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Zeitschrift für interkulturelle Germanistik – 15. Jahrgang, 2024: »Wir alle sind diese Gesellschaft.«. Mithu Sanyals Identitti als postmigrantischer Roman (Nazli Hodaie)

Zeitschrift für interkulturelle Germanistik – 15. Jahrgang, 2024

»Wir alle sind diese Gesellschaft.«. Mithu Sanyals Identitti als postmigrantischer Roman (Nazli Hodaie)

»Wir alle sind diese Gesellschaft.«

Mithu Sanyals Identitti als postmigrantischer Roman

Nazli Hodaie

Abstract1

The literary writing of authors with a migration history is frequently classified in an exclusionary manner according to the authors’ provenance, nationality, ethnicity or native language. This process of constructing a literary (non)normality mirrors the socially dominant discourse of migration, which aims to produce unambiguous ideas of cultural, ethnic, and linguistic belonging. In this context, the paradigm of post-migratory writing offers a counter-hegemonial knowledge production concerning migration. Similarly to the postcolonial paradigm, the post-migratory perspective challenges the binary categorization of norms, narratives and continuities. In literary fiction, a post-migratory perspective can destabilize binary oppositions by developing narrative structures that resist conventional modes of perception, thus contributing to the unlearning of a hegemonic gaze. This article argues that Mithu Sanyal’s 2021 novel Identitti exemplifies a post-migratory perspective at both the level of the narrative and the level of discourse. The novel’s intersectional deconstruction of race, ethnicity and belonging is analyzed with regard to three key elements: (1) the character constellation, (2) the narrative perspective and (3) the polyphonic narrative.

Title

»Wir alle sind diese Gesellschaft.« Mithu Sanyal’s Identitti as a post-migratory novel

Keywords

post-migratory; novel; Mithu Sanyal (*1971); counter-hegemonial; intersectional

1. Hinführung

Die deutschsprachige Literatur von Autor*innen mit einer Zuwanderungsgeschichte kennt viele – zum Teil überholte – Bezeichnungen, so z.B. Ausländerliteratur, Migrantenliteratur, Grenzgängerliteratur, interkulturelle Literatur etc. Meist handelt es sich dabei um »exkludierende Klassifizierungen« (Schramm 2018: 88), die entlang der Differenzlinien Herkunft, Ethnie, Sprache o.Ä. die Zugehörigkeit der Texte – und ihrer Autor*innen – zur deutschen (National)Philologie subtil in Frage stellen; mehr noch, diese als das Andere im Diskurs positionieren. Es entstehen somit »terminologische Ghettos« (Geiser 2015: 307; zit. n. Schramm 2018: 88), wodurch zwischen ›normaler‹ und ›nicht so normaler‹ Literatur unterschieden wird (vgl. ebd.).

In diesem Prozess der Konstruktion und Klassifizierung literarischer (Nicht)Normalität spiegelt sich der gesellschaftlich dominante Migrationsdiskurs wider mit seinem Drang, in Fragen kultureller, ethnischer oder sprachlicher Zugehörigkeit eindeutige Verhältnisse herzustellen. Es handelt sich um einen Diskurs, dem »die Vorstellung und Behauptung einer Einheitlichkeit, die nicht existiert« (Leiprecht/Lutz 2015: 294; vgl. auch Hall 1994a: 217), immanent ist und der diese Imagination der Einheitlichkeit auch auf die Kategorie nationaler, ethnischer oder kultureller Identität überträgt. Abgebildet wird hier eine Position, »hinter der sich eine hegemoniale Struktur […] verbirgt: [d]iese Position des alles beherrschenden weißen Blicks, der von einem ungenannten oder unmarkierten Standort aus beschreibt und bewertet« (Leiprecht/Lutz 2015: 290; Hervorh. N.H.; vgl. auch Hall 1989: 159) und dabei auch hierarchisch vorgeht.

Dieser Perspektive setzt das Paradigma des Postmigrantischen eine andere Sichtweise entgegen, die insofern gegenhegemonial agiert, als sie marginalisierte alternative Handlungs- und Wahrnehmungsoptionen ins Blickfeld rückt (vgl. Herschinger 2017: 138). In seiner Gesamtperspektivierung zielt dieses Paradigma auf die Neuverhandlung der Frage, wie sich das gesellschaftliche Wir konstituieren und wen alles dieses Wir selbstverständlich einschließen soll (vgl. Foroutan 2023: 9 et passim).

2. Zum Begriff des Postmigrantischen

Zentral für die postmigrantische Perspektive ist das Streben nach einer gegenhegemonialen Wissensproduktion in Bezug auf Migration und die damit einhergehenden Phänomene (vgl. Yıldız 2018: 19). Ähnlich wie das postkoloniale Paradigma hinterfragt auch diese Perspektive die schematische Zweiteilung der Welt und die damit einhergehende Art und Weise, Normen zu definieren, Geschichten zu erzählen und Kontinuitäten zu konstruieren. Und auch sie ist eine Denkart, die »das klassische Bild von Identität und Kultur als homogenisierende Kraft in Frage [stellt] und […] mit der dualen Logik von Differenzkategorien« (ebd.: 21) bricht. Dadurch rücken Diskontinuitäten, Brüche und marginalisierte Sichtweisen ins Blickfeld, als Norm verstandene eindeutige Verortungen werden hinterfragbar, Mehrfachzugehörigkeiten denkbar und andere Zusammenhänge erzählbar.

