7.Bürgerliche Gesellschaft und Despotie des Kapitals
Marx’ Kritik
7.1Die bürgerliche Klassengesellschaft
Bisher wurde deutlich, dass die bürgerliche Gesellschaft als Ausdruck kapitalistischer Produktionsverhältnisse für Marx kein Ergebnis eines singulären und historisch bedeutsamen Ereignisses ist und nicht auf irgendwelchen zeitlosen philosophischen Prinzipien basiert. Er sieht sie als Ergebnis des Handelns der Individuen, die sich der tatsächlich vorhandenen Kontingenz nicht bewusst sind, und welches innerhalb eines bestimmten und historischen bedingten und unbewussten Handlungszusammenhangs steht.
Aus den historisch bedingten Strukturprinzipien der bürgerlichen Gesellschaft ergibt sich eine bestimmte Gesellschaftsformation. Es ist dabei wiederum nur eine spezifisch historische Form und insofern auch Ausdruck der mit dem historischen Widerspruch einhergehenden Kontinuität. Gewissermaßen ließe sich mit Marx sagen, dass die bürgerliche Gesellschaft eine Gesellschaft der Klassen geblieben ist, wie es auch die römische Sklaven-, die mittelalterlich-feudale oder die ständische Gesellschaft schon waren.1 Die der ständischen Gesellschaft folgende bürgerliche Gesellschaft hat die Klassen nicht aufgehoben, sondern neue hervorgebracht. Die bürgerliche Klassengesellschaft setzt sich nicht mehr aus Sklaven und Stadtbürger oder Leibeigenen und Lehnsherren zusammen, sie ist geprägt durch »zwei große Lager […]: Bourgeoisie und Proletariat«2. Der Prozess der Herausbildung dieser zwei Klassen wird von Marx als allgemeine Verelendung beschrieben. Allerdings zeigt sich diese Verelendung auf zweifache, beim Proletariat und bei der Bourgeoisie unterschiedlich auswirkende Weise. Marx’ Gesellschaftskritik bildet maßgeblich an der historischen Zwangsläufigkeit der gesellschaftlichen Verhältnisse, also an der Formation der bürgerlichen Gesellschaft als Klassengesellschaft, was so etwas wie ein erster Gerinnungspunkt seiner Kritik ist.
Die sich wiederholende und reproduzierende kapitalistische Wirtschaftsweise »bedingt eine der Akkumulation von Kapital entsprechende [Herv. FB] Akkumulation von Elend«; insbesondere das Leben der von Lohnarbeit lebenden Menschen wird unabhängig der »Zahlung, hoch oder niedrig« immer elender.3 Die Entwicklung von Reichtum und Armut hängt laut Marx, wie bereits erläutert, miteinander zusammen: »In dem Maße, wie die Bourgeoisie sich entwickelt, entwickelt sich in ihrem Schoße ein neues Proletariat, ein modernes Proletariat.«4 Die Verelendung des Proletariats besteht demnach darin, dass sie immer wieder zum Verkauf ihrer Arbeitskraft, also zur Entäußerung ihres Lebens gezwungen sind, um damit überhaupt einen Lebensunterhalt zu erwirtschaften.
Doch auch aufseiten der Kapitalisten besteht laut Marx eine potenzielle Verelendung. Grundsätzlich ist jedes Kapital für sich genommen schon eine Konzentration von Produktionsmitteln und Arbeit. Jede weitere Akkumulation bedeutet eine Zunahme der Konzentration. »Das Wachstum des gesellschaftlichen Kapitals vollzieht sich im Wachstum vieler individuellen Kapitale.«5 Zwei Charakteristika sind dabei zu bemerken. Erstens ist die zunehmende Konzentration in einzelnen Händen begrenzt durch die Zunahme der gesellschaftlichen Produktivität. Zweitens stehen die einzelnen Kapitale in Konkurrenz zueinander und sind daher »durchkreuzt durch die Bildung neuer und die Spaltung alter Kapitale«6. Über die Konzentration hinaus können große Kapitale kleinere auch einfach vereinnahmen. Dies ist dann nur eine andere Verteilung und daher unabhängig von der gesellschaftlichen Produktivität. Marx definiert dies im Unterschied zur Konzentration als Zentralisation. Zentralisation basiert im Kern auf Größeneffekten, also einer günstigeren Produktion aufgrund geringerer Stückkosten, welche sich in den Preisen der Waren positiv widerspiegeln. Da alle Produzenten einer Ware auf dem Markt konkurrieren und dabei der günstigste Preis sich am ehesten durchsetzt, müssen kleinere Kapitale oftmals auf Produktionen ausweichen, die von den Großen nicht mehr verfolgt werden. Darin gehen sie meist bankrott beziehungsweise wenn nicht daran, dann am meist von den großen Kapitalen finanzierten Kreditwesen.7 Hier nur erwähnt sei auch, dass die von Marx regelmäßig als Folge der Funktionslogik der kapitalistischen Produktionsweise auftretenden ökonomischen Krisen ebenfalls Risiken für die Kapitalisten darstellen. Auch aufseiten der Kapitalisten ist also eine potenzielle Verelendung einprogrammiert, welche als Gefahr die grundsätzliche Dynamik technologischer Entwicklung der einzelnen Kapitalisten zusätzlich stark anregt. Diese sorgt dafür, dass kleinere Kapitalisten auf der einen Seite teils auch ins Proletariat hinabsinken und sich auf der anderen Seite durch Zentralisation und Konzentration immer weniger, aber immer reichere Kapitalisten herausbilden. Die Position als Kapitalist ist keineswegs gesichert, sondern ist selbst auf eigene Weise fragil. Der Widerspruch zwischen Besitzern von Kapital auf der einen und von reiner Arbeitskraft auf der anderen Seite intensiviert sich durch die Reproduktionsprozesse des Kapitals.
Die bürgerliche Gesellschaft unterscheidet sich nur angesichts der Konstellation der Akteursgruppen von allen geschichtlich vorangegangenen Formen, nicht aber hinsichtlich der Konstitution als Klassengesellschaft. Die Klasse tritt überhaupt erst im Verhältnis zu einem Gegenüber, einer anderen Klasse auf. Als Klasse an sich leben die zugehörigen Individuen lediglich unter gleichen ökonomischen Bedingungen. Erst im Gegensatz zur anderen Klasse werden sich die Individuen langsam ihrer Klassenlage bewusst; die Klasse an sich wird zur Klasse für sich.
»Die einzelnen Individuen bilden nur insofern eine Klasse, als sie einen gemeinsamen Kampf gegen eine andre Klasse zu führen haben; im Übrigen stehen sie einander selbst wieder in der Konkurrenz feindlich gegenüber.«8
So definiert Marx die Klasse als Klasse für sich. Stellt hier der Gegensatz der Klassen beziehungsweise der Klassenkampf als solcher die zentrale Definitionsbedingung dar, wird sich später zeigen, dass es vielmehr noch als um ein Bewusstsein der gemeinsamen Position um ein Bewusstsein über die bestehenden Verhältnisse beziehungsweise um ein Bewusstsein bestehender Handlungsalternativen oder der Kontingenz gesellschaftlicher Entwicklung geht. Die Klassengesellschaft bildet eine Einheit aus einem Gegensatz, dessen Elemente aufeinander verweisen. Die Klassengesellschaft als solche birgt ferner eine innere und vor allem strukturelle Konflikthaftigkeit. Diese Konflikthaftigkeit oder anders gesagt, Marx’ Bild der Gesellschaft als Hort von Widersprüchen ist wesentlich für sein dialektisches Denken.9 Da die Konkurrenz, dieses andere Charakteristikum der kapitalistischen Produktionsweise, sich auf alle sozialen Beziehungen auswirkt, gibt es auch innerhalb der Klassen immer wieder Konflikte.
Der Klassenzugehörigkeit folgt eine unterschiedliche Wahrnehmung der bürgerlichen Gesellschaft. So stellen zwar die
»besitzende Klasse und die Klasse des Proletariats […] dieselbe menschliche Selbstentfremdung dar. Aber die erste Klasse fühlt sich in dieser Selbstentfremdung wohl und bestätigt, weiß die Entfremdung als ihre eigne Macht und besitzt in ihr den Schein [Herv. FB] einer menschlichen Existenz; die zweite fühlt sich in der Entfremdung vernichtet, erblickt in ihr ihre Ohnmacht und die Wirklichkeit einer unmenschlichen Existenz«10.
Gerade der Bourgeoisie als der besitzenden Klasse erscheint somit ihre Lage in der Klassengesellschaft als durchaus komfortabel. Die darin liegende Entfremdung erscheint ihr gar als eigene Macht. Es ist der bürgerliche Kapitalist, der die Arbeitskraft kauft, sie beherrscht und sich den Mehrwert wiederholt aneignet. Die eigene Unterordnung unter die kapitalistischen Gesetzmäßigkeiten übersieht der Kapitalist dabei.
In dieser wiederholten Aneignung des Mehrwerts besteht laut Marx die einzige Form der Produktivität des Kapitals. Der vom Kapital ausgeübte »Zwang zur Surplusarbeit, zum Arbeiten über die unmittelbare Bedürftigkeit hinaus«, die wiederholte Subsumtion der Arbeit unter das Kapital ist Ausdruck der vom Kapitalisten ausgeübten Herrschaft über die Arbeit.11 Die Arbeit als entfremdete Lohnarbeit wiederum ist die Grundlage des kapitalistischen Verhältnisses von Arbeiter und Kapitalist und damit auch von den kapitalistischen Verhältnissen. Der Kapitalist herrscht über die von ihm eingekaufte Arbeit. Vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung ist das Herrschaftsverhältnis nach Marx nicht ungerecht. Für eine solche Bewertung braucht es erst einen anderen Maßstab, der später noch aufkommen wird.
Marx Beschreibung der bürgerlichen Gesellschaft als Klassengesellschaft beinhaltet eine Kritik. Diese richtet sich vorrangig nicht an der Ungerechtigkeit aus, sondern an der Zwangsläufigkeit der Formation selbst. Obgleich der tatsächlichen Existenz anderer Optionen produzieren die Individuen der bürgerlichen Gesellschaft ihre eigene klassenbedingte Unfreiheit. Die Bedeutung und Reichweite dieses Punktes sollen im Folgenden noch deutlicher werden.
7.2Der Überbau der kapitalistischen Verhältnisse
Nicht nur die Formation der bürgerlichen Gesellschaft als Klassengesellschaft ergibt sich aus dem historisch bedingten kapitalistischen Handlungszusammenhangs, sondern laut Marx die gesamte soziale Realität. Als Auszug dessen, wird im Folgenden ein Blick auf den bürgerlichen Staat und die – insofern – bürgerliche Politik geworfen. Denn gerade durch Staat und Politik könnte die gesellschaftliche Entwicklung bewusst und im Bewusstsein um die Kontingenz tatsächlich frei gestaltet werden. In ihnen könnte eine Quelle von Kontingenzbewusstsein liegen. Wie sich im Folgenden zeigen wird, setzt allerdings auch hier Marx’ Kritik an, und zwar in ähnlichem Ton, wie sie schon bei der Kritik an der Formation als Klassengesellschaft angeklungen ist. Die Zwangsläufigkeit der Logik des historischen Gegensatzes bestimmt in der bürgerlichen Klassengesellschaft auch Staat und Politik.12 Unter den bestehenden Verhältnissen bildet sich in beiden gerade kein Kontingenzbewusstsein und sind beide daher nicht in der Lage, die gesellschaftliche Entwicklung frei zu gestalten. Es wird sich zeigen, wie sehr sich die eigentliche Kontingenz der gesellschaftlichen Entwicklung im Unbewussten bewegt, beziehungsweise, wie sehr es die kapitalistischen Verhältnisse schaffen, das Bewusstsein zu bestimmen. Es deutet sich dabei eine erste Begründung der Radikalität der Marx’schen Reflexion an, die später behandelt wird.
