6.Historischer Gegensatz und historische Entwicklung
Marx’ Analyse
6.1Die Grundlagen der Produktion
Da Marx die bürgerliche Klassengesellschaft als ein Ergebnis einer historischen Entwicklung versteht, die auf einem grundlegenden historischen Gegensatz beruht, der sich in der materiellen Produktion der Menschen zeigt, muss hier zunächst erläutert werden, was für Marx die Grundlagen der menschlichen materiellen Produktion überhaupt sind. Für ihn zeigt sich die historische Entwicklung maßgeblich in ökonomischen Kategorien. Treiber der Entwicklung ist laut Marx ein bestimmter und ökonomisch fundamentierter Widerspruch zwischen angehäufter und unmittelbarer Arbeit. Dementsprechend muss zunächst die ökonomische Analyse von Marx betrachtet werden. Damit soll die Grundlage für das gelegt werden, was Marx hinter dieser ökonomischen Entwicklung erkennt, nämlich ein Entwicklungsgesetz der Geschichte, welches für seine kritische Gesellschaftsanalyse von eminenter Bedeutung ist. Ein Verständnis des ökonomischen Zugangs von Marx’ Ansicht der gesellschaftlichen Entwicklung ist daher unumgänglich. Nur durch ein fundiertes Verständnis der ökonomischen Analyse wird die Rigidität der historischen Entwicklung deutlich. Nur so wird die Radikalität nachvollziehbar, die Marx’ Vision kennzeichnet. Sie ist eine Folge der Radikalität und Totalität, mit der der historische Widerspruch die bürgerliche Gesellschaft prägt. Damit ist auch schon angedeutet, dass Marx die bürgerliche Klassengesellschaft, den späteren Gegenstand seiner Kritik, nicht als etwas Natürliches, als Ergebnis eines historisch singulären Ereignisses (etwa die Französische Revolution) oder als Folge philosophischer Prozesse (etwa die Aufklärung) betrachtet.
Laut Marx unterscheiden sich die Menschen von anderen Wesen, »sobald sie anfangen, ihre Lebensmittel zu produzieren«1. Sicherlich jagen, sammeln oder mit einem Wort: versorgen sich auch Tiere materiell. Allerdings produzieren nur die Menschen durch ihre Arbeit ihre eigenen materiellen Bedingungen. Tiere erhalten sich als das, was sie sind. Menschen hingegen entwickeln ihre Produktion; sie sind lernfähig. Von Menschen erbaute Häuser etwa sehen heute anders aus als vor 2000 Jahren. Die Bauten von Ameisen, Bienen oder Füchsen unterscheiden sich heute nicht von denen vor 2000 Jahren. Das materielle Leben der Menschen der Mitte des 19. Jahrhunderts unterscheidet sich von dem der Zeit der Römer. War das Römische Reich etwa noch eine Sklavenwirtschaft, ist das materielle Leben des 19. Jahrhunderts durch freie und bezahlte Arbeit gekennzeichnet.
»Mit dem Moment, wo die Zivilisation beginnt, beginnt die Produktion sich aufzubauen auf dem Gegensatz der Berufe, der Stände, der Klassen, schließlich auf dem Gegensatz zwischen angehäufter und unmittelbarer Arbeit [Herv. FB]. Ohne Gegensatz kein Fortschritt; das ist das Gesetz, dem die Zivilisation bis heute gefolgt ist. Bis jetzt haben sich die Produktivkräfte auf Grund dieser Herrschaft des Klassengegensatzes entwickelt.«2
Die bisherige historische Entwicklung zeichnet sich für Marx offensichtlich durch einen Gegensatz oder Widerspruch aus, der aus der Zivilisation der Menschheit selbst herrührt. Marx spricht hier den Widerspruch zwischen angehäufter und unmittelbarer Arbeit, also tatsächlicher tätig-produzierender Arbeit und in Geld oder Produktionsmitteln umgewandelter Arbeit an. Dieser Widerspruch geht aus dem bisherigen produzierenden Handeln der Menschen hervor und wird so produziert wie Häuser gebaut, Felder bestellt und Kleidung hergestellt werden. Es besteht dabei eine Verbindung zwischen Gegensatz und Entwicklungsstand der Produktion. Insbesondere aufgrund dieser Erkenntnis unterscheidet sich Marx nach eigener Aussage von den Politökonomen seiner Zeit. Die politischen Ökonomen würden zwar die Produktionsbedingungen der bürgerlichen Gesellschaft erkennen und analysieren, wie Arbeitsteilung, Kreditwesen oder Geld. Allerdings seien diese Bedingungen für sie fixe Prinzipien auf der einen oder abstrakte Ideen oder Gedanken auf der anderen Seite. Sie alle würden die Historizität dieser Bedingungen verkennen, und das ist die zentrale Kritik von Marx; sie erkennen nicht und können auch nicht erklären, wie die Bedingungen selbst produziert wurden, woher sie also historisch stammen.3
Für Marx ist eine der Grundeigenschaften menschlicher Gesellschaften die Arbeitsteilung, woraus sich eine Notwendigkeit zum Austausch ergibt. Als ökonomische Kategorie findet die Arbeitsteilung laut Marx ihren grundlegendsten Ausdruck in der Trennung von urbanem und ländlichem Raum.4 Produzieren Menschen nicht mehr oder mindestens nicht mehr ausschließlich unmittelbar für den eigenen Konsum, sind sie auf die Produktion beziehungsweise Produkte anderer Individuen angewiesen. Arbeitsteilung ist damit die Ursache von Handel oder, was für Marx dasselbe ist, der Warenproduktion, wobei diese nicht zwangsläufig jene hervorbringt.5 Austausch oder die Produktion von Waren als Produktion zum Ziel des Tauschens basiert auf einer essenziellen Bedingung: Produzieren die Menschen nicht mehr ausschließlich für den Eigenverbrauch, so müssen sie etwas herstellen, das für eine andere Person potenziell einen Wert hat. Die verschiedenen Tätigkeiten müssen also verschieden nützlich sein, um Waren hervorzubringen, die sich gegeneinander tauschen lassen. Würden alle die gleiche Art Waren herstellen, wäre ein Tausch »abgeschmackt und inhaltslos«6. Die Individuen bringen daher durch ihre unterschiedlichen Tätigkeiten eine »ungeheure Warensammlung«7 hervor. Diese Warensammlung repräsentiert für Marx die »Gesamtheit ebenso mannigfaltiger […] verschiedener nützlicher Arbeiten«, worin sich wiederum die »gesellschaftliche [Herv. FB] Teilung der Arbeit« ausdrückt.8 Dass es überhaupt Waren gibt, also Dinge, die direkt für den Austausch produziert werden und nicht für den direkten Verbrauch, sieht Marx in der Verschiedenheit der einzelnen Tätigkeiten begründet. Diese Form der Gesellschaft präsentiert, aus der Metaperspektive betrachtet, einen »gesellschaftlichen Produktionsorganismus«, der sich aus verschiedenen »membra disjecta im System der Teilung der Arbeit« zusammensetzt.9 Jede einzelne Tätigkeit ist dabei ein Organ dieses gesellschaftlichen Organismus. Die Gesellschaft wird zur Marktgesellschaft, in der alle Dinge schon zu Waren geworden sind oder es potenziell werden können.
Die individuellen produzierenden Tätigkeiten sind als solche an sich schon aufeinander bezogen. Das zeigt sich allerdings erst im Tausch und gerade nicht in der Tätigkeit selbst. Die eigentliche Beziehung zueinander und Bezogenheit aufeinander erscheinen den Individuen also nur verschleiert. Die arbeitsteilige Gesellschaft als Produktionsorganismus bedarf eines Mediums, das die einzelnen Organe oder Tätigkeiten aufeinander bezieht. Dieses Medium ist das Geld.
Als historisches Produkt ist Geld für Marx eine unmittelbare Folge der Tauschwirtschaft, ergo der materiellen Produktion. Geld geht aus dem Tauschwert von Waren hervor, welcher selbst zunächst nichts anderes als ein Mengenverhältnis zweier Waren zueinander ist. Werden Waren gegeneinander getauscht, muss deren jeweiliger Wert in der jeweils anderen Ware ausgedrückt werden, zumindest unter der Bedingung des Tausches von Äquivalenten. Der Tauschwert selbst als Charakter der Ware tritt neben den bereits bekannten Charakter der Ware als nützliches Ding, sprich Gebrauchswert. Die »Verdoppelung der Ware in Ware und Wert«10 ist die Folge des in der Ware liegenden Widerspruches von Gebrauchswert und Tauschwert. Durch den sich immer erweiternden Austausch von Waren drängt dieser Widerspruch immer mehr nach vorne und sucht nach einer Manifestation, welche er schließlich in der Ware als Geld und Ware findet. Nur das Geld vermag schließlich, »allgemeines Äquivalent«11 zu werden. Keine andere Ware vermag dies und die Ware »auch keine allgemeine relative Wertform [annehmen, FB], worin sie sich als Werte gleichsetzen und als Wertgrößen vergleichen«12 ließe. Geld ist die Manifestation des scheinbar von der Ware emanzipierten und selbstständigen Tauschwertes. Überhaupt gehen alle Eigenschaften des Tauschwertes – »des Produktes als Wert im Unterschied vom Wert als Produkt«13 – auf das Geld als universeller Tauschwert oder anders: das allgemeine Äquivalent über. Ist der Tauschwert Repräsentant der, in der Ware als solcher, externalisierten Gesellschaftlichkeit der Individuen, so ist das Geld dessen abstrakteste Form. Geld als konkrete Verkörperung des Universellen gegenüber dem Partikularen ist damit etwas Universell-Konkretes.14
6.2Die Produktion von Mehrwert
Das Geld ist in der Marx’schen Analyse eine der zentralen Folgen der Entwicklung des historischen Gegensatzes und der Produktionsbedingungen. Es bestimmt maßgeblich die kapitalistische Produktion, die wieerum die bürgerliche Klassengesellschaft prägt. Marx bezeichnet das Geld als »zugleich […] erste[n] Begriff des Kapitals und die erste Erscheinungsform desselben«15. Der historische Widerspruch bedingt schon die Existenz von Kapital. Wie Kapital aus der materiellen Produktion laut Marx überhaupt hervorgeht, ist Inhalt dieses Abschnitts.
Das Kapital selbst ist ein historisches Produkt. Es geht aus der Zirkulation von Waren hervor. Marx unterscheidet dabei zwei Zirkulationsformen: die einfache Warenzirkulation und die Geldzirkulation. Die Warenzirkulation kann zwischen zwei Waren direkt stattfinden, dann allerdings mit der Schwierigkeit verbunden, die jeweiligen Werte gegeneinander zu rechnen. Aus dieser Schwierigkeit heraus entwickelt sich Geld als allgemeines Äquivalent, welches Tauschwert generell ausdrückt und insofern neben – beziehungsweise im Tausch: zwischen – die Waren tritt, deren Wert es eigentlich repräsentiert. Geld wird zum generellen Medium, das den Produktionsorganismus als solchen reguliert und hat gegenüber den Waren eine entscheidende Besonderheit. Anders als die Waren als Gebrauchswerte verschwindet es nicht durch den Konsum.16 Geld bleibt auch, nachdem es für etwas ausgegeben oder eingetauscht wurde, erhalten, hat aber den Ort des Besitzes gewechselt. In dieser Eigenschaft des Geldes besteht der Übergang von reiner Waren- zur Geldzirkulation. Plötzlich ist es möglich, Tauschwerte als Handlungsziel zu setzen, die als Geld in potenziell alle Gebrauchswerte transformierbar sind. Diese Eigenschaft macht das Geld zur verwirklichten und stets neu zu verwirklichenden Form des Kapitals sowie des Tauschprozesses überhaupt.17 Geld wird also zum Zweck und ist nicht mehr nur Mittel des Tausches.18
Die Stellung des Geldes als essenzielles Medium der materiellen Produktion hängt für Marx mit der Existenz von Lohnarbeit zusammen. Damit spricht Marx die aus seiner Sicht »elementare Voraussetzung der bürgerlichen Gesellschaft« an, die sich seiner Meinung nach im Vorhandensein von Lohnarbeit und Kapital als jeweils nur »andere Formen des entwickelten Tauschwerts und des Geldes als seiner Inkarnation« zeigt.19 Kapital und Arbeit beziehungsweise Lohnarbeit als zentrale Begrifflichkeiten des ganzen Marx’schen Denkgebäudes sind damit Kristallisationspunkte seiner historischen Analyse. Sie gehen der entwickelten kapitalistischen Produktionsweise voraus und sind Bedingungen der bürgerlichen Klassengesellschaft, wie später gezeigt wird.