Das Postmigrantische wird somit als eine (politische) Perspektive deklariert, die die Stimme der Migration präsentiert, marginalisierte Wissensarten sichtbar macht, auf nationale Mythen irritierend wirkt, neue – dynamische – Differenzauffassungen zeigt und so ein neues Gesellschaftsbewusstsein (vgl. ebd.: 22f.) erzeugt. Sie führt zur »Neuerzählung und Neuinterpretation« (ebd.: 23) der Migration und überwindet althergebrachte Migrationsdiskurse zugunsten neuer Narrative.

Dies bietet zum einen die Möglichkeit, jenseits der binären Unterscheidung zwischen »Menschen mit und ohne Migrationsgeschichte« migrationsgesellschaftliche Fragestellungen als gesamtgesellschaftliche Phänomene in den Blick zu nehmen. Die so erfolgte Analyse knüpft in diesem Zuge zum anderen »an Kontinuitäten der Ungleichheit an und fordert, mit etablierten (rassistischen) Zuweisungen zu brechen« (Foroutan 2018: 15) und somit auch das gesellschaftliche Wir inklusiv zu denken. In diesem Sinne ist auch das Migrantische im Begriff des Postmigrantischen zu verstehen, als »Chiffre für reale und konstruierte, soziale und symbolische Ungleichheiten, deren Überwindung« – und darauf deutet in Anlehnung an den Begriff des Postkolonialen das Präfix post- hin – »sich die plurale und demokratische Einwanderungsgesellschaft zum Ziel setzt« (ebd.).

3. Die kontrapunktische Konstruktion gesellschaftlicher Verhältnisse

Identitti als postmigrantischer Roman

Das postmigrantische Moment in der Literatur kann sich in vielfacher Weise entfalten. Denkbar sind Formen und Strategien, die auf binären Oppositionen beruhende Diskurse durchbrechen und dekonstruieren; Mittel, die dazu beitragen, den hegemonialen Blick zu verlernen2 und eine literarische Struktur zu entwickeln, die sich den konventionellen Wahrnehmungsmustern widersetzt. Hierzu gehören subversive Strategien der Ironie oder der Intertextualität, revisionistische Perspektiven, kontrapunktische Lektüren etablierter migrationsbezogener Topoi und Motive oder auch Verfahren der Nichtnormierung z.B. in der sprachlichen Gestaltung.3

Das postmigrantische Moment in Identitti4 manifestiert sich sowohl auf der Ebene der Geschichte als auch auf der Ebene des Diskurses in vielerlei Hinsicht. Prominent ist die Art und Weise der intersektional perspektivierten Dekonstruktion hegemonialer Vorstellungen von race, Ethnie, Herkunft und der damit einhergehenden Konstruktion von Mehrheit und Minderheit. Hinzu kommen zum einen die Art der Fokalisierung, durch welche die in der Regel marginalisierten Sichtweisen sowie Wissensarten ins Zentrum gerückt werden, und zum anderen die polyphone Gestaltung des Textes, welche die Stimmenvielfalt im Feld migrationsgesellschaftlich einschlägiger Aushandlungen vernehmbar macht. Diese postmigrantischen Erzählstrategien werden im Folgenden Gegenstand der näheren Betrachtung sein, erstens mit Blick auf Figurenkonzeption und -konstellation (I), zweitens am Beispiel der Erzählperspektive (II) und zuletzt bezogen auf die im Roman angelegte Polyphonie (III).

3.1

»Race is a story« (Sanyal 2021: 67) ist, in Anlehnung an Stuart Hall, das zentrale Motiv in Identitti. Für den Text ist somit konstitutiv, wie die sogenannte ethnische Identität als Konstrukt geschaffen und die damit einhergehende Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe hergestellt wird, wodurch das Konstrukt eine reale Wirkmacht entfaltet. Diese Perspektive spiegelt sich nicht nur in der Figuren- und Erzählerrede wider; nach ihr gestaltet sich auch die Figurenkonzeption sowie -konstellation, wie hier am Beispiel zweier Figuren dargestellt wird: Nivedita, der Protagonistin der Geschichte und zugleich ihr focalizer, und Saraswati, Niveditas Professorin, die erzähltechnisch als Projektions- und Reflexionsfläche für (Selbst)Zweifel und die fragende Identitätssuche der Protagonistin dient. Beide Figuren sind vor allem durch ihre Hybridität gekennzeichnet, auch wenn sie in ihrer Beschaffenheit unterschiedlicher nicht sein könnten: Die Figur von Nivedita ist als Kind eines aus Indien stammenden Vaters und einer polnischstämmigen Mutter aus dem Ruhrgebiet konzipiert; als solches sieht sich Nivedita mit der Frage konfrontiert, was ihre Identität ausmacht. Dabei lässt sie sich von einer Vorstellung von (kultureller) Identität leiten, die diese für gewöhnlich nach dem Schema des klar Zuordenbaren definiert und auch zuschreibt: »Niveditas Problem war nicht, dass sie keine klar umrissene Identität hatte. Ihr Problem war, dass sie das Gefühl hatte, Identitäten sind etwas für andere Leute. Und sie hatte kein Anrecht darauf, weil sie zwischen alle Kategorien und durch alle Ritzen fiel.« (Ebd.: 48)

