblen Bedingungen der modernen bürgerlichen Gesellschaft funktioniert. Wie gestaltet sich die gesellschaftliche Situation, aus der ein starkes Parlament und starke Parteien sowie, unter den Bedingungen der unwiderruflichen Massendemokratie, universellen Bürokratisierung und den Anforderungen des rationalen Betriebskapitalismus elitäre, verantwortungsbewusste, politisch leidenschaftliche und charismatische Personen an die Macht kommen? Alle vorherigen Aussagen über das Parlament, die Parteien und die Eigenschaften der politischen Führungsperson sind Voraussetzungen für die Beantwortung dieser Frage. Sie haben das Areal abgesteckt. Wie kommen nun charismatische Personen an die Macht und wie wird institutionell vorgebeugt, dass nicht im gleichen Maße die Gefahr der Degeneration zu einer »sterilen Diktatur«135 steigt?
Parteien und Parlamenten, sind für Weber, wie bereits erläutert wurde, die zentralen politischen Institutionen in einer Massendemokratie. Erst bei der Betrachtung des politischen Systems der plebiszitären Führerdemokratie zeigen sich auch Rückwirkungen dessen auf die politischen Parteien und das Parlament.
Zwei Fragen sind also von entscheidender Bedeutung: Wie gestatten Parteien »in einer voll entwickelten Massendemokratie denn überhaupt Führernaturen den Aufstieg?« – und: »Sind sie imstande, neue Ideen überhaupt zu rezipieren?«136
Eine Partei, »deren Existenz auf die Teilnahme an der Macht und Verantwortung im Staate« beruht, muss sich »den Leuten mit Führereigenschaften«137 unterordnen, sich diesen ganz und gar auszuliefern. Die Bedingungen von Massenwahlrecht und Webers Vorstellungen einer plebiszitären Führerdemokratie, in der die oberste politische Stelle per Wahl vergeben wird, lassen die bürokratisierten Parteien sich politischen Führungspersönlichkeiten und deren politischen Erfolg. Alle ›Rädchen‹ der Parteimaschine sind sich bewusst, dass ihr Schicksal und ihre Interessen an dieser Person hängen. Sie sind
»infolge des ›cäsaristischen‹ Zugs der Massendemokratie gezwungen, sich wirklichen politischen Temperamenten und Begabungen als Führern zu fügen, sobald diese sich imstande zeigen, das Vertrauen der Massen zu gewinnen«138.
Die Ausrichtung der Parteien auf plebiszitäre Führungspersönlichkeiten sorgt dafür, dass sich der gesamte Parteiapparat »entseelt« oder »geistig proletarisiert«.139 Doch diese aus heutiger Sicht negativ klingenden Folgen sind laut Weber überhaupt die Grundbedingungen jeder Partei, als politische Institution in der plebiszitären Führerdemokratie und Gewähr des Aufstiegs von leidenschaftlichen Führungspersonen. Als an dem Ziel der Macht ausgerichteter Apparat, muss die Partei der designierten politischen Führungsperson »blind gehorchen« und darf nicht gestört sein durch »Honoratioreneitelkeit und Prätention eigener Ansichten«.140
Eine relativ kleine Anzahl an Personen muss, um sich ihre auf Freiwilligkeit beruhende Gefolgschaft zu organisieren, Wahlkampf betreiben. Eine öffentliche Führerschaft und Gefolgschaft sind damit die aktiven Elemente der freien Werbung um Gefolgschaft einerseits. Andererseits ist die dadurch angesprochene Wählerschaft das notwendige passive (bis auf den Akt der Wahl) Lebenselement jeder Partei.141
Die ›cäsaristische‹ Führungsperson ist daher auf den gut funktionierenden Parteiapparat angewiesen. Der Apparat ist es, der den notwendigen Massenwahlkampf ausführt und die Mittel aufbringt sowie effizient verwaltet. Daher ist diese ›cäsaristische‹ Person aber auch eine, die »mindestens ideell, in der Masse der Fälle aber materiell, den politischen Betrieb innerhalb einer Partei zum Inhalt [ihrer] Existenz macht«142. Die gesamte Partei ist auf den Massenwahlkampf ausgerichtet, und durch die Interessenverschmelzung von Parteiapparat und politischer Führungsperson ist die parteiinterne Bürokratie gezähmt. Damit bekommen die Parteien neben dem Parlament auch eine entscheidende Funktion für die Auswahl politischer Führungsfiguren. Nur diejenigen, die den Parteiapparat hinter sich vereinigen können beziehungsweise nur Parteien, die es schaffen, sich hinter einer Führungsperson zu sammeln, können auch im Parlament und im Wahlkampf erfolgreich sein. Daher bedeutet »die Schaffung solcher Maschinen [Herv. FB] […], mit anderen Worten, den Einzug der plebiszitären Demokratie«143. Die Parteien, als Maschinen oder Wahlkampfapparate erhalten damit eine insofern einmalige Bedeutung im Vergleich zu anderen Elementen der plebiszitären Führerdemokratie, weil sie sowohl im Regierungs- oder Staatsbereich als auch im gesellschaftlichen Bereich verwurzelt sind: Als freiwillige Interessengemeinschaften, die sich auch nach den Interessen ausrichten, sind sie sozusagen in der Gesellschaft beheimatet; als Gemeinschaften, deren leitende Personen in politisch verantwortliche Stellen kommen, sind sie Teil der Regierungs- und Staatsgewalt. Diese Zwischenposition ermöglicht ihnen, über das Parlament als Austragungsort, Gesellschaft und Staat zu integrieren, ohne dass es dafür eines zusätzlichen dauerhaften ausbalancierenden Schiedsrichters bedarf. Sie bringen damit das, was ist, zusammen mit den verschiedenen Vorstellungen dem, wie es sein könnte und verhandeln darüber miteinander im Parlament.144
Entscheidend dafür ist aber auch ein machtvolles Parlament, welches als politische Institution nicht mehr wegzudenken oder zu beseitigen ist145 und welches eine starke Position in Webers Reflexion einnimmt. Im sogenannten »Volksstaat«146 ist das Parlament ein die Politik mitbestimmendes und kein auf Kritik und Beschwerde festgelegtes Organ, wie im Obrigkeitsstaat. Enqueterecht und eine vitale Ausschusskultur sind dabei nicht nur Mittel der direkten parlamentarischen Kontrolle, und zwar sowohl der Verwaltung als auch der politisch verantwortlichen Führungsperson gegenüber, sondern Weber sieht in ihnen vor allem auch demokratische Instrumente, die über die Zeit eine erzieherische Wirkung auf die Gesellschaft ausüben und damit einen bildnerischen Prozess auslösen. Denn Weber ist sich einer zunehmend auch politisch informierten Öffentlichkeit durchaus bewusst. Durch die Presse wird die öffentliche Meinung ein immer wichtigerer Fakt in der politischen Auseinandersetzung.147 Daher betont Weber auch die erzieherische und moderierende Rolle der parlamentarischen Auseinandersetzung zwischen Berufspolitikern.148 Durch die Rückbindung ihrer Politik an Realpolitik, also durch Bezug auf die Verantwortungsethik, sollen die Debatten allerdings pragmatisch und lösungsorientiert geführt werden, Emotionen hingegen keine Rolle spielen.
Das Ziel ist, wie bereits erwähnt, eine politisch reife Gesellschaft, die nicht nur die Bürokratie, sondern auch die starke politisch verantwortliche Führungsfigur mitkontrollieren kann. Dies kann als die eigentliche Funktion der politischen Reife gesehen werden, denn um weitestgehende Beteiligung an der politischen Gestaltung der gesellschaftlichen Entwicklung ging es Weber ja nicht. Grundlage dessen ist ein Parlament, welches »parlamentarische Verwaltungskontrolle« ausübt; wo die Führer der maßgeblichen Parlamentsparteien also »positiv beziehungsweise aktiv an der Politik der Regierung« beteiligt sind.149 Das Parlament ist der entscheidende Raum, wenn es darum geht, in die Kontingenz hinein politisch zu gestalten. Im Parlament müssen verschiedene Gestaltungsvorstellungen, also Kontingenz gezeigt, politische Kompromisse ausgehandelt und damit die Bürokratie dauerhaft einer politischen Führung unterworfen werden. Die leitenden politischen Personen sind innerhalb starker Parlamente in einen Rahmen gestellt, sich in »konventionell fest geregelte[r] Teilnahme an den Kommiteearbeiten des Parlaments […] zu schulen und sich dort zu bewähren«150. Dies bietet für Weber eine starke Gewähr dafür, dass diese ›cäsaristischen‹ Personen
»sich den festen Rechtsformen des Staatslebens einfügen und daß sie nicht rein emotional, als lediglich nach den im üblen Sinne des Worts ›demagogischen‹ Qualitäten, ausgelesen werden«151.
Deutlich wird hier die wichtige Kontrollfunktion, die Weber dem Parlament der politischen Führungsperson beimisst.