Obgleich sich die Geschichtsschreibung oftmals an Staaten oder Imperien abarbeitet, bemerkt Marx, dass die Menschheitsgeschichte eigentlich immer »mit der Geschichte der Industrie und des Austausches studiert werden«13 muss. Seine Sichtweise zielt ab auf die Geschichte, was für ihn bedeutet, die Zusammenhänge von materieller Produktion und etwa der Geschichte von Staaten anzuschauen und dabei die historischen Gesetzmäßigkeiten hinter dem geschichtlichen Ablauf zu aufzudecken. Die Geschichte ist demnach laut Marx nicht an einzelnen Gebilden, sondern auch an »Bewußtsein, Religion, Philosophie, Moral etc. etc.«14 zu erklären und nachzuvollziehen. Für die ›etcetera‹ ließe sich etwa auch Politik einsetzen.15
In der kapitalistischen Produktionsweise setzen sich die Individuen, wie sich mehrfach in den vorherigen Abschnitten zeigte, durch ihr Handeln in bestimmte und immer offensichtlicher werdende, von ihrem eigenen Willen unabhängige Verhältnisse zueinander. Käufer und Verkäufer oder Arbeiter und Kapitalist etwa sind Ausdrücke dessen. Die Verhältnisse selbst sind eine Folge der Geschichte. Aus diesen Verhältnissen ergibt sich in der Gesamtheit die ökonomische Struktur einer Gesellschaft. Darin sieht Marx die tatsächliche Basis. Darüber erhebt sich »ein juristischer und politischer Überbau«16. Marx kritisiert gerade an der liberalen politischen Ökonomie, dass diese sozusagen verkehrtherum vorginge. Die bürgerliche Gesellschaft entscheidet sich nicht bewusst und frei für eine ökonomische Basis. Diese und damit eben die bürgerliche Klassengesellschaft selbst sind, wie bereits ezeigt wurde, selbst Folge der geschichtlichen Entwicklung der Produktion.17 Die Abstraktionen, theoretischen Gebilde und Axiome, die die politische Ökonomie zur Erklärung bemüht, sind Abbilder der aktuell produzierten Verhältnisse. Entsprechend können diese nur so lange Wirkung entfalten, wie ebendiese Verhältnisse existieren.18 »Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt.«19
Jede so ›produzierte‹ Gesellschaft geht laut Marx mit einer eigenen Eigentumsform einher: Stammeseigentum in der Stammesgesellschaft, Gemeindeeigentum in der Sklavengesellschaft, feudales Eigentum in der Ständegesellschaft, und Privateigentum in der bürgerlichen Gesellschaft.20 Alle politischen Formen bisheriger Gesellschaftsformationen sind nur verschiedene Ausdrücke von Klassenherrschaft – Monarchie, Republik oder Aristokratie, Herrschaft zugunsten einer oder mehrerer Personen oder vermeintlich aller, sind nur verschiedene Formen der Herrschaft einer Klasse über eine andere. Es zeigt sich die historische Kontinuität und zugleich die Spezifizität der bürgerlichen Gesellschaft in der historischen Entwicklung.
Den bürgerlichen oder »politische[n]« Staat als die »moderne Staatsgewalt« bezeichnet Marx dementsprechend als »Ausschuß, der die gemeinschaftlichen Geschäfte der ganzen Bourgeoisklasse verwaltet«.21 Natürlich kann nicht von einer einheitlichen Interessenlage aufseiten der Bourgeoisie ausgegangen werden. Gerade dafür ist der bürgerliche Staat gedacht; er soll das Gemeinsame in den verschiedenen Vorstellungen finden und repräsentieren.22 Schon immer waren die ökonomischen Verhältnisse gegebene Tatsachen, mit denen auch die mächtigste Monarchie umzugehen hatte, denen sie sich fügen musste.23 Auch der bürgerliche Staat ist also nicht etwa Ursache von ungleichen Eigentumsverhältnissen, sondern vielmehr geht er aus diesen hervor.24 Der bürgerliche Staat ist Instrument des Kapitals, um die Konsequenzen der kapitalistischen Produktion und ein Bewusstsein tatsächlicher Alternativen zu unterdrücken. Darin versichert sich das Kapital gegenseitig. Diese Versicherung wird allerdings »immer kostspieliger und scheinbar immer selbstständiger gegenüber der bürgerlichen Gesellschaft […], weil die Niederhaltung der exploitierten Klasse immer schwieriger wird«25. Der bürgerliche Staat ist für Marx daher nichts anderes als die »Maschine der Klassenherrschaft«26. Gerade als solcher spiegelt der bürgerliche Staat die Basis der kapitalistischen Produktionsverhältnisse nur wider.
Dieser Zusammenhang von Staat und kapitalistischen Produktionsverhältnissen besteht auch unbesehen der tatsächlichen staatlichen Verfasstheit. Auch der bürgerliche Staat als Republik unterliegt den gleichen Effekten, denn die staatliche Herrschaft bleibt laut Marx in jeder Verfasstheit die »organisierte Gewalt einer Klasse zur Unterdrückung einer andern«27. Das gilt unabhängig der »Form der Staatsmacht«, sei sie »legitimistisch, konstitutionell, republikanisch oder kaiserlich«.28 Auch die Republik, die vermeintlich und idealerweise im Sinne der gemeinschaftlichen Interessen der Allgemeinheit eingerichtet sein soll, bleibt eine Herrschaft einer Klasse über eine andere.
Auch Politik in der bürgerlichen Klassengesellschaft ist in Marx’ Verständnis kein Instrument freier Gestaltung oder Ort eines Kontingenzbewusstseins, sondern durchdrungen von den kapitalistischen Gesetzmäßigkeiten und Sachzwängen. Sie gilt ihm letztlich als Inbegriff der Selbstbeschränkung der bürgerlichen Gesellschaft. In ihr drückt sich das ganze Unbewusstsein, dieses Ergebnis der Verschleierung aus. So schreibt er vom politischen Verstand in der bürgerlichen Gesellschaft, dieser sei
»politischer Verstand, weil er innerhalb der Schranken der Politik denkt. Je geschäftiger, je lebendiger, desto unfähiger ist er zur Auffassung sozialer Gebrechen«29.
Politik als Überbau der kapitalistischen Produktionsweise ist per definitionem Ausdruck der Beschränkung und laut Marx damit unfähig zu tatsächlicher bewusster Gestaltung der eigentlich kontingenten Entwicklung. Politik ist unfähig dazu, reell existente Probleme überhaupt wahrzunehmen, geschweige denn sie zu lösen. Obgleich die politischen Möglichkeiten mit der Machtzunahme und dem Bedeutungsgewinn des und im bürgerlichen Staat scheinbar zunehmen, bleibt Politik dennoch ein Papiertiger. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass die kapitalistische Produktionsweise Schritt für Schritt die Beschränktheit von Politik immer deutlicher werden lässt und sie gleichzeitig immer mehr zu verkleiden versucht.
Die praktische Bedeutung davon zeigt sich insbesondere in Marx’ historischen Aussagen oder Bewertungen bürgerlicher, vor allem aber auch sozialdemokratischer Politik. Zehn-Stunden-Bill, Wahlrechtsreformen oder Sozialversicherungsgesetze hätten demnach überhaupt keinen Bezug zu den fundamentalen gesellschaftlichen Verhältnissen, sondern fänden ihre Notwendigkeit ebenso in kapitalistischen Sachzwängen.
Die Bourgeoisie ist nach Marx politisch weder fähig die gesellschaftlich-ökonomischen Verhältnisse tatsächlich gestalten zu wollen, geschweige denn dies überhaupt auch nur zu vermögen. Bourgeoise Politik kann nur die kapitalistischen Verhältnisse stabilisieren und aufbrechende gesellschaftliche Konflikte entweder durch staatliche Macht zu unterdrücken oder durch reformistische Politik zu kanalisieren versuchen. Die Bourgeoisie kann nur das Bestehende verwalten; ihr fehlt jegliches Interesse daran und vor allem auch das Bewusstsein dafür, die Grundlagen der Gesellschaft selbst frei zu gestalten.30 Deutlich wird dies, wenn der Blick auf die unmittelbare Herrschaft des Kapitals über die Arbeit fällt. Dass die Arbeiter ihre Arbeitskraft ›freiwillig‹ verkaufen, bedarf gar keines politischen Drucks, der ökonomische genügt vollends. Daher ist auch der Bereich begrenzt, in dem bürgerliche Politik überhaupt tätig werden möchte. Es wäre geradezu ein Fehler, etwa in die ökonomische Begründung der Notwendigkeit der Herrschaft des Kapitals über die Arbeit mit Politik zu stören. Es besteht sogar ein vitales Interesse daran, Politik zu begrenzen auf das, was möglich ist, um jeder Gefahr aus dem Weg zu gehen, die Struktur der ökonomischen Zusammenhänge aufs Spiel zu setzen.31 Bürgerliche Politik hat also in Marx’ Augen damit nicht nur keine Möglichkeit und kein Bewusstsein, sondern auch gar kein Interesse, über die eigenen Bedingungen hinaus zu gestalten. Deutlich wird seine Position etwa anhand einer Passage aus Der Bürgerkrieg in Frankreich, wo er die bürgerliche Politik der französischen Konservativen und Bürgerlichen beschreibt:
»Die zentralisierte Staatsmacht, mit ihren allgegenwärtigen Organen – stehende Armee, Polizei, Bürokratie, Geistlichkeit, Richterstand, Organe, geschaffen nach dem Plan einer systematischen und hierarchischen Teilung der Arbeit – stammt aus der Zeit der absoluten Monarchie, wo sie der entstehenden Bourgeoisgesellschaft als eine mächtige Waffe in ihren Kämpfen gegen den Feudalismus diente. […] Während der nachfolgenden Herrschaftsformen wurde die Regierung unter parlamentarische Kontrolle gestellt, d.h. unter die direkte Kontrolle der besitzenden Klassen. Einerseits entwickelte sie sich jetzt zu einem Treibhaus für kolossale Staatsschulden und erdrückende Steuern und wurde vermöge der unwiderstehlichen Anziehungskraft ihrer Amtsgewalt, ihrer Einkünfte und ihrer Stellenvergebung der Zankapfel für die konkurrierenden Fraktionen und Abenteuer der herrschenden Klassen – andererseits änderte sich ihr politischer Charakter gleichzeitig mit den ökonomischen Veränderungen der Gesellschaft. In dem Maß, wie der Fortschritt der modernen Industrie den Klassengegensatz zwischen Kapital und Arbeit entwickelte, erweiterte, vertiefte, in demselben Maß erhielt die Staatsmacht mehr und mehr den Charakter einer öffentlichen Gewalt zur Unterdrückung der Arbeiterklasse, einer Maschine der Klassenherrschaft.«32
Durch bürgerliche Politik kann daher weder die tatsächliche Kontingenz der gesellschaftlichen Entwicklung gezeigt werden, noch kann von ihr bewusste Gestaltung innerhalb dieser Entwicklung erwartet werden. Alle Vorhaben aus dieser Richtung werden im Kern immer auf die Stabilisierung oder Verwaltung des bestehenden Zustandes sowie dessen Verschleierung.33
Nochmal deutlicher wird Marx’ Position zur politischen Gestaltungsfähigkeit unter kapitalistischen Verhältnissen anhand seiner Aussagen zur Sozialdemokratie und deren politischer Ziele. Marx widerspricht der aus seiner Sicht irrigen Vorstellung, dass sich mit politischen Mitteln in den Händen von Einigen die gesellschaftlichen Differenzen der kapitalistischen Verhältnisse einfach aufheben ließen.
Über die Sozialdemokratie in Frankreich schreibt Marx in Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte und drückt damit sein Urteil über die Sozialdemokratie in ihrer reformistischen Auslegung insgesamt aus:
»Der eigentümliche Charakter der Sozial-Demokratie faßt sich dahin zusammen, daß demokratisch-republikanische Institutionen als Mittel verlangt werden, nicht um zwei Extreme, Kapital und Lohnarbeit, beide aufzuheben, sondern um ihren Gegensatz abzuschwächen und in Harmonie zu verwandeln.«34
Deutlicher könnte er seine Abneigung wohl kaum zum Ausdruck bringen. Die bürgerliche Klassengesellschaft kann nicht mit den dort zur Verfügung stehenden Mitteln von bürgerlich-republikanischer Demokratie oder sozialer Demokratie überwunden werden. Alle diese Instrumente sind Ausdruck der materiellen Grundlage der bürgerlichen Gesellschaft, der kapitalistischen Verhältnisse. Es müsste also erst diese Grundlage überwunden werden, was allerdings gleichbedeutend ist mit dem Untergang der bürgerlichen Gesellschaft und entsprechend eine andere Form von Politik bräuchte. Es zeigen sich hier erste Anzeichen dafür, dass Marx’ Begriff von Politik einen revolutionären Charakter hat oder sogar haben muss. Was die französischen Sozialdemokraten in ihrem Bewusstsein, daher auch in ihrem politischen Handeln beschränkt und sie damit nicht Vertreter des Proletariats als eigentliche revolutionäre Klasse ist,
»daß sie im Kopfe nicht über die Schranken hinauskommen, worüber sie nicht im Leben hinauskommt, daß sie daher zu denselben Aufgaben und Lösungen theoretisch getrieben werden, wohin jenen das materielle Interesse und die gesellschaftliche Lage praktisch treiben«35.