So wird sie von der Mehrheitsgesellschaft als anders, also nicht dazugehörig, wahrgenommen, was sie, in Ermangelung als legitim geltender hybrider Identitätsangebote, dazu verleitet, sich eindeutig als ›indisch‹ positionieren zu wollen. Diese (mehrheitsgesellschaftlich ihr verweigerte) Zugehörigkeit sucht sie daher bei ihrer indischstämmigen Verwandtschaft in Birmingham, wo die Kinder aussehen wie sie (vgl. ebd.: 42), wie ihre Mutter zu sagen pflegt, während sie ihr Familienbilder zeigt: »Als sie die Bilder das erste Mal auf der Digitalkamera ihrer Mutter betrachtete, spürte sie, wie sich etwas in ihrem Bauch ausdehnte, das sie nicht identifizieren konnte: eine Mischung aus Wärme und etwas Neuem, Unbekanntem, ein nahezu triumphierendes Gefühl von Zugehörigkeit.« (Ebd.: 42f.)

Die ersehnte Zugehörigkeit wird ihr jedoch auch seitens ihrer Birminghamer Community verweigert: Nivedita wird von den Kindern als »Coconut« (ebd.: 41-47) – außen braun, innen weiß, also nicht echt und daher ebenso nicht dazugehörig – betitelt; eine Bezeichnung, die ihre hybride Identität zum Manko erklärt, sie als ethnisch nicht rein positioniert und somit als legitimes Mitglied der Community diskreditiert:

Wann immer sie später versuchte, die Szene zu rekonstruieren, verschwamm das Coconut-Flüstern […] mit dem Urteil: Du bist nicht echt, das wie ein Stempel auf Niveditas Leben gedrückt wurde. Wann immer in den folgenden Jahren Menschen enttäuscht waren, dass sie nicht indisch kochen/tempeltanzen/Sitar spielen konnte, hörte Nivedita: Coconut. (Ebd.: 44f.; Hervorh. i.O.)

An der fiktiven Figur Nivedita wird eindrücklich verdeutlicht, wie eindeutig positionierende Identitätsangebote an migrationsgesellschaftlichen Erscheinungen und Erfordernissen vorbeigehen, wenn man »nicht das Klischee einer Inderin« (ebd.: 45) anstrebt. Denn: »Das war das Problem: Sobald man anfing, über Identität nachzudenken, fächerte sich die Wirklichkeit in so vielen Dimensionen auf, dass es keine richtigen Worte mehr für sie gab.« (Ebd.: 46)

In diesem identitätsbezogenen Spannungsverhältnis der Fremdpositionierung und Selbstbestimmung findet Nivedita in Saraswati zunächst eine Identifikationsfigur, die ihr und ihren Mitstudierenden die Fragen nach der Identität im (postkolonialen) Kontext der Migrationsgesellschaft theoretisch überzeugend – und vor allem glaubwürdig, handelt es sich bei ihr selbst doch um eine Person of Color (PoC) – erläutern kann:

Und dann kam Saraswati und erklärte, dass das egal war und dass es kein präkoloniales Leben im Postkolonialismus gab und es stattdessen darauf ankam, Spaß an der Konstruiertheit von Echt und Jenseits-von-Echt zu haben und sich keinen starren Platz in den Ruinen der verschiedenen Empires zuweisen zu lassen. Feiere, als gäbe es kein Gestern! (Ebd.: 46f.; Hervorh. i.O.)5

Das Gesamtgefüge gerät jedoch gründlich ins Wanken, als die Nachricht von Saraswatis passing die Runde macht, womit der handlungsleitende Konflikt des Romans entsteht und Saraswati zur zentralen Figur für die Demonstration des bereits zitierten Motivs »Race is a story« avanciert. Anhand der Figur Saraswatis führt der Text den Konstruktcharakter der mit den Kategorien race und/oder ›ethnische Herkunft‹ zusammenhängenden Identität sowie Zugehörigkeit nicht nur seiner Protagonistin Nivedita, sondern auch seinen Adressat*innen sinnbildlich vor Augen. Als hybrid angelegte Figur bricht Saraswati radikal mit diskursiv hergestellten Dichotomien; mit und an ihr öffnet sich ein ternärer Raum, in dem eine eindeutige Zuordnung – weiß vs. PoC, Mehrheit vs. Minderheit – nicht (mehr) möglich ist oder mindestens mit der Frage einhergeht, ob jeglicher Versuch in dieser Richtung doch nicht auf dekonstruktionswürdige Essentialismen zurückgreifen muss.