Doch wie geht laut Marx Kapital aus dem materiellen Produktionsprozess hervor? Kapital und Lohnarbeit stehen in einem Tauschverhältnis, welches unmittelbare Bedeutung für die Gesellschaft hat. Mit Kapital wird Lohnarbeit bezahlt oder anders ausgedrückt: Geld wird gegen die Ware Arbeitskraft getauscht. Dieser Tausch findet dabei nach einer wesentlichen Regel statt. Es werden dabei »Äquivalente«20 getauscht, wie Marx festhält. Kein austauschendes Individuum wird demnach übervorteilt. Beide erhalten exakt den Wert, den ihr Produkt hat.
Der Entstehung von Kapital und damit des kapitalistischen Verhältnisses unterliegt ein bestimmter Zusammenhang von Arbeit und Kapital. Essenziell dafür ist die Unterscheidung von reiner Waren- und Geldzirkulation. Laut Marx gibt es einen fundamentalen Unterschied zwischen beiden. Während in Erster immer irgendein Gebrauchswert das Ziel ist, der im Konsum mit dem Konsumenten zusammengeht beziehungsweise sich im Konsum auflöst, bleibt in Zweiter der universelle Tauschwert Geld erhalten, allerdings kommt hier mehr Geld heraus, als ursprünglich in den Prozess einging. Nur wenn ein quantitativer Unterschied des eingesetzten und des erhaltenen Geldes besteht, ergibt ein Tausch zum Zwecke des Geldes überhaupt Sinn. Alles andere wäre »abgeschmackt und inhaltslos«21. Werden also im Warentausch qualitativ unterschiedliche Gebrauchswerte getauscht, haben in der Geldzirkulation zwar Ursprung und Ergebnis die gleiche Qualität, aber nicht die gleiche Quantität; es ist ein Mehrwert an Geld entstanden.22 Dieser Mehrwert ist es, der das kapitalistische Verhältnis antreibt. Wie kann allerdings aus einer Zirkulation mehr herauskommen, als einging? Der Mehrwert kann nicht aus der Zirkulation der produzierten Ware an sich hervorgehen. Aber nur in einer Zirkulation überhaupt kann aus Geld Kapital werden, sprich kann Mehrwert entstehen. Geht es also um den Mehrwert, dann geht es um die Arbeitswertlehre von Marx.
Wenn die Wertveränderung nicht beim Verkauf der fertigen Ware verortet werden kann, muss sie sich im Tauschakt Geld gegen Ware, und zwar in der Ware als solcher und nicht in ihr als Tauschwert abspielen. Es muss also eine Ware geben, deren Gebrauchswert ist, selbst Wert zu schaffen. Marx findet in der Arbeitskraft ebendiese besondere Ware.23 Das Rätsel der Kapital- oder Mehrwertbildung ist für Marx gelöst, und zwar in der Ware Arbeitskraft. Kapital entsteht nur aus Mehrwert. Angespartes Geld ist nichts mehr als ein Schatz, der der Zirkulation entzogen ist. Das Kapital hingegen besteht überhaupt nur durch und in der Zirkulation, aus der der Mehrwert regelmäßig hervorgeht. »Während der Schatzbildner nur der verrückte Kapitalist« ist, weil er der Zirkulation das Geld entzieht, ist der Kapitalist für Marx »der rationelle Schatzbildner«.24 Der Kapitalist hat demnach erkannt, dass der Mehrwert dauerhaft produziert, also dauerhaft Gewinn erzielt werden kann. »Innerhalb des Systems der bürgerlichen Gesellschaft daher folgt auf den Wert unmittelbar das Kapital.«25
Dass der Ware Arbeitskraft ein Mehrwert entspringt, beziehungsweise dadurch geschaffen wird, wurde bereits festgehalten. Doch wie ist das unter der Maßgabe möglich, dass Äquivalente getauscht werden? Es hat etwas mit den Eigenschaften der Ware Arbeitskraft als wertschaffender Tätigkeit zu tun. Als Ware bestimmt sich der Wert der Arbeitskraft wie der jeder anderen Ware auch, nämlich durch die zu ihrer Produktion beziehungsweise Reproduktion notwendigen Arbeitszeit. Arbeitskraft als solche ist nichts mehr als eine Folge der Existenz des Individuums als deren Träger. Das bedeutet, dass seine Existenz vorausgesetzt ist. Die Produktion der Ware Arbeitskraft besteht laut Marx damit in der regelmäßigen Reproduktion des Individuums oder weniger technisch: aus dem Leben und Überleben des Individuums geht regelmäßig Arbeitskraft hervor. Es geht also um die zur Beschaffung der essenziellen Lebensmittel (also sowohl Nahrungsmittel als auch alle weiteren und zum Überleben notwendigen Produkte) notwendigen Arbeitszeit. Es müssen dabei genügend Lebensmittel vorhanden sein, »das arbeitende Individuum als arbeitendes Individuum in seinem normalen Lebenszustand« zu erhalten sowie die Reproduktion der Arbeitskräfte insgesamt zu gewährleisten, was Zeugung und Erziehung von Nachwuchs einschließt.26 Art und Umfang der notwendigen Lebensmittel sind dabei einmal örtlich verschieden und auch selbst wiederum Folge historischer Entwicklung, also der Entwicklung einer Gesellschaft geschuldet. »Im Gegensatz zu den andren Waren enthält also die Wertbestimmung der Arbeitskraft ein historisches und moralisches Element.«27 Marx adressiert die Moral hier insofern, als dass der Wert von Arbeitskraft abhängig ist von individuellen wie gesellschaftlichen Gewohnheiten sowie von allgemeinen Ansprüchen und auch kulturell bedingten Bedürfnissen. Der individuelle Konsum des Arbeiters selbst besitzt dabei wiederum eine kapitalistische Besonderheit. Für den Kapitalisten ist der Geldumsatz in Lebensmitteln des Arbeiters ein doppelter Gewinn. Der Kapitalist bekommt dadurch einmal den reproduzierten Arbeiter zurück in den Verwertungsprozess und zum anderen bekommt er als Gesamtkapitalist auch das vorher an den Gesamtarbeiter ausgezahlte Lohngeld zurück. Somit ist der individuelle Verbrauch von Lebensmitteln laut Marx »ein Moment der Produktion und Reproduktion des Kapitals«28. Aus der gesamtgesellschaftlichen Perspektive ist der Arbeiter demnach generell und nicht nur innerhalb des Produktionsprozesses »Zubehör des Kapitals« und gleicht darin den »toten Arbeitsinstrumenten«.29
Der Tauschwert der Ware Arbeitskraft steht bereits vor ihrem Verbrauch fest. Ihr Gebrauchswert zeigt sich allerdings erst in der Tätigkeit ihrer Entäußerung beziehungsweise deren Konsumtion im kapitalistischen Produktionsprozess.30 Diese Trennung ist, wie sich später zeigen wird, die Grundlage der Mehrwertbildung. Die Arbeit als produktive Arbeit geht in den Produktionsprozess als Produkt ein, wie alle anderen denkbaren Materialien. Die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit schafft durch den Produktionsprozess die Ware und damit auch den Wert. Alle Arbeitszeit, die über die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit (also die gesellschaftlich durchschnittliche notwendige Zeit) hinaus geht, verringert also den Mehrwert, welcher demnach am Punkt der notwendigen Arbeitszeit maximal ist.31 Dennoch gibt es einen Unterschied zwischen physischen Materialien und produktiver Arbeit. Die physischen Produktionsmaterialien verlieren nämlich durch den Einsatz in der Produktion ihren eigentlichen Charakter als Produkt und sind nur noch Gegenstand des lebendigen Materials, also der produktiven Arbeit. Die produktive Arbeit ist für Marx daher ein doppelter Konsumtionsprozess. Sie verbraucht einmal die von ihr angewendeten Arbeitsmaterialien und auch sich selbst als produktive, also wertschaffende Arbeit.32
»Der Arbeitsprozeß […] ist zweckmäßige Tätigkeit zur Herstellung von Gebrauchswerten, Aneignung des Natürlichen für menschliche Bedürfnisse, allgemeine Bedingung des Stoffwechsels zwischen Mensch und Natur, ewige Naturbedingung des menschlichen Lebens und daher unabhängig von jeder Form dieses Lebens, vielmehr allen seinen Gesellschaftsformen gleich gemeinsam.«33
Aus diesem Grund geht es, hinsichtlich der Analyse des Arbeitsprozesses, nicht um die Darstellung von Herrschaftsverhältnissen in den sozialen und ökonomischen Beziehungen. Dem Arbeitsprodukt als Gebrauchswert merkt man zunächst die Produktionsbedingungen nicht an. Die vom Kapitalisten gekaufte Arbeit findet unter seiner Leitung statt; sie gehört ihm. Indem der Kapitalist die Arbeit gekauft hat und ihr Materialien zuführt, die ihm gleichfalls gehören, gehört auch das durch sie Produzierte ihm. Das ist die Folge des Gebrauchs der gekauften Ware, egal worin diese besteht. Der Gebrauch der Arbeit ist die Produktion innerhalb des Betriebes des Kapitalisten. Der Arbeitsprozess ist daher ein Prozess, der von den, dem Kapitalisten gehörenden, Waren und Materialien angetrieben wird. Ziel der kapitalistischen Produktion ist nicht mehr unmittelbar die Bedürfnisbefriedigung durch die Herstellung und den Verbrauch von Gebrauchswerten. Gebrauchswerte sind nur noch von Interesse, insofern diese Träger von Tauschwerten sind. Es geht um die Herstellung von Tauschwerten, die insofern wertvoller als ihre einzelnen Bestandteile, sie mehr Geld einzutauschen in der Lage sind, als für die einzelnen Bestandteile eingetauscht wurde.34
Dass in der Arbeitskraft eine Größe besteht, deren Tauschwert von ihrem Gebrauchswert durchaus verschieden ist, dass also die Erhaltung der Ware Arbeitskraft etwa drei Stunden kostet, aber viele Stunden mehr wirken kann, Mehrarbeit also möglich ist, ist laut Marx nicht zwangsläufig eine Ungerechtigkeit und basiert auch nicht auf der Schlechtheit des Kapitalisten, der es genau auf diese Differenz als ›Ort des Mehrwerts‹ abgesehen hat.35 Auch der Tausch Geld gegen Arbeitskraft findet laut Marx – oberflächlich betrachtet – unter den Bedingungen des Tausches von Äquivalenten statt. Demnach übervorteile das Kapital vermeintlich niemanden. Sobald die Arbeitskraft tätig wird, gehört sie nicht mehr dem Arbeiter, sondern dem Kapitalisten, der sie eingekauft hat.36 Es ist diese Besonderheit der Ware Arbeitskraft, die es auf Grundlage von Freiheit und Rechtsgleichheit ermöglicht, dass der Kapitalist den Mehrwert als Produkt der Mehrarbeit sich beständig und letztlich doch ohne Zahlung eines Äquivalentes aneignet.37 Aus der Perspektive des Kapitalisten entsteht der Mehrwert laut Marx ex nihilo, nur der Arbeiter kennt theoretisch dessen wahren Ursprung. Der Mehrwert ist durch die produktive Arbeit hergestellt, gehört aber vom ersten Moment an dem Kapitalisten, der dafür keine Gegenleistung erbringen muss. Die kapitalistische Produktion ist dann allgemein durchgesetzt, wenn mehrwertschaffende Lohnarbeit einmal die gesellschaftlich dominante Form von Arbeit überhaupt ist. Erst dann entfaltet sie laut Marx »alle ihre verborgenen Potenzen«38. Laut Marx’ Arbeitswertlehre muss jede Warenproduktion als Ausbeutung der Arbeitskraft gelten. Jedoch folgt erst der »kapitalistischen Warenproduktion« als »epochemachende[r] Ausbeutungsweise« die Umwälzung der »ganze[n] ökonomische[n] Struktur der Gesellschaft«.39
6.3Die kapitalistische Produktion als historisches Ergebnis
Die kapitalistische Produktion als Charakteristikum der bürgerlichen Gesellschaft ist selbst Ausdruck der gesellschaftlichen Entwicklung und insofern besonderer Ausdruck des historischen Gegensatzes von angehäufter und unmittelbarer Arbeit. Die Grundlagen der bürgerlichen Gesellschaft und damit diese selbst ist Produkt der historischen Entwicklung des Widerspruches von unmittelbarer und angehäufter Arbeit. Sie steht laut Marx nicht auf irgendwelchen metaphysischen Werten. Ihre Prinzipien gehen aus der Geschichte hervor, weswegen sie gerade Ausdruck der Kontinuität des Widerspruches und nicht eines historischen Bruchs ist.