Substanzielle soziale Verbesserungen oder ein wirklich frei und bewusst gestalteter kontingenter Fortschritt sind innerhalb der bürgerlichen Klassengesellschaft für Marx auch für eine an Bewusstsein mangelnde sozialdemokratische Politik unmöglich. Wesentliche Änderungen können Folgen einer wesentlichen Änderung der gesellschaftlichen Struktur, nicht aber von strukturimmanenten Reformen sein. Er lässt sich über alle politischen Programme aus, die das Proletariat von der Bewusstwerdung und der Revolution durch den Verweis auf materielle Verbesserungen auf Basis der kapitalistischen Verhältnisse abbringen will. Marx kritisiert solche Bewegungen solange diese nicht die Politisierung und Bewusstwerdung des Proletariats anpeilen und die Überwindung des historischen Widerspruches avisieren, sondern
»administrative Verbesserungen, die auf dem Boden dieser Produktionsverhältnisse vor sich gehen, also an dem Verhältnis von Kapital und Lohnarbeit nichts ändern, sondern im besten Fall der Bourgeoisie die Kosten der Herrschaft vermindern und ihren Staatshaushalt vereinfachen«36.
Unter den kapitalistischen Verhältnissen kann Politik für Marx nur die Verwaltung ökonomischer Sachzwänge und Pfadabhängigkeiten sein. Die Institutionen der bürgerlichen Gesellschaft verwalten die bürgerliche Klassengesellschaft. Hier etwa ein Ministerium für Arbeit einzurichten, bedeute laut Marx nichts anderes als ein »Ministerium der Ohnmacht« oder »der frommen Wünsche« zu errichten; »neben der Bourgeoisie« gibt es keine Emanzipation des Proletariats.37 An einer anderen Stelle schreibt er, es sei schlichter »Unsinn«, »die Abschaffung der Konkurrenz unter Beibehaltung des Lohnes vorzuschlagen«.38 Er wendet sich auch hier gegen reformistische Bestrebungen, die auf Lohngerechtigkeit abzielen. In der Kritik des Gothaer Programms gipfelt Marx’ Kritik über die seiner Meinung nach vulgärsozialistischen Akteure der SPD, die es von den
»bürgerlichen Ökonomen übernommen [haben, FB], die Distribution als von der Produktionsweise unabhängig zu betrachten und zu behandeln, daher den Sozialismus hauptsächlich als um die Distribution sich drehend darzustellen«39.
Die Vorhaben der deutschen Sozialdemokratie, aber auch die anderer sozialdemokratischer Bewegungen, sind für Marx kein Schritt hin zur Befreiung der Politik von den kapitalistischen Verhältnissen, sondern nur eine andere Form des Verwaltungshandelns bestehender ökonomischer Sachzwänge. Dies zeigt sich ihm auch daran, dass die SPD etwa
»statt die bestehende Gesellschaft […] als Grundlage des bestehenden Staats […] zu behandeln, den Staat vielmehr als ein selbständiges Wesen behandelt, das seine eignen ›geistigen, sittlichen, freiheitlichen Grundlagen‹ besitzt«40.
Gerade darin wird seine Kritik deutlich, dass die SPD die ökonomische Basis der kapitalistischen Produktionsweise und damit letztlich ein mangelhaftes bürgerliches Bewusstsein über die vorhandenen Alternativen der gesellschaftlichen Entwicklung schon in ihr Programm aufgenommen hat. Die SPD avisiere und kritisiere nicht mehr die dem Staat zugrundeliegenden Verhältnisse, sondern sähe den bürgerlichen Staat als Instrument zur Überwindung oder mindestens zur Gestaltung der Verhältnisse, was an sich eine contradictio in adjecto sei. Die SPD hat damit seiner Ansicht nach selbst ihre eigenen politischen Ambitionen demaskiert. Alle reformistischen Programme dieser Provenienz adressieren aus Marx’ Perspektive nicht die Verhältnisse und eine Bewusstwerdung, sondern verbleiben vielmehr unter der ideologischen Herrschaft des Unbewusstseins. Ihnen bleibt die eigentliche Kontingenz der gesellschaftlichen Entwicklung und ihre Gestaltungsfreiheiten weiter nicht bewusst.
In Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte hinterlässt Marx ein weiteres eindringliches Bild hinsichtlich der Chancen von Verbesserungen innerhalb der kapitalistischen Verhältnisse. Auf der Suche nach der besseren Entscheidung, zwischen zwei bürgerlichen Regierungen stehend, vergleicht Marx die Position des Proletariats mit der von
»Buridans Esel, zwar nicht zwischen zwei Säcken Heu, um zu entscheiden, welcher der anziehendere, wohl aber zwischen zwei Trachten Prügel, um zu entscheiden, welche die härtere sei«41.
Gerade durch die angepriesenen, letztlich aber fehlgeleiteten Möglichkeiten der systemimmanenten sozialen Verbesserungen und insofern der ›Entschärfung‹ des Klassenkampfes wird die essenzielle Bedeutung des Bewusstseins der kapitalistischen Verhältnisse überdeutlich, auf das später noch eingehender eingegangen werden muss. An dieser Stelle sei zunächst nur festgehalten, dass das Bewusstsein um die existenzielle Ausbeutung generell sowie die kapitalistischen Verhältnisse Grundlage einer großen Solidarität und wirklich freien Gestaltungswillens sein kann. Es ist für Marx überhaupt unmöglich, mit den Instrumenten der bürgerlichen Gesellschaft in die Richtung der Emanzipation der Arbeiterklasse beziehungsweise der Menschheit etwas zu erreichen: »[D]ie Arbeiterklasse kann nicht die fertige Staatsmaschinerie einfach in Besitz nehmen und diese für ihre eignen Zwecke in Bewegung setzen.«42 Denn, so Marx an anderer Stelle, das »politische Werkzeug ihrer Versklavung kann nicht als politisches Werkzeug ihrer Befreiung dienen«43. Was von bürgerlicher Politik in der Sache nicht denkbar ist, scheint auch aus sozialdemokratischer Richtung oder in sozialdemokratischer oder sogar proletarischer Anwendung ein von Vornherein verfehltes Unterfangen zu sein.44
In der Deutlichkeit der Ablehnung aller strukturimmanenter Verbesserung liegt ferner die Begründung dafür, dass Marx gerade nicht als Gerechtigkeitstheoretiker falsch verstanden werden darf. Um es noch einmal zu betonen, die kapitalistische Produktionsweise basiert laut seiner Analyse darauf, dass der Arbeiter nur existieren kann, wenn er für das Kapital unbezahlte Mehrarbeit leistet und diesem damit Mehrwert produziert. Dieses System wird mit der Entwicklung der Produktivkräfte für das Proletariat immer drückender, »ob nun der Arbeiter bessere oder schlechtere Zahlung empfange«45. Aus diesem Grund überzieht Marx alle systemimmanenten Verbesserungen mit Kritik bis hin zu beißendem Spott, denn diese Forderung wäre, als ob der Sklave in der Revolution bemerkte: »Die Sklaverei muss abgeschafft werden, weil die Beköstigung der Sklaven im System der Sklaverei ein gewisses niedriges Maximum nicht überschreiten kann.«46
Es gibt insofern in der bürgerlichen Klassengesellschaft und im kapitalistischen Handlungszusammenhang, in den Worten Wolfgang Schieders, keine »Eigenständigkeit des Politischen«47. Damit ist auch gesagt, dass es ohne eine aktive Bewusstwerdung über die tatsächlichen gesellschaftlichen Verhältnisse kein Kontingenzbewusstsein und keine freie Gestaltung der Entwicklung geben kann. Alles ist durchdrungen von der kapitalistischen Ideologie und den Schleiern des historischen Widerspruchs. Der kapitalistische Handlungszusammenhang kann nur reproduziert werden, eine einheitliche und bewusste Gestaltung der Produktion durch die Gesellschaft ist bisher nicht möglich. An seinen Freund Annenkow schreibt Marx diesbezüglich:
»Setzen Sie bestimmte Stufen der Entwicklung der Produktion, des Verkehrs und der Konsumtion voraus, und Sie erhalten eine entsprechende soziale Ordnung, eine entsprechende Organisation der Familie, der Stände, der Klassen, mit einem Wort, eine entsprechende Gesellschaft. Setzen Sie eine solche Gesellschaft voraus, und Sie erhalten eine entsprechende politische Ordnung, die nur der offizielle Ausdruck der Gesellschaft ist.«48
Ohne die Aufklärung über die bestehenden Verhältnisse kann es kein Kontingenzbewusstsein und keine wirkliche politische Gestaltungsfreiheit geben. Dafür braucht es die vollständige Bewusstwerdung und darauf aufbauend die Überwindung der bisherigen Dynamik des Widerspruches zwischen angehäufter und unmittelbarer Arbeit. Alle aus dem individuellen menschlichen Handeln hervorgehenden Institutionen und Strukturen sind bisher Konsequenzen oder Ableitungen der ökonomischen Strukturen;49 sie ändern sich zwar, aber immer nur in Abhängigkeit zu den Transformationen der ökonomischen Basis. Die gesamte gesellschaftliche Realität ist Ergebnis der Eigendynamik und Eigengesetzlichkeit der ökonomischen Entwicklung: »Die Handmühle ergibt eine Gesellschaft mit Feudalherren, die Dampfmühle eine Gesellschaft mit industriellem Kapitalisten.«50
7.3Charaktermasken und Individualität
Aus den kapitalistischen Produktionsverhältnissen ergeben sich nicht nur die Strukturprinzipien der bürgerlichen Gesellschaft, sondern das individuelle Handeln ist dadurch auf spezifische Weise geprägt. Was in der bürgerlichen Klassengesellschaft herrscht, so Marx, seien »Freiheit, Gleichheit, Eigentum und Bentham.«51 Wie steht es um diese Prinzipien unter der Maßgabe von Marx’ Analyse der Entwicklung des historischen Gegensatzes von angehäufter und unmittelbarer Arbeit tatsächlich?
In einer Gesellschaft, die arbeitsteilig organisiert ist und auf Austausch von Tauschwerten basiert, jedes Individuum ein Austauschendes. Insofern hat jedes »dieselbe gesellschaftliche Beziehung zu dem anderen, die das andre zu ihm hat«52. Als austauschende Individuen ist ihre Stellung zueinander die der Gleichheit. Sobald Geld zum abstrakten Medium der Gesellschaft als Produktionsorganismus geworden ist, durch Lohnarbeit nur noch Tauschwerte produziert werden, treten also auch die austauschenden Subjekte einander als ununterscheidbar gegenüber. Sie alle sind dann nur noch Träger von gesellschaftlich durchschnittlicher Arbeitskraft, welche den Wert einer Ware, auch den der Arbeitszeit bemisst. Auch sind alle Individuen innerhalb des kapitalistischen Verhältnisses frei. Die Arbeiter sind als vermeintlich freie Individuen aus dem historischen Auflösungsprozess der Ständegesellschaft herausgekommen. Sie gehen nun vermeintlich freiwillig Lohnarbeitsverhältnisse mit den Kapitalisten ein. Marx fasst die individuelle Freiheit in der bürgerlichen Klassengesellschaft in ironischem Ton:
»Freiwillige Transaktion; Gewalt von keiner Seite; Setzen seiner als Mittel, oder als dienend, nur als Mittel, um sich als Selbstzweck, als das Herrschende und Übergreifende zu setzen; endlich das selbstsüchtige Interesse, kein darüberstehendes verwirklichend; der andre ist auch als ebenso sein selbstsüchtiges Interesse verwirklichend anerkannt und gewußt, so daß beide wissen, daß das gemeinschaftliche Interesse eben nur in der Doppelseitigkeit, Vielseitigkeit und Verselbständigung nach den verschiednen Seiten, der Austausch des selbstsüchtigen Interesses ist. Das allgemeine Interesse ist eben die Allgemeinheit der selbstsüchtigen Interessen.«53
Das vermeintlich freiwillig eingegangene Verhältnis zwischen Arbeit und Kapital verliert in Marx’ kritischer Analyse diesen Anschein der Freiwilligkeit. Er drückt sich dabei weitaus drastischer aus, wobei dabei der »Zynismus […] in der Sache und nicht in den Worten«54 liegt:
»Der römische Sklave war durch Ketten, der Lohnarbeiter ist durch unsichtbare Fäden an seinen Eigentümer gebunden. Der Schein seiner Unabhängigkeit wird durch den beständigen Wechsel der individuellen Lohnherrn und die fictio juris [Herv. FB] des Kontrakts aufrechterhalten.«55
Auch die Kapitalisten agieren in der bürgerlichen Gesellschaft kaum bewusst frei. Der Kapitalist »ist nur das personifizierte Kapital, fungiert im Produktionsprozeß nur als Träger des Kapitals«56. Kapitalisten sind überhaupt nur produktiv, indem sie wiederholt die Arbeit subsumieren, soweit wurde Marx’ kritische Analyse bereits erörtert. Die Kapitalisten stehen unter dem Zwang beständig »Surplusarbeit« zu attrahieren, den Arbeiter beständig »über die unmittelbare Bedürftigkeit hinaus« arbeiten zu lassen, wie Marx es ausdrückt.57 Die Konkurrenz unter den Kapitalisten sorgt ferner dafür, dass die einzelnen Kapitalisten beständig auf der Suche nach neuen Möglichkeiten der Produktivitätssteigerung sind. Der industriellen Produktion gilt der Produktionsprozess selbst nie als final, sondern immer als verbesserungsfähig. Insofern ist die industrielle Produktion immer dort revolutionär, wo frühere Formen im Wesentlichen konservativ waren.