Durch die Figur von Saraswati bricht der Text einerseits die etablierte duale Logik der Differenzkategorien auf und stellt das hegemoniale Bild von Identität und Kultur als homogene Entitäten in Frage.6 Dieses Identitätsverständnis, das auf dem Konzept des Dritten Raums (vgl. Bhabha 2000) beruht, »verstört die Vorstellung von Identität, zunächst auf kultureller bzw. kollektiver, letztlich aber auch auf individueller Ebene. […] Vorstellungen kultureller Ursprünglichkeit, Reinheit, Identität [werden damit] unhaltbar« (Göhlich 2010: 326). Andererseits stellt die Handlung zeitgleich die Verwobenheit jeglicher diesbezüglichen Entscheidungen mit etablierten Machtstrukturen dar und demonstriert, wie diffizil es teilweise ist, klar Position zu beziehen. In einem gekonnten intersektional perspektivierten Mix verknüpft die Handlung das individuelle tranceracing ihrer zentralen Figur mit der Frage nach deren Habitus als gutbürgerlich aufgewachsene und ehemals weiß positionierte7 Frau. Sie wirft somit die nicht eindeutig zu beantwortende Frage auf, aus welcher Position heraus und mit welcher Diskursmacht ausgestattet das handlungsleitende tranceracing hier erfolgt und inwiefern dadurch Machtstrukturen perpetuiert statt außer Kraft gesetzt zu werden.

Dieser Ambivalenz zum Trotz und ungeachtet dessen, wie unterschiedlich die beiden Figuren mit Blick auf die in ihnen angelegte Hybridität auch konzipiert sind, verbindet sie letztendlich ihr Unbehagen gegenüber dichotomen Identitätsdiskursen – ein Unbehagen, das der Roman grundsätzlich affirmiert. Vor dem Hintergrund der hegemonialen Ordnung einer an dichotome Diskurse gewöhnten und diese auch voraussetzenden Gesellschaft gleicht dieses Identitätsverständnis einem Akt des gegenhegemonialen Widerstands, womit die tatsächlichen und symbolischen Grenzen der (Nicht)Zugehörigkeit konterkariert und etablierte und erwartete Dichotomien außer Kraft gesetzt werden. An der wütenden Reaktion der erzählten Welt auf Saraswatis passing – und auch auf Nivedita, weigert diese sich doch, Saraswati sofort und eindeutig zu verurteilen – lässt sich dann auch die Analogie zum realen Unbehagen im Umgang mit Identitäts- und kulturbezogenen Hybriditäten und Uneindeutigkeiten erkennen. Entlang dieser diegetischen Reaktion wird zugleich die Frage nach Authentizität8 (als Legitimationsmoment) im Zusammenhang mit der ethnisch (il)legitimen Identität aufgeworfen. Es wird demonstriert, wie dieser Zusammenhang – der postkolonialen Theorie zum Trotz – durch den Rückgriff auf eine konstruierte und imaginierte Ursprünglichkeit hergestellt wird und dass er im Kern essentialistisch ist.

Durch diese besondere Figurenkonzeption sowie -konstellation wird ein Diskursraum eröffnet, »dessen Liminalität Festgestelltes verrückt, Verhandlung erfordert und damit auch eine Neuverteilung der Agency ermöglicht« (ebd.: 328). So ist es in der Handlungslogik nur folgerichtig, dass das Nachdenken über Normen und Formen der Identität und Zugehörigkeit bei der Protagonistin erst in Saraswatis Wohnung einsetzen kann, die ihrerseits ebenso einen Raum verkörpert, in dem die Grenzen von race, gender und class außer Kraft gesetzt werden (vgl. Sanyal 2021: 88). Diesen Raum braucht Nivedita, um ihrerseits den dichotomen Identitätsdiskurs zugunsten eines fluiden, nicht essentialisierenden abzulegen und im Sinne der agency zu sich selbst zu finden. Nach monatelangem Ringen darum, Saraswati verstehen, ja ihr verzeihen zu können, hat Nivedita gegen Ende der Handlung, just in dem Moment, als sie feststellt, dass sie Saraswati bereits verziehen hat, eine Vision:

Sie hatte einen dieser atemberaubenden Momente, in denen sie in die Zukunft sehen konnte, genauer gesagt, in denen sie sich in der Zukunft sehen konnte. Die Frau, die sie werden würde, weicher, runder, milder, aber unverkennbar sie. Die Nivedita der Zukunft trug keinen Bindi, aber etwas an ihr war trotzdem und fantastisch unverkennbar indisch. Und dann kam sie darauf: Die Nivedita der kommenden Jahrzehnte hatte … eine Aura der Zugehörigkeit. (Ebd.: 412f.; Hervorh. i.O.)