Produktion heißt für Marx immer, produzieren auf einer bestimmten gesellschaftlichen Entwicklungsstufe. Jede gesellschaftliche Produktivkraft oder jede Entwicklungsstufe der Produktion ist lauf Marx ein Erbe, das aus den Anstrengungen und Arbeiten vorangegangener Generationen hervorgeht. Darin besteht der Kern des Historischen Materialismus, wie Marx ihn formuliert:
»Dank der einfachen Tatsache, dass jede neue Generation die von der alten Generation erworbenen Produktivkräfte vorfindet, die ihr als Rohmaterial für neue Produktion dienen, entsteht ein Zusammenhang in der Geschichte der Menschen, entsteht die Geschichte der Menschheit, die umso mehr Geschichte der Menschheit ist, je mehr die Produktivkräfte der Menschen und infolgedessen ihre gesellschaftlichen Beziehungen wachsen.«40
Marx formuliert diese grundlegende Annahme eindeutig: Die Art der Produktion, also das, wie sich das individuelle Leben zeigt, ist dessen Art. »Was sie [die Individuen, FB] sind, fällt also zusammen mit ihrer Produktion, sowohl damit, was sie produzieren, als auch damit, wie sie produzieren.«41 Das Sein der Individuen ist also bedingt durch die materiellen Voraussetzungen ihrer individuellen Produktion. Dieses geschichtliche Verhältnis der Generationen untereinander sowie der verschiedenen Produktionsverhältnisse zueinander geht dabei sehr tief und über die rein ›materielle‹ Basis hinaus.
»Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen.«42
Jede neue Gesellschaftsformation geht aus der vorherigen hervor, die Grundlagen einer neuen Gesellschaftsformation werden demnach immer in der vorgehenden schon produziert. Die Revolution bringt dann letztlich die alte Gesellschaftsformation zum Zusammenbruch und verhilft der neuen zum Durchbruch, und zwar entsprechend der Prinzipien, wie sie in der alten für die neue Formation schon grundgelegt wurden. Der Widerspruch zwischen angehäufter und unmittelbarer Arbeit ist damit in der bürgerlichen Gesellschaft nicht auf-, sondern nur auf eine neue Entwicklungsstufe gehoben worden. Die bürgerliche Gesellschaft ist ebenso wie die Ständegesellschaft von diesem Widerspruch geprägt.
Historische Bedingung kapitalistischer Lohnarbeit ist einerseits die Befreiung der Arbeit aus ständischen Verpflichtungsverhältnissen. Die Arbeit muss »frei, los und ledig«43 sein. Andererseits braucht es freies und mobiles Kapital. Frühe Kapitalien »wurde[n] durch die Feudalverfassung auf dem Land, durch die Zunftverfassung in den Städten an seiner Verwandlung in industrielles Kapital behindert«44. Von diesen Begrenzungen muss sich das Kapital befreien. Insbesondere der aufkommende Überseehandel, die Kolonialisierung des afrikanischen Kontinents und die Entdeckung der Edelmetallminen vor Allem in Südamerika trieben für Marx diese Befreiung des ursprünglichen Kapitals an. Er bezeichnet diese durchaus zynisch als »idyllische Prozesse« und »Hauptmomente der ursprünglichen Akkumulation«.45 Mit »ursprünglicher Akkumulation« meint Marx im Grunde nichts anderes als »die Auflösung des auf eigner Arbeit beruhenden Privateigentums«.46 Diese ursprüngliche Akkumulation ist dabei die historische Grundlage, auf der das kapitalistische Verhältnis insgesamt aufbaut.47 Sie brachte auf der einen Seite Menschen mit Besitz an Kapital und Waren sowie auf der anderen Seite den Arbeiter als ›doppelt frei‹48 hervor. Der Arbeiter ist frei als Person und frei von Produktionsmitteln. Arbeit als solche ist dann »einerseits die absolute Armut als Gegenstand, andrerseits die allgemeine Möglichkeit des Reichtums als Subjekt und als Tätigkeit«49. Diese »Polarisation des Warenmarktes« ist die »Grundbedingung der kapitalistischen Produktion« und der Befreiungsprozess der Arbeit ist gleichbedeutend mit der Transformation vom »Produzenten in Lohnarbeiter«.50
Diese Entwicklung, die der Marxschen Historischen Materialismus beschreibt, ist allerdings laut Marx keine offenliegende Tatsache. Seine Gesetzmäßigkeiten verlaufen vielmehr verborgen und hinter den Kulissen. Aus diesem Grund erscheinen die bisherigen revolutionär hervorgebrachten Gesellschaftsformationen als Befreiung, obwohl sie den Widerspruch nur neu verkleiden. Einzelne Erscheinungen ragen heraus, wenn es um die Verschleierung der wirklichen Verhältnisse geht. Die Ware ist für Marx eine solche Erscheinung. Auf der Suche nach einem begrifflichen Sinnbild zur Beschreibung dieses Gedankens hinsichtlich der Ware geht Marx in die »Nebelregion der religiösen Welt«51. Jedes Individuum erkennt nur das eigene »Einzelinteresse im Gegensatz zu dem des anderen«52. Im »Geheimnis der Warenform«53 zeigt sich die Gesellschaftlichkeit als Verhältnis der einzelnen produktiven Arbeiten zueinander. Es wird laut Marx nicht als Eigenschaft arbeitsteiliger Produktion, sondern als natürliche Eigenschaft der Ware gesehen. Die Waren
»scheinen die Produkte des menschlichen Kopfes mit eignem Leben begabte, untereinander und mit den Menschen in Verhältnis stehende selbständige Gestalten. So in der Warenwelt die Produkte der menschlichen Hand. Dies nenne ich den Fetischismus [Herv. FB], der den Arbeitsprodukten anklebt, sobald sie als Waren produziert werden, und der daher von der Warenproduktion unzertrennlich ist«54.
Die historische Entwicklung ist laut Marx bisher nicht transparent. Die Triebkräfte sind verborgen. Hinsichtlich der Verschleierung der tatsächlichen Verhältnisse übertreffen die kapitalistischen Verhältnisse sogar die feudale Gesellschaft, und zwar weil der Widerspruch in der bürgerlichen Gesellschaft eigentlich viel intensiver ist als zuvor. Freiheit und Gleichheit waren in der Ständegesellschaft überhaupt keine maßgeblichen Werte. In der bürgerlichen Gesellschaft allerdings und in der Nachfolge der Französischen Revolution sind dies nun vermeintliche gesellschaftliche Strukturprinzipien. Tatsächlich sind diese, wie sich zeigen wird, nur inszeniert. In der bürgerlichen Gesellschaft sind Waren- oder Geldfetisch gesellschaftliche Tatsachen. Die reale Verschleierung ist die gesellschaftliche Realität.55 Die bürgerliche Gesellschaft ist für Marx durch ganz bestimmte Formen von Freiheit, Gleichheit und Eigennutzorientierung geprägt, die allerdings wenig mit Aufklärung oder Humanismus zu tun haben. Die Aufklärung drückt Marx in den Begriffen der Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise aus.
In der ständischen Gesellschaft entwickelten die Individuen durch ihr Handeln die Produktivkräfte, welche durch ihre Ausdehnung zunehmend in Gegensatz zu den feudalen (Produktions-)Verhältnisse geraten.56 Es entstand also eine immanente Reibung zwischen Produktivkräften einer protokapitalistischen Produktionsweise und den Produktionsverhältnissen der ständischen Gesellschaft. Dies ist ein spezifischer Ausdruck des grundsätzlichen Treibers der historischen Entwicklung. Die Entwicklung des historischen Widerspruchs zwischen angehäufter und unmittelbarer Arbeit bringt Reibungen zwischen der Entwicklung der Produktivkräfte und der Gesellschaftsformation hervor, welche letztlich revolutionär überwunden werden und woraus eine neue Gesellschaftsformation hervorgeht. Doch auch diese wird mit der Zeit in Widerspruch zu den sich weiterentwickelnden Produktivkräften geraten und überwunden werden müssen.
So spricht Marx im Manifest der Kommunistischen Partei davon, dass die feudalen Produktionsverhältnisse »gesprengt« werden mussten und im weiteren Verlauf der Entwicklung »wurden [sie] gesprengt«57. Es ist dies Ausdruck des Gegensatzes, der die Dynamik der historischen Entwicklung ausmacht, da die Spannungen, die sich daraus ergeben, immer wieder aufgelöst, überwunden oder gesprengt werden. Kapital und Lohnarbeit sind demnach nur andere Ausdrücke des historischen Gegensatzes zwischen angehäufter und unmittelbarer Arbeit; daraus geht je nach Entwicklungsstand der Produktion eine andere Gesellschaftsformation hervor. Sklavenhaltergesellschaft, Ständegesellschaft oder bürgerliche Gesellschaft sind damit Ausdrücke unterschiedlicher Produktionsbedingungen. Der Gegensatz, der für Marx die Quelle der Dynamik der historischen Entwicklung ist, erscheint hier in seiner Abhängigkeit von dem Entwicklungsstand der Produktivkräfte. Die bürgerliche Gesellschaft wird so zu einem Ausdruck eines ganz bestimmten Gegensatzes von angehäufter und unmittelbarer Arbeit oder eben von Kapital und (Lohn-)Arbeit.
6.4Die Strukturprinzipien der bürgerlichen Gesellschaft
als historische Zwangsläufigkeit
6.4.1Reproduktion der kapitalistischen Verhältnisse
Die historischen Bedingungen der kapitalistischen Produktion und damit der bürgerlichen Gesellschaft sind die Existenz freier Arbeit und freien Kapitals, soviel wurde bereits erläutert. Diese Voraussetzung »wird vermittelst der bloßen Kontinuität des Prozesses, der einfachen Reproduktion,« so Marx, »stets aufs neue produziert und verewigt als eignes Resultat der kapitalistischen Produktion«.58 Aus der kapitalistischen Produktion gehen wiederholt auf der einen Seite »stoffliche[r] Reichtum in Kapital, Verwertungs- und Genußmittel für den Kapitalisten« und auf der anderen Seite die Arbeiter »als persönliche Quelle des Reichtums, aber entblößt allen Mitteln, diesen Reichtum für sich zu verwirklichen«, hervor.59 Ergebnis des kapitalistischen Produktionsprozesses sind demnach nicht nur bestimmte Waren. Die Individuen produzieren nicht nur Waren, sondern die materiellen Grundlagen der Gesellschaft insgesamt, und damit auch die Bedingungen der kapitalistischen Produktion sowie damit die eigene Positionierung innerhalb der kapitalistischen Verhältnisse. Kapitalistische Produktion ist immer auch kapitalistische Reproduktion.60
Die gesellschaftlichen Strukturen und Voraussetzungen der kapitalistischen Produktion sind damit ebenso Ergebnis der kapitalistischen Produktion wie die hergestellten Waren und Dienstleistungen, und zwar schon in der sogenannten »einfachen Reproduktion«61 des Kapitals. Darunter versteht Marx zunächst nichts anderes, als dass der durch die Arbeit produzierte Mehrwert vom Kapitalisten bis auf den Teil, der zum Ersatz des eingesetzten ursprünglichen Kapitals gebraucht wird, in Gänze konsumiert wird.62 Das ursprüngliche Kapital verbraucht sich in diesem Prozess und erscheint nach einer Weile nur noch als Repräsentant des ursprünglichen Kapitalwertes. Es ist mit der Zeit ersetzt worden. Die Arbeit produziert wiederholt die sie »beherrschende und ausbeutende Macht«, welche ihr wiederholt und beständig die »wertschöpfende Kraft aussaugt« – das ist laut Marx das »sine qua non [Herv. FB] der kapitalistischen Produktion«.63 Schon die einfache Reproduktion zwingt die Arbeit immer wieder neu unter die Knute des Kapitals und gibt diesem immer wieder von Neuem diese Knute in die Hand, jedoch alles auf einem konstanten Niveau. Aus dieser Perspektive ergibt sich für Marx folglich bereits eine gewisse Verfestigung der kapitalistischen Verhältnisse, denn durch die wiederholte
»Einverleibung der Arbeit in das Kapital wird das Kapital Produktionsprozeß; zunächst aber materieller Produktionsprozeß; Produktionsprozeß überhaupt, so daß der Produktionsprozeß des Kapitals nicht unterschieden ist von materiellem Produktionsprozeß überhaupt«64.