Insofern ist auch das, was in der bürgerlichen Gesellschaft als Individualität und als Ausdruck des menschlichen Wesens erscheint, sozusagen nichts anderes als eine Reflexion der kapitalistischen Produktionsweise und Tauschwirtschaft sowie insgesamt der sich aus den kapitalistischen Verhältnissen ergebenden bürgerlichen Gesellschaftsordnung.58 Individualität, wirkliche Einzigartigkeit kann es in einer Gesellschaft nicht geben, wo die Individuen nurmehr Menschenware sind. Als Mensch ist der Arbeiter »zur Ware geworden« und kann sich als solche überhaupt glücklich schätzen, wenn er sich »an den Mann bringen kann«.59 Findet er keine Arbeit mehr, »so kann er sich begraben lassen, verhungern etc«60. Ein langer Prozess liegt dem zugrunde
»bis der ›freie‹ Arbeiter infolge entwickelter kapitalistischer Produktionsweise sich freiwillig dazu versteht, d.h. gesellschaftlich gezwungen ist, für den Preis seiner gewohnheitsmäßigen Lebensmittel seine ganze aktive Lebenszeit, ja seine Arbeitsfähigkeit selbst, seine Erstgeburt für ein Gericht Linsen zu verkaufen«61.
Alle Individuen sind in bestimmte Verhaltensweisen gezwungen, die sie durch das so notwendige Handeln auch reproduzieren. Das individuelle Handeln wird immer konformer62 und in der Klassengesellschaft in ein immer intensiveres Konfliktverhältnis gesetzt. Die bürgerliche Gesellschaft hat damit einen Grad an Konformität erreicht, der wirkliche Individualität nahezu ausgelöscht hat; sie hat im wahrsten Wortsinn den Menschen als »Menschenware«63 hervorgebracht: Der Mensch als isoliertes, eigennutzorientiertes und darin egoistisches Wesen. Keine freie Entscheidung, keine Kreativität oder sich entwickelnde menschliche Intelligenz, keine wirkliche Freiheit in der formellen Freiheit, sondern Zwang kennzeichnet die Despotie des Kapitals, und zwar umfassend und für alle Individuen, ganz gleich, wie diesen die Entfremdung und ihre eigene Situation erscheinen mag. Die Despotie des Kapitals verhindert die Vervollkommnung der Menschen durch sie selbst. Das menschliche Potenzial erstickt im kapitalistischen Verwertungszusammenhang.64
Eigentum ist das Objekt des Tausches. Ob nun Geld, Arbeitskraft, Brot oder Bücher, sie tauschen sich gegeneinander als Eigentum aus; im Tausch wechseln sie den Eigentümer. Der Tausch findet nicht direkt zur gegenseitigen Bedürfnisbefriedigung statt. Vielmehr werden die Bedürfnisse mittelbar erfüllt, weil in der Annahme die eigennutzorientierten Tauschaktionen die jeweiligen individuellen Bedürfnisse erfüllen. Die Individuen suchen aber nicht gemeinsam ihre gemeinsamen Bedürfnisse zu erfüllen. Marx stößt hier auf das gleiche Problem, mit dem sich schon die sogenannten Frühsozialisten65 auseinandersetzten, nämlich der Unvereinbarkeit von liberaler Freiheit und Solidarität oder dem menschlichen Gattungswesen. Eine kapitalistische Marktgesellschaft kann diese beiden Größen niemals auf einen Nenner bringen,66 weil Austausch und Kooperation den Individuen immer als Kampf gegeneinander erscheint. Jeder kämpft dabei nicht nur und berechtigterweise um die größtmögliche Erfüllung der eigenen Bedürfnisse, sondern auch noch allein. Obgleich die »Wechselseitigkeit« der Interessen in einer auf Austausch basierenden Gesellschaft ein »notwendiges fact,« von Marx deutlich als »natürliche Bedingung des Austausches« bezeichnet wird, ist gerade diese Wechselseitigkeit den Individuen gleichgültig.67 Sie ist nur insofern von Bedeutung, wie sie das eigene Interesse unter dem Ausschluss des anderen bedient. Die eigentlich wechselseitige und sich wechselseitig notwendig bedingende Bedürfnisbefriedigung findet völlig beziehungslos statt. Entsprechend schwer ist es, unter diesen Umständen ein gemeinschaftliches Interesse zu finden. So beschreibt Marx das Gemeininteresse folgendermaßen:
»D.h., das gemeinschaftliche Interesse, was als Motiv des Gesamtakts erscheint, ist zwar als fact von beiden Seiten anerkannt, aber als solches ist es nicht Motiv, sondern geht sozusagen hinter dem Rücken der in sich selbst reflektierten Sonderinteressen, dem Einzelinteresse im Gegensatz zu dem des andren vor.«68
Im Kapital schreibt er dazu:
»Das bloß atomistische Verhalten der Menschen in ihrem gesellschaftlichen Produktionsprozess und daher die von ihrer Kontrolle und ihrem bewussten individuellen Tun unabhängige, sachliche Gestalt ihrer eigenen Produktionsverhältnisse erscheinen zunächst darin, dass ihre Arbeitsprodukte allgemein die Warenform annehmen.«69
Die Bedeutung von Geld und Eigentum nimmt im Prozess der Reproduktion und Akkumulation und mit der Relevanz der Lohnarbeit zu. Die Individuen gehen aus dem reproduktiven Akkumulationsprozess des Kapitals als immer stärker individualisiert und isoliert, stärker auf den individuellen Nutzen orientiert und dem Eigentum eine größere Rolle einräumend hervor. Außerdem zeigen sich individuell bürgerliche Freiheit und Gleichheit immer stärker als Verschleierung faktischer Zwangsläufigkeit, fehlender Individualität unter einer zunehmenden Konformität und materieller Ungleichheit, die sich aus der kapitalistischen Produktionsweise selbst für alle Individuen ergeben; wo die Arbeiter immer deutlicher zur Arbeit, sind die Kapitalisten zu Investitionen und der Entwicklung der Produktivkräfte gezwungen. Armut auf der einen und Reichtum auf der anderen Seite sind die immer wieder aus dem Prozess hervorgehenden Grundlagen und stoßen ihrerseits immer erneut den kapitalistischen Produktionsprozess an.70
Doch gerade hinsichtlich der Freiheit stellt etwa Teinosuke Otani die Frage, ob denn nicht die Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise vielleicht neue Freiheiten ermöglichte, etwa im Gegensatz zur Situation in der Ständegesellschaft, und, ob Marx diese Freiheitsgewinne zu wenig beachtete. Teinosuke Otani hält fest, dass die Entwicklung der Produktivkräfte und damit die kapitalistischen Verhältnisse mit einer größeren Freiheit etwa von Naturnotwendigkeiten aufgrund der höher entwickelten Produktivkräfte einhergingen.71 Dies begründet sich ihm zufolge damit, dass das Überleben der Menschen immer weniger von der Natur und stattdessen immer mehr von den kapitalistischen Produktionsverhältnissen abhing. Allerdings wurde zwar das Überleben durch die Entwicklung der kapitalistischen Verhältnisse immer weniger abhängig vom natürlichen Zufall, jedoch gleichzeitig immer abhängiger vom Regime der kapitalistischen Produktionsweise. Ergänzt werden kann hier, dass sich diese Freiheitsgewinne auch positiv auf eine weitere Dimension von Freiheit auswirken, und zwar hinsichtlich der liberalen Freiheit, wonach die Individuen vor willkürlichen Eingriffen anderer geschützt und voneinander unabhängig sind. Die Freiheit zwischen den Individuen, ihre persönliche Unabhängigkeit nimmt zu. Die Individuen sind in der bürgerlichen Gesellschaft formell gleich und auch gleich frei. Niemand ist formell gezwungen, mit anderen Individuen zu interagieren oder zu tauschen, also in eine ökonomische Beziehung zu treten. Den kapitalistischen Verhältnissen muss durchaus eine befreiende Wirkung zugestanden werden. Offensichtlich ist aber auch, dass sich in der bürgerlichen Klassengesellschaft die Frage der Verteilung dieser individuellen und formellen Freiheit geht. Aufseiten des Proletariats zeigt sich auch unter den Bedingungen der formellen Freiheit weitaus rascher die materielle Unfreiheit als aufseiten der Kapitalisten. Das Leben der Proletarier ist gezwungenermaßen elend. Die Proletarier müssen ihre Arbeitskraft, zu welchem Preis auch immer, verkaufen, um ihr Überleben zu sichern. Die Kapitalisten müssen zwar ihrerseits die Produktivkräfte entwickeln, doch dieser Zwang erscheint ihnen deutlich komfortabler und vielfach sogar als Ausdruck ihrer Herrschaft über die Arbeit oder sogar als Ausdruck ihrer individuellen Entscheidung.
Auch muss hinsichtlich der Betätigungsfreiheit der bürgerlichen Klassengesellschaft insgesamt ein Zuwachs zugestanden werden. Die kapitalistischen Verhältnisse basieren auf der Auflösung alter ständischer Zwänge individuellen Handelns. Wo früher Variation in den Lebensumständen auch über Generationen hinweg nur selten zu beobachten war, ist heute durchaus eine größere Vielfalt an Berufen und Lebensumständen zu sehen. Dieser Umstand ist allerdings ambivalent, denn die Äußerung von Arbeit ist unter den kapitalistischen Verhältnissen eben Entäußerung, und zwar Entäußerung unter Zwang und unter fremder Aneignung des Produktes, also entfremdeter Entäußerung.72 Verändert hat sich also nur die Form des Zwangs, der Zwang selbst ist nicht fortgefallen. Daher ist auch der Freiheitsgewinn in diesem Zusammenhang kaum mehr als ein hohles Wort.
Sehen die liberalen Denker seit der Aufklärung mehrheitlich auf der einen Seite die menschliche Natur in der Romanfigur Robinson Crusoes gut eingefangen, Individualismus, ökonomischen Egoismus und totale Fixierung auf die Eigeninteressen als die Kennzeichen der wahren menschlichen Natur, sagt Marx auf der anderen Seite:
»Der einzelne [Herv, FB] Jäger und Fischer, womit Smith und Ricardo beginnen, gehört zu den phantasielosen Einbildungen der 18.-Jahrhundert-Robinsonaden, die keineswegs, wie Kulturhistoriker sich einbilden, bloß einen Rückschlag gegen Überverfeinerung und Rückkehr zu einem mißverstandenen Naturleben ausdrücken. So wenig wie Rousseaus contrat social, der die von Natur independenten Subjekte durch Vertrag in Verhältnis und Verbindung bringt, auf solchem Naturalismus beruht. […] Es ist vielmehr die Vorwegnahme der ›bürgerlichen Gesellschaft‹, die seit dem 16. Jahrhundert sich vorbereitete und im 18. Riesenschritte zu ihrer Reife machte.«73
Die vermeintlichen Kennzeichen einer wahren menschlichen Natur, sind laut Marx also Ergebnis eines historischen Entwicklungsprozesses. Die Individuen sind, wie sie produzieren; sie produzieren sich und ihre Natur. Das egoistische, eigennutzorientierte und individualistische Individuum ist produziertes Ergebnis der bürgerlichen Klassengesellschaft und nicht Ausdruck einer vermeintlichen Natur desselben.
