Vorab
Bevor ich vor einiger Zeit begann, über das künstlerische Forschen nachzudenken, war meine ursprüngliche Absicht, den Einfluss der gegenwärtigen medialen Bilderwelten auf unser Selbst zu untersuchen. Wie bilden wir uns angesichts der umgebenden Bilder selbst – oder sollte ich ›bildern‹ schreiben? Schnell konnte ich bei diesem Unterfangen feststellen, dass künstlerische Arbeiten mitunter einsichtsvollere Antworten auf die Frage nach dem Verhältnis von Selbst und Bilderwelt anzubieten hatten, als die Bildphilosophie, die Medientheorie oder die Kulturwissenschaft – wenn auch auf ihre eigene, ästhetische Weise. Waren also die visuellen Künste ebenso gut geeignet, Fragen an die visuelle Kultur zu bearbeiten? Forscht die bildende Kunst an der pikturalen Umwelt unserer Gegenwart?
Mit dieser Beobachtung öffnete sich ein Feld an Problemen, dass zwar schon viel diskutiert war, aber wenig umfassende Antworten auf meine Fragen bereithielt. Brauchte es also eine epistemologische Ästhetik? Ohne es geplant zu haben, war ich in einem alten Interessengebiet gelandet: der kritischen Epistemologie. Eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit der Praxis, der Methode und der Herkunft des künstlerischen Forschens im Rahmen einer epistemologischen Ästhetik wurde unausweichlich und hat Jahre gebraucht.
Das Arbeiten an einer kritischen Epistemologie über die Kunst als Forscherin provoziert aber eine herausfordernde Frage: Benötigt die künstlerische Einsichtspraxis überhaupt ein epistemologisches Rahmenwerk außerhalb ihrer selbst, um sich als Forschung zu begreifen? Sollte ich – als Philosophin – besser aufhören über diese Angelegenheit zu schreiben, weil es Sache der Kunst wäre, ihre epistemische Qualität und Qualifikation zu bedenken und zu bearbeiten? Mir ging es in meinen theoretischen Überlegungen zunehmend darum zu zeigen, dass Kunst als Forschungspraxis, gerade aus ihren eigenen künstlerischen Artikulationsmethoden heraus Reflexionsformen entwickeln kann, die es ihr ermöglichen, ihre Inhalte zu kommunizieren und kritisch zu reflektieren. Die Kunst bedarf für ihre Reflexion und Kommunikation nicht der begrifflichen Philosophie. Aber – eine epistemologische Ästhetik schadet auch nicht, das Forschen mit den Mitteln der künstlerischen Praxis ideengeschichtlich einzuordnen und erkenntnistheoretisch zu verstehen. Vor dem Hintergrund ihrer eigenen Methodik kann forschende Kunst von einer Philosophie profitieren, die über die Grundlagen einer kritischen Epistemologie des Forschens nachdenkt. Aus der Perspektive einer solchen kritischen Epistemologie der künstlerischen Forschung – des ›Kunstens‹ als eines Forschens – habe ich also vor einiger Zeit begonnen, insbesondere für den Bereich der bildenden Künste über deren epistemische Praktiken nachzudenken und dieses Buch zu schreiben. Das Buch will dabei kein Beitrag zu einer umfassenden Theorie allen ästhetischen Forschens in allen Künsten sein. Es ist keine allgemeine epistemologische Ästhetik. Es ist nur ein Schritt in diese Richtung. Gerade die Debatten über die Kunst tendieren dazu, von Einzelfällen auf Generalthesen zu schließen oder grundverschiedene Künste zusammenzuwerfen. Um diesen Fehler zu vermeiden, geht es mir vornehmlich um bildproduzierende und szenische, also visuelle Künste. Allerdings werde ich auch – zu meiner ursprünglichen Fragestellung zurückkehrend – die These vertreten, dass angesichts der umfassenden visuellen Kultur, in der wir inzwischen leben, auch insbesondere die visuellen Künste geeignet sind, durch die Bildlichkeit, Objekthaftigkeit und Performativität ihrer Artikulationen, zum Verstehen dieser visuellen Kultur und unseres performativen Selbst forschend beizutragen.