Als solche ist die kapitalistische Produktion tatsächlich autopoietisch.65 Kapital selbst bildet sich überhaupt nur durch die Schaffung und Abschöpfung von Mehrwert. Dem Mehrwert kommt dabei die zentrale Funktion zu. Entsprang der Mehrwert vormals dem ursprünglichen Kapital, gilt es nun danach zu fragen, wie das Kapital in der Reproduktion seiner selbst aus dem Mehrwert entspringt. Grundbedingung dafür ist nach Marx, dass der Mehrwert nicht vollständig konsumiert wird. »Anwendung von Mehrwert als Kapital oder Rückverwandlung von Mehrwert in Kapital heißt Akkumulation von Kapital.«66 Der Mehrwert tritt zwangsläufig immer als Geld auf. Um nun daraus Kapital zu bilden, muss es für den Produktionsprozess verwendbar gemacht werden. Insofern beschreibt Marx, dass der Mehrwert als Zuwachs des Kapitals und in seiner Form als Geld »jetzt an sich schon Kapital, als solches Anweisung auf neue Arbeit«67 ist. Insofern entspricht die Nachfrage nach Arbeitskraft dem Zuwachs an Kapital.68
Das Geld verändert im Verlaufe der Entwicklung der kapitalistischen Produktion laut Marx demnach seine Stellung dazu: »Wie das Geld erst als Voraussetzung des Kapitals erschien, als Ursache desselben, so erscheint es jetzt als seine Wirkung.«69 Nun tritt aus der kapitalistischen Produktionsweise selbst im Mehrwert Geld hervor, das sich zunächst gegen die Zirkulation stellt, so wie es am Anfang auch der Geldschatz getan hat. Als Mehrwert besteht nun die Erwartung an Geld, dass es in Kapital verwandelt werden kann. Es ist sozusagen das Schicksal dieses Geldes, kapitalisiert zu werden.70 Dafür muss allerdings entweder der Arbeitstag verlängert oder intensiviert werden oder zusätzliche Arbeitskraft verfügbar sein. Für Marx ist dies die Begründung dafür, dass das Kapital an der Vermehrung der Bevölkerung interessiert ist.71 Nur freie Arbeitskraft kann Mehrwert anwenden. Daher ist die Voraussetzung von Mehrwertverwertung zusätzlich verfügbare Arbeitskraft.
Diese »zuschüssigen Arbeitskräfte braucht das Kapital nur noch den in der Jahresproduktion schon enthaltnen zuschüssigen Produktionsmitteln einzuverleiben, und die Verwandlung von Mehrwert in Kapital ist fertig«72.
Ein wachsendes Kapital ist als Nachfrage nach mehr Arbeit darauf angewiesen, diese auf dem Markt auch zu finden. Daher hält Marx fest, dass Kapitalakkumulation automatisch ein Bevölkerungswachstum braucht, um den zusätzlichen Bedarf nach Arbeit zu befriedigen.73 Dieser Zusammenhang ergibt sich aus der historischen Entwicklung.
Die kapitalistische Produktion zeigt sich nach dieser kurzen Darstellung als ein konkreter und historischer bedingter Handlungszusammenhang. Kapitalistische Produktionsverhältnisse und kapitalistische Handlungszusammenhänge werden daher im Folgenden synonym verwendet.
6.4.2Die produzierte Entfremdung
Die Stellung der Individuen zueinander und zu ihrer Produktion, das wurde bereits deutlich, ist für Marx Ausdruck des kapitalistischen Verhältnisses. Ändert oder entwickelt sich das kapitalistische Verhältnis, dann verändern sich auch die sozialen Beziehungen und die gesellschaftliche Struktur. Im Folgenden wird gezeigt, dass die Entfremdung – eine Begleiterscheinung der Arbeitsteilung – in der bürgerlichen Gesellschaft, also unter den Bedingungen entwickelter Produktion intensiver und drückender wird. Die kapitalistische Produktionsweise, ihre Waren und die gesellschaftliche Struktur werden so immer mehr zu etwas Fremden, das den Individuen gegenübertritt und sie beherrscht.
Den kapitalistischen Verhältnissen ist also der Prozess der Entfremdung eigen. Die Individuen produzieren nicht nur Produkte, sondern die Grundlage ihrer materiellen Existenz. Aus der historischen Entwicklung schält sich gemäß des Historischen Materialismus das kapitalistische Verhältnis hervor, welches sich in den Waren vergegenständlicht. Hinter diesem Gedanken verbirgt sich die Marx’sche Idee der Vergegenständlichung als Handlungstheorie,74 welche die Grundlage der Entfremdung ist.
»Der Gegenstand, den die Arbeit produziert, ihr Produkt, tritt ihr als ein fremdes Wesen, als eine von dem Produzenten unabhängige Macht gegenüber. Das Produkt der Arbeit ist die Arbeit, die sich in einem Gegenstand fixiert, sachlich gemacht hat, es ist die Vergegenständlichung der Arbeit. Die Verwirklichung der Arbeit ist ihre Vergegenständlichung.«75
Es ist dies kein von irgendeinem Individuum mutwillig eingespieltes Programm, sondern innerhalb des Modells einer arbeitsteiligen Gesellschaft schlichte Folge menschlichen Handelns. Das Vergegenständlichungsmodell basiert auf absichtlichem Handeln. Arbeit erscheint in dieser Hinsicht dreifach: als Zweck der Tätigkeit, Prozess des Tätigseins und Resultat der Tätigkeit. Daraus folgt, dass das Ergebnis einer Handlung theoretisch unabhängig von dieser existiert, ursprünglich aber auf sie zurückzuführen ist.76
Auf Grundlage dieses Handlungsmodells entwickelt Marx eine eigene Sichtweise auf die Entfremdung beziehungsweise Abstraktion der Arbeit in arbeitsteiligen Gesellschaften.77 Entfremdung und Arbeitsteilung sind insofern zwei zusammenhängende Begriffe: Entfremdung ist eine Folge von Arbeitsteilung.78
Jede Form von Arbeit bezieht sich immer auf die Natur. Nur an ihr kann sie sich verwirklichen, in ihr ist sie aktiv und aus ihr stammen Arbeitsprodukte. Die Natur bietet also einmal die Lebensmittel der Arbeit, aber auch die Lebensmittel als Existenzgrundlage des Menschen allgemein und des Arbeiters speziell. Je mehr der Arbeiter sich durch seine Arbeit von der Natur aneignet, desto mehr verbraucht er sie auch als Quelle von Lebensmitteln, und zwar in doppelter Hinsicht. Sie hört auf der einen Seite dadurch immer mehr auf, Gegenstand seiner Arbeit sein zu können und auf der anderen Seite kann sie immer weniger als tatsächliche Lebensgrundlage, also Existenzbedingung des Arbeiters dienen. Die ›natürliche‹ Natur wird durch die Arbeit zur menschengemachten Natur. Dieser menschengemachten Natur kommt Herrschaft über das Individuum zu; der Arbeiter wird immer mehr »Knecht seines Gegenstandes«79. Erstens weil der Arbeitsgegenstand Bedingung seiner Arbeitstätigkeit ist und zweitens, weil dieser die Bedingung dafür ist, dass das Individuum Lebensmittel für seine physische Existenz erhält. Das unmittelbare Verhältnis von Arbeit zum Arbeitsprodukt ist das Verhältnis vom Produzenten zum produzierten Gegenstand.
Die Entfremdung zeigt sich nicht nur hinsichtlich des Produktes, sondern wird von Marx auch hinsichtlich der Produktion dessen gesehen. Ist das Produkt als Ergebnis eines Produktionsprozesses die vergegenständlichte entäußerte Arbeit, so kann sie das nur sein, wenn der Prozess selbst »tätige Entäußerung«80 ist. Die Arbeit selbst wird von Marx in der bürgerlichen Gesellschaft dergestalt charakterisiert, nicht mehr Äußerung des Wesens des Arbeiters zu sein. Lohnarbeit ist nicht mehr Lebensäußerung des Arbeiters, sondern als solche ist ihm Arbeit ein äußerlicher Zwang. Er befriedigt damit kein Bedürfnis, sondern sie ist nur das Mittel, mit dem er seine Bedürfnisse befriedigen kann. Die Arbeit als Lohnarbeit gehört einem anderen, nämlich Kapitalisten, der sie als Produktionsmittel gekauft hat. Er hat die Arbeit als Ware gekauft, ihm gehört sie und er lässt sie schlicht durch den Arbeiter anwenden, so wie er auch andere Produktionsmittel durch diesen anwenden lässt.
»Wie in der Religion die Selbsttätigkeit der menschlichen Phantasie, des menschlichen Hirns und des menschlichen Herzens unabhängig vom Individuum, d.h. als eine fremde, göttliche oder teuflische Tätigkeit, auf es wirkt, so ist die Tätigkeit des Arbeiters nicht seine Selbsttätigkeit.«81
Die Entfremdung zeigt sich erstens darin, dass sich der Gegenstand über den Produzenten ermächtigt, der Produzent vom Gegenstand also abhängig ist. Zweitens ist nicht nur das Produkt der Arbeit entäußert, sondern der Prozess der Arbeit – das Produzieren – selbst ist tätige Entäußerung. Es gibt dazu noch eine dritte Spezifizierung der Entfremdung. Die Natur bildet eigentlich den »unorganischen Leib«82, mit dem der Mensch in dauerhaftem Austausch steht. Die produktive Arbeit entfremdet dem Menschen allerdings die Natur, mit der er unter der Bedingung kapitalistischer Produktion nur noch vermittelt durch das kapitalistische Verhältnis im Austausch steht. Damit entfremdet die kapitalistische Produktion die menschliche Gattung und das menschliche Individuum.
