Wie im falschen Märchen
Ein Versuch über die zahlreichen Probleme mit dem Fürsten Pückler-Muskau sowie dem Gedenken an ihn
Ihr wißt schon genug. Ich auch. Nicht an Wissen mangelt es uns. Was fehlt, ist der Mut, begreifen zu wollen, was wir wissen, und daraus die Konsequenzen zu ziehen.
Lindqvist 1992: 19
1. Fürst Pückler als Herausforderung der Gedenkkultur
Leben und Werk des Fürsten Hermann von Pückler-Muskau (1785-1871) sind für breite Publikumskreise von enormer Anziehungskraft. Kaum eine Person des 19. Jahrhunderts steht uns in einer solch vielfältigen Tätigkeit – als Gartenkünstler, Reisender, Schriftsteller und einfach als ›der Fürst‹, der praktisch selbst sein größtes Kunstwerk wurde – vor Augen.
Für die Regionen rund um Cottbus (Branitz) und Bad Muskau ist er von besonderer Bedeutung, aber auch deutschlandweit besteht Interesse an ihm, wie der Erfolg der 2016er Ausstellung in Bonn (Parkomanie. Die Gartenlandschaften des Fürsten Pückler) sowie Heinz Ohffs Biografiebestseller Der grüne Fürst (EA 1991) in aktuell 31. Taschenbuchauflage zeigen konnten. Die internationale Relevanz seines landschaftsgärtnerischen Schaffens ist durch den UNESCO-Weltkulturerbe-Status des Muskauer Parks (und auch Babelsbergs) belegt. Er ist ein Mann, der seinerzeit Eingang in die Weltliteratur fand: Er wurde von Edgar Allan Poe erwähnt, E.T.A. Hoffmann, Charles Dickens und Karl Immermann karikierten ihn (in unterschiedlichen Schärfegraden) und Heinrich Heine widmete ihm die Lutetia. Unlängst wurde eine Oper über ihn komponiert: Fürst Pückler. Ich bin ein Kind der Fantasie von Enjott Schneider, UA in Görlitz 2005.
Allerdings übersteigt die Faszination an der Person Pücklers die an seinem Werk in geradezu grotesker Weise, wobei das Bild des Fürsten zugleich einförmig und verzerrt wirkt. Denn es sind die immer gleichen Begriffshülsen, die in verschiedenen Gewichtungen und Konstellationen, stets aber mit dem wenig erklärten und auch wenig erklärenden Attribut des ›Widersprüchlichen‹ bemüht werden, um Pücklers Persönlichkeit zu fixieren: Glücksritter, Weltenbummler, Exzentriker, Dandy, Problemkind, Enfant terrible der Gesellschaft, Visionär, Duell-bewährter Haudegen, Liebhaber-Kenner-Genießer alles Außergewöhnlichen und Schönen (worunter auch Frauen subsumiert werden) und schließlich der Melancholiker, der erfolgreiche Reiseliteratur und als »Erdbändiger« (Varnhagen 1834: 5621) prachtvolle Landschaftsgärten schuf. Kurzum: Es dominieren die exzentrischen und schillernden sowie die abenteuerlichen und heroischen Züge eines virilen Souveräns, der als ein säkularisierter Märchenprinz die Fantasie erregt.
Eine solcherart geschichtsklitternde Darstellung ist im Fall des Fürsten umso problematischer, als Hermann von Pückler-Muskau nicht einfach nur ein beliebiger Gegenstand wissenschaftlicher Gedankenarbeit, zahlreicher Liebhaberhomepages und touristischer Inszenierungen ist. Seine Person und seine Werke werden mit großem Aufwand als erinnerungswürdiger, ja vorbildlicher und nachzuahmender Teil unserer Kultur vorgestellt. Dabei ist es eine Sache, wie der Fürst sich selbst darstellte; eine andere ist es, ob wir eine angemessene Position zu den uns bekannten Quellen finden können und wie wir darauf aufbauend unsere mit nicht unwesentlichen Mitteln finanzierte Erinnerung an ihn gestalten.
Erinnern als kulturelle Tätigkeit bedeutet nicht Wunschträumen. Eine historische Persönlichkeit, die als Teil unserer eigenen Geschichte präsentiert wird, kann nicht zur Projektionsfigur postfeudaler Gesellschaften simplifiziert werden. Eine von öffentlicher Seite finanzierte Erinnerungskultur, die Forschung, seriöse Biografik und Bildungsarbeit einschließt, muss sich der Komplexität der Person, ihrer Zeit und den Bedürfnissen unserer Gegenwart stellen.
Dem Anspruch einer sachbasierten, kritischen Auseinandersetzung ist aber ausgerechnet die Pückler-Forschung bisher nicht gerecht geworden. Immerhin ist ihr Untersuchungsgegenstand ein Mann, der beim Anblick jüdischer Frauen, die »alle mit einem Stück schwarzem Zeug das Maul verbunden« hatten, mit ethnofeudaler Diffamierungshäme hinzusetzt: »bei einer Hübschen hätte ich es Mund genannt« (Pückler-Muskau 1836, Bd. III: 69; Hervorh. i.O.). Es reicht eben nicht, sich an ›Widersprüchen‹ im Dekorstil von »Glanz und Elend eines Sonntagskindes« (Jacob 2020) zu ergötzen, man muss sie auch aushalten und analysieren.