Die charismatischen politischen Führungsfiguren kämpfen mithilfe ihrer demagogischen Fähigkeiten (im antiken Wortsinn) um die Gefolgschaft innerhalb der Massendemokratien.152 Diesen Kampf führen sie unter Einsatz ihrer ihnen ergebenen Parteiapparate.153 Das Parlament bildet dabei in Webers Bild den Ort, an dem sich die politischen Führungspersonen in der Sachdebatte und in den Regeln des Parlamentarismus schulen sowie sich der Gefolgschaft der eigenen Partei vergewissern. Das Parlament ist damit neben der Partei der Ort der Ertüchtigung der politischen Führungspersonen.154 Potenzielle Führungspersonen arbeiten darin in Ausschüssen und sammeln Erfahrungen. Diese binden ihre politischen Gestaltungsprogramme zurück an die politische Realität und verhindern das Entwerfen von Luftschlössern. Innerhalb des Parlamentes gewinnen die zur Politik Berufenen Vertrauen, aber dadurch, dass die Tätigkeit der politischen Führungspersonen immer auch öffentlich ist, sammeln sie zusätzlich auch Prestige in der Gesellschaft.155 Gleichwohl hat die politische Führungsperson eine doppelte Verantwortlichkeit, einmal gegenüber dem Parlament und einmal gegenüber den wählenden Massen. Obschon Weber die Gegensätzlichkeit beider durchaus erkennt, hält er beide für gleich wichtig. Die plebiszitäre Führerdemokratie ist für Weber das zwangsläufige Korrektiv der sich aus der unveränderbaren und notwendigen Bürokratisierung ergebenden Gefahr der Erstarrung der bürgerlichen Gesellschaft. Die Rückbindung des ›cäsaristischen‹ Einschlages an das Parlament und die parlamentarische Kultur sind dabei abermals eine parlamentarische Gewähr für die Kontrollierbarkeit sowie im Extremfall auch für die Absetzbarkeit. Außerdem lässt sich das Charisma dadurch auch politisch verstetigen.156 Der Volksstaat der plebiszitären Führerdemokratie wird damit in Webers Denken zum Gegenbegriff des Obrigkeitsstaats.
Die politischen Führungspersönlichkeiten schaffen es durch die Generierung von Anhängerschaften, welche ihre Ideale inkorporieren und sich zu eigen machen, durch ihre politischen Programme und unter Anwendung (partei-)bürokratischer Mittel des Erlangens, der Stabilisierung und Ausübung von Macht, die allgemeine Bürokratie zu domestizieren.157 Es ist dies die Erfüllung des eigentlichen »Wesens aller Politik«, das nach Weber nur in der plebiszitären Führerdemokratie vollumfänglich zur Geltung kommen kann.
Denn[f]ür den modernen Politiker […] ist der Kampf im Parlament und für die Partei im Lande die gegebene Palästra, die durch nichts anderes – am wenigsten durch die Konkurrenz um Avancement – gleichwertig zu ersetzen ist. Natürlich nur in einem Parlament und für eine Partei, deren Führer die Macht im Staate erwirbt«158.
Generell ist Weber das Apolitische ein Dorn im Auge.159 Gerade in der erstarrten Gestaltungsmöglichkeiten und dem Erlöschen von Kontingenzbewusstsein der gesellschaftlichen Entwicklung bestand ja Webers maßgebliche Kritik. Daher ist elitäre Politik der Kern Weber Vision einer modernen Gesellschaft sicherlich auch ein Ausdruck Webers »heimlicher Liebe«160 für die Politik, wie er sie in einem Brief an Mina Tobler einmal gestand. Ein Mangel an Politik ist Ausdruck bürokratischer Verkrustung. Will die moderne Gesellschaft also nicht im bürokratischen Korsett erstarren, sondern ihre Entwicklung bewusst fluide und offen halten sowie Gestaltungsfreiheit bewahren, ist sie auf Politik angewiesen, obschon jede Politik laut Weber ohne das Versprechen auf Glückseligkeit, Gerechtigkeit oder Frieden einhergeht. Politik ist so verstanden völlig frei von jeder Normativität; sie ist vielmehr selbst eine Notwendigkeit161, darüber hinaus ein notwendig dauerhaftes Instrument162 und immer mit Kampf oder Auseinandersetzung verbunden. Da es keine singuläre Entscheidungs- oder Orientierungshilfe mehr gibt, kann zwischen den verschiedenen, kontingenten Möglichkeiten nur politisch entschieden werden.
Es gibt für Weber nur zwei Alternativen: »Führerdemokratie mit ›Maschine‹ oder führerlose Demokratie«163. Verwaltete Mittelmäßigkeit und Eingeschränktheit auf der einen oder politische Gestaltung und die Möglichkeiten zu außergewöhnlichen Erfolgen auf der anderen Seite.164 Die Stärke der plebiszitären Führerdemokratie ist in Webers Augen die geeignete Reaktion auf das von ihm befürchtete und teils bereits beobachtbare Problem einer apolitischen Gesellschaft, einer mächtigen Bürokratie, schwacher Parteien und eines schwachen Parlamentes. Dies ist der Hintergrund, vor dem die plebiszitäre Führerdemokratie bewertet werden muss.165 Die Bürokratie kann wohl politisch eingehegt sein, aber nicht mehr eliminiert werden, denn selbst ein solcher Versuch müsste selbst nach bürokratischen Regeln passieren.166 Das ist die Besonderheit Webers Vision. In ihr erscheinen einzelne Bestandteile wieder, die zugleich Bestandteil dessen sind, was er kritisiert.
Politik bleibt allerdings für Weber immer eine Sache einer gesellschaftlichen Elite. Auch unter den Bedingungen, dass die politische Führungspersönlichkeit direkt gewählt wird, ändert sich der grundlegende elitäre Charakter Webers plebiszitärer Führerdemokratie und an dem Bild der politischen Führungsperson als fast schon epischer Held nicht viel. Entsprechend kommt Weber auf diese Weise tatsächlich dem nahe, was Peter Bachrach später als »democratic elitism«167 bezeichnet. Die in Webers Ausführungen erkennbare Vorstellung der politischen Führungsperson ist tatsächlich nahezu eine Heldenvorstellung, denn es ist eine Person, die alle anderen in bestimmten Eigenschaften überragt und letztlich (sicherlich mit anderen institutionellen Vorkehrungen) gerade aufgrund dieser Eigenschaften die ›Rettung‹ der Gesellschaft vor der bürokratischen Verkrustung besorgt.
In Webers Wahrnehmung der historischen Umstände, insbesondere denen in Deutschland, sind Bürokratisierung und Demokratisierung, obschon beide ausdrücklich ›moderne‹ Phänomene sind, in »historisch bedingte Gegenpositionen«168 geraten. Sie müssen daher in einen Ausgleich, in einen Kompromiss miteinander gebracht werden, worin sich letztlich sowohl implizit seine Festlegung auf die Bürokratie als auch auf den Tatbestand der Massendemokratie findet. Die plebiszitäre Führerdemokratie charakterisiert sich daher maßgeblich dadurch, dass darin immer entgegengesetzte Prinzipien miteinander ausbalanciert werden. Es ist immer ein ›Sowohl-als-Auch‹. Etwa: ein politischer Held auf der einen und die Bürokratie auf der anderen Seite. Der Person des politischen Helden oder den Personen der Elite steht die unpersönliche Verwaltung gegenüber. Oder in den Worten Wolfgang Schluchters: »Demokratie und Bürokratie sind Gegenmächte, die nur, wenn sie gegeneinander organisiert sind, füreinander arbeiten können.«169 Denn: »Totale bürokratische Herrschaft ist möglich, darf aber nicht sein, totale demokratische Herrschaft darf sein, ist aber nicht möglich. Was uns bleibt, ist die bürokratische Demokratie«170. In der charismatischen-demokratischen Herrschaft (also der herrschaftsfremden Umdeutung) erkennt er »in allen Dingen […] das gerade Gegenteil der bürokratischen«171 Herrschaft. Die Verbindungsstücke sind dabei ein starkes Parlament, starke Parteien und ein direkt gewähltes Staatsoberhaupt.
Webers Vorstellung einer politischen Elite und eines elitären politischen Handelns sind demokratisch, denn die Eliten beziehen ihre Macht aus einer demokratischen Wahl, sind Mitglieder von demokratischen Parteien und eines Parlamentes. Auch die präsidiale Figur, worin Webers Vorstellung politischen Führertums gipfelt, ist zunächst primus inter pares in der plebiszitären Führerdemokratie. Dabei thematisiert Weber aber letztlich immer nur punktuelle politische Aktivitäten der Gesellschaft, namentlich die Wahl; andererseits ist nämlich eine breitere politische Beteiligung der Massen für ihn meist gleichbedeutend mit schlechter, weil emotionsgesteuerter Politik, mit chaotischen Verhältnissen oder mit Disziplinlosigkeit der Massen. Die plebiszitäre Demokratie braucht keine dauerhaft politisch aktive Gesellschaft, sondern nur ein dauerhaft politisch aktives und aktiviertes Parlament, und zwar als Gegenkraft zur plebiszitär legitimierten Führungsperson.172 Allerdings sollte Weber auch nicht demokratiekritisch173 überinterpretiert werden, bezeugt er doch dem demokratischen Wahlakt eine ganz eigene Einzigartigkeit und einen hohen Stellenwert:
»Gegenüber der nivellierenden unentrinnbaren Herrschaft der Bürokratie […] ist das Machtmittel des Wahlzettels nun einmal das einzige, was den ihr Unterworfenen ein Minimum von Mitbestimmungsrecht über die Angelegenheiten jener Gemeinschaft […] überhaupt in die Hand geben kann.«174
Weber hat durchaus ein Gespür für eine Gewaltenteilung zwischen dem Parlament und der plebiszitären Führungsperson. Das Parlament verliert angesichts der zentralen Stellung der Führungsperson keineswegs an Wert oder wird gar reine ›Schaubühne‹.175 Es sorgt vielmehr für eine stetige politische Herrschaft und Kontrolle. Ferner sichert es die rechtsstaatlichen Freiheiten, auch gegen die Führungsperson. Es bildet den Raum einer geordneten politischen Bewährung potenzieller Führungspersonen und sichert eine friedliche Form der Ausschaltung der Herrschaft der Führungsperson, wenn diese das Vertrauen der Massen verliert.176 Weber begegnet allen, die anhand seiner Vorstellung der modernen bürgerlichen Gesellschaft, wehmütig an die alte monarchische Ordnung zurückdenken:
»Möchten doch angesichts dessen diejenigen, welche in steter Angst davor leben, es könnte in Zukunft in der Welt zu viel ›Demokratie‹ und ›Individualismus‹ geben und zu wenig ›Autorität‹, ›Aristokratie‹ und ›Schätzung des Amtes‹ oder dergleichen, sich endlich beruhigen: es ist, nur allzusehr, dafür gesorgt, daß die Bäume des demokratischen Individualismus nicht bis in den Himmel wachsen.«177
Die plebiszitäre Führerdemokratie ist dennoch, selbst unter der Maßgabe der Wahl der obersten Person, eine sehr personengebundene oder personenorientierte und weniger eine demokratische Herrschaft im engeren oder ursprünglichen Sinn. Selbst die Wahl ist mehr eine Akklamation im Sinne der »Anerkennung der rein persönlichen Führereigenschaften des siegenden Politikers«178. Die Überwindung der Totalität der Beamtenherrschaft sowie der Ausbruch aus der bürokratischen Erstarrung ist bedingt durch die Aufstellung und Stärkung einer charismatischen Führerpersönlichkeit, gegen dessen Abdriften in wiederum totalitäre Bahnen Weber die Rolle des Parlamentes stärkt und einen hohen verantwortungsethischen Anspruch an die leitende Person formuliert. Die Qualität der Politik wird somit aber auch weitgehend abhängig von der Haltung dieser führenden Person. Diese ist es, worauf er »setzte, um die Krise der modernen Politik zu lösen«179, die sich aus der Bürokratisierung der Politik ergeben hat.