Im Grunde ließe sich dieser Zusammenhang durch folgende Aussage erfassen: Alle Individuen agieren immer als Rädchen im kapitalistischen Getriebe nach dessen Eigengesetzlichkeit. Marx fasst das im Begriff der »Charaktermasken«74, deren Rollenbeschreibung durch die kapitalistischen Verhältnisse vorgegeben werden. Mit der Entwicklung der kapitalistischen Produktion wird das individuelle Handeln immer stärker durch die Charaktermasken bestimmt. Generell behandelt Marx Kapitalisten und Proletarier nur als »Personifikation ökonomischer Kategorien« und als »Träger von bestimmten Klassenverhältnissen und Interessen«.75 Das individuelle Handeln ist unter den kapitalistischen Verhältnissen durch Makrophänomene bestimmt.76 Die Individuen sind damit kaum mehr als »bestimmte gesellschaftliche Charaktere, die der gesellschaftliche Produktionsprozeß den Individuen aufprägt [Herv. FB]«; als solche sind sie »Produkte dieser bestimmten gesellschaftlichen Produktionsweise.«77
Die Grundlage des Verhältnisses von Kapital und Lohnarbeit ist zugleich Grundlage der Charaktermasken. Arbeiter oder Bourgeois beziehungsweise Kapitalist sind die Rollen, unter die die Individuen in der bürgerlichen Gesellschaft ›subsumiert‹ sind.78 Diese Masken finden die Individuen allerdings nur in der bürgerlichen Klassengesellschaft und nicht als natürliche Bedingung vor; sie sind die Formen, in denen die Individuen als Durchschnittsindividuen an der bürgerlichen Gesellschaft teilnehmen.79 Die individuelle Verschiedenheit verschwindet so hinter den abstrakten Charaktermasken – Individualität wird so in der bürgerlichen Gesellschaft zu einem leeren Begriff.
Die gesamte soziale Zusammensetzung der bürgerlichen Gesellschaft wird zu einem Arrangement aus verschiedenen Beziehungen verschiedener Sachen zueinander, nicht der von Individuen: Der Arbeiter ist nicht Arbeiter, sondern Träger von Arbeitskraft so wie der Kapitalist Geldbesitzer und die Waren nicht individuelle Produkte, sondern Träger von Tauschwert sind. Innerhalb der kapitalistischen Strukturen, die den individuellen Egoismus forcieren, sind alle auf der Suche nach der eigenen Besserstellung. Die Maximierung des eigenen Nutzens ist das bestimmende Ziel der durch die kapitalistische Produktionsweise zunehmend egoistisch werdenden Individuen. Menschen, die sich auf dem Markt treffen, sind nur von ihren eigenen Interessen geleitet und können daher ihr Gegenüber gar nicht in der vollen Individualität wahrnehmen. Vielmehr nennt Marx die gegenseitige Anerkennung einen »Kampf«80. Es geht darum zu gewinnen, und zwar zulasten der anderen. Marx kritisiert hier einmal mehr die kapitalistischen Verhältnisse, weil dadurch die eigentliche gegenseitige Abhängigkeit der Bedürfnisse mithilfe der Zwischenschaltung des Geldes und des ›freien‹ Marktes versteckt sowie grundsätzlich pervertiert wird. Dies sind die Bahnen, welche die kapitalistische Produktionsweise immer wieder und fester schlägt. In diesen Bahnen bewegen sich die Individuen.
Marx beschreibt, dass unter den Bedingungen der kapitalistischen Produktionsweise Arbeit nicht mehr »unmittelbare Subsistenzquelle«81 oder die Äußerung individuellen Lebens sein kann. An anderer Stelle konstatiert Marx diesbezüglich, dass Arbeit unter kapitalistischen Umständen generell »Zwangsarbeit«82 ist. Dieser Zwang ist allerdings innerhalb des bürgerlichen Denkhorizonts kein Ausdruck von Unfreiheit oder herrschaftlichen Zwang, sondern entspricht der Logik von Produktion, Austausch und individueller oder formeller Freiheit.83 Das Verhältnis von Arbeiter und Kapitalist bleibt allerdings immer ein Zwangsverhältnis, auch wenn es auf formell freier vertraglicher Grundlage besteht.84 Alle Individuen, die durch Arbeit ihren Lebensunterhalt erwirtschaften, unterliegen dabei diesen Tendenzen, die ja Ausdruck des Wesens der Arbeit als Lohnarbeit sind. Daher sinken auch kleine Angestellte, selbstständige Handwerker oder Kleinbauern zusehends ins Proletariat hinab und vergrößern es als Klasse, was die Polarisierung beziehungsweise die Verelendung der Klassengesellschaft weiter steigert. Arbeit unter den Bedingungen der kapitalistischen Produktionsweise wird ihrem Wesen nach zur Quelle des Elends sowohl physischer wie psychischer Natur der Arbeiter. Das lohnarbeitende Individuum fühlt sich »nur mehr in seinen tierischen Funktionen, Essen, Trinken und Zeugen, höchstens noch Wohnung, Schmuck etc.« als frei und damit »in seinen menschlichen Funktionen nur mehr als Tier«.85
7.4Despotie des Kapitals
Aus dem Bisherigen wurde bereits ersichtlich, warum Marx die gesamte bürgerliche Klassengesellschaft, also auch die Kapitalisten, als der »unmenschliche[n] Macht«86 der kapitalistischen Verhältnisse untergeordnet beschreibt. Die aus den kapitalistischen Verhältnissen hervorgehende bürgerliche Klassengesellschaft ist eine Gesellschaft kapitalistischer Sachzwänge und Ausdruck der »Despotie des Kapitals.«87 Die Individuen sind als Träger ihrer Charaktermasken wie die bürgerliche Gesellschaftsordnung insgesamt Produkt der kapitalistischen Produktionsweise. Im Folgenden soll dargelegt werden, dass sich diese Form der Despotie daran festmachen lässt, dass gerade sich die Gesellschaft der eigenen kontingenten Entwicklung gerade nicht bewusst ist und daher auch keine Gestaltungsfreiheit in dieser Hinsicht hat. Die bürgerliche Klassengesellschaft ist insofern politisch unfrei. Sie hat keinen bewussten Zugriff auf ihre eigene Zukunft.
Das Kapital ist selbst »kein Ding, sondern ein bestimmtes, gesellschaftliches, einer bestimmten historischen Gesellschaftsformation angehöriges Produktionsverhältnis«88. Als solches geht es weit darüber hinaus, schlichte Ansammlung an Produktionsmitteln, Geld oder vergegenständlichter Arbeit zu sein. Es ist vielmehr selbst nichts anderes als die
»Mystifikation der kapitalistischen Produktionsweise, die Verdinglichung der gesellschaftlichen Verhältnisse, das unmittelbare Zusammenwachsen der stofflichen Produktionsverhältnisse mit ihrer geschichtlich-sozialen Bestimmtheit«89.
Den kapitalistischen Produktionsverhältnissen kommt Bedeutung aus dem »Unbewusstsein der Betroffenen«90 zu, wie István Mészaros bemerkt. Die kapitalistischen Verhältnisse sind in der Lage, sich dem menschlichen Zugriff zu entziehen. Sie verschwinden hinter dem selbstgeschaffenen Schleier. Die Funktionslogik der bürgerlichen Gesellschaft erscheint danach als naturgesetzlich. Stavros Tombazos bezeichnet die kapitalistischen Verhältnisse daher treffend als »living thing«91. Es ist ein Lebewesen wie das Frankenstein’sche Monster, denn das Kapital und die kapitalistischen Verhältnisse sind vom Menschen geschaffen und beherrschen diesen dann. Diese Macht der kapitalistischen Verhältnisse basiert wiederum gerade darauf, dass es aus vielen einzelnen Handlungen zusammengesetzt ist. In den Worten des Autoren Thomas Steinfeld: Das Kapital ist ein »Kollektivsubjekt, das keiner je gesehen hat, dessen Wirken aber alle täglich erfahren«92. Das Kollektivsubjekt sind die Individuen, die in die kapitalistischen Handlungszusammenhänge gestellt sind. Der Historiker Leonard Krieger drückt es in einem Beitrag ebenfalls sehr treffend aus: Für Marx sind die Individuen sowohl Autoren als auch Akteure ihrer eigenen Geschichte und dies zeige sich überall, in den Produktionsverhältnissen, den sozialen Beziehungen und den gesellschaftlichen Kategorien.93 Die Despotie des Kapitals muss also als Zustand der Unfreiheit und des fehlenden Bewusstseins über die Kontingenz der gesellschaftlichen Entwicklung verstanden werden, der sich vermittels des formell freien Handelns ergibt. Das ist das Neue an dieser Despotie. Die bürgerliche Klassengesellschaft kennzeichnet sich laut Marx also durch eine unpersönliche und objektive Herrschaft der kapitalistischen Handlungszusammenhänge.94 Bedeutsam daran ist, dass diese despotische Herrschaft, ob ihres Grades an Abstraktheit und Universalität weitaus schwieriger zu erkennen ist, gerade weil sie eine Herrschaft der Produktions- und Zirkulationsverhältnisse, ergo der individuellen Handlungen und deren Zusammenhänge darstellt und insofern erstens selbst stumm wirkt und zweitens scheinbar von nirgendwoher ausgeht. Niemandem kann mehr die eindeutige Verantwortung für die Herrschaft der Ordnung zugeschrieben werden. Die Verantwortungsdiffusion führt zu einer wahrgenommenen Verantwortungsauflösung. Dazu Marx:
»Weniger als jeder andere kann mein Standpunkt, der die Entwicklung der ökonomischen Gesellschaftsformen als einen naturgeschichtlichen Prozeß auffaßt, den einzelnen verantwortlich machen für Verhältnisse, deren Geschöpf [Herv. FB] er sozial bleibt, sosehr er sich auch subjektiv über sie erheben mag.«95
»Nicht die Götter, nicht die Natur, nur der Mensch selbst kann diese fremde Macht über den Menschen sein.«96 Das Kapital als Sache kann Macht nur über die Kapitalisten ausüben, so wie Gott nur über Priester oder die Kirche Macht ausüben kann. Despotie ist für Marx daher primär kein politisches Phänomen. Vielmehr erkennt er in der neuen Zeit die Despotie als Ausdruck von fehlender Gestaltungsfreiheit beziehungsweise von Gestaltungsunfähigkeit aufgrund eines fehlenden Kontingenzbewusstseins. Die Individuen, die gesamte bürgerliche Gesellschaft und ihre Entwicklung sind bisher nur ›Geschöpfe‹ der kapitalistischen Verhältnisse. Es ist ein »eigentümliche[s] Herrschaftsverhältnis«97. Die Verhältnisse selbst sind zugleich überall und nirgends zu finden.
Alles ist dem kapitalistischen Verhältnis, dem Widerspruch zwischen Kapital und Lohnarbeit als der finalen Entwicklungsstufe des historischen Gegensatzes von angehäufter und unmittelbarer Arbeit unterworfen. Alle Individuen der bürgerlichen Gesellschaft wissen laut Marx nicht wirklich, was und wie ihnen geschieht; die Begriffe und Zusammenhänge der kapitalistischen Produktionsweise und der bürgerlichen Gesellschaft sind damit für alle gleichermaßen undurchsichtig.98 Marx kritisiert direkt die Verschleierung dieses Zusammenhangs durch die Begrifflichkeiten und Erklärungen der liberalen politischen Ökonomie.
Der Mangel an Kontingenzbewusstsein fällt ebenso wenig auf, wie die Tatsache, dass die bisherige gesellschaftliche Entwicklung historisch vorgezeichnet und eben nicht frei gestaltet wurde. Alles scheint der menschlichen Natur oder menschlichen Wollens zu entspringen. Alles passiert hinter den Schleiern der kapitalistischen Verhältnisse als historische Entwicklungsform des alten Widerspruchs zwischen unmittelbarer und angehäufter Arbeit.
»Daß also nicht nur die Voraussetzung keineswegs weder eine aus dem Willen noch der unmittelbaren Natur des Individuums hervorgehende, sondern eine geschichtliche ist und das Individuum schon als durch die Gesellschaft bestimmt setzt.«99
Die bisherige Geschichte bestimmt die gesellschaftliche Entwicklung und die Individuen. Die Schleier verhindern bisher nicht nur die Bewusstwerdung der eigentlichen Kontingenz der gesellschaftlichen Entwicklung, sondern damit auch das Bewusstwerden der eigentlichen Gestaltungsmöglichkeiten.