Das ist die Aufgabe einer Forschung, die sich als solche bezeichnen dürfte, und sie ist zu bedeutend, um sie irrlichternden Wichtigtuer:innen zu überlassen, für die Pückler dann nur noch »ein pädophiler Sklavenhalter [war], der in seinen Reiseberichten eine rassistische Abstufung zwischen ›Rassen‹ vertrat und war Respektlos auch gegenüber erwachsenen Frauen, wenn diese sich nicht seinem Willen beugten.« (Büchs 2016; alle sprachlichen Fehlleistungen finden sich dort genau so.)
Solch ein Niveau kannte man bisher vor allem von den Lebensbeschreibungen des Fürsten, freilich mit umgekehrten Vorzeichen. Die erste umfassende Biografie stammt von Ludmilla Assing (1873/74), die noch in persönlichem Kontakt zu Pückler stand und auch als seine Nachlassverwalterin – ergo: nach dessen eigenen Vorstellungen – tätig war. So kommt es zu dem Paradox, dass eine sachliche Rekonstruktion des Pückler’schen Lebens und Handelns durch eben jene Selbstinszenierungen erschwert wird, denen wir verdanken, dass sie überhaupt möglich ist.
So gut wie alle späteren Biograf:innen folgten Assing im Ansatz und machten sich, mit Pierre Bourdieu gesprochen, »zum Ideologen eines sinnhaften Lebens« (zit. n. Szöllösi-Janze 2000: 30). Statt Analyse zu betreiben, wird aus Briefen und den Reiseberichten Pücklers nacherzählt und wenn nötig Kontext angeboten; statt Verständnis soll Bewunderung erzeugt werden. Zudem besteht die nurmehr schwer zu überschauende, teilweise internationale Biografik bis zu Nicole Bröhans fantasiearm Fürst Pückler. Eine Biographie (2018) genannter Publikation praktisch aus einem Abschreibeprozess, und nur in seltenen Fällen wird neues Material herangezogen und ausgewertet. So repetieren und intensivieren all diese Texte letztlich die Wunschvorstellung eines Mannes von sich selbst.
Dass Erkenntnis aus Bewunderung des untersuchten Gegenstands entsteht, ist nicht unwissenschaftlich. Wenn diese Erkenntnis aber wiederum Bewunderung erzeugen soll, wird Wissens- mit Wertschöpfung verwechselt: Diese verstärkt ›Gutes‹ und unterdrückt ›Schlechtes‹, scheidet Genehmes von Störendem. Die bisherige Pückler-Forschung ist diesem Modus nicht nur noch nicht entgegengetreten, sondern sie schreibt ihn sogar fort. Warum ist das so und was ist zu tun?
2. Was ist, wo steht und was will die Pückler-Forschung heute?
In den letzten 15 Jahren wurde vor allem durch den Soziologen Ulf Jacob vieles angestoßen. Wir wissen heute sehr viel mehr über den Fürsten als noch zu Beginn des Jahrhunderts. Die Reiseberichte sind weitgehend zugänglich, mit der Digitalisierung von Archivbeständen wurde begonnen.2 Allerdings monierte Jacob seinerzeit vor allem, dass »man abseits der gängigen Hagiographie und der wenigen, zumeist schon recht betagten Standardwerke noch immer allerorten auf Wissenslücken und interpretatorischen Mangel« (Jacob 2007: 1) stößt. Das Problem ist nun, dass sich genau daran bis heute wenig geändert hat.
Die seitdem entstandene Pückler-Forschung besteht aus einer recht überschaubaren Gruppe von Kunst- und Kulturhistoriker:innen, Literaturwissenschaftler:innen, Soziolog:innen und Ethnolog:innen. Kaum etwas, das innerhalb dieses Kreises erarbeitet wurde, konnte außerhalb Resonanz erzeugen. Forscher:innen vom Format Bettine und Lars Clausens, die 1985 eine formal, methodisch und inhaltlich innovative sozialbiografische Studie über Pücklers Muskauer Verwalter, den Dichter und Komponisten Leopold Schefer, vorlegten, sucht man dort vergebens – kritische Stimmen sowieso.
Stattdessen bestätigt, präzisiert und ergänzt man sich weitgehend im Rahmen personenzentrierter Themen mit Titeln, die glauben lassen, man lese sich durch eine Karl-May-Bibliografie. So bemüht das wichtigste Publikationsformat in Sachen Pückler-Forschung – die von der Stiftung Fürst-Pückler-Museum Park und Schloss Branitz finanzierte Reihe edition branitz – gern kolportagehafte Klischees wie Sehnsucht nach Konstantinopel oder Die Königin zu Gast in Branitz. Aber auch aus Muskau kommen bevorzugt kitschnahe Wohlfühltitel im Stile von »… so reichlich bevölkert wie im Paradiese«. Pückler-Muskaus abenteuerliche Reise durch Nubien und den Sudan. Der Gehalt dieses Bandes wird übrigens im Vorwort des Geschäftsführers der Stiftung Cord Panning angepriesen durch die Mitteilung, dass die Autorin »weitere Pückler-Graffiti in den Altertümern aufgespürt« (Volker-Saad 2017b: 6) habe. Zudem fühlt sich so manche Wissenschaftlerin und mancher Wissenschaftler inspiriert, seine Begeisterung in poetisch angehauchten Formulierungen wie dem auch Pückler erfassenden »Sturmwind der Moderne« (Jacob 2016: 38) kundzutun – Wissenschaft als Seifenoper.