Diese politische Ordnungsform und darin die charismatisch-cäsaristische politische Führungsfigur lässt sich mit Robert Eden als die »charismatic domination for a disenchanted public world«180 bezeichnen. Es ist Webers institutionenbezogene und auf die ›Universalgeschichte der Rationalisierung‹ sowie deren Folgen im politisch-institutionellen Rahmen reflektierte Vision. Durch die politische gesicherte Aufrechterhaltung des Kontingenzbewusstseins wird trotz voranschreitender Rationalisierung oder Entzauberung die Zukunft der gesellschaftlichen Entwicklung immer wieder als offen und kontingent gezeigt. Genau das ist es, was die Gestaltungsfreiheit mit sich bringt. Diese Freiheit bedeutet große Verantwortung, wie gezeigt wurde, und dieser Verantwortung sieht Weber eben nicht die Masse, sondern nur einige wenige und besonders charismatische Personen gewachsen.
Wolfgang Mommsen bringt es auf folgende Formel: »Möglichst viel Freiheit durch möglichst viel Herrschaft.«181 Zu ergänzen wäre hieran nur, dass es um möglichst viel politische Herrschaft geht, denn zu viel bürokratische und unpolitische Herrschaft war ja gerade ein Kern in Webers Sorge. Gestaltungsfreiheit kann es für Weber nur innerhalb von Herrschaftszusammenhängen geben. In der plebiszitären Führerdemokratie erscheint das Maximum an universeller Beteiligung und demokratischer Legitimität, was Weber sich angesichts der modernen Bedingungen vorstellen kann. Das macht ihn zu einem »Demokraten besonderer Art«182, wie Edward Shils es formuliert. Das drückt Webers ambivalente Position zwischen Skepsis von demokratischer ›Volksherrschaft‹ und dem Starkreden des demokratischen Parlamentarismus aus. Die Rationalisierung und ihre Folgen werden darin nicht zurückgedreht oder überwunden. Webers Vorstellung der plebiszitären Führerdemokratie ließe sich mit den Worten von Dietrich Herzog und das Bisherige zusammenfassend als »Soziologie des Parlamentes und der politischen Parteien«183 bezeichnen. Nur in dem in der plebiszitären Führerdemokratie liegenden charismatischen Element und der parlamentarischen Debatte sieht Weber Kräfte, die in der Lage sind, der Entwicklung der Gesellschaft von Berufsmenschen und unter den Bedingungen der irreversiblen Bürokratisierungstendenzen Kontingenz und Gestaltungsbewusstsein aufrechtzuerhalten. Sie bewahrt in Webers Augen die Gesellschaft als offene Gesellschaft, welche fortlaufend dynamisch und innovierend, sich selbst sowie die eigene Entwicklung reflektieren und im Bedarfsfall korrigieren kann.184
Es ging Weber, so ließe sich vereinfacht formulieren, um die Vereinbarung moderner Tatsachen. Die elitäre Politik in Parlament und durch Führungspersönlichkeiten ist für Weber dabei die Kraft, welche – im übertragenen Sinne – die Tür in eine widersprüchliche, an Orientierungslosigkeit grenzende, sprich kontingente Welt dauerhaft geöffnet hält und der Gesellschaft ein Bewusstsein dafür erhält.185 Die Politik kämpft um und mit verschiedenen Vorstellungen und stemmt sich damit gegen die Erstarrung, und zwar für die gesamte Gesellschaft. Darin zeigt sich auch Webers eigene Ambivalenz.186 Für ihn gehören Widersprüche zur kontingenten Entwicklung der modernen Gesellschaft schlicht dazu und sind nicht zu eliminieren. Nach Gangolf Hübinger sind Widersprüche für Weber die »Signatur der Moderne« und das »historische Bewegungsprinzip«.187 Gerade aus diesem Standpunkt heraus kritisiert Weber die bürokratische Erstarrung der Politik und die rationalistische Erstarrung der Individualität. Solange Politik es schafft diese aufrechtzuerhalten und immer wieder zu zeigen, schützt sie die bürgerliche Gesellschaft vor der rasch aufziehenden Gefahr des absoluten Stillstandes im stählernen Gehäuse. Weber will durch Politik einen dauerhaften Zugang zur kontingenten Entwicklung sicherstellen und Widersprüche politisch organisieren. Nur dadurch kommt der gesellschaftliche Fortschritt nicht in einer immer enger werdenden Bahn zum Erstarren.
1Wolfgang J. Mommsen: »Einleitung«, in: Wolfgang J. Mommsen (Hg.), Max Weber. Gesellschaft, Politik und Geschichte, Frankfurt a.M. 1974b, S. 9ff, hier S. 17.
2Jürgen Kocka: Arbeiten an der Geschichte, Göttingen 2012, S. 140. Dazu auch G. Fitzi (2004), S. 259.
3Max Weber: »Deutschlands künftige Staatsform«, in: Wolfgang J. Mommsen (Hg.), MWG I/16, Tübingen 1988, S. 98ff, hier S. 135.
4Vgl. Gregor Fitzi: »Souvereignty, legality and democracy. Politics in the work of Max Weber«, in: Max Weber Studies 9 (2009), S. 33ff, hier S. 37.
5Vgl. M. Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland (1984), S. 533.
6Vgl. ebd., S. 469.
7Ebd., S. 470f.
8M. Weber, Die Typen der Herrschaft (2013), S. 591.
9Ebd.
10Vgl. Klaus v. Beyme: »Das parlamentarische System in der Theorie der Politik«, in: Klaus v. Beyme (Hg.), Die parlamentarische Demokratie. Entstehung und Funktionsweise 1789 – 1999, Wiesbaden 2014, S. 93ff, hier S. 121.
11M. Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland (1984), S. 436. Auch hier zeigt sich wieder Wilhelm Hennis Einschätzung bestätigt, dass Webers Werk insgesamt durch viele ›Dennochs‹ durchzogen ist und also in sich viele, aus Webers Sicht, Widersprüche oder Gegensätzlichkeiten zu vereinen versucht. Vgl. W. Hennis (1987), S. 80.
12M. Weber, Die rationale Staatsanstalt und die modernen politischen Parteien und Verbände (Staatssoziologie) (1985), S. 851; M. Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland (1984), S. 472.
13M. Weber, Die rationale Staatsanstalt und die modernen politischen Parteien und Verbände (Staatssoziologie) (1985), S. 851; M. Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland (1984), S. 472f.
14M. Weber, Die rationale Staatsanstalt und die modernen politischen Parteien und Verbände (Staatssoziologie) (1985), S. 855; M. Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland (1984), S. 488. Dazu auch G. Schmidt (1964), S. 248f.
15M. Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland (1984), S. 492.
16Ebd., S. 488.
17Ebd., S. 489. Über Webers durchaus ambivalente Position zu Großbritannien, das er einmal vielfach als Vorbild eigener politischer Konzeptionen sah, aber auch als imperialen Konkurrent definierte, siehe Günther Roth: »Weber the Would-Be Englishman: Anglophobia and Family History«, in: Günther Roth/Hartmut Lehmann (Hg.), Weber’s Protestant Ethic. Origins, Evidence, Contexts, Cambridge 1993, S. 83ff.
18M. Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland (1984), S. 489.
19Hier fällt eine spannende Verbindung von Weber zu Colin Crouch auf, denn in diesem Punkt kritisiert Weber durchaus schon, dass in solchen Spektakeln Politik letztlich nur noch ›gespielt‹ wird und solche Spiele eigentlich nur dazu dienen, der Gesellschaft politische Gestlaltung vorzugaukeln sowie potenziell schuldige Opfer zu präsentieren, und dadurch von den eigentlichen und strukturellen Problemen die Aufmerksamkeit zu nehmen. Vgl. Colin Crouch: Post-democracy, Cambridge 2010.
20M. Weber, Die rationale Staatsanstalt und die modernen politischen Parteien und Verbände (Staatssoziologie) (1985), S. 855; M. Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland (1984), S. 489.