Die bürgerliche Klassengesellschaft scheint nur eine durch die Individuen hervorgebrachte und politisch gestaltete Gesellschaft zu sein ebenso, wie die Individuen nur scheinbar über sich selbst bestimmen und innerhalb des kapitalistischen Handlungszusammenhangs nur scheinbar und formell frei sind. Gerade die kapitalistischen Verhältnisse basieren auf Erscheinungen, die das eigentliche Wesen verschleiern; erinnert sei hier an den Fetisch der Warenform und den Geldfetisch. Außerdem scheint die bürgerliche Gesellschaft geradezu auf Gleichheit und Freiheit aufzubauen.100Auch scheint die bürgerliche Gesellschaft, so Marx kritische Bewertung, der Natur des Menschen am ehesten zu entsprechen. Grundlage dessen sind Ideologien, die als ›falsches Bewusstsein‹ die eigentlichen Verhältnisse verkleiden. So sind etwa Arbeitsteilung und Entfremdung eigentlich Produkte der Geschichte und insofern menschengemacht. Werden sie nicht mehr als dergestalt, sondern als natürlich angesehen, so sind sie zu einem falschen Bewusstsein geworden, welches die wirklichen Verhältnisse falsch widerspiegelt.101 In dem Zusammenbruch sozialer Tatsachen zu vermeintlich natürlichen Gegebenheiten liegt überhaupt die Möglichkeit der Mystifizierung der verschiedenen Formen von Fetischismus. Die kapitalistische Produktionsweise suggeriert, am besten dem menschlichen Wesen zu entsprechen, obgleich dieses menschliche Wesen keine ahistorische Konstante, sondern vielmehr Ergebnis der kapitalistischen Produktionsverhältnisse selbst ist.102 Die gleiche Wirkung kommt nicht nur der kapitalistischen Produktionsweise, sondern auch der aus ihr zwangsläufig hervorgehenden bürgerlichen Gesellschaftsordnung zu. Gerade die kapitalistischen Verhältnisse trennen besonders geschickt Erscheinung und Wesen voneinander und verweisen dann auf die Wahrhaftigkeit der Erscheinung. Auch diese Erscheinungen und Schleier werden innerhalb der kapitalistischen Verhältnisse von den Individuen selbst reproduziert und als etwas Natürliches angesehen.103 Um im von Marx selbst genutzten Bild zu bleiben: Die kapitalistischen Verhältnisse sind besonders gut, zu suggerieren, dass die Erde stillsteht, die Sonne sich hingegen bewegt. Nun braucht es die kritische Wissenschaft und Gesellschaftskritik, um hinter diese Erscheinung blicken zu können und ein Bewusstsein davon zu bilden, dass es tatsächlich die Sonne ist, die sich um die Erde dreht.104 Es zeigt sich daran, dass Marx’ kritische Gesellschaftsanalyse als rationale Aufklärung verstanden werden muss. Er beabsichtigt nicht irgendeine Verschwörung, etwa der bösen Bourgeoisie, zu beschreiben. Er klagt mit seiner Analyse die kapitalistischen Verhältnisse und deren Verschleierung in der bürgerlichen Gesellschaft an. Aus diesen Verhältnissen gehen auf der einen Seite beständig Individuen hervor, die vom System, das sie beherrscht, stark profitieren und denen dieser Zustand als vergoldeter Zustand kaum problematisch erscheinen kann. Auf der anderen Seite bringt die bürgerliche Klassengesellschaft auch beständig Individuen hervor, die immer elender, machtloser werden und sich immer mehr voneinander isolieren. Die kapitalistischen Verhältnisse wirken sich bei ihnen so verheerend aus, dass ihnen selbst der Aufstand dagegen fast unmöglich erscheint; ganz unbesehen des aus der allgemeinen Konkurrenz der Individuen untereinander sprießenden Egoismus, der jedwede kollektive Aktion erschwert.
Die kapitalistischen Verhältnisse als »Strukturbedingungen« der bürgerlichen Gesellschaft »mach[en] die reale Verkörperung des Gemeinwesens in Form einer freien und bewusst gestalteten Assoziation unmöglich«105, wie Joachim Hirsch und andere festhalten. Die bürgerliche Klassengesellschaft ist, so Marx kritische Analyse, eine Realität, in der »der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist«; es sind Verhältnisse, die Marx an gleicher Stelle bissig mit einem Ausruf eines Franzosen belegt: »Arme Hunde! Man will euch wie die Menschen behandeln!«106 Für Axel Honneth sind daher die kapitalistischen Verhältnisse »nicht bloß als ein Unrecht der gesellschaftlichen Verhältnisse« zu verstehen und auch kein moralisches Problem, sondern eine »Pathologie«, und zwar, weil sie »den Menschen aller Aussichten auf ein gutes Leben beraub[en]«.107
Obgleich Freiheit und Gleichheit wesentliche Werte der bürgerlichen Klassengesellschaft sind, drücken sich auch darin kapitalistische Zwänge aus. Eine freie Gestaltung der gesellschaftlichen Entwicklung ist bisher nicht möglich. Die Entwicklung zeigt sich nur als ökonomischer Fortschritt und auch bestimmt durch die ökonomische Eigendynamik und Eigengesetzlichkeit.
Wohin die Gesellschaft sich entwickelt, was ihre Zukunft, wie und wohin ihre Entwicklung verläuft, sind keine Fragen bewusster Gestaltung, denn es fehlt das Bewusstsein der Kontingenz der gesellschaftlichen Entwicklung. Doch ohne dieses, was kann Gestaltungsfreiheit dann mehr sein als die Verwaltung der vermeintlich natürlichen kapitalistischen Verhältnisse? Damit ist auch gezeigt, dass für Marx Gestaltungsfreiheit und Kontingenzbewusstsein keine natürlichen Eigenschaften der neuen Welt sind. Sie müssen erst noch erreicht werden. So lange sie das noch nicht sind, ist auch das individuelle Leben, ganz gleich unterschiedlichen Komforts, nicht frei, sondern elend und unbewusst fremdbestimmt.
1An dieser Stelle zeigt sich ein größerer Zusammenhang von Klassengesellschaft, Mehrwert und Arbeitsteilung, auf den hier in aller Kürze genauer eingegangen werden soll. Erst mit der Teilung der Arbeit zwischen »der materiellen und geistigen Arbeit« wird Arbeitsteilung wirklich. Erst ab diesem Moment ist es möglich, dass sich das Bewusstsein einbilden kann, »etwas Anderes als das Bewußtsein der bestehenden Praxis zu sein.« K. Marx/F. Engels, Die deutsche Ideologie (1959), S. 31. Möglich ist diese Arbeitsteilung erst ab dem Moment, ab dem ein Mehrwert produziert wird. Die Existenz rein geistiger Arbeit basiert darauf, dass sie dafür nicht mehr selbst körperlich tätig sein muss. Sie überlebt damit auf Kosten fremder Arbeit oder präziser mithilfe von durch fremde Arbeit geschaffenen Werten. Dies ist der Zusammenhang von Arbeitsteilung, Mehrwert und Klassengesellschaft, wie er sich für Marx innerhalb der Geschichte der Menschheit präsentiert.
2K. Marx/F. Engels, Manifest der Kommunistischen Partei (1959), S. 463. Dazu auch Ralf Dahrendorf: Class and Class Conflict in Industrial Society, Stanford 1968, S. 32ff; C. W. Mills: The Marxists, New York 1962, S. 86f.
Joseph Schumpeter kritisiert an dieser Sichtweise von Marx, sie sei zu stark vereinfachend. Marx würde die sozialen Klassen zu sehr auf die ökonomischen Bedingungen reduzieren und aufgrund seiner inneren Ablehnung der Bourgeoisie das Modell insgesamt zu sehr vereinfachen. Vgl. Joseph A. Schumpeter: »The Communist Manifesto in Sociology and Economics«, in: Journal of Political Economy 57 (1949), S. 199ff. Dazu auch Bertell Ollman: »Marx’s Use of ›Class‹«, in: American Journal of Sociology 73 (1968), S. 573ff.
Es gibt in der Marx-Forschung bereits Versuche, seine Klassentheorie zu erweitern beziehungsweise mehr als zwei Klassen zu nennen, die in der bürgerlichen Klassengesellschaft wesentlich seien. Zur Mittelklasse als Übergangsklasse etwa Donald C. Hodges: »The ›Intermediate Class‹ in Marxian Theory«, in: Social Research 28 (1961), S. 23ff. Hal Draper etwa geht genauer auf das Lumpenproletariat als eigene Kategorie der Klassengesellschaft ein. Vgl. Hal Draper: »The Concept of the ›Lumpenproletariat‹ in Marx and Engels«, in: Economies et Sociétés 6 (1972), S. 22ff.
3K. Marx, Das Kapital (1974), S. 675. Für Anthony Giddens beschreibt Marx mehr die gesellschaftsstrukturelle Polarisierung, allerdings weniger als eine Folge zunehmender Armut oder zugespitzten Elends. Vgl. A. Giddens (1971), 38f., 56f.
4K. Marx, Das Elend der Philosophie (1959), S. 141.
5K. Marx, Das Kapital (1974), S. 653.
6Ebd., S. 654.
7Vgl. ebd., S. 654f. Zum Kreditwesen und Banken in Marx Gesamtwerk etwa D. Harvey (2018), S. 64ff; D. Harvey (2010), S. 330ff.
8K. Marx/F. Engels, Die deutsche Ideologie (1959), S. 54.
9Vgl. Alex Callinicos: Die revolutionären Ideen von Karl Marx, Köln 2005, S. 102.
10Karl Marx/Friedrich Engels: »Die Heilige Familie oder Kritik der kritischen Kritik. Gegen Bruno Bauer und Konsorten«, in: MEW 2, Berlin 1969, S. 3ff, hier S. 37.
11Vgl. Karl Marx: »Produktivität des Kapitals. Produktive und unproduktive Arbeit«, in: MEW 26.1, Berlin 1965, S. 365ff, hier S. 366. Marx selbst unterscheidet in den Manuskripten zwischen formeller und reeller Subsumtion. Unter erstem Begriff versteht er die reine Aufsicht des Kapitals über die Arbeit. Der zweite fasst dann auch die Einflussnahme auf die Produktivität der Arbeit. Vgl. Karl Marx: »Ökonomische Manuskripte 1863-1867. Teil 1«, in: MEGA II/4.1, Berlin 1988, S. 3ff, hier S. 91ff.
Die Herrschaft des Kapitals über die Arbeit ist für den kapitalistischen Produktionsprozess essenziell, allerdings durchaus auch begrenzt, da das Kapital auf die Arbeit als wertschaffende Tätigkeit angewiesen ist. Jeder Zusammenbruch dieses Herrschaftsverhältnissen ist also gleichbedeutend mit einer möglichen Krise. Andererseits ist auch die Arbeit abhängig vom Kapital, denn nur durch dessen Zahlung ist ein Lebensunterhalt überhaupt möglich. Vgl. D. Harvey (2010), S. 326.
Herrschaft über die Arbeit und Ausbeutung der Arbeit stehen in einem eigenen Verhältnis zueinander. Dies betonen Emmanuel Terry und Joseph Serrano. Außerdem heben sie hervor, dass die Herrschaft, welche das Kapital oder der Kapitalist über die Arbeit ausübt, vielmehr die Voraussetzung für alle Formen kapitalistischer Ausbeutung ist. Vgl. Emmanuel Terray/Joseph Serrano: »Exploitation and Domination in Marx’s Thought«, in: Rethinking Marxism 31 (2019), S. 412ff.
12Die Systematik des Überbau-Modells war von Marx und Engels tendenziell stärker wechselseitig gedacht, als es später durch die Arbeiterbewegung und postmarxistisch interpretiert wurde. Beide haben des Öfteren darauf verwiesen, dass im Modell der Überbau nicht schlicht die ökonomische Basis reflektiert. Vielmehr prägt der Überbau durchaus eine eigene Dynamik aus, welche auch auf die Basis zurückwirkt. Dazu etwa Joachim Hirsch/John Kannankulam/Jens Wissel: »Einleitung: Marx, Marxismus und die Frage des Staates«, in: Joachim Hirsch/John Kannankulam/Jens Wissel (Hg.), Der Staat der Bürgerlichen Gesellschaft. Zum Staatsverständnis von Karl Marx, Baden-Baden 2015, S. 9ff, hier S. 17; Karl Korsch: Karl Marx, Frankfurt a.M. 1967, 185ff.
13K. Marx/F. Engels, Die deutsche Ideologie (1959), S. 30.
14Ebd., S. 37f.
15Dazu Karl Marx: »Zur Kritik der politischen Ökonomie«, in: MEW 13, Berlin 1964, S. 3ff, hier S. 8.
Daneben befasst sich Marx auch mit dem Recht. Darüber und die Stellung des Rechts innerhalb der Marx’schen Dialektik und im Basis-Überbau-Modells etwa Andreas Fisahn: Staat, Recht und Demokratie, Köln 2018, S. 112ff; Christoph Menke: Kritik der Rechte, Berlin 2015.
Zu Marx besonderer Position zu den Grund- und Menschenrechten etwa Rosemarie Will: »Zwischen Himmel und Erde. Karl Marx über die Grundrechte in seiner Schrift Zur Judenfrage«, in: Marx-Engels-Jahrbuch (2014), S. 7ff; George G. Brenkert: »Marx and Human Rights«, in: Journal of the History of Philosophy 24 (1986), S. 55ff.