Schon bei flüchtigstem Überblick entsteht der Eindruck einer nach- und einfühlenden Schreibarbeit, die sich selbst als Forschung verkennt und dem Selbstbild der herausgebenden Institution Hohn spricht: »Branitz ist die wichtigste Plattform zur wissenschaftlichen und publizistischen Aufbereitung des Pückler-Erbes.«3 Der zum Teil ungenießbaren Biografik analog, wählt die Pückler-Forschung einen identifikatorischen Ansatz, dessen Ziel es ist, ihren Protagonisten als Helden dastehen zu lassen – und derjenige zu sein, der den Glanz des Helden vermehrt und sich in ihm sonnt. Daher sucht sie keinen Anschluss an die wissenschaftliche Gegenwart, stellt keine theoriebasierten Fragen, die sich nicht unmittelbar aus Äußerungen oder Handlungen des Fürsten selbst ergeben. Und die Rede ist hier notabene nicht vorrangig von – freilich auch dringend nötigen – Studien aus feministischen oder postkolonialen Arbeitskreisen, sondern von der Anwendung aktueller Forschungsinstrumente und -methoden überhaupt. Wer, nur ein Beispiel, einen 2015 publizierten Sammelband zum Thema Briefnetzwerke um Hermann von Pückler-Muskau zur Hand nimmt, der darf nicht erwarten, dass das schon damals auf hohem Niveau diskutierte Kommunikations- und Sozialkonzept des ›Netzwerks‹ darin ernsthaft eingeführt würde. Stattdessen liest man im Vorwort schwindelerregende Sätze wie: »Die globale Briefkultur des 19. Jahrhunderts kann sich durchaus mit den sozialen Netzwerken der Gegenwart messen lassen.« (Kittelmann 2015: 7) An der Person und dem Autor Pückler sowie an seinen Exeget:innen ist die Postmoderne bisher folgenlos vorübergerauscht. So wirkt die Pückler-Forschung wie eine aus der Zeit gefallene, in sich geschlossene Interessengemeinschaft und selbst die abwägenderen Beiträge weisen kritische Passagen nur in winzigen Dosen auf, denen aber schließlich kein Einfluss auf das Gesamtbild des Fürsten zukommt.
Verdeutlichen lässt sich das an dem 2020 publizierten Band 15 der edition branitz, schlicht Fürst Pückler. Ein Leben in Bildern betitelt. Er strebt eine Bestandsaufnahme in Sachen Pückler an und enthält prägnant gestaltete Beiträge u.a. zu seiner Kindheit, seinen Essgewohnheiten sowie dem Verhältnis zu seiner Ehefrau Lucie von Hardenberg: der Fürst ganz privat also, wieder einmal. Es sei zugestanden, dass die Publikation sich an ein größeres Publikum wendet und also Schauwerte vor Wissen anbieten will. Aber sie zeigt eben nicht den ›ganzen Fürsten‹ und wird somit zum prachtvollen Symbol einer vor Verehrung erstarrten Forschung, die entweder ignoriert oder aber leugnet, dass es Reflexionsbedarf gibt.
Dabei sind die einschlägigen Passagen, in denen Sexismus, Rassismus und Kolonialismus vom Fürsten mit Genuss vorgetragen und gelebt werden, Legion. Und sie sind bekannt, stammen nicht etwa aus obskuren, privaten oder abseitigen Quellen, sondern vor allem aus Pücklers allbekannten Reisebüchern sowie seinen Briefen. Umstritten sind daher nicht die Tatsachen, sondern wie diese im Kontext von Leben und Werk einzuordnen, zu präsentieren und zu deuten sind. Bevorzugt werden sie im apologetischen Duktus generalisiert, (historisch) relativiert oder marginalisiert. Es handelt sich um Strategien rhetorischer Aus- und Umwege, die allein der Beschwichtigung dienen – für eine zukunftsfähige Perspektive auf den Fürsten sind sie schon ob der Fülle der vorliegenden Belege Zeitverschwendung.
So relativiert eine etablierte Germanistikprofessorin im genannten Band Pücklers rassistische Aussetzer mit einem Verweis auf die ja noch viel rassistischere Ida Hahn-Hahn, mit der er einen Briefwechsel führte (vgl. Polaschegg 2020: 187). Und eine Ethnologin belehrte uns schon vor einigen Jahren, dass die »ersten europäischen Pioniere [sic!] […] sich abessinische oder schwarzafrikanische Frauen vom Khartumer Sklavenmarkt kauften, um mit ihnen im Konkubinat zu leben oder sie früher oder später zu heiraten« (Volker-Saad 2017b: 16) – als würde die Verbindung zwischen Herr und Sklavin durch den Bund der Ehe legitimiert.4 Aber selbst dieses Niveau wird leicht noch unterboten, wenn dieselbe Autorin die Reisegruppe Pücklers anlässlich seines Abstechers in den Sudan vorstellt und dabei fast schon zynisch von »einigen abessinischen Ex-Sklavinnen« (ebd.: 10) berichtet. Was diese Sozialaufsteigerinnen auf einer solchen Lustfahrt wohl tun mussten, sagt die Autorin nicht.