»Die entfremdete Arbeit kehrt das Verhältnis dahin um, daß der Mensch eben, weil er ein bewußtes Wesen ist, seine Lebenstätigkeit, sein Wesen nur zu einem Mittel für seine Existenz macht.«83
Das Gattungswesen Mensch könnte theoretisch die ganze Natur reproduzieren, es produzierte dann nicht nach den Gesetzen der Spezies, sondern nach den »Gesetzen der Schönheit«84. Das Gattungswesen des Menschen liegt für Marx in der arbeitsteiligen Produktion füreinander. Als Gattungswesen vervollkommnen sich die Individuen gegenseitig. Das Ziel des Gattungswesen ist der gesellschaftliche und nicht der individuelle Genuss.85 Erst in dieser Produktion nach den Gesetzen der Schönheit zeigt sich das menschliche Gattungswesen. Durch diese Produktion würde die Natur zum Werk des Menschen. Eigentlich ist damit der Gegenstand von Arbeit »die Vergegenständlichung des Gattungslebens des Menschen«86. Doch unter den kapitalistischen Verhältnissen ist – und das ist der vierte Aspekt von Entfremdung – auch der Mensch vom Menschen entfremdet, denn jeder Mensch sieht seine Stellung zu anderen Menschen in Abhängigkeit seiner Stellung als Produzent.87 Marx sieht hier die Trennung von Gattung und Individuum. Das Gattungswesen der Menschen, also die Produktion füreinander, wird zum Zweck des individuellen Lebens. Indem Arbeit also nur noch Mittel zur Befriedigung individueller Bedürfnisse ist, ist das produzierende Leben, also das Gattungsleben, selbst nur noch Lebensmittel. Mensch und dessen Lebenstätigkeit der Arbeit werden hier eins und damit wird der Mensch laut Marx zum Tier, denn eigentlich ist es möglich, dass der Mensch seine Lebenstätigkeit zum »Gegenstand seines Wollens und seines Bewußtseins« macht.88
In der Marx’schen Konzeption von Entfremdung zeigen sich offensichtlich vier Dimensionen.89 Die erste handelt von der Beziehung des Arbeiters und den Arbeitsprodukten selbst. Laut seiner Handlungstheorie ist das Produkt menschlicher Handlungen immer ein eigenständiger und von der Handlung unabhängiger Gegenstand. Aufgrund dieser Konstellation ist es überhaupt möglich, dass sich zwischen Handlung beziehungsweise Produktion und Produkt eine soziale Institution wie das Eigentum als Beschränkung des menschlichen Seins schieben kann.90 Es bildet dann den Hintergrund, vor dem in der kapitalistischen Produktionsweise der Produzent von seinem Produkt getrennt werden kann.91 Der Mensch entfremdet sich entsprechend durch seine Tätigkeit an der Natur von der Natur.92
Die zweite Dimension besteht zwischen dem Arbeiter und der Tätigkeit des Arbeitens. Die Entfremdung des Arbeiters von seiner eigenen Tätigkeit zeigt sich einmal in der Fremdbestimmtheit im Prozess und einmal in dem unglücklichen Gefühl des Arbeiters während dieses Prozesses. Kapitalistische Arbeit ist nicht mehr intrinsisch, sondern nur noch extrinsisch, also aus reinem Überlebenstrieb heraus motiviert. Daher findet durch die Arbeit auch keine individuelle Verwirklichung mehr statt, sondern ist nur noch Mittel zur Verlängerung der Existenz.93
Die dritte Dimension zeigt sich in der Entfremdung des Arbeiters von seinem Gattungswesen, als Resultat aus den ersten beiden Dimensionen. Gattungs- und individuelles Leben werden entfremdet und darüber hinaus wird auch noch das Individuelle Voraussetzung des Gattungslebens, jeweils in ihrer abstrakten Form.94
Als vierte Dimension zeigt sich die Entfremdung der zwischenmenschlichen Beziehungen. Diese Dimension steht für die Zweck-Mittel-Umkehr der menschlichen Beziehungen, welche sich in der kapitalistischen Gesellschaft zeigt: Die Individuen produzieren nicht, um sich gegenseitig zu vervollständigen, sondern um sich Produkte anderer für die eigene Bedürfnisbefriedigung anzueignen. »Im kapitalistischen Marktzusammenhang«95, so die Formulierung von Michael Quante, herrsche eine ›verkehrte‹ Zweck-Mittel-Relation. Dadurch, dass die Menschen nicht direkt, sondern vielmehr nur indirekt für die Bedürfnisbefriedigung der anderen produzieren, erkennen sie gerade nicht das Gattungswesen des Menschen an. Diese Form der Entfremdung bedeutet laut Marx für die Individuen seelische Verelendung. Durch ihr Handeln, ihre Tätigkeit, ihre Arbeit verlieren sie beständig sich selbst, ihre Mitmenschen und ihre ganze Natur. Insgesamt muss die Entfremdung als eine Folge der kooperativen und arbeitsteiligen Kollektivprozesse komplexer Gesellschaften gesehen werden.96 Sie ist also eine Folge der kapitalistischen Produktionsweise beziehungsweise der kapitalistischen Lohnarbeit und damit kein natürliches Phänomen; sie ist historisch.97
Entfremdung ist für Marx keine philosophische Kategorie, sondern gesellschaftliche Realität. So ist der Warenfetisch Ausdruck der Entfremdung. Erscheint oberflächlich die Ware selbst als ein vermeintlich gesellschaftliches Wesen, kann sie doch »nicht selbst zu Markte gehn und sich nicht selbst austauschen«98, wie Marx fast süffisant bemerkt. Die Individuen bringen sie zum Markt und tauschen sie aus. Waren kommen demnach nur menschenvermittelt zueinander in Beziehung. Die Individuen erkennen nicht, dass sie durch ihre verschiedenen Arbeiten schon gesellschaftlich aufeinander bezogen sind. Sie erkennen dies nur in der Ware. Die Ware ist daher ein erster Ausdruck der Entfremdung des menschlichen Gattungswesen. Die Individuen erkennen allerdings den Grund des Warenfetisches nicht. In den Grundrissen klingt das bei Marx so:
»Die wechselseitige und allseitige Abhängigkeit der gegeneinander gleichgültigen Individuen bildet ihren gesellschaftlichen Zusammenhang. Dieser gesellschaftliche Zusammenhang ist ausgedrückt im Tauschwert, worin für jedes Individuum seine eigne Tätigkeit oder sein Produkt erst eine Tätigkeit und ein Produkt für es wird; es muß ein allgemeines Produkt produzieren – den Tauschwert oder, diesen für sich isoliert, individualisiert, Geld.«99
Unter den Bedingungen der kapitalistischen Produktionsweise ist Geld insofern der wesentliche Verschleierungsbegriff des Gattungswesen. Die Entfremdung der Arbeit im Produktionsprozess erscheint als »Entäußerung, und die Entäußerung als Aneignung«100. Auch der Mehrwert ist ein Produkt der Arbeit. Auch dieser entfernt sich in der kapitalistischen Produktion beständig von den Produzenten und wird durch das Kapital angeeignet. Zusammen mit der Tatsache, dass Arbeit innerhalb der kapitalistischen Produktionsverhältnisse nur noch in diesen Zusammenhängen funktioniert, die zugleich ihre eigene Grundlage waren, ist es der Arbeit unter kapitalistischen Verhältnissen unmöglich, »etwas Selbständiges zu machen«101. Es ist für Marx zunehmend nicht mehr der Arbeiter, der die Produktionsmittel anwendet, sondern es sind die Produktionsmittel, die den »Arbeiter anwenden«102. Arbeit ist demnach nur noch
»sich selbst entfremdete Arbeit, der der von ihr geschaffene Reichtum als fremder Reichtum, ihre eigne Produktivkraft als Produktivkraft ihres Produkts, ihre Bereicherung als Selbstverarmung, ihre gesellschaftliche Macht als Macht der Gesellschaft über sie gegenübertritt«103.
Die Produktivkräfte der Arbeit, die im gesellschaftlichen Produktionsprozess durch die Lohnarbeit entwickelt werden, sind dann nicht mehr der Arbeit, sondern vielmehr dem Kapital zugehörig – sie sind »Produktivkraft des Kapitals«104. Der Zusammenhang zeigt sich also wie folgt: Je mehr Lohnarbeit verrichtet, je wichtiger diese im gesellschaftlichen Produktionsorganismus wird, desto mehr Mehrwert wird produziert und desto stärker ist das kapitalistische Verhältnis sowie die Entfremdung insgesamt. Die Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise geht entsprechend mit einer Zunahme an Entfremdung einher. Den Individuen sind immer mehr die Möglichkeiten entzogen, ihr Wesen zu äußern; ihre Tätigkeiten werden immer mehr zur Entäußerung ihrer selbst.
»Der Arbeiter wird umso ärmer, je mehr Reichtum er produziert, je mehr seine Produktion an Macht und Umfang zunimmt. Der Arbeiter wird eine um so wohlfeilere Ware, je mehr Waren er schafft. Mit der Verwertung der Sachenwelt nimmt die Entwertung der Menschenwelt in direktem Verhältnis zu. Die Arbeit produziert nicht nur Waren; sie produziert sich selbst und den Arbeiter als eine Ware, und zwar in dem Verhältnis, in welchem sie überhaupt Waren produziert.«105
Die Arbeit als Tätigkeit überhaupt wird im Laufe der Entwicklung der Produktivkräfte immer elender. Noch in der Manufaktur war die Arbeitsteilung derart, dass sich der Arbeiter daran gewöhnte, eine Teilaufgabe zu erledigen. Unter dem Einfluss der Maschine jedoch verändert sich es und Arbeit wird daran gewöhnt, lebenslang eine Teilaufgabe auszuüben. Maschinen führen dazu, dass der Arbeiter »von Kindesbeinen in den Teil einer Teilmaschine« verwandelt, seine Abhängigkeit von der Fabrik als Arbeitsstätte »vollendet« und er selbst immer mehr der Maschine unterworfen wird, ohne die er nicht mehr in der geforderten oder notwendigen Form zu arbeiten in der Lage ist.106 Entfremdung ist eine historische Zwangsläufigkeit. Sie geht auf die grundsätzliche arbeitsteilige Struktur der Gesellschaft zurück. In der bürgerlichen Gesellschaft wird die Entfremdung allerdings auf der Basis der kapitalistischen Eigengesetzlichkeit zunehmend auf die Spitze getrieben.
6.4.3Isolation eigentlich sozialer Wesen
Entfremdung ist, das wurde soeben erwähnt, nicht nur ein Phänomen, welches Marx zwischen Produkt und Produzierenden beobachtet. Marx erkennt Tendenzen der Entfremdung auch zwischen den Produzierenden. Beides ist für Marx Folge der Zuspitzung des Gegensatzes von angehäufter und unmittelbarer Arbeit in den kapitalistischen Verhältnissen. Diese verschiedenen Entwicklungen und Prinzipien beeinflussen die Individuen als Bestandteil der bürgerlichen Gesellschaft – für sie ergibt sich daraus eine neue Realität, nämlich die der Isolation. Das isolierte Individuum ist laut Marx’ Analyse ebenfalls eine Folge der historischen Entwicklung. In allen bisherigen Gesellschaftsformationen waren das Individuum immer von einer größeren Einheit abhängig, und zwar direkt und unverschleiert. Zuerst war dies die Familie oder der Stamm und dann sich entwickelnde ständische Gemeinwesen.
»Erst im 18. Jahrhundert, in der ›bürgerlichen Gesellschaft‹, treten die verschiedenen Formen des gesellschaftlichen Zusammenhangs dem einzelnen als bloßes Mittel für sein Privatzwecke entgegen, als äußere Notwendigkeit.«107
Es ist dies die Gesellschaft, die mit dem Handlungsmechanismus der kapitalistischen Produktion die bisher entwickelsten gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse, den komplexesten gesellschaftlichen Produktionsorganismus und den »vereinzelten einzelnen« hervorbrachte, was Marx in den Grundrissen als ein »Unding [der] Sprachentwicklung«108 disqualifiziert. Je größer die Bedeutung der Arbeitsteilung hinsichtlich der gesellschaftlichen Produktion, »um so egoistischer, gesellschaftsloser, seinem eigenen Wesen entfremdeter wird der Mensch«109. Dieser Feststellung begegnet Marx mit Sarkasmus:
»Der Mensch ist im wörtlichsten Sinn ein zoon politikon, nicht nur ein geselliges Tier, sondern ein Tier, das nur in der Gesellschaft sich vereinzeln kann.«110
Die isolierten Individuen fühlen sich nicht mehr als einem größeren Ganzen zugehörig, sondern sind sich gegenseitig nur noch dienlich. In der bürgerlichen Gesellschaft sind die Individuen nur noch Träger verschiedener Bedürfnisse. Zur Befriedigung dieser werden sie sich gegenseitig zum Mittel.111 Das individuelle Gefühl der Isolation und der Einsamkeit ist ein Produkt der kapitalistischen Produktionsweise. Es ist Ausdruck der auf die Spitze getriebenen Verschleierung einer in den kapitalistischen Verhältnissen zugenommenen gegenseitigen Abhängigkeit, die sich allerdings in großen gesellschaftlichen Konstruktionen, etwa dem Geld entfremdet zeigt und sich nicht direkt als menschliches Gattungswesen ausdrückt.
6.4.4Die Entwicklung von Reichtum und Elend
Auch die Verteilung von Reichtum und Armut ist durch die Entwicklung des historischen Widerspruches bedingt. Diese Form der Verteilung ist sogar gewissermaßen das Schwungrad der Entwicklung des Gegensatzes.
Die Entwicklung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse, welche mit dem Akkumulationsprozess einhergeht, verläuft nach Marx’ Beschreibung für die Individuen nicht einheitlich, sondern unterschiedlich, und zwar insofern,
»daß in denselben Verhältnissen, in denen der Reichtum produziert wird auch das Elend produziert wird; daß in denselben Verhältnissen, in denen die Entwicklung der Produktivkräfte vor sich geht, sich eine Repressionskraft entwickelt; daß diese Verhältnisse den bürgerlichen Reichtum, d.h. den Reichtum der Bourgeoisklasse, nur erzeugen unter fortgesetzter Vernichtung des Reichtums einzelner Glieder dieser Klasse und unter Schaffung eines [daher] stets wachsenden Proletariats«112.