21Vgl. M. Weber, Die rationale Staatsanstalt und die modernen politischen Parteien und Verbände (Staatssoziologie) (1985), S. 856; M. Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland (1984), S. 490f.
22M. Weber, Die rationale Staatsanstalt und die modernen politischen Parteien und Verbände (Staatssoziologie) (1985), S. 851; M. Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland (1984), S. 473f.
23M. Weber, Die rationale Staatsanstalt und die modernen politischen Parteien und Verbände (Staatssoziologie) (1985), S. 856; M. Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland (1984), S. 490f.
24M. Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland (1984), S. 486.
25Ebd., S. 502.
26Siehe dazu Kapitel Elitäre Erweckung der Politik
27Ebd., 502.
28M. Weber, Die Typen der Herrschaft (2013), S. 581.
29Ebd.
30Vgl. L. A. Scaff (1989), S. 166.
31Vgl. G. Fitzi (2004), S. 259.
32M. Weber, Die rationale Staatsanstalt und die modernen politischen Parteien und Verbände (Staatssoziologie) (1985), S. 854; M. Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland (1984), S. 487.
33Vgl. D. Herzog, 1966, S. 237.
34M. Weber, Die rationale Staatsanstalt und die modernen politischen Parteien und Verbände (Staatssoziologie) (1985), S. 864; M. Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland (1984), S. 542f.
35Zur Rolle des Parlamentes in Webers Vorstellung und insbesondere gegenüber der Bürokratie siehe auch H. Treiber, Moderner Staat und moderne Bürokratie bei Max Weber (2016), S. 139ff.
36Vgl. M. Weber, Die Typen der Herrschaft (2013), S. 566; M. Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland (1984), S. 454f. Parteien als Unterformen der Vereine, ihre Wirkung beziehungsweise Position innerhalb Webers Ordnungsvorstellung zu untersuchen, wäre ein sicherlich spannendes Thema, dem hier aber der Platz fehlt. Zu Webers Vereins- und Parteiensoziologie etwa S. Breuer (2006), S. 92ff.
37M. Weber, Die rationale Staatsanstalt und die modernen politischen Parteien und Verbände (Staatssoziologie) (1985), S. 852; M. Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland (1984), S. 475.
38M. Weber, Politik als Beruf (1992), S. 202; M. Weber, Die rationale Staatsanstalt und die modernen politischen Parteien und Verbände (Staatssoziologie) (1985), S. 842f.
39M. Weber, Die rationale Staatsanstalt und die modernen politischen Parteien und Verbände (Staatssoziologie) (1985), S. 859; M. Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland (1984), S. 532.
40M. Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland (1984), S. 531. Parteien als herrschaftliche Gebilde, deren Zweck in der Einflussnahme auf die Herrschaft besteht, sind naturgemäß in Abhängigkeit von dem größeren Herrschaftsgebilde zu betrachten. Ihre Entwicklung ist nur hinsichtlich der gesellschaftlichen Herrschaftsordnung zu bestimmen. Stefan Breuer schematisiert diesen Zusammenhang wie folgt: charismatische Herrschaft – Demagogengefolge; traditionale Herrschaft – Veralltäglichung des Charismas, traditionale Honoratiorenpartei; rationale Herrschaft – bürokratisierte Massenpartei. Vgl. S. Breuer (2006), S. 97.
41Vgl. M. Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland (1984), S. 455. Webers grundsätzlicher Gedanke bei Parteien, wie bei allen anderen menschlichen Zusammenschlüssen, ist, dass überall wenige für viele tätig sind. Das Prinzip der kleinen Zahl bestimmt letztlich Webers Repräsentations- und Parteienbegriff. Individuelle Freiheit auch innerhalb von demokratischen und republikanischen politischen Ordnungen wird so zur Freiheit der Anerkennung von politischer Führung. Die aktive Zustimmung oder Selbstregierung wird so schnell zur passiven Anerkennung von Herrschaft. Vgl. Marcus Llanque: »Politische Institutionen«, in: Marcus Llanque/Herfried Münkler (Hg.), Politische Theorie und Ideengeschichte, Berlin 2007, S. 225ff, hier S. 323.
42M. Weber, Die rationale Staatsanstalt und die modernen politischen Parteien und Verbände (Staatssoziologie) (1985), S. 860; M. Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland (1984), S. 534.
43Vgl. D. Herzog, 1966, S. 244ff.
44Vgl. ebd., S. 245.
45M. Weber, Politik als Beruf (1992), S. 196; M. Weber, Die rationale Staatsanstalt und die modernen politischen Parteien und Verbände (Staatssoziologie) (1985), S. 840f.
46M. Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland (1984), S. 485f.
47Ebd., S. 549.
48Ebd., S. 485f.
49D. Herzog, 1966, S. 248ff.
50Angesichts der Massivität Webers Kritik umfassender und universell vorhandener Bürokratisierungstendenzen hätte es einerseits nahgelegen, dass Weber diesen mit einem ebenso umfassenden und universellen Pessimismus der Moderne begegnet wäre. Andererseits wäre auch ein »Sprung nach vorn« nicht überraschend gewesen. Dietrich Herzog meint damit, dass Weber das demokratietheoretische Problem, das aus der von ihm selbst festgestellten Unentbehrlichkeit der Bürokratie und der damit verbundenen Macht resultiert, mit einer Theorie der Technokratie hätte auflösen können. ebd., S. 235.
51Max Weber: »Der Reichspräsident«, in: Wolfgang J. Mommsen (Hg.), MWG I/16, Tübingen 1988, S. 220ff, hier S. 222.
52M. Weber, Politik als Beruf (1992), S. 219.
53Ebd., S. 220.
54Ebd., S. 225.
55M. Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland (1984), S. 549.
56Ebd. Auffällig ist hier der Einfluss Gustav Le Bons Psychologie der Massen aus dem Jahr 1895 (1982).
57M. Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland (1984), S. 550.
58M. Weber, Politik als Beruf (1992), S. 228; M. Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland (1984), S. 549.
59Vgl. M. Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland (1984), S. 549.
60M. Weber, Bürokratismus (2005), S. 203.
61Vgl. W. J. Mommsen (1974a), S. 420.
62Max Weber: »Brief an Robert Michels. Heidelberg, 4. Aug. 1908«, in: Rainer Lepsius/Wolfgang J. Mommsen (Hg.), MWG II/5, Tübingen 1990, S. 615ff, hier S. 616.
63Heinrich v. Treitschke: Politik, Leipzig 1898, S. 15.
64M. Weber, Herrschaft (2005), S. 144.
65Vgl. Max Weber: »Probleme der Staatssoziologie. Vortrag am 25. Oktober 1917 in Wien«, in: Edith Hanke (Hg.), MWG I/22-4, Tübingen 2005, S. 745ff, hier S. 755. Siehe dazu auch M. Weber, Politik als Beruf (1992), S. 167ff.
66Hier drückt sich wahrscheinlich sein eher negatives Bild der direkt-demokratischen Verwaltung aus. Problematisch daran sei erstens die ökonomische Entwicklung, welche vermögende und nichtvermögende Personen hervorbringt, wobei ersteren ob ihrer ökonomischen Abkömmlichkeit gegenüber den anderen ein Vorteil erwüchse; zweitens bringe auch die gesellschaftliche Schichtung eine Trennung in angesehene und weniger angesehene Personen hervor, wobei ersteren, ob ihrer gesellschaftlichen Stellung tendenziell mehr Macht zukommt als letzteren. Weber sorge sich also um die, aus der aktuellen Gesellschaftsformation herrührenden, Ungleichheiten der politischen Teilhabe. Vgl. M. Weber, Herrschaft (2005), S. 141.
67Vgl. C. Schönberger, Max Webers Demokratie: Utopisches Gegenprinzip zur bürokratischen Herrschaft (2016), S. 165; S. Breuer (2006), S. 129f.
68Vgl. M. Weber, Herrschaft (2005), S. 140.
69Gangolf Hübinger: »Einleitung«, in: Gangolf Hübinger (Hg.), MWG III/7, Tübingen 2009, S. 1ff, hier S. 24. Siehe dazu das entsprechende Kapitel in Webers Soziologische Grundbegriffe. M. Weber, Soziologische Grundbegriffe (2013), S. 533.
70Insofern kommt Weber, wie Andreas Anter zeigt, zu einem ›angemessenen«, also realistischen Demokratieverständnis. Vgl. A. Anter (2014), S. 88f.
71Sie bildet damit den Kern seiner Politik- und Sozialwissenschaft. Vgl. C. Schönberger, Max Webers Demokratie: Utopisches Gegenprinzip zur bürokratischen Herrschaft (2016), S. 160; A. Anter (2014), S. 183f; G. Fitzi (2004), S. 86f; P. Lassman, The rule of man over man: politics, power and legitimation (2000), 83-84, 86.
72So sieht etwa auch Heinrich Popitz Gewalt als »eine notwendige Bedingung zur Aufrechterhaltung sozialer Ordnung« und gleichzeitig fungiert die soziale Ordnung »als Eindämmung von Gewalt«. Diesem Kreislauf unterliegt seiner Meinung nach »jeder Ordnungsentwurf«. Heinrich Popitz: Phänomene der Macht, Tübingen 1992, S. 63. Dazu auch Hartmann Tyrell: »Physische Gewalt, gewaltsamer Konflikt und ›der Staat‹ – Überlegungen zu neuerer Literatur«, in: Berliner Journal für Soziologie 9 (1999), S. 269ff.
Herrschaft ist somit in Webers Denken und Werk immer primär und Legitimitätsglaube daher immer sekundär. Darin erklärt sich für Christoph Schönberger auch Webers »demokratische Leerstelle«. Vgl. C. Schönberger, Max Webers Demokratie: Utopisches Gegenprinzip zur bürokratischen Herrschaft (2016), S. 163.