Dieser geistigen Misere wird kulturpolitisch nicht entgegengewirkt, im Gegenteil. Fürst Pückler ist eine Marke, hinter der handfeste finanzielle Interessen stehen. Um einen Eindruck vom Missverhältnis der Forschungsrelevanz zum bereitgestellten finanziellen Volumen zu erhalten, seien nur folgende, sich wesentlich aus öffentlichen Quellen speisende Zahlen benannt: Der Stiftung Fürst-Pückler-Museum Park und Schloss Branitz wird im Haushaltsplan des Landes Brandenburg für das Jahr 2021 ein Zuwendungsbedarf von über vier Millionen Euro zugeordnet. Die Hauptfinanzierung erfolgt über das Land und die Stadt Cottbus sowie, mit deutlich geringerem Anteil, den Bund; eingeworbene Drittmittel werden mit 26.000 Euro angegeben, eine Summe, die auf wenig Eigeninitiative von Seiten der Stiftung hinweist. Die Summen, die für die Stiftung Fürst-Pückler-Park Bad Muskau aufgerufen werden, sind ungleich größer, allerdings liegt der Fokus hier ohnehin deutlicher auf den Parkanlagen als auf der Person Pücklers.
Dass die Pückler’schen Landschaftsgärten im Mittelpunkt stehen, ist ob ihrer historischen und kulturellen Bedeutung sowie der immensen Herausforderung, sie nicht zuletzt unter den Bedingungen des Klimawandels zu erhalten, verständlich. Doch man glaubt jedenfalls, dass man mit den bisherigen Kitschschauwerten besser fährt als mit einer zeitgemäßen Auseinandersetzung mit der Person. Wer wie Stefan Körner, seit 2020 Direktor der Stiftung Fürst-Pückler-Museum Park und Schloss Branitz, den Fürsten, einen hedonistisch-egozentrischen Vertreter der gesellschaftlichen Elite seiner Zeit, mit Kulturmanagerfloskeln beschreibt »als vordemokratische Persönlichkeit voller Liberalität und Weltblick [sic], die heute ein Vorbild für Projekte des Wandels sein kann« (Tilmann/Körner 2020), der deutet jedenfalls wenig Interesse an Komplexitätsbildung an und wird im Falle Körners dafür noch – ironiefrei, wie man staunend feststellt – von einer überregionalen deutschen Tageszeitung anerkennend als ein Mann mit pückleresquen Zügen präsentiert (vgl. Strauß 2020).
Das Fördergeld dient also vor allem dazu, ein tourismustaugliches Wunschbild des Fürsten unter den Bedingungen der sich formierenden Moderne zu präsentieren. Dabei sieht die Branitzer Stiftungssatzung in §2, Abs. 2, Punkt 4 explizit vor, »kulturelle Bildung«5 zu ermöglichen. Die edition branitz könnte wesentliche Aspekte dieser Aufgabe abdecken, weil, wie es im Paragrafen selbst angedeutet wird, Bildung auf Forschung basieren muss. Aber sie kommt ihr nur ungenügend nach, denn dazu gehört mehr, als Fakten zu selektieren und durch deren schicke Präsentation Staunen zu erzeugen. Einer unabhängigen Forschungsgemeinschaft könnte das bis zu einem gewissen Grad gleichgültig sein. Aber wie unabhängig darf sich eine Forschung nennen, deren maßgebliches Publikationsformat von einer durch anderweitige Interessen geleiteten Institution finanziert wird?
So ist das Problem mit der Pückler-Forschung beschaffen, aber was ist das Problem mit Pückler, auf den sie reagiert? Drei Abschnitte sollen exemplarisch Schlaglichter werfen auf dessen Verhältnis zu Rassismus und Kolonialismus, zu Frauen sowie, als Verbindung dieser Aspekte, zur Person Machbubas.
3. Die Fremde, der Fremde, das Fremde
Misslaunig und eitel charakterisiert der Fürst seine Untertanen: »Die elende Kottbusser Gegend und die noch elendere Race Menschen, welche sie bewohnen, werden mir einst viel Dank schuldig sein.« (Zit. n. Bröhan 2018: 170) Pücklers feudaler, rassisch unterfütterter Dünkel beginnt also zu Hause, tritt jedoch überall hervor. Im Orient, auf seiner großen Reise zwischen 1834 und 1840, erhielt er ausgiebig Gelegenheit, sich zu zeigen, exemplarisch in der Schilderung seiner mitgeführten ›Menagerie‹, in der Tiere und Menschen versammelt werden. Es ist eben nicht der Blick des Forschers, des Neugierigen, Wissenwollenden. Es ist der abschätzende Blick des Europäers, dessen Geschmack sich vollendet wähnt, dessen Wissensordnung vorliegt. Was gesehen wird, wird klassifiziert: »Der Bestand ist jetzt: 1) zwey weibliche Sclavinnen, wovon die eine nur zehn Jahre alt u. schon längst keine Jungfer mehr ist 2) zwey Dir schon bekannte Knaben, der Abyssinier und der Neger 3) zwey Gazellen, Mann und Weib 4) die beiden ehelichen Affen ditto« (Hardenberg/Pückler-Muskau 2018: 23).6