Dies ist der Widerspruch von Kapital und Lohnarbeit, und zwar im spezifischen Ausdruck der kapitalistischen Produktionsweise. Die technologische Entwicklung oder Maschinisierung der Produktion als Entwicklung der Produktivkräfte verstärkt die »furchtbarste Geißel« für die Arbeiter, welche in der Erhöhung der Anzahl »der schon für kapitalistische Ausbeutung disponiblen Arbeitskräfte«113 besteht. Die Arbeiter existieren daher unter dem Einfluss der Entwicklung der Produktivkräfte in ständiger Unsicherheit. Sie werden beständig »repelliert und attrahiert, hin- und hergeschleudert, und dies bei beständigem Wechsel in Geschlecht, Alter und Geschick«114. Obgleich es keinen ständischen oder rechtlichen Unterschied zwischen Arbeitern und Kapitalisten gibt, beides sind formell gleichberechtigte Glieder der bürgerlichen Gesellschaft, die sich ebenso auf dem Markt treffen, bleibt eine wesentliche Ungleichheit bestehen. Die Aneignung des Mehrwerts ohne Zahlung eines Äquivalentes bringt im Verlaufe der Kapitalakkumulation zunehmend eine materielle Ungleichheit hervor.115 Marx stellt die tatsächliche Substanz der Gleichheit infrage, wenn zwar in der »oberflächlichen Schichte einer Produktion« noch »Austausch von Äquivalenten« stattfindet, allerdings diese Produktion auf »der Aneignung fremder Arbeit ohne Austausch, aber unter dem Schein des Austauschs« beruht.116
Eine weitere und bereits erwähnte Folge der Entwicklung der kapitalistischen Produktion ist laut Marx die Mehrung der Arbeitsbevölkerung. Dabei gibt es immer auch einen Teil an »überflüssige[r] oder Zuschuß-Arbeiterbevölkerung«117. Diese ist für die Entwicklung des Kapitals von entscheidender Bedeutung. Sie ist es, die schnell auf die teilweise auch plötzlich sich ausdehnende Produktion reagieren kann. Dies passiert nach Marx bei zunehmendem gesellschaftlichem Kapital häufiger:
»Die technischen Bedingungen des Produktionsprozesses selbst, Maschinerie, Transportmittel usw. ermöglichen, auf größter Stufenleiter, die rascheste Verwandlung von Mehrprodukt in zuschüssige Produktionsmittel.«118
In diesen Fällen braucht es also Menschen, die schnellstmöglich verfügbar sind, ohne dass ihre Verfügbarkeit woanders einen Mangel herbeiführt. Es ist dies die Voraussetzung dafür, dass sich Mehrwert in Kapital verwandeln, es also eine kapitalistische Akkumulation auf »erweiterter Stufenleiter«119 geben kann. Diese Menschen vergrößern das Elend auf der einen Seite und damit die grundsätzliche materielle Ungleichheit in der bürgerlichen Gesellschaft.
6.4.5Der kapitalistische Wachstumszwang
Die Rückwirkung der kapitalistischen Produktion auf den Widerspruch von Kapital und Lohnarbeit zeigte sich soeben in Form der Entwicklung von Reichtum und Elend. Dahinter steht laut Marx der Prozess ökonomischen Wachstums oder der Ausdehnung der kapitalistischen Produktion. Grundsätzlich ist das Ziel jeder Entwicklung der Produktivkräfte
»Waren zu verwohlfeilern und den Teil des Arbeitstages, den der Arbeiter für sich selbst braucht, [zu, FB] verkürzen, um den andren Teil seines Arbeitstages, den er dem Kapitalisten umsonst gibt, zu verlängern«120.
Ein verlängerter Arbeitstag generell erhöht den abzuschöpfenden Mehrwert. Hier ist die Ausdehnung des absoluten Mehrwerts das Ziel des kapitalistischen Interesses. Allerdings hat auch die Verkürzung der für die Reproduktion der Arbeitskraft notwendigen Arbeitszeit den gleichen Effekt.121 Das Ziel der Entwicklung der Produktivkräfte ist in der kapitalistischen Gesellschaft so auch nicht die Verkürzung der notwendigen Arbeitszeit zur Schaffung von freier Zeit, sondern die Verkürzung der notwendigen Arbeitszeit zur Ausdehnung der Mehrarbeit, also der mehrwertschaffenden Arbeit. Eine größere Produktivität heißt zunächst nur mehr Arbeitsprodukte in gleicher Zeit.122 Wachstum und Produktionsausdehnung sind essenzielle Bedingung der kapitalistischen Reproduktion.
Je stärker die Produktion mechanisiert ist, desto größer auch die Abhängigkeit der Arbeiter von der Maschine und der Produktion, desto mehr sind sie also Teil jener geworden – eine direkte Folge der durch die kapitalistische Produktion selbst initiierten Entwicklung der Produktivkräfte. Auch die Fähigkeiten der Arbeiter werden dadurch immer einfacher, sie selbst immer austauschbarer. Ihre Bindung an die kapitalistischen Verhältnisse nimmt dadurch insgesamt zu.123 Die Existenz der Arbeiter wird demnach immer offensichtlicher abhängig von den kapitalistischen Verhältnissen. Ferner sorgt das Bevölkerungswachstum für eine stabile und eher zunehmende Konkurrenzsituation unter den Arbeitern, wobei der unbeschäftigte Bevölkerungsteil einen lohndrückenden Effekt auf die arbeitende Bevölkerung hat. Nicht nur das Interesse am Mehrwert stimuliert daher die Entwicklung der Produktivkräfte, vielmehr gilt den Kapitalisten die Maschinisierung, also die Entwicklung der Produktivkräfte auch als machtvolles Instrument gegen die potenzielle politische und gesellschaftliche Macht der Arbeiter. Damit wird der Zynismus der kapitalistischen Verhältnisse sichtbar, denn:
»Die Verdammung eines Teils der Arbeiterklasse zu erzwungenem Müßiggang durch Überarbeit des andren Teils und umgekehrt, wird Bereicherungsmittel des einzelnen Kapitalisten und beschleunigt zugleich die Produktion der industriellen Reservearmee auf einem dem Fortschritt der gesellschaftlichen Akkumulation entsprechenden Maßstab.«124
Die Arbeiter werden durch das Voranschreiten der Entwicklung der Produktivkräfte, das Bevölkerungswachstum, die damit zusammenhängende Zunahme an Konkurrenz sowie die größere Abhängigkeit von den Produktionsmitteln selbst immer stärker voneinander entfernt. Die Konkurrenz untereinander ist demnach eine Folge der kapitalistischen Produktion und damit auch in gewisser Hinsicht der Egoismus der Individuen.
Die Entwicklung der Produktivkräfte oder das Investieren von Mehrwert in die Steigerung der Produktivität, etwa durch die Einführung von Maschinen, die Umorganisierung des gesamten Arbeitsprozesses oder generell die wirtschaftliche Nutzung der Wissenschaft, ermöglicht – und das ist eine weitere Begründung für das kapitalseitige Interesse an der Entwicklung der Produktivkräfte – die Erzielung eines temporären Extramehrwerts. Eine steigende Produktivität von Arbeit verändert das Verhältnis von individuellem und gesellschaftlichem Wert der Ware. Nach den Regeln der kapitalistischen Produktion bestimmt die gesellschaftliche Durchschnittsarbeitszeit den Preis. Jede technische, organisatorische oder wissenschaftliche Neuerung innerhalb eines Betriebes senkt allerdings potenziell die notwendige Arbeitszeit. Der individuelle Preis liegt somit unter dem gesellschaftlichen Preis. Durch den technischen Fortschritt kann mehr oder günstiger produziert werden, in beiden Fällen sinken die individuellen Preise dieser Ware. Technischer Fortschritt bedeutet also einen zeitweiligen Preisvorteil. Darin liegt die Motivation der Kapitalisten für eine erhöhte Produktivität und technologische Entwicklung.125 Erhöhte Produktivkraft der Arbeit bedeutet nichts anderes als Entwicklung der Produktivkräfte oder Maschinisierung der Produktion.
Die Konkurrenz unter den Kapitalisten ist es dann, die maßgeblich »die immanenten Gesetze der kapitalistischen Produktion dem einzelnen Kapitalisten gegenüber als äußerliches Zwangsgesetz geltend«126 und die partikulare Steigerung der Produktivität zum »Fortschritt der Industrie«127 macht. Alle sind zu technischen und organisatorischen Innovationen angehalten; die Konkurrenz treibt zur »fieberhaften Schaffung neuer Produktivkräfte«128. Für den Innovator besteht die einmalige Chance, einen Extramehrwert zu generieren, und zwar so lange alle anderen diese Innovation noch nicht nachgeahmt haben. Die günstigere Kostenstruktur ermöglicht, mehr anzubieten und abzusetzen.129 Darin zeigt sich für Marx nicht mehr zwangsläufig ein individueller Trieb, sondern im Grunde ein »gesellschaftlicher Mechanismus«, in dem auch der einzelne Kapitalist »nur ein Triebrad ist«.130 Die allgemeine Entwicklung der Produktivkräfte in der kapitalistischen Produktionsweise zwingt zur anhaltenden Steigerung von angelegtem Kapital. Das individuelle Ziel der Erhaltung des Kapitals als solches unter dem Einfluss der allgemeinen Konkurrenz, drängt zur Ausdehnung des Kapitals. Erhaltung zwingt zur Ausdehnung und ausdehnen kann sich das Kapital laut Marx »nur vermittelst progressiver Akkumulation«131. Das Handeln einzelner Kapitalisten ist demnach nur scheinbar Ausdruck individuellen Gewinnstrebens. Marx’ Analyse zeigt, dass dahinter eigentlich vielmehr der Mechanismus der kapitalistischen Verhältnisse selbst operiert.
Die Entwicklung der Produktivkräfte ist dabei laut Marx ein grenzenloses Interesse des Kapitals, denn »die Verwertung des Werts existiert nur innerhalb dieser stets erneuerten Bewegung«132. Die Existenz des Kapitalisten hängt von der kapitalistischen Produktion ab und als dessen »Fanatiker« ist sein Bestreben unendlich, Arbeit »um der Produktion willen« einzusetzen.133 Damit ist auch die gesellschaftliche Entwicklung vorfestgelegt. Die Folge ist ein zusehends objektiv, geradezu natürlich erscheinender gesellschaftlicher Produktionsorganismus inklusive einer vermeintlich natürlichen Ausdehnungsdynamik. Erscheint die Substituierung des einfachen isolierten Arbeiters durch den gesellschaftlichen Arbeiter etwa in der Manufaktur mehrheitlich noch zufällig, funktioniert die Maschinerie nur noch in der Hand »unmittelbar vergesellschafteter oder gemeinsamer Arbeit«134. Kooperation am Arbeitsplatz, also das Zusammenarbeiten mehrerer Einzelner hinsichtlich eines gemeinsamen Zieles erscheint hier als Konsequenz der Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise, und zwar als eine dem Produktionsprozess immanente Eigenschaft und nicht als externale Organisierung von Arbeit. Die Art und Weise der Arbeit und deren technische Entwicklung ergibt sich unter den Bedingungen der kapitalistischen Produktionsweise immer stärker aus den Verhältnissen selbst. Es zeigt sich auch hier die historische Zwangsläufigkeit dieses Strukturprinzips der bürgerlichen Gesellschaft.
6.4.6Geld und Privateigentum
Das Geld ist nicht nur ein wesentliches Element der kapitalistischen Produktion überhaupt, sondern nimmt in der Entwicklung des historischen Gegensatzes von angehäufter und unmittelbarer Arbeit auch eine immer zentralere Rolle ein, und zwar zum einen als Zeichen des Entwicklungsgrades der kapitalistischen Produktion sowie zum anderen auch als Gradmesser für die zunächst noch verschleierten und unbewussten Überwindungsmöglichkeiten dieser Form der Produktion. Mit zunehmender Bedeutung der Arbeit als Lohnarbeit, also mit der Intensivierung der Entfremdung, wächst die gesellschaftliche Bedeutung des Geldes. Das Geld ist es, das den kapitalistischen Charakter der Verhältnisse der Individuen zueinander überhaupt repräsentiert.