16K. Marx, Zur Kritik der politischen Ökonomie (1964), S. 8f.
17Vgl. K. Marx, Das Elend der Philosophie (1959), S. 130.
18Vgl. K. Marx, Brief an P. W. Annenkow 28. Dezember 1846 (1959), S. 552.
19K. Marx, Zur Kritik der politischen Ökonomie (1964), S. 9. Ähnlich K. Marx/F. Engels, Die deutsche Ideologie (1959), S. 27.
20Ebd., S. 25.
21K. Marx/F. Engels, Manifest der Kommunistischen Partei (1959), S. 464. Ähnlich auch K. Marx/F. Engels, Die deutsche Ideologie (1959), 62, 311. Marcio Schäfer behandelt das Verhältnis von bürgerlicher Gesellschaft und bürgerlichem Staat im Marx’schen Denken weit ausführlichcer. Vgl. M. E. Schäfer (2018), S. 35ff.
22Dazu Marx an anderer Stelle: »[A]us diesem Widerspruch des besondren und gemeinschaftlichen Interesses nimmt das gemeinschaftliche Interesse als Staat eine selbständige Gestaltung, getrennt von den wirklichen Einzel- und Gesamtinteressen, an.« K. Marx/F. Engels, Die deutsche Ideologie (1959), S. 33.
23Vgl. K. Marx, Das Elend der Philosophie (1959), S. 109.
24Vgl. Karl Marx: »Die moralisierende Kritik und die kiritisierende Moral. Beitrag zur Deutschen Kulturgeschichte«, in: MEW 4, Berlin 1959, S. 331ff, hier S. 338.
25Karl Marx/Friedrich Engels: »Rezensionen aus der ›Neuen Rheinischen Zeitung. Polit-ökonomische Revue‹. Viertes Heft«, in: MEW 7, Berlin 1960, S. 255ff, hier S. 288. Ein ähnliches Bild des Staates als gegenseitige Versicherung des Kapitals nutzen Marx und Engels auch in der Deutschen Ideologie. K. Marx/F. Engels, Die deutsche Ideologie (1959), 62, 339.
26Karl Marx: »Der Bürgerkrieg in Frankreich. Adresse des Generalrats der Internationalen Arbeiterassoziation«, in: MEW 17, Berlin 1968, S. 313ff, hier S. 336. Dazu auch Derek Sayer: »The Critique of Politics and Political Economy: Capitalism, Communism, and the State in Marx’s Writings of the Mid-1840s«, in: Sociological Review 33 (1985), S. 221ff.
Zur Kritik am Staatsbild von Marx etwa vgl. J. Sanderson: »Marx and Engels on the State«, in: Western Political Quarterly 16 (1963), S. 946ff.
Über andere Zugänge zum Marx›schen Staatsdenken etwa vgl. Kostas Papaioannou: »Marx and the Bureaucratic State«, in: Dissent 16 (1969), S. 252ff; Ralph Miliband: »Marx and the State«, in: Socialist Register 1965, S. 278ff.
Marx selbst hat sich immer vorgenommen auch eine explizite Theorie über den Staat zu verfassen. Im Vorwort zur Kritik der politischen Ökonomie etwa vermerkte er im weiteren Plan für Das Kapital auch ein Buch über den Staat schreiben zu wollen. Vgl. K. Marx, Zur Kritik der politischen Ökonomie (1964), S. 7. Dazu auch J. Hirsch/J. Kannankulam/J. Wissel, Einleitung: Marx, Marxismus und die Frage des Staates (2015), 9ff; Roman Rosdolsky: Zur Entstehungsgeschichte des Marx’schen ›Kapital‹, Frankfurt a.M. 1968, 24ff.
27K. Marx/F. Engels, Manifest der Kommunistischen Partei (1959), S. 482. Deutlich wird hier eine Abkehr Marxens von einer idealistischeren und hegelnahen Philosophie des Staates. Der Staat des Basis-Überbau-Modells ist nicht mehr der demokratische Staat des Ausgleiches der bürgerlichen Gesellschaft, sondern tritt deutlich als Instrument der herrschenden Klasse auf. So etwa Rolf Bauermann: »Zur Ausarbeitung der Demokratie- und Diktatur-Auffassung durch Marx in den vierziger und Anfang der fünziger Jahre des 19. Jahrhunderts«, in: Marx-Engels-Jahrbuch 2 (1979), S. 107ff, hier S. 108.
28Karl Marx: »Erster Entwurf zum ›Bürgerkrieg in Frankreich‹«, in: MEW 17, Berlin 1968, S. 493ff, hier S. 541.
29Karl Marx: »Kritische Randglossen zu dem Artikel ›Der König von Preußen und die Sozialreform. Von einem Preußen‹«, in: MEW 1, Berlin 1957, S. 392ff, hier S. 402. Dazu mehr bei M. E. Schäfer (2018), S. 377ff.
30Dazu auch G. A. Cohen: »Bourgeois and Proletarians«, in: Journal of the History of Ideas 29 (1968), S. 211ff, hier S. 211.
31E. M. Wood, Die Geschichte ist nicht zu Ende (1998), S. 97.
32K. Marx, Der Bürgerkrieg in Frankreich (1968), S. 336.
33Inwieweit dies darauf zurückzuführen ist, dass sich die Bourgeoisie die eigene Ideologie der Natürlichkeit der bürgerlichen Gesellschaft glaubt, vielleicht auch angesichts ihrer komfortableren Position, wird an dieser Stelle offengelassen.
34K. Marx, Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte (1960), S. 141.
35Ebd., S. 142. Über die Verstrickungen, die folgen, wenn innerhalb der konstitutionellen, parlamentarischen, demokratischen und bürgerlichen Republik versucht wird, die bürgerliche Gesellschaft zu überwinden, berichtet Marx, wenn er über die Ereignisse in Folge des fehlgeschlagenen Arbeiteraufstandes vom Juni 1848 schreibt. ebd., 144-147.
Interessanterweise gibt es mit der Interpretation der sozialdemokratischen Politik des Revisionismus von Gerhard Starmer, eine Argumentation, die genau nach auf der Marx’schen Kritiklinie verläuft. Gerhard Starmer kritisiert die revisionistische Sozialdemokratie dafür, gerade nicht mehr das praktische Ziel der fundamentalen Alternative zu verfolgen, sondern demgegenüber der reformerischen Theorie das Primat zu geben. Insofern ließe sich tatsächlich argumentieren, dass eine sozialdemokratische, aber kapitalismusinterne Politik keine wirkliche Gestaltungsmacht aufbringen kann – der strukturelle Rahmen der bürgerlichen Gesellschaft ist zu starr. Vgl. Gerhard Stamer: Die Kunst des Unmöglichen oder die Politik der Befreiung, Frankfurt a.M. 1989, S. 313. Auch Dieter Groh stellt die Geschichte der deutschen Sozialdemokratie bis zum Ersten Weltkrieg ähnlich dar. Vgl. Dieter Groh: Negative Integration und revolutionärer Attentismus, Frankfurt a.M. 1974.
36K. Marx/F. Engels, Manifest der Kommunistischen Partei (1959), S. 489.
37Karl Marx: »Die Klassenkämpfe in Frankreich 1848 bis 1860«, in: MEW 7, Berlin 1960, S. 9ff, hier S. 19.
38K. Marx, Das Elend der Philosophie (1959), S. 159.
39Karl Marx: »Kritik des Gothaer Programms«, in: MEW 19, Berlin 1962, S. 11ff, hier S. 22.
40Ebd., S. 28.
41K. Marx, Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte (1960), S. 190.
42K. Marx, Der Bürgerkrieg in Frankreich (1968), S. 336. Auch daran wird deutlich, dass die Aussage der ›Diktatur des Proletariats‹ sehr wahrscheinlich von Marx eine andere Bedeutung beigemessen wurde, als von vielen seiner Interpreten und Apologeten. An passenderer Stelle wird auf Marx Aussagen zur Diktatur des Proletariats und der Permanenzerklärung der Revolution, sowie den Folgen dieser Aussagen für den Marxismus eingegangen.
43Karl Marx: »Zweiter Entwurf zum ›Bürgerkrieg in Frankreich‹«, in: MEW 17, Berlin 1968, S. 572ff, hier S. 592.
44Vgl. U. Lindner (2013), S. 373f.
45K. Marx, Kritik des Gothaer Programms (1962), S. 25f. Dazu auch Erich Fromm (Hg.): Das Menschenbild bei Marx, Frankfurt a.M. 1980, S. 53.
Der Sichtweise, Marx argumentiere aus einer Gerechtigkeitstheorie heraus, ist angesichts folgender Frage zu widersprechen: Woher sollte eine solche Gerechtigkeitstheorie ihre normative Grundlage nehmen? Nach den der kapitalistischen Produktionsweise eigenen moralischen Maßstäben wie formeller Freiheit und Gleichheit sowie Eigentum verläuft alles gerecht. Andere moralische Maßstäbe der bürgerlichen Gesellschaft müssten also außerhalb dessen begründet sein. Wo sollten Quellen einer externalen Moralität gefunden werden? Dennoch erkennt etwa Rainer Forst in Marx Denken eine Gerechtigkeitstheorie. Vgl. Rainer Forst: »Gerechtigkeit nach Marx«, in: Rahel Jaeggi/Daniel Loick (Hg.), Nach Marx. Philosophie, Kritik, Praxis, Berlin 2013, S. 107ff. Auch Ralf Dahrendorf hat früh einen solchen Ansatz diskutiert. Ralf Dahrendorf: Marx in Perspektive, Hannover 1952.
Interessant in diesem Zusammenhang ist ein Ansatz von Duncan Greaves. Er ist der Meinung, dass dem Marx’schen Denken, wenn überhaupt eine Gerechtigkeitstheorie inne ist, dann hinsichtlich der historisch stufenförmigen Entwicklung. Ungerechtigkeit kann es dann etwa nur geben, wenn es gleichzeitig auch die Möglichkeit der Gerechtigkeit gibt. Der Kapitalismus ist insofern ungerecht, als dass er in sich schon die gerechte Alternative trägt. Vgl. Duncan Greaves: »Marx, Justice, and History«, in: Theoria 83 (1994), S. 13ff.
Daran schließt sich die Debatte an, ob Marx die von ihm benannten rechtlichen Normen der kapitalistischen Verhältnisse nur aus sozialwissenschaftlicher und geschichtlicher Perspektive behandelt hat und seine Behandlung überhaupt auf einem moralisch-normativen Fundament steht. Manche Autoren heben hervor, dass er etwa das Institut der Lohnarbeit vor diesem Hintergrund und die kapitalistischen Verhältnisse insgesamt nicht als Unrecht empfand oder empfinden konnte. Vgl. Allan W. Wood: Karl Marx, New York 2004; Allan W. Wood: »The Marxian Critique of Justice«, in: Philosophy and Public Affairs 1 (1972), S. 244ff.
Zur Frage nach einer moralischen Grundlage der Mehrwertaneignung ohne Zahlung eines Äquivalentes siehe Samuel Freeman: Geschichte der politischen Philosophie, Frankfurt a.M. 2008, S. 459ff; Ziyad Husami: »Marx on Distributive Justice«, in: Philosophy and Public Affairs 8 (1978), S. 27ff.
Norman Geras fasst es in einem Paradox einprägsam zusammen: »Marx did think capitalism was unjust but he did not think he thought so.« Norman Geras: »The Controversary about Marx and Justice«, in: New Left Review 150 (1985), S. 47ff, hier S. 70.
Zur Frage der normativen Grundlage der historischen Rolle des Proletariats etwa vgl. Tilman Reitz: »Marx als Anti-Philosoph«, in: Rahel Jaeggi/Daniel Loick (Hg.), Karl Marx – Perspektiven der Gesellschaftskritik, Berlin 2013, S. 15ff, hier S. 23f. Dazu auch M. Quante, Die Philosophie von Karl Marx (2018), S. 45; G. Lohmann, Marxens Kapitalismuskritik als Kritik an menschenunwürdigen Verhältnissen (2013); Russel Keat: »Die ethische Kritik ökonomischer Institutionen«, in: Rahel Jaeggi/Daniel Loick (Hg.), Karl Marx – Perspektiven der Gesellschaftskritik, Berlin 2013, S. 169ff.
Generell mit der durchaus ambivalenten Stellung von Marx zur Moral beschäftigen sich etwa R. G. Pfeffer: Marxism, Morality and Social Justice, Princeton 1990; Emil Angehrn/Georg Lohmann (Hg.): Ethik und Marx, Königstein 1986; Georg Lohmann: »Gesellschaftskritik und normativer Maßstab. Überlegungen zu Marx«, in: Urs Jaeggi/Axel Honneth (Hg.), Arbeit, Handlung, Normativität, Frankfurt a.M. 1980, S. 234ff. Vgl. auch Lukas Egger: »Immanente Kritk oder Metakritik der Moral. Zu Normativität als Gegenstand und Grundlage der Marx’schen Gesellschaftskritik«, in: Matthias Bohlender/Anna-Sophie Schönfelder/Matthias Spekker (Hg.), Kritik im Handgemenge. Die Marx’sche Gesellschaftskritik als politischer Einsatz, Bielefeld 2018, S. 221ff.