Symbolisch zeigt sich diese Entwicklung in Gestalt der beiden Göttinnen – Kali und Saraswati –, von denen die eine, Kali, die Göttin der Zerstörung und der Erneuerung (vgl. Jamme/Matuschek/Bargatzky 2014), Niveditas Lieblingsgöttin ist und die andere, Saraswati, die Fließende, die Göttin der Weisheit und der Gelehrsamkeit (vgl. ebd.), die Namensgeberin für die Figur von Saraswati. Im Laufe der Handlung nähern sich die Göttinnen immer mehr an (vgl. Sanyal 2021: 359, 417 et passim). Symbolisch deutet dies auf eine als weise konnotierte Zerstörung der hegemonial-dichotomen Ordnungsmuster und Gewissheiten hin, die es zugunsten einer fließenden, vor konstruierten Kategorien und Normalitätsvorstellungen nicht haltmachenden Grenzüberschreitung zu erneuern gilt:

Wir alle sind […] alle. Wir alle sind viele. Wir alle sind alle Geschlechter, alle races, alle Klassen, alle Kasten. […]

Alle wirklich wichtigen hinduistischen […] Gött*innen haben diese Schwelle immer wieder überschritten: Die Grenze der Geschlechter, der Farben, der Spezies, ja selbst die der Aggregatzustände. (Sanyal 2021: 416; Hervorh. i.O.)

3.2

Im hegemonialen Migrationsdiskurs fällt das Hierarchiegefälle eindeutig zuungunsten der migrantisch Gelesenen aus. Dies hat Konsequenzen für die Geschichten, die erzählt werden, für die Art und Weise, wie sie erzählt werden, und für ihre Urheber*innen. Aus einer postmigrantischen Perspektive heraus ist es daher von zentraler Bedeutung, marginalisierte Wissensarten, Erzählungen und Interpretationen ins Blickfeld zu rücken, um die hegemoniale Deutungshoheit zu relativieren. Im literarischen Erzählkontext hat diese Aussage Folgen für die Wahl der Perspektive, für die Verteilung der Sprecher*innenpositionen und für die Gestaltung des Geltungsanspruchs der fiktionalen Rede: Im intern fokalisierten Identitti wird aus dem Blickwinkel der Protagonistin Nivedita erzählt, wodurch ihre Perspektive, ihre Geschichte, ihr Wissen, ihre Fragen, ihre Zweifel, ihre Suche handlungsleitend sind. Mit der Wahl der Perspektive gewinnen auch Themen an Bedeutung, die aus einer hegemonialen Perspektive in der Regel nicht oder anders erzählt werden: z.B. die Erfahrung der Zuschreibung und der Diskriminierung oder des Rassismus, das Nachdenken über Identität und Zugehörigkeit, das Streben nach agency und der Selbstdefinition jenseits binärer Positionierungen.

So wird das natio-ethno-kulturell (vgl. Mecheril 2010: 14) motivierte Ausgrenzungspotenzial etablierter und damit auch nicht markierter Norm-(alitäts)vorstellungen erst recht ins Bewusstsein gerückt, wenn aus Niveditas Perspektive erzählt wird, »dass sie niemals für die Rolle der Maria/Baby/Elsa in West Side Story/Dirty Dancing/Frozen im Schulmusical ausgewählt werden würde« (Sanyal 2021: 43f.): »Ich? Als Maria/Baby/jede andere weibliche Hauptfigur, die man sich nur denken kann? Wirklich?« (Ebd.: 44) Ähnliches gilt für das nicht einmal als solches erkannte, weil für gegeben gehaltene Privileg, sich z.B. »darüber beschweren [zu können], dass zu wenig Frauen in den Serien vorkamen, die sie [Nivedita und ihre Freundinnen; N.H.] sich abends zusammen ansahen, ohne sich gleichzeitig darüber zu beschweren, dass in denselben Serien zu wenig Menschen mit mehr Melanin vorkamen« (ebd.: 35). Diese eingebetteten Geschichten von Ausgrenzung und Inferiorisierung, vom Positioniertwerden und Privilegiertsein relativieren nicht nur das hegemoniale Migrationsnarrativ, das so häufig auch in fiktionalen Texten affirmiert und reproduziert wurde und wird; sie machen auch die dominanzgesellschaftlichen Seh- und Denkgewohnheiten erst einmal sichtbar und stellen die etablierten Blickregime in Frage.

Diese – im Kern postmigrantische – Perspektivierung hat auch Konsequenzen für den Blick auf das kollektive Gedächtnis und dessen Repräsentation. »Warum scheint es uns nicht merkwürdig, hier in Düsseldorf in der Wissmannstraße zu wohnen?« (ebd.: 290), erinnert sich Nivedita an eine Seminarsitzung bei Saraswati:

Schließlich war Hermann Wilhelm Leopold Ludwig von Wissmann maßgeblich an der Niederschlagung des Widerstandes der Wahehe beteiligt, infolge dessen rund siebenhunderttausend Menschen ums Leben kamen. Die Existenz der Wissmannstraßen erscheint uns nur nicht merkwürdig, weil wir noch nie von seinen Verbrechen gehört haben. Und warum haben wir noch nie davon gehört? Weil uns in der Schule nichts dazu beigebracht wurde. (Ebd.: 290; Hervorh. i.O.)

