Resümee
Die Menschheit steht vor gewaltigen Herausforderungen, und wenn man die von der Forschung entwickelten Szenarien ernst nimmt, wird sie auch in Zukunft mit einer Vielzahl globaler, ineinander verwobener und immer komplexerer Krisen konfrontiert sein. Infolge dieser offenbar stetig zunehmenden Dynamik scheinen Unsicherheit und Dringlichkeit unsere Zukunft zu beherrschen. Die Option, das Ungewisse abzusichern und das Dringliche aufzuschieben, kann nicht mehr in Betracht kommen. Stattdessen plädieren wir für zukunftsorientierte Geisteswissenschaften, auf deren Grundlage eine Neue Aufklärung entstehen kann, die von einem interdisziplinären und transsektoralen Netzwerk getragen wird. Vor diesem Hintergrund möchten wir folgende Vorschläge unterbreiten:
- Das übergeordnete Ziel muss darin bestehen, die Geisteswissenschaften wieder mit jenen Disziplinen und Sektoren zu koppeln, die üblicherweise über Richtung und Umfang der zur Bewältigung der verschiedenen Herausforderungen eingesetzten Instrumente entschieden haben.
- Die Geisteswissenschaften sollten sich darum bemühen, den dringend benötigten Kompass ›Mensch werden im 21. Jahrhundert‹ zu konzipieren, der alle gegenwärtigen und zukünftigen Schritte in Richtung individueller, kollektiver und institutioneller Veränderungen strukturieren, verändern und ausrichten kann.
- Angesichts der Notwendigkeit, Brücken zwischen Disziplinen und Sektoren, Kulturen und Kontinenten sowie zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu schlagen, müssen die Geisteswissenschaften ihre integrativen Fähigkeiten nutzen.
- Um zum Angebot an Optionen für eine konstruktive, innovative und positive Zukunft beizutragen, können und sollten die Geisteswissenschaften Methoden anwenden, die über Kritisieren (criticism) und Kritik (critique) hinausgehen – wozu auch die Entwicklung von Programmen gehört, die Kompetenzen aus verschiedenen Disziplinen und Sektoren zusammenführen und erfolgreich rekombinieren.
- Um das ganze Potenzial der Geisteswissenschaften auszuschöpfen, bedarf es eines grundlegend überarbeiteten Konzepts für den Institutionenaufbau, das eine intensive kreative Zusammenarbeit befördert.
- Die Neue Aufklärung als Projekt, das im Wesentlichen auf die Überwindung verschiedener Herrschaftsschemata abzielt, sollte und kann von einem breit gefächerten, aber dennoch – und vielleicht gerade dadurch – geeinten Spektrum von Akteuren getragen werden.
- Diese gemeinsamen Bemühungen sollten Folgendes umfassen: die Entwicklung eines neuen Ansatzes zur Bewältigung von Komplexität; die Erforschung neuer Perspektiven für einen dynamischen Prozess der Universalisierung, den alle Menschen mittragen können; die Erprobung neuer Praktiken, Umweltfragen systematisch in den Mittelpunkt zu stellen; und die Sondierung neuer Denkweisen darüber, was im öffentlichen Interesse liegt und wie die diesbezügliche Resilienz gestärkt werden kann.
Alles in allem ist unser Diskussionsbeitrag ein Plädoyer für eine grundlegende Neuausrichtung der Geisteswissenschaften sowie des öffentlichen Diskurses, das die Geistes- und Sozialwissenschaften zum Handeln auffordert.74 Insbesondere aber ist er eine Einladung, sich mit uns auf den Weg zu machen, um die konzeptionellen Grundlagen einer Neuen Aufklärung zu schaffen.