73M. Weber, Soziologische Grundbegriffe (2013), S. 212.
74Vgl. J. Rehmann (1998), S. 92.
75Vgl. G. Hübinger, Max Weber und die ›universalgeschichtlichen Probleme‹ der Moderne (2014), S. 223.
76M. Weber, Die Typen der Herrschaft (2013), S. 583.
77Webers Text Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland ist als Ganzes der Suche danach ausgerichtet, wie es möglich ist, dass nicht ›Emporkömmlinge‹ und Demagogen im schlechten Sinne aufsteigen, sondern herausragende, politisch verantwortlich handelnde Führungspersönlichkeiten. Vgl. G. Fitzi (2004).
78W. J. Mommsen, Zum Begriff der ›plebiszitären Führerdemokratie‹ (1974b), S. 47f.
79Zur plebiszitären Führerdemokratie in Webers Denken Andreas Anter: »Die westdeutsche Max-Weber-Diskussion und die Begründung der parlamentarischen Demokratie nach dem Zweiten Weltkrieg«, in: Christoph Cornelißen (Hg.), Geschichtswissenschaft im Geist der Demokratie. Wolfgang J. Mommsen und seine Generation, Berlin 2010, S. 257ff, hier 262ff; S. Breuer (2006), 129ff; Sven Eliaeson: »Max Weber and Plebiscitary Democracy«, in: Ralph Schroeder (Hg.), Max Weber, Democracy and Modernization, New York 1998, S. 47ff; Sven Eliaeson: »Between Ratio an Charisma: Max Weber’s Views on Plebiscitary Leadership Democracy«, in: Statsvetenskaplig Tidskrift 4 (1991), S. 317ff; Wolfgang J. Mommsen (Hg.): Max Weber, Frankfurt a.M. 1974b; W. J. Mommsen (1974a), 356ff.
Auch Günther Schmidts Arbeit befasst sich eingehend mit dem Konzept der plebiszitären Führerdermokratie. G. Schmidt (1964), S. 226ff. Dabei geht er an einigen Stellen genauer etwa auf die inneren Verbindungen dieses Konzeptes mit der Verfassungsrealität des damaligen britischen Regierungssystems sowie auf die geistesgeschichtlichen Wurzeln ein. Vgl. ebd., 236f., 269ff., passim, 289ff., passim.
Eine neuere Analyse fokussiert dabei insbesondere auch den Zusammenhang von plebiszitärer Führerdemokratie und Nationalismus. Dabei werden in diesem Text auch zeitgenössische Führungspersonen, insbesondere in der postkommunistischen Transformation betrachtet. Steven Pfaff: »Nationalism, Charisma, and Plebiscitary Leadership. The Problem of Democratization in Max Weber’s Political Sociology«, in: Sociological Inquiry 72 (2002), S. 81ff.
80M. Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland (1984), S. 538f.
81Ebd., S. 483. Dazu auch R. Boesche, Weber: The Inevitability of Bureaucratic Domination (1996), S. 332ff.
82Vgl. M. Weber, Politik als Beruf (1992), S. 211; M. Weber, Die rationale Staatsanstalt und die modernen politischen Parteien und Verbände (Staatssoziologie) (1985), S. 845. Dazu auch W. J. Mommsen, Zum Begriff der ›plebiszitären Führerdemokratie‹ (1974b), S. 52.
Ergänzt werden muss, dass Weber in seiner Beteiligung an der Weimarer Verfassung immer für die Verfassungs- und Rechtsbindung des Präsidenten eintrat. Auch plädierte er vehement für ein starkes Parlament, und zwar nicht nur als Kontrollorgan gegenüber der Regierung, sondern auch als Ort von Koalitions- und Regierungsbildung (von der zentralen Auslesefunktion ganz abgesehen) sowie als Inhaber eines Rechts auf Abberufung des Präsidenten. Vgl. M. Weber, Deutschlands künftige Staatsform (1988), S. 129. Er stimmt in den Verhandlungen über die Verfassung den dies lautenden Vorschlägen von Hugo Preuß ausdrücklich zu. „Editorischer Bericht«, in: Wolfgang J. Mommsen (Hg.), MWG I/16, Tübingen 1988, S. 49ff, hier S. 53.
Entsprechend schwierig ist die Behauptung von Detlef Lehnert aufrecht zu erhalten, Preuß und Weber seien diesbezüglich uneins gewesen. Vgl. Detlef Lehnert: »Hugo Preuß zwischen Hans Kelsen und Max Weber«, in: Detlef Lehnert/Christoph Müller (Hg.), Vom Untertanenverband zur Bürgergenossenschaft. Symposium zum 75. Todestag von Hugo Preuß am 9. Oktober 2000, Baden-Baden 2003, S. 151ff, hier S. 153.
83M. Weber, Politik als Beruf (1992), S. 159; M. Weber, Die rationale Staatsanstalt und die modernen politischen Parteien und Verbände (Staatssoziologie) (1985), S. 822.
Unter diesen Bedingungen sucht Weber die Faktoren ›guter Politik‹ zu finden. Vgl. M. Weber, Die rationale Staatsanstalt und die modernen politischen Parteien und Verbände (Staatssoziologie) (1985), S. 822.
84M. Weber, Die Typen der Herrschaft (2013), S. 536.
85Vgl. M. Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland (1984), S. 468.
86Vgl. M. T. Greven, 2004, S. 197.
87Vgl. C. Schönberger, Max Webers Demokratie: Utopisches Gegenprinzip zur bürokratischen Herrschaft (2016), S. 161; Stefan Breuer: Bürokratie und Charisma, Darmstadt 1994, S. 177.
88M. Weber, Die Typen der Herrschaft (2013), S. 535.
89Vgl. M. Weber, Politik als Beruf (1992), S. 161. Die charismatische Herrschaft ist insofern auch eine Sonderform in Webers Herrschaftstypologie. Stehen die traditionale oder legale zueinander in einer Folgebeziehung, ist die charismatische Herrschaft zu beiden alternativ. Vgl. W. Schluchter (1989), S. 246f. Auch über das Verhältnis der einzelnen Idealtypen der Herrschaft etwa W. J. Mommsen, Universalgeschichtliches und politisches Denken (1974b), S. 128f.
90Max Weber: »Die herrschaftsfremde Umdeutung des Charisma«, in: Knut Borchardt/Edith Hanke/Wolfgang Schluchter et al. (Hg.), MWG I/23, Tübingen 2013, S. 533ff. Christoph Schönberger nennt es »antiautoritären Umdeutung des Charisma.« C. Schönberger, Max Webers Demokratie: Utopisches Gegenprinzip zur bürokratischen Herrschaft (2016), S. 162.
91M. Weber, Die herrschaftsfremde Umdeutung des Charisma (2013), S. 533. Dazu auch W. Schluchter (1989), S. 246ff. Wolfgang Mommsen formuliert es einleuchtend: »Mit den Massen, nicht gegen die Massen, ist das große Individuum groß.« W. J. Mommsen, Universalgeschichtliches und politisches Denken (1974b), S. 130.
92M. Weber, Erhaltung des Charisma (2005), S. 502.
93M. Weber, Die Typen der Herrschaft (2013), S. 538.
94Siehe die Definition in § 17 der Grundbegriffe: »›Politisch orientiert‹ soll ein soziales Handeln, insbesondere auch ein Verbandshandeln, dann und insoweit heißen, als es die Beeinflussung der Leitung eines politischen Verbandes, insbesondere die Appropriation oder Expropriation oder Neuverteilung oder Zuweisung von Regierungsgewalten, bezweckt.« M. Weber, Soziologische Grundbegriffe (2013), S. 212.
95Vgl. M. T. Greven, 2004, S. 195f.
Andreas Anter deckt dabei einen wesentlichen Zirkelschluss in Webers Denken auf: »Wenn wir den Begriff des Staates betrachten, stoßen wir auf das Kriterium des Politischen, und wenn wir nach dem Begriff des Politischen fragen, werden wir wieder auf den Staat verwiesen.« A. Anter (2014), S. 52.
96M. Weber, Politik als Beruf (1992), S. 169f; M. Weber, Die rationale Staatsanstalt und die modernen politischen Parteien und Verbände (Staatssoziologie) (1985), S. 829.
97M. Weber, Politik als Beruf (1992), S. 189; M. Weber, Die rationale Staatsanstalt und die modernen politischen Parteien und Verbände (Staatssoziologie) (1985), S. 829.
98M. Weber, Politik als Beruf (1992), S. 169f; M. Weber, Die rationale Staatsanstalt und die modernen politischen Parteien und Verbände (Staatssoziologie) (1985), S. 829.