Die bereits erwähnte Germanistikprofessorin verbucht solche ›Menagerien‹ als zeitgenössisches Dekor des westeuropäischen Adels: der dienstbare, detailliert sexualisierte Menschenzoo als Normalzustand der Eliten. Man mag das, so der Tenor der Autorin, die mit einer Arbeit zum Thema Orientalismus promoviert wurde, bedauerlich finden, aber weil es üblich war, sei es doch nur halb so schlimm. Ihr Beschwichtigungsbeispiel ist der »prestigeträchtig[e] ›Hofmohr‹« (Polaschegg 2020: 186), der orientalistisch gekleidet seinen »pittoresk-staffagenhaften Dienst« (ebd.: 187) z.B. beim Prinzen Albrecht von Preußen versah. Allerdings kommt heute niemand auf den Gedanken, diesen preußischen Prinzen auf Grund seiner vermeintlich faszinierenden »vordemokratische[n] Persönlichkeit voller Liberalität und Weltblick [sic]« als weithin sichtbares Vorbild auszustellen. Zudem ist nach Kenntnisstand des Verfassers kein Text überliefert, in dem Prinz Albrecht die Existenz seines Dieners vor Ort mitsamt einer machterotisch geschilderten Herkunft vom Sklavenmarkt zelebriert (vgl. Abschnitt 5). Selbst die rassistische Minimalform der Zeit erniedrigt die ›Wilden‹ als die Wenigermenschen und erlaubt so deren Gebrauch als Humanressource.7 Dass privilegierte Akteure wie Pückler selbst dabei auf ihre Kosten kommen, ist dann nur recht und billig: »Gott hat es selbst so angeordnet, daß die einen genießen, die andern entbehren sollen, und es bleibt so in der Welt!« (Pückler-Muskau 1987, Bd. II: 397)
Fürst Pückler war allerdings kein Rassentheoretiker und ist damit kaum als Vordenker einer nationalistisch-völkischen Weltsicht und -aneignung à la Carl Peters instrumentalisierbar, auch wenn er einmal – und offenbar ironisch – ein »Neues System der Zoogonie« (Pückler-Muskau 1836, Bd. II: XIV) vorstellt, bei dem Menschen und Pferde verglichen werden (vgl. ebd.: 287-291). Zudem stehen den hochmütig-pauschalen Darstellungen und Urteilen aus Europäerperspektive auch zahlreiche anerkennende Passagen über fremde Kulturen und Völker zur Seite, was sie freilich nur bedingt erträglicher macht. Des Weiteren engagierte sich der Fürst insbesondere in Ägypten mit Nachdruck für humanitären Fortschritt, freilich allein durch europäischen Einfluss und nach europäischen Normen.
Pücklers Denken ist – seiner Zeit gemäß – wesentlich ethnozentrisch organisiert, wobei den von ihm angenommenen (west-)europäischen Rassen die kulturelle Suprematie zukommt, die der Fürst in Form politischer Machtausübung als Segen der vermeintlich unterwickelten Völker versteht: Für ihn tragen die Europäer:innen das Glück in Form des gesellschaftlichen, kulturellen, technischen und hygienischen Fortschritts in die Welt, denn: »Der Türke reparirt nichts.« (Pückler-Muskau 1846-1848, Bd. I: 212)
Von einem solchen »Imperialismus der Humanität« (Böhmer 2011: XVI) war er am Beginn seiner Orientreise (1834) noch recht weit entfernt. Pücklers erste Station war Algerien, das seit 1830 von den Franzosen kolonisiert wurde. Für den Fürsten bedeutet diese Kolonisierung die Chance zur Realisation einer »poetischen Ide[e]«, denn er sieht die Franzosen in der angeblich glücklichen Lage, »auf der einen Seite Mittelalter und Fehde, auf der andern moderne Civilisation mit gebildeter europäischer Gesellschaft und vaterländischen Sitten [zu haben], überall aber eine Freiheit, sein Leben nach Belieben zu gestalten« (Pückler-Muskau 1836, Bd. I: 173). Es ist das typisch selbstbetrügerische Selbstbild des Kolonisators: Er nimmt, aber er raubt nicht. Pückler verleiht dem ganzen Unternehmen dekadenten Spielcharakter und träumt von einem Leben vor Ort: »[E]in accidenteller kleiner Krieg mit den wilden Horden des Atlas wäre aber in solcher Lage nur ein interessanter Lebensreiz mehr, und eine anmuthige Uebung seiner Kräfte.« (Ebd.) Die Lebensweise der Franzosen in der Fremde beschreibt er dabei en détail. Wie und weshalb Widerstand von Einheimischen und insbesondere durch Abd el-Kader organisiert wurde oder die sich durch die Kolonialisierung verändernden Lebensbedingungen sind so gut wie kein Thema für ihn. Der Hochmut, der im Gegner keinen Kombattanten, sondern einen anonymen Sparringspartner erkennt, kündigt den zivilisatorischen Grundgedanken des gehegten Krieges unter Gleichen auf und missversteht Eroberungskampf und Verdrängung als Sport.
Algerien erscheint dem Fürsten märchenhaft als »Götterland« (ebd.: 236) und darüber gehen Forscher:innen auch heute noch nicht hinaus, wenn sie von Pücklers Ankunft in der »strahlendweißen Stadt Algier schwärmen, die erst wenige Jahre zuvor von den Franzosen kolonisiert worden war« (Bowman 2015: 231). So wird die romantisch-ästhetisierende Semantik von ›kolonisieren‹ noch im 21. Jahrhundert in erlebter Wissenschaftsrede fortgeschrieben. Aber ›kolonisieren‹ umschreibt nicht nur militärische, politisch oder überhaupt strukturell ausgeübte Gewalt, sondern auch eine geistige Haltung, eine aus Überlegenheitsanspruch getätigte, daher für rechtmäßig gehaltene Aneignung. In der Pückler-Forschung bleibt Geschichte auf dem Reflexionsniveau ihres Gegenstands stehen.