Unter Rückgriff auf den Begriff kognitiver Dissonanz wird (nicht nur) diegetisch auf die Notwendigkeit eines migrationsgesellschaftlich adäquaten Erinnerns (vgl. Assmann 2025 [im Druck]) aufmerksam gemacht, was seinerseits mit der Frage verbunden ist, wessen Geschichte erzählt, wessen Perspektive relevant gesetzt, wessen Stimme repräsentiert und wessen Leid in den Blick genommen wird. Mit dieser Perspektive verknüpft ist die Entscheidung, den rassistischen Terroranschlag in Hanau (2020) in die Fiktion aufzunehmen, denn, so die Autorin im Nachwort des Romans, »derartige schreckliche Verbrechen sind Teil der bundesrepublikanischen Wirklichkeit, und deshalb ist das Schweigen darüber in der deutschsprachigen Literatur eine nicht akzeptable Leerstelle« (Sanyal 2021: 423).9 Die Entscheidung, genau diese Geschichten für erzählwürdig zu befinden, füllt nicht nur die festgestellten Leerstellen, sie verschafft auch den Stimmen Gehör, die für gewöhnlich nicht gehört werden, und schreibt ihre Geschichten in das kulturelle und somit das kollektive Gedächtnis der Gesellschaft ein; denn »es gibt Deutschland nicht ohne uns, deshalb sollen unsere Toten auch in der deutschsprachigen Literatur betrauert werden« (Sanyal 2021: 424).

Gefiltert durch Niveditas besondere Perspektive wird nebenbei zusätzlich der zwar arglose, aber im Kern exkludierende Sprachgebrauch der Mehrheitsgesellschaft in seinem verletzenden Potenzial reflektiert und zurechtgerückt. Die Pressestimme zum Attentat in Hanau zitierend – »Ein fremdenfeindliches Motiv wird nicht ausgeschlossen.« (Ebd.: 365) – sinniert sie: »Das ist nicht fremdenfeindlich, das ist rassistisch, du Pfosten! Ich bin nicht fremd und trotzdem hätte er auf mich geschossen, wäre ich in Hanau gewesen« (ebd.; Hervorh. i.O.).

In Identitti wird somit eine Geschichte erzählt, in der sowohl auf der Ebene der Handlung als auch in der Wahl der Erzählperspektive Stimmen zur Sprache kommen, die im Kontext des hegemonialen Migrationsdiskurses wenig Gehör finden, und Sprecher*innenpositionen werden in diesem Rahmen denjenigen zuteil, über die für gewöhnlich gesprochen wird. Das hebt den fiktionalen Text auf die Ebene eines anderen – diesmal fiktiven, handelt es sich doch um Saraswatis viel beachtetes Buch Decolonise your Soul – Textes, der von der Protagonistin folgendermaßen beschrieben wird:

Und damit sind wir bei den Büchern – bei den Büchern, die meine Seele gerettet haben, oder auch meine Psyche oder mich, gerettet davor, wahnsinnig zu werden in einer Welt, die meine Wahrnehmungen geleugnet hat, die meine Existenz geleugnet hat, die mir an jeder Ecke und Kante gesagt hat: Du bist nicht echt, deine Probleme sind nicht echt, deine Geschichte ist nicht relevant. (Ebd.: 66; Hervorh. i.O.)10

3.3

»Das Ringen um Selbstbestimmung und Sichtbarkeit wird in den letzten Jahren oft Identitätspolitik genannt und mit aller Wucht und in größtmöglicher Vielfalt der Stimmen geführt. Identitti soll die extreme Vielstimmigkeit dieses Prozesses widerspiegeln« (ebd.: 415; Hervorh. i.O.), äußert sich die Autorin im Nachwort des Romans. Diese Stimmenvielfalt macht sich im Roman auf unterschiedliche Weise bemerkbar. Es handelt sich bei Identitti um, so Sophie Schweiger, »a radically trans-textual […] piece of work« (Schweiger 2023: 17), was sich sowohl auf der peritextuellen Ebene als auch intradiegetisch manifestiert.

Ein Blick in das Inhaltsverzeichnis des Romans offenbart in Gestalt von Kapitelüberschriften etliche Texte der postkolonialen Theorie mit kanonischem Status: »Woman, Native, Other« (Trinh T. Minh-ha), »Black Skin, White Masks« (Frantz Fanon), »Orientalismus« (Edward Said), »The Location of Culture« (Homi K. Bhabha), »Can the Subaltern Speak?« (Gayatri Spivak), »Decolonising the Mind« (Ngũgĩ wa Thiong’o). Auf der diegetischen Ebene hält die Intertextualität vor allem über die Figur von Saraswati – als Figur selbst ein Patchwork an Anleihen – Einzug: »Saraswati, including her book, serve as the trans-textual switch point that opens Nivedita’s as well as the readers’ eyes to the worlds of post-colonial literature and theories of decolonization.« (Ebd.: 14) Dies geschieht während Saraswatis Seminarsitzungen, durch Niveditas Seminarnotizen und in Niveditas Gesprächen mit Saraswati oder – initiiert und motiviert durch Saraswatis Einfluss – mit ihren Mitstudierenden. So ist die erzählte Welt gespickt mit Zitaten postkolonialer und anderer Autoritäten (vgl. ebd.) mit dem Effekt, dass mit Blick auf das Zielpublikum des Romans das nötige Theoriefundament für die Auseinandersetzung mit dem zentralen Thema gelegt wird, um dann die Handlung vor diesem Theoriehintergrund zu entfalten und letztendlich daran auch zu messen.