99Vgl. W. J. Mommsen, Zum Begriff der ›plebiszitären Führerdemokratie‹ (1974b), S. 52. Es ist dies auch eine Folge der Differenzierung politischen Handelns. Im Verlauf der Geschichte, mit der Appropriation der Macht durch die Fürsten sowie durch die allgemeine Zentralisierung und Monopolisierung der Verwaltungsmittel, findet auch diese Differenzierung politischen Handelns statt. Vermehrt bildet sich auf der einen Seite ein Verwaltungsbetrieb und auf der anderen ein politischer Betrieb heraus, wobei letzterer, wie gesagt, der Kampf um Macht und Einfluss sowie die Schulung dafür umfasst. Es geht dann auch zunehmend nicht mehr allein um die Trennung von Fachbeamten und politischen Beamten, sondern eigentlich um die Trennung von Beamten und politischen Führungspersonen. Denn gerade die Besetzung der Führungsstellen durch Beamte wird von Weber heftig kritisiert; hier fordert er die die Besetzung dieser Stellen durch Politiker. Die zugrunde liegende Differenzierung zeigt sich an den unterschiedlichen Berufsanforderungen. Beamte sollen unbesehen der Person und der eigenen Einstellung handeln, Politiker allerdings genau entsprechend eigener Einstellung, wofür sie dann auch verantwortlich sind. Einmal ist der Machtkampf dort ausgeschaltet und bleibt hier aktiv. Der Verhaltenskodex der Beamten bedingt eine unpolitische Auseinandersetzung. Somit verliert das Handeln der Fachverwaltung jeden unmittelbaren politischen Charakter, was nicht bedeutet, dass es überhaupt unpolitisch wird. Jedes Verwaltungshandeln kann politisch sein oder werden. Es zeigt sich hier der Unterschied zwischen verwaltender und gestaltender Politik. Politiker sollen strikt nach eigenen politischen Wertungen agieren und haften mit einer persönlichen Verantwortung, wohingegen der beamtliche Kodex auf das Bestehende fixiert und entsprechend keine Gestaltungsmacht entwickeln kann.
100Vgl. W. J. Mommsen, Einleitung (1974b), S. 16. Deutlich wird hier wiederum Webers Denken, dass »allemal das Individuum, und zwar in aller Regel das große Individuum«, wie Wolfgang Mommsen sich ausdrückt, dazu in der Lage ist, »neuen Entwicklungen in der Geschichte zum Durchbruch« zu verhelfen. Vgl. W. J. Mommsen, Universalgeschichtliches und politisches Denken (1974b), S. 123f. Für ihn und andere ist das »dialektische Gegenspiel von charismatischen Persönlichkeiten und der Macht bürokratischer, nivellierender Gewalten« ein in Webers Denken fundamentaler Gedanke. W. J. Mommsen, Zum Begriff der ›plebiszitären Führerdemokratie‹ (1974b), S. 59. Dazu auch Hans H. Gerth/C. W. Mills: From Max Weber, New York 1946, S. 55.
101M. Weber, Bürokratismus (2005), S. 209.
102Vgl. Max Weber: »Charismatismus«, in: Edith Hanke (Hg.), MWG I/22-4, Tübingen 2005, S. 460ff, hier S. 464.
103M. Weber, Politik als Beruf (1992), S. 191. Er verweist an gleicher Stelle darauf, dass »nicht Kleon, sondern Perikles der Erste war, der diesen Namen trug.« ebd.
104Vgl. M. Weber, Die rationale Staatsanstalt und die modernen politischen Parteien und Verbände (Staatssoziologie) (1985), S. 861; M. Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland (1984), S. 537.
105Vgl. W. J. Mommsen, Zum Begriff der ›plebiszitären Führerdemokratie‹ (1974b), S. 53.
106Vgl. M. Weber, Politik als Beruf (1992), S. 227.
107Vgl. ebd.
108Vgl. ebd., S. 228.
109Vgl. ebd., S. 228f.
110Ebd., S. 230.
111Vgl. ebd., S. 230ff. Generell kann Weber hier machiavellistisch verstanden werden. Für ihn ist entsprechend eine alle Lebensbereiche überspannende und gleichzeitig ordnende Ethik nicht nur nicht möglich, sondern ein Kategorienfehler. Eine Ethik einer Sphäre steht regelmäßig in Widerspruch zu den Anforderungen eines anderen Lebensbereiches. Vgl. D. R. Villa, 1999, S. 547. Generell über erkennbare Gemeinsamkeiten von Weber und Machiavelli Carlo Antoni: From History to Sociology, Detroit 1959.
112M. Weber, Politik als Beruf (1992), S. 237f.
113Ebd., S. 237. Zur Verwendungs- und Entwicklungsgeschichte beider Begriffe etwa W. Schluchter (1991a), S. 165ff.
Auf eine andere Besonderheit machen die Arbeiten von Kari Palonen und Michael Greven aufmerksam. Politik als Beruf und Wirtschaft und Gesellschaft wurden von Weber ungefähr zur selben Zeit geschrieben. In den soziologischen Grundbegriffen formuliert er im bekannten §2 einige Grundmotive sozialen Handelns, die recht eingängig seiner Rationalisierungsthese entsprechen, nennt er dort doch etwa wertrationale, zweckrationale oder affektuale Motive sozialen Handelns. In ›Politik als Beruf‹ erscheinen nun allerdings noch zwei weitere Phänomene, die durchaus einen Anspruch darauf haben, ebenfalls Motive von sozialem Handeln zu sein: Gesinnungs- und Verantwortungsethik. Anders formuliert, können sie durchaus als zwei weitere Idealtypen sozialen Handelns gelesen werden, wenn man die ethischen und normativen Eigenheiten davon zunächst beiseitelässt oder von diesen abstrahiert. Andernfalls wäre es tatsächlich etwas sinnlos, dass Weber sie als wünschenswerte Arten von sozialem Handeln in Politik als Beruf diskutiert. Nun kommt allerdings der §2 der Wirtschaft und Gesellschaft durchaus mit dem Anspruch einher, vollständig die Handlungsmotive zu zeigen. Entsprechend müssten Gesinnungs- und Verantwortungsethik Sonderfälle dieses §2 sein. Für diese Seite argumentiert insbesondere Kari Palonen, der die Verantwortungsethik mit der instrumentellen Rationalität und die Gesinnungsethik mit der Wertrationalität in Verbindung setzt. Vgl. M. T. Greven, 2004, S. 190ff; Kari Palonen: Eine Lobrede für Politiker, Opladen 2002, S. 125f.
114Vgl. G. Fitzi (2004), S. 278f.
115Friedrich W. Förster: Politische Ethik und politische Pädagogik, München 1918, S. 202. Diese Frage ist auch für Weber der zentrale Punkt aller Religion. Er sieht sie, ganz der maßgeblichen Sichtweise seiner Zeit folgend, als die Erfüllung des Bedürfnisses nach Erklärung von Unsicherheit und Abhängigkeit. Dazu und zur zeitgenössischen Wahrnehmung von Religion etwa H. G. Kippenberg, Religiöse Gemeinschaften (2003), S. 216ff.
116M. Weber, Politik als Beruf (1992), S. 242.
117Ebd., S. 241.
118Ebd., S. 251f.
119So lautet Webers eigene Definition im § 17 der soziologischen Grundbegriffe. Vgl. M. Weber, Soziologische Grundbegriffe (2013), S. 212.
120D. R. Villa, 1999, 548.
121Nur aus dieser Einsicht sieht Weber die Verantwortungsethik den Anforderungen politischen Handelns mehr entsprechen als die Gesinnungsethik, welche aber in anderen Lebensbereichen durchaus ihre, von ihm anerkannte Bewandtnis haben kann.
122M. Weber, Politik als Beruf (1992), S. 196; M. Weber, Die rationale Staatsanstalt und die modernen politischen Parteien und Verbände (Staatssoziologie) (1985), S. 840f.
123Vgl. Eduardo Weisz: »Science, Rationalization, and the Persistence of Enchantment«, in: Max Weber Studies 20 (2020), S. 8ff, hier S. 20f.
124M. Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland (1984), S. 467. Hier zeigt sich wieder Webers Bild, dass die Geschichte nicht aufgrund von irgendwelchen Gesetzlichkeiten einfach ›passiert‹, sondern durchaus unter menschlichem Einfluss steht. Sein Plädoyer lautet immer, dass sich die Menschen dieser Tatsache bewusst sein und entsprechend ihre eigene Geschichte verantwortungsvoll in die Hände nehmen und formen sollen. Vgl. W. J. Mommsen, Universalgeschichtliches und politisches Denken (1974b), S. 104f. Hier passt auch Webers Kritik an der deutschen Sozialdemokratie, die es versäumt, aktiv über die Politik ihre Ideale umzusetzen und stattdessen geduldig auf den vermeintlich gesetzlichen Fortgang der Geschichte wartet. M. Weber, Politik als Beruf (1992), S. 219f; M. Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland (1984), S. 503ff.
125Vgl. E. Weisz, 2020, S. 22.
126Vgl. R. Boesche, Weber: The Inevitability of Bureaucratic Domination (1996), S. 339f.
127D. R. Villa, 1999, S. 542.
128M. Weber, Politik als Beruf (1992), S. 252.
129Ähnlich auch Terry Maley: Democracy and the Political in Max Weber’s Thought, Toronto 2011, S. 4.; W. J. Mommsen, Zum Begriff der ›plebiszitären Führerdemokratie‹ (1974b), 47f.
130Vgl. D. R. Villa, 1999, S. 551.
131M. Weber, Politik als Beruf (1992), S. 251f.
132Vgl. L. A. Scaff (1989), S. 183f. Lawrence Scaff geht dabei auch auf die Ähnlichkeiten zu Friedrich Nietzsche ein, die seiner Meinung nach in der Idee der Distanz liegen. Distanz als die ›aristokratische‹ Unterscheidung zwischen sich und den vielen anderen, wie es in Also sprach Zarathustra anklingt.
133Ebd., S. 174.
134Vgl. Maurizio Ferrera: »Objectivity, Political Order, and Responsibility in Max Weber’s Thought«, in: Critical Review 30 (2018), S. 256ff.
135W. J. Mommsen, Universalgeschichtliches und politisches Denken (1974b), S. 136.
136M. Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland (1984), S. 547.
137Ebd., S. 483. Dazu auch G. Schmidt (1964), S. 267.
138M. Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland (1984), S. 547f.
139M. Weber, Politik als Beruf (1992), S. 223f; M. Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland (1984), S. 538f.