4. Keine Kavaliersdelikte: des Fürsten Frauenbild
Die Ignoranz des Stärkeren prägt auch Pücklers Verhältnis zu Frauen. In der Biografik herrscht eine unsäglich bewundernde Quantifizierung seiner sexuellen Affären vor. Gesellschaftlich asymmetrische Verhältnisse, die der Mächtige zu seinem Vorteil ausnutzen konnte, scheinen unbekannt. Aber gab es für »Zofen und Mädchen aus dem Volke« (Assing 1873/74, Bd. I: 131) irgendeine echte Nein-Option gegenüber den Avancen eines Herrn? Wo sexuelle Gewalt beginnt, lässt sich im Nachhinein nicht mehr bestimmen, vor allem, weil wir nurmehr seine Stimme vernehmen. Sicher lässt sich jedenfalls festhalten, dass man häufig nicht von einvernehmlichen Handlungen sprechen kann.
Dabei überbietet die Biografik ihren Gegenstand sogar noch und verstärkt, mit Lutz Niethammer gesprochen, »die Sinnkonstruktion der Quelle durch Nacherzählung« (zit. n. Szöllösi-Janze 2000: 31). Dass der Fürst jägerisch von Frauen als »Edelhirschen« und »Häschen« spricht und in Sachen Verschleierung meint, dass sich das »in civilisierten Staaten allein auf die Alten und Häßlichen beschränken« (zit. n. Bröhan 2018: 50) solle, mag man als ach-so-munteren Herrenhumor abtun. Dass eine Biografin Pücklers im Jahr 2018 von dessen späterer Ehefrau Lucie von Hardenberg als einer »appetitlichen, unangepassten und von ihrem Mann getrennt lebenden Blondine, die ein gut geschnittenes Profil, eine feine Nase und strahlend blaue Augen vorweisen kann« (ebd.), faselt, ist insbesondere in der Fortschreibung von Pücklers Wortgebrauch gegenüber Machbuba (›appetitlich‹, vgl. S. 157 in diesem Beitrag), schlichtweg peinlich. Auf der Homepage des Muskauer Parks findet man übrigens eine kulturell ›gehobene‹ Kürzestliste der spektakulärsten Beziehungen Pücklers unter dem Stichwort »Frauenverehrer«.8 Flankiert wird diese Form der Darstellung durch bestenfalls semiprofessionelle Liebhaber:innenarbeiten zu Spezialthemen, die es spielend leicht schaffen, das Niveau weiter zu senken: Ein Blick in Bernd-Ingo Friedrichs Publikation Hat er? Oder hat er nicht? Fürst Pückler und seine Frauen von 2010, in dem der Autor der These von Pücklers Impotenz nachgeht, sei mit Nachdruck nicht empfohlen. Die Forschung setzt beiden Unsäglichkeiten, denen des Fürsten sowie seiner Biograf:innen und Liebhaber:innen, jedoch nichts entgegen.
Bei Pückler waltet eine feudalhedonistische, zum Kennerschaftlichen verbrämte Vorstellung ›der Frau‹ als Objekt männlicher Begierde, die heute mindestens ein ärgerlicher Anachronismus ist. Dass sein Blick dabei den europäischen Schönheitsidealen der Zeit folgte, ist nicht mehr als eine Plattitüde und war ihm selbst bewusst; so heißt es beim Betrachten zweier Chinesinnen in London, dass ihre Gesichtszüge, »für europäischen Geschmack, mehr als häßlich« (Pückler-Muskau 1987, Bd. II: 324) wirkten. Irritierender gestaltet sich dieser Aspekt jedoch dann, wenn sich zum Sexismus vergleichend-rassistische Motive gesellen. So begegnet der Fürst in Tunesien einer Frau, die »nichts von den charakteristischen Mängeln der Negerinnen an sich [hatte], weder eine platte Nase, noch zu dicke Lippen u.s.w.« (Pückler-Muskau 1836, Bd. IV: 261). Stattdessen sah sie »ganz wie eine reizende, und nur schwarz angestrichene Pariserin aus.« (Ebd.) Eine traurige Lektion in ›Rasseschönheit‹: Schön ist auch die schwarze Frau, wenn sie der weißen Frau gleicht.
5. Der Fall Machbuba
Von der schwarzen Frau zur Sklavin ist es nur ein Schritt – leider. Am berühmten Fall Machbubas wird das Problem mit dem Fürsten überdeutlich. Denn hier kommt zur Verfügbarkeit des weiblichen Körpers die Verfügbarkeit über den schwarzen Körper als Ware: Pückler kauft das Mädchen 1837 auf dem Sklavenmarkt von Alexandria. Er lässt sie unmittelbar darauf ›frei‹, aber sie begleitet ihn bis nach Muskau, wo sie 1840 stirbt.9 Die Pückler-Forschung hat zu diesem Thema rundheraus versagt.
Dass ein Mensch nicht eines anderen Menschen Eigentum sein kann, ist seit der Aufklärung allgemeiner Konsens in Europa, auch wenn die rechtliche Situation – vor allem international betrachtet – vertrackt war, insbesondere mit Blick auf ähnliche Verfügungsbefugnisse wie Leibeigenschaft, die corvée (Zwangsarbeit) oder Soldatenhandel. Festhalten lässt sich aber zumindest, dass der Wiener Kongress für ein Verbot des Sklavenhandels sorgte (welches für die orientalischen Länder freilich keine Relevanz hatte). Angesichts des Themas Sklaverei wird das in der Pückler-Forschung mannigfach verbrauchte Argument historischer Relativierung vollends obsolet. Sklaverei war – in Europa – zum Zeitpunkt von Pücklers Orientreise längst geächtet.