»Die elementare Voraussetzung der bürgerlichen Gesellschaft ist, daß die Arbeit unmittelbar den Tauschwert produziert, also Geld; und daß dann ebenso Geld unmittelbar die Arbeit kauft, den Arbeiter daher nur, sofern er selbst seine Tätigkeit im Austausch veräußert. Lohnarbeit nach der ersten Seite, Kapital nach der zweiten sind also nur andre Formen des entwickelten Tauschwertes und des Geldes als seiner Inkarnation. Das Geld ist damit unmittelbar zugleich das reale Gemeinwesen, insofern es die allgemeine Substanz des Bestehns für alle ist und zugleich das gemeinschaftliche Produkt aller.«135
Das Geld ist auch Gradmesser der Entfremdung. Marx hält in dieser Hinsicht fest, dass darin nicht nur das entmenschlichte als entfremdete Leben der Individuen besteht. Vielmehr wird der Tausch als eigentlich gesellschaftliche Aktivität an sich dadurch auch immer entfremdeter. Gerade der
»Austausch sowohl der menschlichen Tätigkeit innerhalb der Produktion selbst, als auch der menschlichen Produkte gegeneinander ist = der Gattungstätigkeit und Gattungsgeist, deren wirkliches bewußtes und wahres Dasein die gesellschaftliche Tätigkeit und der gesellschaftliche Genuß ist«136.
Die Individuen produzieren ihre eigene gegenseitige Abhängigkeit, unter kapitalistischen Verhältnissen allerdings in entfremdeter Form, nämlich in Form von Geld. Nur im Geld als individualisierten universell-konkretem Tauschwert wird die eigene Tätigkeit oder das eigene Produkt überhaupt nützlich für das produzierende Individuum.137 Das Gattungswesen des Menschen, also der Mensch als sich gegenseitig vervollkommnendes Wesen, existiert hinter dem geldmäßigen Tausch mehr oder minder völlig unbewusst. Denn hier ist das Geld das Ziel und nicht die Bedürfniserfüllung.
»Indem der Mensch diese vermittelnde Tätigkeit selbst entäußert, ist er hier nur als sich abhanden gekommener Mensch tätig […] [D]ie Beziehung selbst der Sachen, die menschliche Operation mit denselben, wird zur Operation eines Wesens außer dem Menschen und über dem Menschen.«138
Am Ende ist das Tauschverhältnis eine entfremdete Relation zwischen zwei verschiedenen Privateigentumen. Das Privateigentum ist für Marx durch die kapitalistische Produktion und Reproduktion immer stärker das Strukturmerkmal der bürgerlichen Gesellschaft.
Die Menschen sehen das Geld als Mittler und nicht sich selbst als durch ihre eigenen Tätigkeiten miteinander vermittelt. Dadurch wird das eigentlich menschliche Verhältnis innerhalb arbeitsteiliger Produktion zur fremden Macht. Geld als dieser Mittler wird zur omnipotenten Macht. Ihm kommt die tatsächliche Macht über die Vermittlung zu.139 Darin zeigt sich für Marx die »vollständige Herrschaft« des Geldes als entfremdete Sache oder entfremdetes Verhältnis »über den Menschen«.140 Die Produkte selbst haben nur noch als Repräsentanten vom Mittler Wert, wobei der Mittler eigentlich Wert überhaupt nur als Repräsentant der Waren hat. Privateigentum ist daher entscheidend, weil unter diesen Bedingungen selbst produzierte Waren von anderen zunächst ferngehalten werden müssen, um sie gegen die der anderen auch austauschen zu können. Die individuellen menschlichen Bedürfnisse werden zu egoistischen Bedürfnissen.141
Das egoistische Bedürfnis ist insofern das Gegenstück entfremdeter (Lohn-)Arbeit innerhalb einer Tauschökonomie142 und damit auch das der kapitalistischen Produktion charakteristische Bedürfnis143. Je abstrakter wiederum das Geld wird, je weniger es also in seinem Verhältnis zu Waren und Produkten auftritt, desto stärker ist die Entfremdung. Der mit Geld zu erwerbende Besitz, der unter kapitalistischen Bedingungen nur als Privateigentum erscheint, ist dann nicht mehr Folge der Arbeit. Privateigentum ist laut Marx das Ergebnis »entfremdete[r] Arbeit, des entfremdeten Lebens, des entfremdeten Menschen«144, und wird zur maßgeblichen Grundlage eines wachsenden individuellen Egoismus. Denn obgleich sich die Menschen von den Tieren dadurch unterscheiden, dass sie um die Bedürftigkeit anderer Menschen wissen, kommt ihnen dieses Wissen als etwas ihnen Fremdes zu. Im Geld ist das Individuum nicht als natürliches Gattungswesen vergegenständlicht, sondern in der gesellschaftlichen Bestimmung als Glied eines gesellschaftlichen und kapitalistischen Produktionsprozesses, der ihm zugleich äußerlich und fremd ist.145 Geld ist die entfremdete Gesellschaftlichkeit der Menschen oder dessen entfremdetes Gattungswesen. Das Privateigentum wird dabei zur Negation des menschlichen Wesens. Denn Privateigentum ist die Grundbedingung des kapitalistischen Tausches. Nur verschiedene Privateigentümer können gegeneinander getauscht werden. Das Arbeitsprodukt ist allerdings nicht mehr das Eigentum der Arbeiter, sondern das des Kapitalisten.
In der kapitalistischen Produktion ist Geld Macht. Allerdings ist Geld selbst keine Sache, sondern nach Marx ein »gesellschaftliches Verhältnis«146. Mit Geld besitzt das Individuum Macht über die Tätigkeit der anderen. Diese gesellschaftliche Macht trägt jedes Individuum »wie seinen Zusammenhang mit der Gesellschaft in der Tasche mit sich«147. Die Bedeutung des Geldes nimmt mit der Ausdehnung der Warenzirkulation, also mit dem Austausch von Waren zu. Geld kann allerdings selbst zu Privateigentum werden und somit auch zur »Privatmacht der Privatperson«148. Wächst also die Macht des Geldes als Zeichen der Intensivierung der kapitalistischen gesellschaftlichen Produktion, zeigt sich diese Macht in der Zunahme von Macht einzelner Personen. Damit wächst auch die Macht der kapitalistischen Verhältnisse über das individuelle Handeln generell.
In einer arbeitsteiligen, auf Tausch fixierten sowie mit Geld und Privateigentum agierenden Gesellschaft produzieren Menschen, weil es durch das Geld möglich ist, etwas dauerhaft zu haben. Dieser von Marx benannte eigennützige Zweck geht aus dem Menschen unter den Bedingungen der kapitalistischen Produktion hervor, der etwas für sich haben will. Diese Art der Produktion treibt die Menschen notwendigerweise auseinander und in den Individualismus oder gar in die gesellschaftliche Isolation oder den Atomismus.
Damit erschafft diese Form der Produktion laut Marx erst das, was aus der liberalen Perspektive den Menschen ausmacht: ökonomischer Egoismus, Nutzenorientierung und individuelle Freiheit. Das Individuum ist für Marx aber nicht frei, sondern einsam, wie Ingo Pies es ausdrückt.149 Der kapitalistische Tausch bringt das entfremdete Verhältnis egoistischer und insofern der Menschlichkeit entfremdeter Bedürfnisse zum Ausdruck.150 Auch wenn die Produktion eines Menschen ganz oder teilweise in Beziehung zu der einer anderen Person steht, weil erster sein Produkt gegen das der anderen auszutauschen trachtet und dies bei der eigenen Produktion so schon antizipiert, besteht zwischen beiden nur eine gesellschaftliche Beziehung des Scheins beziehungsweise eine gesellschaftlich konstituierte Relation.151 Austauschende werden dadurch zu dem, was beide jeweils über das Gegenüber denken: zum Instrument der Produkte. Das Produkt der einen ist dann nur noch »sittliche Hülle«152 des Produktes der anderen Person. Der Wert eines Individuums für ein anderes drückt sich dann im jeweiligen Privateigentum aus, das zum Austausch bereitsteht. Als Menschen sind sich die Individuen allerdings wertlos.153 Die zwischenmenschlichen Beziehungen sind so für Marx notwendigerweise bestimmt durch die kapitalistischen Verhältnisse. Die kapitalistische Produktion wird laut István Mészaros für Marx damit zur »negierten Gesellschaftlichkeit«154.
In der bürgerlichen Gesellschaft sind Verelendung, der strukturelle Untergang der Arbeiter sowie der zunehmend zentralisierte Reichtum laut Marx eindeutig auf die kapitalistische Produktion zurückführbare Folgen.155 Die Verelendung als ökonomische Verarmung ist genauso wie die seelische Verarmung, also die Entfremdung Ergebnis der kapitalistischen Produktion. Sie werden von den Individuen selbst, aber unbewusst hervorgebracht.
Die Quelle der Strukturprinzipien der bürgerlichen Gesellschaft liegt laut Marx, das sollte am Ende dieses Kapitels deutlich geworden sein, in der Entwicklungsgeschichte des historischen Gegensatzes von angehäufter und unmittelbarer Arbeit. Sie ist historisches Ergebnis eines der eigenen Grundlagen und Möglichkeiten unbewussten Handelns. Reproduktion des kapitalistischen Verhältnisses geht nur durch die Entwicklung der Produktivkräfte. Ökonomischer Fortschritt und gesellschaftliche Entwicklung sind bis hierher für Marx ›nur‹ verschiedene Ausdruck desselben. Alles ist eine Funktion der Entwicklung der Produktivkräfte und des Widerspruchs zwischen angehäufter und unmittelbarer Arbeit.
1Vgl. Karl Marx/Friedrich Engels: »Die deutsche Ideologie. Kritik der neuesten deutschen Philosophie in ihren Repräsentatnten Feuerbach, B. Bauer und Stirner, und des deutschen Sozialismus in seinen verschiedenen Propheten«, in: MEW 3, Berlin 1959, S. 13ff, hier S. 21.
2Karl Marx: »Das Elend der Philosophie. Antwort auf Proudhons ›Philosophie des Elends‹«, in: MEW 4, Berlin 1959, S. 63ff, hier S. 91f.
3Ebd., S. 126.
Zur Marx’schen Wirtschaftstheorie etwa David Harvey: Marx, Capital, and the Madness of Economic Reason, Oxford 2018; Justin P. Holt: The social thought of Karl Marx, Thousand Oaks, California 2015; David Harvey: A Companion to Marx’s Capital Volume 2, London & New York 2013; Marco Iorio: Einführung in die Theorien von Karl Marx, Berlin 2012; Marco Iorio: Karl Marx – Geschichte, Gesellschaft, Politik, Berlin 2011; Michael Heinrich: Die Wissenschaft vom Wert, Münster 2011; David Harvey: A Companion to Marx’s Capital, London & New York 2010; Michael Heinrich: Wie das Marxsche ›Kapital‹ lesen?, Stuttgart 2009; Wolfgang F. Haug: Neue Vorlesungen zur Einführung ins ›Kapital‹, Berlin 2006; Michael Heinrich: Kritik der politischen Ökonomie, Stuttgart 2005; Michael Berger: Karl Marx: Das Kapital, München 2004.
4Vgl. Karl Marx: »Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie«, in: MEW 23, Berlin 1974, S. 11ff, hier S. 373.
5Vgl. ebd., S. 56.
6Ebd., S. 162.
7Ebd., S. 49.
8Ebd., S. 56.
9Ebd., S. 122.
10Ebd., S. 101f.
An Marx’ Konzept des Tauschwertes richtet sich viel Kritik aus. Er würde damit die Spezifizität der Arbeit als wertschaffende Tätigkeit in einem System homogenisieren, in dem der Wert schlichte Folge des Verhältnisses zu anderen Waren ist. Der Tauschwert dominiere die jeweils verschiedenen Warenwerte weg, so der Vorwurf. Dazu etwa Elizabeth Grosz: The Nick of Time, Durham 2004, S. 37.
Übersehen wird dabei allerdings, dass Marx bewusst zwischen Wert und Tauschwert unterscheidet und darin geradezu einen zentralen Beitrag seinerseits sieht, und zwar um Arbeit als wertschaffende Tätigkeit zu betonen. Vgl. Peter Hudis: »Imagining Society Beyond Capital«, in: Ingo Schmidt/Carlo Fanelli (Hg.), Reading Capital Today. Marx after 150 Years, London 2017, S. 181ff, hier S. 189.