140Ebd.
Stefan Breuer untersucht in einem Beitrag die möglicherweise in Webers Parteienanalyse liegende Verbindung von Moderne und Gewalt durch totalitäre oder faschistische Parteien, die nach Stefan Breuer dafür zentrale idealtypische Analyseinstrumente bereithält. Vgl. Stefan Breuer: »Max Webers Parteiensoziologie und das Problem des Faschismus«, in: Gert Albert/Agathe Bienfait/Steffen Sigmund et al. (Hg.), Das Weber-Paradigma. Studien zur Weiterentwicklung von Max Webers Forschungsprogramm, Tübingen 2003, S. 352ff.
Demokratische Parteien als ›Rahmen-‹ oder ›Integrationsparteien‹ weichen hier sicherlich ab. Immer noch lesenswert dazu Sigmund Neumann: Die Parteien in der Weimarer Republik, Stuttgart 1973; Maurice Duverger: Die politischen Parteien, Tübingen 1959. Aktuellere Literatur dazu Martin Morlok/Thomas Poguntke/Ewgenij Sokolov: Parteienstaat – Parteiendemokratie, Baden-Baden 2018.
141Vgl. M. Weber, Politik als Beruf (1992), S. 196f; M. Weber, Die rationale Staatsanstalt und die modernen politischen Parteien und Verbände (Staatssoziologie) (1985), S. 840f.
142M. Weber, Die rationale Staatsanstalt und die modernen politischen Parteien und Verbände (Staatssoziologie) (1985), S. 859; M. Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland (1984), S. 533.
143M. Weber, Politik als Beruf (1992), S. 204; M. Weber, Die rationale Staatsanstalt und die modernen politischen Parteien und Verbände (Staatssoziologie) (1985), S. 843.
144Vgl. G. Schmidt (1964), S. 283ff.
145Vgl. M. Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland (1984), S. 474.
146M. Weber, Die rationale Staatsanstalt und die modernen politischen Parteien und Verbände (Staatssoziologie) (1985), S. 851; M. Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland (1984), S. 473f.
147Vgl. Cristiana Senigaglia: »Parliament and public opinion in Max Weber’s analysis«, in: Parliaments, Estates and Representation 36 (2016), S. 196ff.
148Vgl. Kari Palonen: »Max Weber, Parliamentarism and the Rhetorical Culture of Politics«, in: Max Weber Studies 4 (2004), S. 273ff.
149Vgl. M. Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland (1984), S. 473f.
150Ebd., S. 549.
151Ebd. Dazu auch G. Schmidt (1964), S. 249f. Insofern ist die Rückbindung der Demagogie an die Verantwortungsethik durchaus eine Temperierung der grundsätzlichen Gefahr der Verführung der Massen, die in jeder Demagogie besteht. Generell zur Umwertung der Demagogie in Webers politischem Denken Marcus Llanque: Demokratisches Denken im Krieg, Berlin 2000, 252ff.
Gregor Fitzi hingegen bemerkt, dass Weber wenig, bis gar nicht auf eine starke rechtsstaatliche Einhegung dieser Personen eingeht. Vgl. G. Fitzi (2004), S. 281f.
152 Näheres zu den ›antiken‹ Wurzeln auch von Webers Konzept des Cäsarismus etwa bei Gustav Schmidt: Deutscher Historismus und der Übergang zur parlamentarischen Demokratie, Hamburg 1964.
153Wolfgang Mommsen verweist darauf, dass sich dieses Element in Webers Verständnis nicht »bruchlos« mit der klassischen Idee von Demokratie verträgt. Denn gemäß dieser soll politische Führung eigentlich im Einklang mit einem mindestens vorstellbaren Mehrheitswillen geschehen. Webers Idee ist allerdings die völlige Ungebundenheit der politischen Führungsfigur auch von einem Mehrheitswillen, nachdem diese ins Amt gekommen ist. Sie stellt sich zwar allein mit ihrer Überzeugung zur Wahl und sucht nach der Mehrheit, ist sie aber einmal in Amt und Würden, dürfen diese Überzeugungen die notwendige Realpolitik aber nicht hindern. W. J. Mommsen, Zum Begriff der ›plebiszitären Führerdemokratie‹ (1974b), S. 49.
Es geht hierbei auch um mehr als um die Frage des imperativen oder freien Mandats, weil der Bezugspunkt nicht ein Abgeordneter von einigen hundert ist, sondern die leitende politische Person. Gerade das insofern ›freie‹ Mandat einer plebiszitär bestimmten, obersten politisch verantwortlichen Person, eröffnet dieser große Freiheiten, birgt aber auch Gefahren. Wahrscheinlich genau aus dieser Einsicht will Weber diese Figuren so stark mit einer inneren Verantwortungsethik ausgestattet sehen, da eine solche mindestens in Teilen eine Rückbindung bedeutet.
154In Wolfgang Mommsens Verständnis fällt es damit gegenüber den Parteien in der Bedeutung zurück, bleibt aber Kontroll- und Regulierungsorgan sowie auch ›Schule‹ dieser charismatischen Persönlichkeiten. Vgl. ebd., S. 61. Allerdings scheint er hier über das Ziel hinaus zu schießen, denn das Parlament hat als Ausleseort, als Ort von Koalitions- und Regierungsbildung, sowie als potenziell mit einem Abberufungsrecht gegenüber dem Präsidenten ausgestatteten Akteur in Webers Denken eine sehr große und auch machtpolitische Bedeutung.
155Vgl. G. Schmidt (1964), S. 249.
156Vgl. D. Herzog, 1966, S. 240.
157Vgl. W. J. Mommsen, Einleitung (1974b), S. 16.
158M. Weber, Die rationale Staatsanstalt und die modernen politischen Parteien und Verbände (Staatssoziologie) (1985), S. 852; M. Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland (1984), S. 482f.
159Vgl. K. Palonen, 1999, S. 345; K. Palonen (1998), S. 59.
160Zitiert nach „Einleitung«, in: Wolfgang J. Mommsen (Hg.), MWG I/16, Tübingen 1988, S. 1ff, hier S. 19.
161Vgl. P. Lassman, The rule of man over man: politics, power and legitimation (2000), S. 84.
162Vgl. Joseph Schwartz: The Permanence of the Political, Princeton 1995. Dazu auch P. Lassman, The rule of man over man: politics, power and legitimation (2000), S. 84.
163M. Weber, Politik als Beruf (1992), S. 224; M. Weber, Die rationale Staatsanstalt und die modernen politischen Parteien und Verbände (Staatssoziologie) (1985), S. 850. Für Sheldon Wolin ist Weber derjenige, der den Kontrast von Organisation der Massen und kreativer Individualität am stärksten gezeichnet hat. Dieser Kontrast drückt sich in der Vorstellung der plebiszitären Führerdemokratie am deutlichsten aus. Vgl. S. S. Wolin (2016), S. 379.
164Vgl. R. Boesche, Weber: The Inevitability of Bureaucratic Domination (1996), S. 376f.
165Vgl. S. Eliaeson, Constitutional Caesarism (2000), S. 135. Spannend ist Wolfgang Mommsens Verweis auf die »Ironie« in Webers Denken bezüglich der plebiszitären Führerdemokratie: Weber versuche sein Meinung nach nämlich mithilfe eines cäsaristischen (insofern durchaus schwierig mit dem klassischen Liberalismus vereinbaren) Herrschaftssystems das Objekt des klassischen Liberalismus: die individuelle Freiheit gegenüber den Entwicklungen der Moderne, namentlich der Bürokratie, des modernen Kapitalismus sowie den daher drohenden Erstarrungstendenzen zu verteidigen. Vgl. W. J. Mommsen, Zum Begriff der ›plebiszitären Führerdemokratie‹ (1974b), S. 69.
166Vgl. R. Boesche, Weber: The Inevitability of Bureaucratic Domination (1996), S. 379.
167Peter Bachrach: Die Theorie demokratischer Elitenherrschaft, Frankfurt a.M. 1970. Dazu auch Dazu auch S. S. Wolin (2016), S. 379f.
168G. Schmidt (1964), S. 228.
169W. Schluchter (1979), S. 103.
170Ebd., S. 118. Dazu auch C. Schönberger, Max Webers Demokratie: Utopisches Gegenprinzip zur bürokratischen Herrschaft (2016), S. 164.; Regina F. Titunik: »Democracy, Domination and Legitimacy in Max Weber’s Political Thought«, in: Charles Camic/Philip S. Gorski/David M. Trubek (Hg.), Max Weber’s Economy and Society. A Critical Companion, Stanford 2005, S. 143ff, hier S. 146.; G. Schmidt (1964), S. 243ff.
171M. Weber, Charismatismus (2005), S. 463.
172Insofern ist Webers Position gegenüber der öffentlichen Gewalt oder Volkssouveränität im Konzept der plebiszitären Führerdemokratie spannend. Vielfach wird dieses Konzept als keine wirkliche Demokratietheorie wahrgenommen, aufgrund einer fehlenden positiven Erklärung zur Volkssouveränität. Dazu etwa Jeffrey E. Green: »Max Weber and the Reinvention of Popular Power«, in: Max Weber Studies 8 (2008), S. 187ff.