Dem Fürsten ist das Abscheuliche des Sklavenhandels, »das Tragische, was in dem ganzen System liegt« (Pückler-Muskau 1985: 193), völlig klar, aber er zieht keine Konsequenzen. Im Gegenteil ist er ein Profiteur eben dieses Systems, welches er mit Worten ablehnt, um daran realiter doch zu partizipieren. So gibt er den Geschäftscharakter niemals auf und entmenschlicht insbesondere die angebotenen Frauen weiterhin als »Handelsartikel«, nur um bigott-amüsiert festzuhalten: »Oft hat es mich indes frappiert, wie Leute, die in Europa schon das Wort ›Sklaverei‹ in Harnisch bringt, auch viele Engländer, es hier doch so anmutig finden, selbst Sklaven zu besitzen. Übles Beispiel verführt nach und nach jeden, wie es scheint.« (Ebd.: 640) Ideologischer Unterbau dieses Zuhandenmachens ist Pücklers pseudohistorisierendes Verständnis von Sklaverei als Sozialform, denn: »Die größten Epochen sind immer solche, wo Despotie und Sklaverei am schroffesten hervortreten.« (Pückler-Muskau 1840/41, Bd. III: 435)
Deshalb ist es naiv, die Freilassung Machbubas als ›gute Tat reiner Liebe‹ zu verklären. Pückler beteuert, dass er »ein zu gewissenhafter und selbst zu freier Preuße [sei], um sie jetzt noch als Sklavin zu behandeln. Mit dem Eintritt in mein Haus war sie eine Freie« (Pückler-Muskau 1985: 245).10 Doch wie genau darf man ›Freiheit‹ hier verstehen? Welche Ressourcen standen dem Mädchen zur Verfügung, um freie Entscheidungen treffen zu können? Freiheit wohin? Das Entscheidende ist daher nicht allein die Handlung des Freilassens, denn die will nur richtiges Handeln im Falschen sein. Entscheidend sind die Handlungen danach: Der Fürst inszeniert sich als Wohltäter des Mädchens und gibt den Professor Higgins, der die »appetitlich[e] Wilde« (Pückler-Muskau 1985: 269) zu ihrem Besten zivilisiert.
Aber wie abgestumpft muss man sein, um Pücklers verlogene Abscheu vor dem Sklavenmarkt, auf dem er »auch viel Komisches« (ebd.: 194) findet, akzeptabel oder überhaupt entschuldbar zu finden?11 Wer kann die Szene mitsamt dem geschilderten Abgreifen der zur Menschenware degradierten Frauen im »Sklavenuntersuchungsgeschäft« (Pückler-Muskau 1985: 194) – von Männern berichtet Pückler bezeichnenderweise nichts – ohne Abscheu lesen? Wer kann bestreiten, dass hier ein zumindest problematisches sexuelles Verhältnis zwischen einem 51-jährigen mitteleuropäischen Fürsten und einem zur »treueste[n] Kopie einer Venus von Tizian« (ebd.: 244) kitschromantisierten Mädchen wohl am Beginn ihrer Pubertät ausgestellt wird?12
Wer kann hier noch die historische Differenz vorbringen, dass man damals eben anderen Normen folgte und dass unsere angeblich moralisierende Gegenwart das Problem sei, nicht etwa die Vergangenheit eines zur Tausend-und-eine-Nacht-Reminiszenz verklärten Sklavenmarkts? Doch damit wird allein seine Perspektive aufgenommen und besinnungslos nacherzählt: Wir nehmen sie nur durch ihn gefiltert wahr. Denn wir wissen schlichtweg wenig über das reale Leiden der Personen, deren Stimmen nicht authentisch überliefert wurden.13 Wir wissen aber, dass gelitten wurde.
Zudem sprechen wir in diesem Fall nicht ›nur‹ über eine standesübergreifende Affäre, wie sie adlige Gesellschaften zu hunderttausenden mit mehr oder weniger Gewaltanwendung erzwungen haben. Wir sprechen über die sexuelle Ausbeutung eines afrikanischen Mädchens an der Schwelle zum Erwachsenendasein und über die schon damals als Verbrechen am Menschen stigmatisierte Sklaverei. Die nun bereits mehrfach erwähnte Germanistikprofessorin verdoppelt Pücklers Fleisch gewordene Wunschvorstellung bezeichnenderweise einfach mit dem Verweis auf die fürstliche Inszenierung des Mädchens als »kindlich-hörige Gespielin« (Polaschegg 2020: 187). Wozu mit philologischem Instrumentarium kritisieren, wenn man publikumswirksam die Sicht des Täters nach- und forterzählen kann?
Dass Pückler die Beziehung als sexuelle Ausbeutung empfand, ist unwahrscheinlich, sonst wären erbarmungswürdige Passagen wie Machbubas angebliche Flüsterworte: »Ich sei ihr Herr und habe zu gebieten, was sie sein und was sie tun solle.« (Pückler-Muskau 1985: 246), oder sein Gerede über »das sklavische (man könnte auch sagen das weibliche) Prinzip« (ebd.: 269) kaum in Druck gegangen. Es geht auch nicht um eine juristische Bewertung. Aber dass es sich um sexualisierte Gewalt handelte, muss eine aufgeklärte Gesellschaft und insbesondere die Forschung so benennen und akzeptieren. Das kann sie aber nur, wenn sie vom Primat des Fürsten als charmant-gewinnendem Helden abrückt.
6. Der ›ganze Fürst‹ als Chance einer aufgeklärten Gedenkkultur
Es ist für Privatpersonen beschämend, aber legitim, all dies zu ignorieren oder zu verharmlosen als allübliche Geschmacklosigkeit eines mitteleuropäischen Adligen des 19. Jahrhunderts, der ganz selbstverständlich zeitübliche Rassendiskurse und Chauvinismus pflegte. Aber muss, soll, darf eine moderne Gesellschaft auf dieser Basis im Rahmen einer mit öffentlichen Geldern finanzierten Gedenkkultur weiterhin im Modus naiver Bewunderung von ihm sprechen?