Eine weitere Ebene der Polyphonie öffnet sich im Zug einer intradiegetischen »Systemreferenz auf Social Media« (Navratil 2023: 134). Die intradiegetische Erzählinstanz ist hier Niveditas Twitter-Alter-Ego Identitti, wobei analog zur außerfiktionalen Realität auch in der fiktiven Social-Media-Kommunikation die Möglichkeit einer Resonanzvielfalt gegeben ist. Diese intradiegetische Erzählebene erfüllt die Funktion, die Vielstimmigkeit abzubilden, die sich gerade mit Blick auf hitzig geführte identitätspolitisch genannte Debatten11 auch in der realen Welt vorfinden. Da die vielfältigen, zum Teil sich nur in Nuancen unterscheidenden, teilweise auch radikal divergenten Reaktionen auf Identittis Posts in der Regel kommentarlos nebeneinanderstehen, ist der/die intradiegetische Adressat*in in der Tat polyphon angelegt, denn durch das mehrstimmige Arrangement werden hierbei eine Vielzahl an Positionen möglich, die meist nicht hierarchisiert werden (vgl. Roggenbuck 2020: 16). Das gewählte Social-Media-Setting erlaubt es außerdem, einerseits die Emotionalität der Debatten aufzugreifen und andererseits individuelle und kollektive Verletzbarkeit sicht- und wahrnehmbar zu machen.

Identitti zeichnet sich somit sowohl mit Blick auf kanonische Stimmen postkolonialer Theoretiker*innen als auch auf der Ebene der realistisch konzipierten gesellschaftlichen Redevielfalt durch eine vielstimmige Komposition aus. Dabei setzen sich die vielfältigen Theorien, Perspektiven und/oder Positionen nicht nur innerhalb der jeweiligen Ebene, sondern auch ebenenübergreifend miteinander in Beziehung. Dadurch treten die postkoloniale Theorie und die dargestellte migrationsgesellschaftliche Redevielfalt in einen Dialog, bei dem Letztere vor dem Hintergrund Ersterer gelesen werden kann und Erstere sich an der ›Realität‹ der diegetischen Migrationsgesellschaft zu messen hat.

4. Schlussbemerkung

Durch die oben skizzierten Strategien und Verfahren stellt Identitti die etablierte Deutungshoheit des hegemonialen Migrationsdiskurses in Frage, indem der Roman eine andere Geschichte der Zuwanderung, der Identität und der Zugehörigkeit erzählt. Passend dazu erfährt der aus der hegemonialen Perspektive inferiorisierte PoC-Status eine Aufwertung, der in der Lesart des Romans insofern zum Kapital umgedeutet wird, als der handlungsleitende Konflikt um diesen entsteht: »Wenn Saraswati eines beweist, dann dies: Nicht-Weißsein ist cool geworden, und das ist ein Zeichen unseres Erfolgs.« (Sanyal 2021: 403; Hervorh. i.O.) In ihrer Umkehrung des Mimikry-Aktes (vgl. Bhabha 2000: 125f.) destabilisiert diese ›Quasi-Aneignung‹ des PoC-Status durch Saraswati zudem insofern die bestehende hegemoniale Ordnung, als die Anerkennung nun dem in der Regel inferiorisierten Status zuteilwird.

Und trotzdem würde der Roman seinem zentralen Charakteristikum der Dekonstruktion sozialer Kategorien und Klassifizierungen nicht gerecht, würde er an dieser Stelle auch mit dem aufgewerteten PoC-Status – verstanden als feststehende und nicht verrückbare Kategorie – nicht kritisch verfahren. So wird an den aufgebrachten Reaktionen von Saraswatis Studierenden of Color und an ihren Argumenten vorgeführt, wie durch buchstäblich jede soziale Klassifizierung Ab- und Ausgrenzung entstehen kann und dass sich die hierzu aufgerufenen Argumentationsmuster im Kern nicht unterscheiden, sind sie doch der gleichen diskursiv-dichotomen Perspektive verpflichtet. Alle sind sie motiviert durch die binäre Logik ›Wir‹ vs. ›Andere‹, die sich mal in dieser, mal in umgekehrter Weise verstetigt (vgl. Leiprecht/Lutz 2015: 293) und vor der schon Stuart Hall warnte: »Wir können schwarze Politik nicht länger mit der Strategie eines simplen Musters von Umkehrungen machen, indem auf den Platz des bösen alten, wesenhaft weißen Subjekts das neue wesentlich gute, schwarze Subjekt gesetzt wird.« (Hall 1994b: 18; zit. n. Leiprecht/Lutz 2015: 293)