173Obschon etwa Wolfgang Mommsen früh darauf hinwies, dass Weber mit dem Konzept der plebiszitären Führerdemokratie etwa »das deutsche Volk zur Akklamation eines Führers, und insofern auch Adolf Hitlers, innerlich willig« gemacht haben könnte, ist später beim selben Autor diesbezüglich eine relativierende Aussage zu lesen: Weber habe durchaus versucht, mit der »einseitigen und in mancher Hinsicht kopflastigen Konstruktion der ›plebiszitären Führerdemokratie‹ gleichwohl das Motiv einer möglichen Erhaltung einer freiheitlichen Ordnung in einer tendenziell der Versteinerung der Macht entgegenstehenden Welt« zu formulieren. Vgl. W. J. Mommsen (1974a), S. 437.; Wolfgang J. Mommsen: »Politik im Vorfeld der ›Hörigkeit der Zukunft‹. Politische Aspekte der Herrschaftssoziologie Max Webers«, in: Wolfgang J. Mommsen/Edith Hanke (Hg.), Max Webers
›Herrschaftssoziologie‹, Tübingen 2001, S. 303ff, hier S. 318.
Wolfgang Mommsen nähert sich damit der Position etwa Stefan Breuers an, für den Webers »Konzept der plebiszitären Führerdemokratie nicht [Herv. FB] in einer Kontinuität mit dem Nationalsozialismus steht, sondern im Gegenteil den – wie auch immer problematischen – Versuch darstellt, die charismatischen Tendenzen der modernen Massendemokratie zu domestizieren.« S. Breuer (1994), S. 145.
Günther Schmidt sieht in Webers Plädoyer für die plebiszitäre Führerdemokratie nur einen Aufschub, nicht aber eine Abkehr von der repräsentativen Demokratie. Demnach wolle Weber angesichts der Schwäche der Parteien und des Parlamentes der stärker werdenden Bürokratie eine ausreichend starke Figur entgegensetzen, welche das Parlament und die Parteien notfalls dazu drängen kann, sich ihren originären Aufgaben von Regierungsbildung und Verwaltungskontrolle zuzuwenden. Es wäre dies dann ein Übergang, »ohne daß inzwischen die von der Gegenwart aufgeworfenen Übergangsprobleme die Staatsordnung in Mitleidenschaft« gezogen würde. G. Schmidt (1964), S. 273.
Kritisch am Konzept der plebiszitären Führerdemokratie ist sicherlich, dass die Grenze zwischen der demokratischen und der autoritären Form keine harte ist, obgleich Stefan Breuer durchaus Distinktionsmerkmale notiert, etwa die »demokratische Investitur, das Fehlen einer wie auch immer gearteten organisierten Bewegung, das bejahende Verhältnis zu den bürokratischen Staatsapparaten.« S. Breuer (1994), S. 184. Stefan Breuer betont geradezu, dass Webers Demokratielehre durchaus Gedanken um institutionell gesicherte Gegenkräfte, -gewichte und Schranken gegenüber der starken Regierung enthält. Vgl. ders., 2006, S. 125f.
Allerdings muss dennoch konstatiert werden, dass diese Grenze von vielerlei weichen Faktoren abhängt, und an sich nicht institutionell gesichert ist. Auch beim Blick auf die organisierte Bewegung wird deutlich, wie labil diese Unterscheidung ist. In dem gänzlich auf die charismatische Führungspersönlichkeit zugeschnittenen Parteiapparat ist schon so etwas gegeben, wie eine organisierte Bewegung. Ferner unterliegt Webers Konzeption einem sehr tiefgehenden Vertrauen in die politisch verantwortliche Führungsperson, welche vielleicht sogar grundsätzlich einen übermäßigen Anspruch statuiert. Letztlich ist sie die einzige zentrale Gewähr gegen den potenziellen Machtmissbrauch dieser Person.
Webers Konzept der plebiszitären Führerdemokratie droht so schnell zu etwas nebenbei Gesagtem zu werden, zu einem obiter dicta, wie Christoph Schönberger es ausdrückt. C. Schönberger, Max Webers Demokratie: Utopisches Gegenprinzip zur bürokratischen Herrschaft (2016), S. 161.
Die Kritik an Weber und seiner speziellen Demokratielehre, insbesondere der plebiszitären Führerdemokratie,würde hier zu viel Platz einnehmen. Verwiesen sei daher etwa auf Vgl. S. Breuer (2006), 112, Fn. 2. Auch Andreas Anter geht auf diese Debatte ein. Vgl. A. Anter (2014), 93, Fn. 205. Auch lesenswert hinsichtlich Webers Bedeutung für Calr Schmitt ist Pedro T. Magalhães: »A Contingent Affinity: Max Weber, Carl Schmitt, and the Challenge of Modern Politics«, in: Journal of the History of Ideas, 77 (2016), S. 283ff.
174M. Weber, Wahlrecht und Demokratie in Deutschland (1984), S. 372.
175Die Rolle des Parlamentes darf in Webers demokratischen Denken nicht unterschätzt werden. Insgesamt jedoch bewertet Manfred Schmidt die von Weber erdachte Architektonik des politischen Systems der plebiszitären Führerdemokratie als potenziell sehr störanfällig. Auch sei vielleicht die generelle Durchsetzungsfähigkeit der Führerdemokratie von Weber überschätzt worden. Vgl. ders., Demokratietheorien (2000), S. 196f.
Allerdings mag Manfred Schmidt hier etwas übersehen, was Otto Hintze schon 1926 bezüglich Webers ›politischer Theorie‹ anzeigte: »Dabei erscheint dann der staatliche Anstaltsbetrieb selbst mit seiner alles in ihr Räderwerk hineinziehenden Bürokratie als das wesentliche Hauptstück seiner politischen Theorie; die Lehre von den Staatsformen als der Art, wie die Regierungsgewalten konstituiert und bestellt werden, tritt dagegen in den Hintergrund des soziologischen Interesses; sie erscheint gleichsam nur als äußere Fassade des politischen Bauwerkes.« Vgl. Otto Hintze: »Max Webers Soziologie«, in: Otto Hintze (Hg.), Gesammelte Abhandlungen. Bd. 2, Göttingen 1964, S. 135ff.
176Vgl. M. Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland (1984), S. 540.
177M. Weber, Zur Lage der bürgerlichen Demokratie in Rußland (1989), S. 270.
178Reinhard Bendix: Max Weber, New York 1960, S. 441; W. J. Mommsen, Zum Begriff der ›plebiszitären Führerdemokratie‹ (1974b), S. 62.
179G. Fitzi (2004), S. 281f.
180Robert Eden: »Doing without Liberalism: Weber’s Regime Politics«, in: Political Theory 10 (1982), S. 379ff, hier S. 397.
181W. J. Mommsen, Universalgeschichtliches und politisches Denken (1974b), S. 138.
182Edward Shils: »Max Weber und die Welt seit 1920«, in: Wolfgang J. Mommsen/Wolfgang Schwentker (Hg.), Max Weber und seine Zeitgenossen, Zürich 1988, S. 743ff, hier S. 765.
Weber gehört daher »zu den sehr wenigen Personen, die, aus einem national-liberalen bürgerlichen Hause kommend, ein demokratisches System befürworteten, zu den Parteien eine kritische, aber systematisch eine positive Einstellung einnahmen, denen am Parlamentarismus und seinem kraftvollen Funktionieren wesentlich gelegen war, und deren dauernde Sorge sich auf die Ausbildung einer kraft- und verantwortungsvollen politischen Führung, nicht einer bloßen Verwaltung der Politik richtete.« Vgl. Christian Gneuss/Jürgen Kocka: Max Weber, München 1998, S. 25.
Webers Ansinnen mit der (plebiszitären Führer-)Demokratie ist die Gewährleistung einer politischen Herrschaft von herausragenden politischen Persönlichkeiten. Insofern sei ihm laut Wolfgang Mommsen die Demokratie »letzten Endes nur ein Mittel«. W. J. Mommsen, Universalgeschichtliches und politisches Denken (1974b), S. 142. Wolfgang Mommsen betont, dass Weber vor allem anderen aus Zweckmäßigkeitserwägungen für die parlamentarische Demokratie optiert; er ist daher ›Vernunftdemokrat‹ und nicht etwa dem ›Willen des Volkes‹ verschrieben. Vgl. W. J. Mommsen (Hg.) (1974b), S. 46.
Die Demokratie gilt Weber daher mehr als Technik und weniger als normativ ›besseres‹ System. Vgl. Wilhelm Hennis: »Zum Problem der deutschen Staatsanschauung«, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 5 (1959), 19ff.
Webers Überzeugung entspreche damit dem zeitgenössischen positivistischem Denken, sagt Arnold Brecht: Politische Theorie, Tübingen 1961, 6ff.
183D. Herzog, 1966, S. 236. Zur Bedeutung von Parlamentarismus und Parteien in der Massendemokratie bei Weber etwa S. Eliaeson, Constitutional Caesarism (2000), S. 140f.
184Es ist der Versuch, »drei Fliegen mit einer Klappe« zu schlagen, wie Andreas Anter anführt. Vgl. A. Anter (2014), S. 92. Webers Zielstellung mit der plebiszitären Führerdemokratie ist, so ließe sich dies ausführen, erstens eine Demokratiestärkung, zweitens ein geeignetes institutionelles Gegengewicht zur Bürokratie und sichert drittens eine geeignete Auslese starker politischer Führungsfiguren.
185Insofern ähneln sich Politik und Wissenschaft, denn beide können zu Weggabelungen führen, aber die Entscheidung, welchem Pfad dann gefolgt wird, bleibt in der neuen Welt eine individuelle Entscheidung. Dazu etwa R. Boesche, Weber: The Inevitability of Bureaucratic Domination (1996), S. 335ff.
186Vgl. Wolfgang J. Mommsen: »The Antinomian Structure of Max Weber’s Political Thought«, in: Current Perspectives in Social Theory 4 (1983), S. 289ff.
187G. Hübinger, Max Weber und die ›universalgeschichtlichen Probleme‹ der Moderne (2014), S. 224.