Dass man diese Frage an Forscher:innen richten muss, ist ohnehin blamabel. Aber sie geht auch an eine touristische Industrie, die von einer Marke lebt, die rundheraus Lüge ist. Der ›ganze Fürst‹ taugt nicht zur Projektionsfigur schwelgerischer Komplexitätsverweigerer:innen. Daraus folgt nicht, dass Branitz, Muskau und Babelsberg zur verfluchten Erde erklärt werden müssen; nicht, dass die Reiseberichte auf den Index gesetzt werden sollen; auch nicht, dass nicht weiter über den Fürsten gesprochen und geforscht werden darf – im Gegenteil! Aber bitte nicht mehr ad majorem Pückleri gloriam.
All die hier skizzierten Menschlichkeiten, auch das Schäbige, schmälern Pücklers künstlerische Verdienste nicht, aber sie müssen in eine sachbasierte Gesamtschau der Person im Rahmen unserer Erinnerungskultur integriert werden. Dazu bedarf es allerdings nicht nur einer Preisgabe der Heldenperspektive, sondern auch der Personenfixierung überhaupt. Das Ziel der Pückler-Forschung muss es sein, den Fürsten als einen Repräsentanten, aber auch Ignoranten geschichtlicher Diskurse und Praktiken jenseits seiner eitlen Selbstcharakteristik als »ein Kind meiner Zeit, ein ächtes« (Arnim/Pückler-Muskau 2001: 218),14 vorzustellen. Es wird Zeit für eine kritische, umfassend-sachgerechte und leidenschaftslose Würdigung.
Anmerkungen
1 Der Brief, aus dem dieses Zitat stammt, wird auf das Jahr 1832 datiert.
2 Vgl. das Portal Pückler-Digital, dort insbesondere den Nachlass Pückler-Carolath-Haugwitz, online unter: http://www.pueckler-digital.de/npch/index.html [Stand: 1.3.2023].
3 Online unter: https://www.pueckler-museum.de/museum/forschung/ [Stand: 1.3.2023].
4 Flankiert wird solch eine Zumutung noch durch einen zumindest im Ansatz differenzierenden Artikel der Autorin im Tagespiegel vom 27. Dezember 2017, der sich allerdings selbst durch pseudoemanzipatorischen Kitsch delegitimiert: »Das Profil, das sich schärft, zeigt eine junge Frau [Machbuba, vgl. Abschnitt 5; S.B.], die ihre schmerzhafte Entwurzelung meisterte und ihr schweres Schicksal – trotz aller Widrigkeiten – in die eigene Hand genommen hat.« (Volker-Saad 2017a)
5 Online unter: https://www.pueckler-museum.de/ansprechpartner/ueber-uns/ [Stand: 1.3.2023].
6 Das Zitat stammt aus einem Brief Pücklers an Lucie von Hardenberg vom 15. November 1837 aus Kairo.
7 Nötig wäre auf der Rekonstruktion dieser Ideologiebasis endlich eine Monografie, die Pückler als Bewunderer ›starker‹, politisch-militärisch aktiver Männer wie Napoleon Bonaparte oder Mehemet Ali (heute meist: Muhammad Ali Pascha), dem er selbst ein ganzes Buch widmete, zeigt und in ein Verhältnis zu seinem eigenen politischen Handeln setzt.
8 Online unter: https://www.muskauer-park.de/#pueckler [Stand: 1.3.2023].
9 Es ist für das vorgestellte Problem nur randseitig relevant, ob es ursprünglich mehrere reale Mädchen gab, die zu einer literarischen Figur Machbuba wurden (vgl. die Argumentation in Volker-Saad 2017a).
10 Von Bröhan sogar noch gesteigert: »Mit dem Erwerb des Mädchens beginnt dessen Freiheit.« (Bröhan 2018: 130)
11 Vgl. für eine erste exemplarische Analyse der Sklavenmarktszene aus philologischer Perspektive Böhmer 2011: XVI-XVIII.
12 Machbuba wird ausführlichst erotisch, mit kennerschaftlicher Genießernote geschildert, nur ein Beispiel: »Aber ihr Körper! Woher in des Himmels Namen haben diese Mädchen, die barfuß gehen und nie Handschuhe tragen, diese zarten, gleich einem Bildhauermodell geformten Hände und Füße; sie, denen nie ein Schnürleib nahekam, den schönsten und festesten Busen; solche Perlenzähne ohne Bürste noch Zahnpulver, und obgleich meistens nackt den brennenden Sonnenstrahlen ausgesetzt, doch eine Haut von Atlas, der keine europäische gleichkommt und deren dunkle Kupferfarbe, gleich einem reinen Spiegel, auch nicht durch das kleinste Fleckchen verunstaltet wird.« (Pückler-Muskau 1985: 245)
13 Ludmilla Assing bringt im siebten Band ihrer Briefausgabe (1875) zwei Briefe Machbubas an Pückler in rudimentärstem Italienisch, der Sprache, die der Fürst sie gelehrt hat. Die Briefe sind daher kaum mehr als Zeugnisse einer bereits zugerichteten Existenz.
14 Das Zitat stammt aus einem Brief Pücklers an Bettine von Arnim vom 15. August 1833.
Literatur
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