Diese Warnung nimmt der Roman ernst: Der binären Logik des Eigenen und des Anderen wird in Identitti der alternative Entwurf fließender, nicht feststehender und somit nicht eindeutiger Identitäten entgegengesetzt; Identitäten, die bei aller (Meinungs)Differenz selbstverständlicher Teil dieser Gesellschaft sind: »Wir alle sind diese Gesellschaft. Es gibt unser aller Zusammenleben nicht ohne uns alle, deshalb müssen wir alle immer weiter vielstimmig und empathisch sprechen, streiten, uns versöhnen – und feiern!« (Sanyal 2021: 424)

Anmerkungen

1 Dieser Beitrag basiert auf meinem Vortrag Zur Dekonstruktion hegemonialer Identitätsentwürfe – Mithu Sanyals Identitti als postmigrantischer Roman, gehalten im Rahmen des 27. Germanistentags 2022. Der Vortragstext wurde 2023 in der Festschrift für Michael Hofmann veröffentlich (vgl. Hodaie 2023). Der vorliegende Beitrag greift den Vorlagentext auf (vgl. vor allem ebd.: 135-137), erweitert diesen allerdings erheblich.

2 Dies lehnt sich an Gayatri Spivaks berühmte Formulierung an: »unlearning one’s privilege as one’s loss« (Spivak 1996; zit. n. Castro Varela 2019).

3 Vgl. hierzu die nicht normierte sprachliche Gestaltung in Tomer Gardis Romanen Broken German (2016) und Eine runde Sache (2021) u.a.

4 Mithu Sanylas 2021 erschienener Bestsellerroman handelt von der skandalträchtigen Enthüllung von Saraswatis (einer gefeierten Professorin für Postcolonial Studies) passing und ihrer bisherigen Selbstinszenierung als indischstämmige Person of Color. Nivedita, Saraswatis Lieblingsstudentin, entzieht sich dem allgemeinen Drang, Saraswati bedingungslos zu verurteilen, und nimmt die Ereignisse zum Anlass, sich mit der Komplexität der Identitätskonstruktionen in der postkolonialen (Migrations)Gesellschaft auseinanderzusetzen.

5 Bereits hier schimmert die Idee der Konstruiertheit ethnisch bzw. kulturell gelesener Identitäts- und Zugehörigkeitskonstrukte durch, was Diskurskritik und Dekonstruktion verbindet und für die postkoloniale Theorie als elementar gilt. Als Analepse angelegt – weiß doch der/die Adressat*in an dieser Stelle bereits von Saraswatis passing – verbindet das Setting in einer kuriosen Weise die postkoloniale Identitätstheorie mit der Handlung, indem Saraswati die von ihr genannten Theorien buchstäblich inkarniert.

6 Dies macht sie jedoch nicht zu einem positiv konnotierten Vorbild, sondern zu einer in jeder Hinsicht ambivalent angelegten Figur, an der sich auch und vor allem die Frage nach Umsetzungsgrenzen postkolonialer Theorie in wunderbar plastischer Weise entzündet. Vgl. zur Ambivalenz der Saraswati-Figur Schweiger 2023.

7 Um die Frage nach dem Habitus fast in demselben Atemzug wiederum von der ethnisch gelesenen Herkunft zu lösen (vgl. Sanyal 2021: 370f.).

8 Das ist im Sinne einer essentialisierenden Ursprünglichkeit gemeint.

9 »Deutschland hat nach Hanau versagt«, ist das Fazit der Antidiskriminierungsbeauftragten des Bundes am Vorabend des vierten Jahrestages des rassistischen Attentats in Hanau (vgl. o.A. 2024).

10 Der Roman bleibt sich auch hier treu: In Niveditas Augen schmälert Saraswatis passing die Bedeutung ihres Wirkens, darunter auch ihrer Texte, für Nivedita letztendlich nicht: »Saraswati hat nun einmal einen enormen Unterschied in meinem Leben hergestellt, und in dem vieler anderer, die sich mit ihr und ihren Thesen beschäftigt haben. Selbst wenn dieser Unterschied auf einem Fake beruht, ist er nichtsdestotrotz real.« (Sanyal 2021: 304)

11 Der Begriff Identitätspolitik wird, so Michael Navratil, »gemeinhin auf ›linke‹, emanzipatorische politische Anliegen und auf den Kampf um Anerkennung vonseiten gesellschaftlich marginalisierter Gruppen bezogen. Streng begriffslogisch betrachtet handelt es sich freilich bei allen Formen gruppen- und identitätsassoziierter politischer Forderungen und Aktivitäten – also etwa auch im Kontext nationalistischer, völkischer oder ›identitärer‹ Bewegungen – um Formen von ›Identitätspolitik‹« (Navratil 2023: 121f.).

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