46K. Marx, Kritik des Gothaer Programms (1962), S. 26.
47Wolfgang Schieder: Karl Marx, Darmstadt 2018, S. 16.
48K. Marx, Brief an P. W. Annenkow 28. Dezember 1846 (1959), S. 548.
49Vgl. M. E. Schäfer (2018), S. 176ff.
50K. Marx, Das Elend der Philosophie (1959), S. 130.
51K. Marx, Das Kapital (1974), S. 189. Marx nutzt hier den Namen Jeremy Benthams als Ausdruck für die Idee des Utilitarismus.
52K. Marx, Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie (1983), S. 167.
53Ebd., S. 170.
54K. Marx, Das Elend der Philosophie (1959), S. 82f.
55K. Marx, Das Kapital (1974), S. 599.
56Ebd.
57K. Marx, Produktivität des Kapitals (1965), S. 366. Ähnlich äußert er sich auch in den Theorien über den Mehrwert: »Produktiv von wert ist das Kapital nur als Verhältnis, sofern es als Zwang über die Lohnarbeit sie zwingt, Surplusarbeit zu arbeiten, oder die Produktivkraft der Arbeit anstachelt, um relativen Mehrwert zu schaffen.« Karl Marx: »Theorien über den Mehrwert I«, in: MEW 26.1, Berlin 1965, S. 3ff, hier S. 64.
58vgl. David Ashley: »Marx and the Category of ›Individuality‹ in Communist Society«, in: Bob Jessop/Russel Wheatley (Hg.), Karl Marx’s Social and Political Thought – Second Series. Nature, Culture, Morals, Ethics, London 1999, S. 667ff.
59K. Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte aus dem Jahre 1844 (1968), S. 471. Darin lässt sich eine der Hauptlinien der Marx’schen Kritik an der Politischen Ökonomie seiner Zeit finden. Die Politische Ökonomie hat als Spezialwissenschaft ökonomische Prozesse in den Blick genommen. Es ist demnach völlig logisch, dass sie dabei den Arbeiter nicht in seiner Menschlichkeit, sondern als zunächst objektive und unpersönliche Prozessgröße sah. Marx hingegen nimmt überall den Arbeiter als Mensch in den Blick. Dazu etwa I. Mészaros (1973), S. 182ff.
60K. Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte aus dem Jahre 1844 (1968), S. 523.
61K. Marx, Das Kapital (1974), S. 287.
62Erich Fromm weist in diesem Zusammenhang auf die »Ironie« hin, welche sich darin zeige, dass nicht im Materialismus Marx’scher Provenienz diese Art der Konformität oder des Anti-Individualismus auftritt, sondern diese vielmehr als Beschreibungen der kapitalistischen Gesellschaft zutreffen. Erich Fromm: »Das Menschenbild bei Marx«, in: Erich Fromm (Hg.), Das Menschenbild bei Marx. Mit den wichtigsten Teilen der Frühschriften von Karl Marx, Frankfurt a.M. 1980, S. 7ff, hier S. 17.
63K. Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte aus dem Jahre 1844 (1968), S. 524. Dazu auch E. Fromm (Hg.) (1980), S. 53.
64Vgl. R. Boesche, Marx – Despotism of Class and Workplace (1996), 238f., 244.
65Zur Geschichte des Sozialismus etwa George Lichtheim: Kurze Geschichte des Sozialismus, Frankfurt a.M. 1977; George Lichtheim: Ursprünge des Sozialismus, Gütersloh 1969; G.D.H. Cole: Socialist Thought, London 1955. Speziell zu den Frühsozialisten ist folgender Sammelband instruktiv Jacques Droz (Hg.): Geschichte des Sozialismus, Berlin 1974.
66Vgl. Axel Honneth: Die Idee des Sozialismus, Frankfurt a.M. 2017, S. 37f; F. Neuhouser, Marx (und Hegel) zur Philosophie der Freiheit (2013), S. 38f.
67K. Marx, Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie (1983), S. 169f.
68Ebd.
69K. Marx, Das Kapital (1974), S. 107f.
70Gerade der Gegensatz »zwischen politischer Freiheit und Gleichheit auf der einen, ökonomischer Abhängigkeit und Unterdrückung auf der anderen Seite« sehen Joachim Hirsch und andere als »grundlegendes Merkmal der bürgerlich-liberalen Repräsentativverfassung«, welches sich gleichzeitig »als entscheidende Schranke der Demokratie« erweist. J. Hirsch/J. Kannankulam/J. Wissel, Einleitung: Marx, Marxismus und die Frage des Staates (2015), S. 12.
71Vgl. T. Otani, 2012/13, S. 138.
72Vgl. I. Mészaros (1973), S. 188ff.
73Karl Marx: »Einleitung zur Kritik der politischen Ökonomie«, in: MEW 13, Berlin 1964, S. 615ff, hier S. 615. Ähnlich auch K. Marx, Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie (1983), S. 19.
74K. Marx, Das Kapital (1974), S. 91f. Zur Erinnerung: Auch die »Regierungsgewalt« über die Arbeit und deren Erzeugnisse kommt dem Kapitalisten nur als »Eigentümer des Kapitals« und nicht ihm als Person zu. K. Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte aus dem Jahre 1844 (1968), S. 484.
75K. Marx, Das Kapital (1974), S. 16.
76Ebd.
77K. Marx/F. Engels, Das Kapital (1966), S. 887.
78K. Marx/F. Engels, Die deutsche Ideologie (1959), S. 75.
Christoph Henning geht näher auf die Unterschiede der Charaktermasken ›Arbeiter‹ und ›Bourgeois‹ ein. Seinem Ansatz nach, bietet letztere einen größeren individuellen Freiraum, weil dahinter tatsächlich – wie in der Rollentheorie üblich – ein selbstbewusstes Individuum steht. Erstere hingegen lässt wesentlich weniger Freiraum zu, und zwar einmal aus dem eigenen Naturell und zum anderen aus ihrer Singularität für den Träger heraus. Vgl. Christoph Henning: »Charaktermaske und Individualität bei Marx«, in: Marx-Engels-Jahrbuch (2009), S. 100ff, hier S. 120f.
79Vgl. ebd. Dazu auch Terrell Carver: »Putting Your Money Where Your Mouth Is: the Social Construction of Individuality in Marx’s Capital«, in: Bob Jessop/Russel Wheatley (Hg.), Karl Marx’s Social and Political Thought – Second Series. Nature, Culture, Morals, Ethics, London 1999, S. 152ff, hier S. 154ff.
Insofern ist spannend, dass die Kritik an der Marx’schen Geschichtsphilosophie, die sich auf den Widerspruch von Struktur und Handeln bezieht und nach der das Individuum unter gesellschaftlichen Phänomenen verschüttet und daher ohne wirkliche geschichtliche Bedeutung sieht, eigentlich der Marx’schen Beschreibung des Individuums unter den kapitalistischen Verhältnissen entspricht. Zur Kritik etwa Andrew D. Abbott: Prozessuales Denken, Hamburg 2019, S. 42. Für Marx verschwindet gerade das kapitalistische Individuum hinter den kapitalistischen gesellschaftlichen Verhältnissen, wohingegen das kommunistische Individuum überhaupt erstmals wirklich individuell in Erscheinung tritt und Handlungsspielraum hat.
80K. Marx, Auszüge aus James Mills Buch ›Éléments d’économie politique‹ (1968), S. 460.
81K. Marx, Auszüge aus James Mills Buch ›Éléments d’économie politique‹ (1968), S. 453.
82K. Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte aus dem Jahre 1844 (1968), S. 514.
83Vgl. K. Marx, Das Kapital (1974), S. 328.
84Vgl. K. Marx/F. Engels, Das Kapital (1966), S. 827.
85K. Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte aus dem Jahre 1844 (1968), S. 514f.
86Ebd., S. 554.
87K. Marx, Das Kapital (1974), S. 424.
88K. Marx/F. Engels, Das Kapital (1966), 822, 823.
89Ebd., S. 838. Für William Booth ist das gesellschaftsinterne Herrschaftsverhältnis von Kapital und Lohnarbeit nicht unmittelbar in der Frage des Eigentums an den Produktionsmitteln, sondern vielmehr in der unterschiedlichen Distribution von Zeit begründet. Vgl. William J. Booth: »Economies of Time: On the Idea of Time in Marx’s Political Economy«, in: Political Theory 19 (1991), S. 7ff, hier S. 22.
90I. Mészaros (1973), S. 103.
91S. Tombazos (2014), S. 87.
92Thomas Steinfeld: Herr der Gespenster, München 2017, S. 23.
93Vgl. Leonard Krieger: »The Uses of Marx for History«, in: Political Science Quarterly 75 (1960), S. 355ff, hier S. 362.
94Vgl. Michael Heinrich: An Introduction to the Three Volumes of Karl Marx’s Capital, New York 2012, S. 75. Dazu auch William C. Roberts: Marx’s Inferno, Princeton 2017, S. 229; Moishe Postone: Time, Labor, and Social Domination, Cambridge 1993, 30, 125.
Daran wird deutlich, dass es nicht das Ziel von Marx war, einen konkret-historischen, etwa den britischen, Kapitalismus zu beschreiben, sondern vielmehr die Strukturen aufzuzeigen, die seiner Meinung nach das Verhältnis der kapitalistischen Produktionsweise zur modernen Gesellschaft überhaupt konstituiert. Vgl. Michael Heinrich: Karl Marx und die Geburt der modernen Gesellschaft, Stuttgart 2018, S. 21; Teinosuke Otani: »Das Kapital in Marx’ Selbstverständnis«, in: Marx-Engels-Jahrbuch (2012/13), S. 134ff, hier S. 138ff.
95K. Marx, Das Kapital (1974), S. 16.
96K. Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte aus dem Jahre 1844 (1968), S. 518ff.
97Michael R. Krätke: »›Hier bricht das Manuskript ab.‹ (Engels) Hat das Kapital einen Schluss? Teil II«, in: Beiträge zur Marx-Engels-Forschung Neue Folge (2002), S. 211ff, hier S. 248.
98Vgl. Stavros Tombazos: »Capital as ›abstraction in action‹ and economic rhythms in Marx«, in: Cambridge Journal of Economics 44 (2020), S. 1055ff, hier S. 1067; Michael R. Krätke: »150 Jahre danach«, in: Eric J. Hobsbawm/Samīr Amīn (Hg.), Das Manifest – heute. 150 Jahre Kapitalismuskritik, Hamburg 1998, S. 28ff, hier S. 38.
99K. Marx, Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie (1983), S. 173.
100Vgl. Frederick Neuhouser: »Marx (und Hegel) zur Philosophie der Freiheit«, in: Rahel Jaeggi/Daniel Loick (Hg.), Nach Marx. Philosophie, Kritik, Praxis, Berlin 2013, S. 25ff, hier S. 40.
101Vgl. I. Pies, Karl Marx’ kommunistischer Individualismus (2016), S. 301ff.
Ein Überblick über die verschiedenen Lesarten dieses Begriffes findet sich in C. W. Mills: »›Ideology‹ in Marx and Engels Revistited and Revised«, in: The Philosophical Forum 23 (1992), S. 301ff; C. W. Mills: »›Ideology‹ in Marx and Engels«, in: Philosophical Forum 16 (1985), S. 327ff.
102Diese Sichtweise von Marx geht aus der 6. Feuerbach-These hervor. Vgl. Karl Marx: »Thesen über Feuerbach«, in: MEW 3, Berlin 1959, S. 5ff, hier S. 6. Dazu auch A. Callinicos (2005), S. 90.
103Vgl. C. Platonia/T. Welskopp, 2010, S. 46.
104Vgl. K. Marx/F. Engels, Die deutsche Ideologie (1959), S. 20. Zur Bedeutung dessen hinsichtlich der Methodik von Marx und der ›Logik des Kapitals‹ siehe A. Callinicos (2005), S. 97ff.
105J. Hirsch/J. Kannankulam/J. Wissel, Einleitung: Marx, Marxismus und die Frage des Staates (2015), S. 14.
106Karl Marx: »Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung«, in: MEW 1, Berlin 1957, S. 378ff, hier S. 385.
107Axel Honneth: Das Andere der Gerechtigkeit, Frankfurt a.M. 2000, S. 27.