11Karl Marx: »Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie«, in: MEW 42, Berlin 1983, 15-768, hier S. 76. In den Grundrissen widmet Marx der Entwicklung sowie den generellen Eigenschaften des Geldes einen größeren Raum. ebd., S. 79ff.
12K. Marx, Das Kapital (1974), 99ff., hier 101.
13K. Marx, Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie (1983), S. 77.
14Vgl. Stavros Tombazos: Time in Marx, Leiden 2014, S. 30.
15K. Marx, Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie (1983), S. 178.
16Vgl. ebd., S. 158.
17Vgl. ebd., S. 80f.
18Vgl. ebd., S. 144ff.
19Ebd., S. 150ff.
20K. Marx, Das Kapital (1974), S. 180.
21Ebd., S. 162.
22Vgl. ebd., S. 164f.
23Vgl. ebd., S. 181.
24Ebd., S. 168.
25K. Marx, Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie (1983), S. 177.
26Dies ist ein Punkt, der vom Feminismus am Marx’schen Arbeitsbegriff immer wieder kritisch bemerkt wird. Es stellt sich die Frage nach einem eigenen Wert von Reproduktionsarbeit, sowie nach Marx’ möglicher Idealisierung industrieller Arbeit als Arbeit überhaupt. Neben diesem Punkt beschreibt Silvia Federici allerdings auch den Marx, der in den 1970er Jahren von Feministen ›entdeckt‹ wurde und Ansatzpunkt der Rebellion gegen Hausarbeit und Abhängigkeiten davon sowie von patriarchalen Strukturen überhaupt wurde. Aus beiden, so ihre Sichtweise, ergab sich sowohl im Feminismus als auch im Marxismus eine theoretische Revolution. Silvia Federici: »Capital and Gender«, in: Ingo Schmidt/Carlo Fanelli (Hg.), Reading Capital Today. Marx after 150 Years, London 2017, S. 79ff.
Andere Kritiken an Marx aus feministischer Perspektive etwa bei Frigga Haug: »Feministische Anmerkungen«, in: Eric J. Hobsbawm/Samīr Amīn (Hg.), Das Manifest – heute. 150 Jahre Kapitalismuskritik, Hamburg 1998, S. 178ff; Mike Gane: »The Communist Manifesto’s Transgendered Proletarians«, in: Mark Cowling/Terrell Carver (Hg.), The Communist Manifesto. New Interpretations, Edinburgh 1998, S. 119ff.
27K. Marx, Das Kapital (1974), S. 185. In späteren Schriften erweiterte Marx seine Sichtweise auf den Zusammenhang von Wert der Arbeitskraft und physiologischem Existenzminimum. Er inkludierte in seine Überlegungen dann auch Marktverschiebungen und Preisänderungen.
28Ebd., S. 597.
29Ebd., S. 598f.
30Vgl. ebd., 189, 192.
31Ebd., S. 204. Auf eine detaillierte Betrachtung der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit wird hier verzichtet, da für das Verständnis eine vereinfachte Vorstellung genügt. Marx ist dazu im Kapital deutlich ausführlicher. Vgl. ebd., S. 209ff. Generell zeigt sich an der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit die Herrschaft der Zeit über die Arbeit und die Individuen. Sie sind beherrscht durch die Zeit, stehen unter ihrer Kontrolle. Raya Dunayevskaya fasst es wie folgt: »Socially necessary labor time is the handmaiden of the machine that accomplishes the fantastic transformation of all concrete laborers into one abstract mass. Constant technological revolutions change how much labor time is socially necessary […] All must subordinate themselves to the newly-set socially necessary time to be expended on commodities.« Raya Dunayevskaya: Marxism and Freedom, from 1776 until Today, Amherst 2000, S. 105.
Mit dem Widerspruch innerhalb der Marx’schen Verwendung von gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit, auf der einen Seite als materialisierte Zeit in Waren und auf der anderen als im Geld materialisiert befasst sich S. Tombazos (2014), S. 34f.
32K. Marx, Das Kapital (1974), S. 196ff.
33Ebd., S. 198.
34Vgl. ebd., S. 198ff.
35Ebd., S. 207f.
36Vgl. ebd., S. 559.
37Vgl. ebd., S. 609.
38Ebd., S. 613.
39Karl Marx/Friedrich Engels: »Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie«, in: MEW 24, Berlin 1966, S. 7ff, hier S. 42.
40Karl Marx: »Brief an P. W. Annenkow 28. Dezember 1846«, in: MEW 4, Berlin 1959, S. 547ff, hier S. 548f.
41K. Marx/F. Engels, Die deutsche Ideologie (1959), S. 21.
42Karl Marx: »Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte«, in: MEW 8, Berlin 1960, S. 111ff, hier S. 115.
Scheint er hier auch die materiellen Produktionsbedingungen zu adressieren, wird aus der daran anschließenden Passage das tiefere Verständnis deutlich: »Die Tradition aller toten Geschlechter lastet wie ein Alp auf dem Gehirne der Lebenden.« Ebd. Nicht nur die Produktionsbedingungen werden also von der vorhergehenden Generation übernommen, sondern auch die damit zusammenhängenden Vorstellungen und Handlungsstrukturen beziehungsweise -zusammenhänge; die gesamte Kultur geht von einer Generation auf die nächste über und wirkt dort als solche fort.
43K. Marx, Das Kapital (1974), S. 742.
44K. Marx, Das Kapital (1974), S. 778.
Es ist für Marx eine logische Folge der historischen Entwicklung, dass nicht »der alte Zunftmeister«, sondern »der Kaufmann« der »Prinzipal der modernen Werkstatt« ist. K. Marx, Das Elend der Philosophie (1959), S. 152.
45K. Marx, Das Kapital (1974), S. 779.
46Ebd., S. 789.
47Vgl. D. Harvey (2010), 263ff., 316ff.
48K. Marx, Das Kapital (1974), S. 183.
49K. Marx, Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie (1983), S. 218.
50K. Marx, Das Kapital (1974), S. 742.
51K. Marx, Das Kapital (1974), S. 86.
52K. Marx, Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie (1983), S. 169f.
53K. Marx, Das Kapital (1974), S. 86.
54Ebd., S. 86f.
55Vgl. Norman Geras: »Essence and Appearance: Aspects of Fetishism in Marx’s Capital«, in: New Left Review 65 (1971), S. 69ff. Entsprechend dieses Gedankens erscheint im Fetischismus eine historisch-kulturelle Dimension, der sich Falko Schmieder in einem Aufsatz widmet. Vgl. Falko Schmieder: »Zur Kritik der Rezeption des Marxschen Fetischbegriffs«, in: Marx-Engels-Jahrbuch (2005), S. 106ff.
56Einige vertreten die Meinung, dass in Marx’ Historischem Materialismus ein methodologischer Individualismus zu finden sei. vgl. M. Iorio (2012), 106ff., 178; Jon Elster: Making Sense of Marx, Cambridge 1985.
Hieran bricht sich ein Streit: Cheng Zhihua und James Chambers kritisieren anhand dieses Punktes eine Arbeit von Jon Elster scharf. Dieser habe den Historischen Materialismus von Marx deutlich fehlerhaft beziehungsweise einseitig interpretiert, um seinen eigenen methodologischen Individualismus darin erkennen zu können. Die beiden weisen dessen Interpretation umfassend zurück. Vgl. Cheng Zhihua/James Chambers: »Against Methodological Individualist Interpretation of Marxist Explanations of Social Phenomena«, in: International Critical Thought 8 (2018), S. 626ff.
57Karl Marx/Friedrich Engels: »Manifest der Kommunistischen Partei«, in: MEW 4, Berlin 1959, S. 459ff, hier S. 467.
Auf ähnliche Weise beschreibt auch Jürgen Kocka die historische Entwicklung des Kapitalismus. Die Strukturen des Kapitalismus bestanden demnach schon sehr früh und weit vor jeder kapitalistischen Gesellschaft. Sie dehnten vorherige Strukturen und sorgten so mit der Zeit für deren Sprengung. Vgl. J. Kocka (2015).
58K. Marx, Das Kapital (1974), S. 595.
59Ebd., S. 595f.
60Vgl. ebd., S. 591.
61Ebd., S. 595.
62Vgl. ebd., S. 592.
63Ebd., S. 596.
64K. Marx, Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie (1983), S. 225. Die Orientierung der kapitalistischen Produktionsweise als notwendig lückenlose Unendlichkeit basiert auf einer Ontologie des Kapitals selbst. Dazu etwa Wayne M. Martin: »In Defense Of Bad Infinity: A Fichtean Response To Hegel’s Differenzschrift«, in: Bulletin of the Hegel Society of Great Britain 55 (2007), S. 168ff; C. Arthur: The New Dialectic and Marx’s Capital, Leiden 2004, S. 137ff.
65Vgl. Michael R. Krätke: Kritik der politischen Ökonomie heute, Hamburg 2017, S. 11.
66K. Marx, Das Kapital (1974), S. 605.
An diesem Akkumulationsbegriff schließt sich viel Kritik an, insbesondere hinsichtlich des Marx’schen Arbeitsprozesses. Dier Akkumulationsbegriff wird als zu eng, zu deterministisch und zu linear kritisiert. Insbesondere wird die Überbetonung der technologischen und industriellen Entwicklung bemängelt. Vgl. W. Lazonick: Competitive Advantage on the Shop Floor, Cambridge 1990; C. R. Littler: The Development of the Labour Process in Capitalist Societies, London 1982.
67K. Marx, Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie (1983), S. 284.
68Vgl. Karl Marx/Friedrich Engels: »Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie«, in: MEW 25, Berlin 1966, S. 9ff, hier S. 871.
69K. Marx, Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie (1983), S. 276.
70Vgl. ebd. So Marx auch an anderer Stelle in Das Kapital. Vgl. K. Marx, Das Kapital (1974), S. 594.
71Vgl. K. Marx, Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie (1983), S. 312.
72K. Marx, Das Kapital (1974), S. 607. »Eigentum an vergangner unbezahlter Arbeit erscheint jetzt als die einzige Bedingung für gegenwärtige Aneignung lebendiger unbezahlter Arbeit in stets wachsendem Umfang. Je mehr der Kapitalist akkumuliert hat, desto mehr kann er akkumulieren.« ebd., S. 609.
73Ebd., S. 642.
74Zur Marx’schen Handlungstheorie etwa E. M. Lange (1980). Zum Hegel’schen Hintergrund dieser etwa Michael Quante: Hegels Begriff der Handlung, Stuttgart 1993. Zum Vergegenständlichungsmodell allgemein auch S. Benhabib (1986), S. 56; E. M. Lange (1980).
Es ist umstritten, inwiefern es diesbezüglich einen Bruch oder eine Kontinuität zwischen Marx und Hegel gibt. Zur Debatte etwa Louis Althusser/Étienne Balibar et al. (Hg.): Das Kapital lesen, Münster 2015; Michael Principe: »Hegel’s Logic and Marx’s early development«, in: International Studies in Philosophy 23 (1991), S. 47ff; Seyla Benhabib: Critique, Norm, and Utopia, New York 1986.
Dass das Marx’sche Verständnis von Entfremdung dem von Hegel durchaus verwandt ist, betont etwa Ray Brassier. Vgl. Ray Brassier: »Strange Sameness. Hegel, Marx and the logic of estrangement«, in: Angelaki 24 (2019), S. 98ff.
75Karl Marx: »Ökonomisch-philosophische Manuskripte aus dem Jahre 1844«, in: MEW 40, Berlin 1968, S. 465ff, hier S. 511f. Dazu auch Michael Quante: »Zur Kenntlichkeit verzerrt!«, in: Michael Quante (Hg.), Der unversöhnte Marx. Die Welt in Aufruhr, Münster 2018, S. 87ff.
76Vgl. Michael Quante: »Die Philosophie von Karl Marx«, in: Michael Quante (Hg.), Der unversöhnte Marx. Die Welt in Aufruhr, Münster 2018, S. 17ff, hier S. 27f.
77Vgl. K. Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte aus dem Jahre 1844 (1968), S. 511f. und K. Marx, Das Kapital (1974), S. 674. Dazu auch John E. Elliot: »Continuity and Change in the Evolution of Marx’s Theory of Alienation. From the Manuscripts through the Grundrisse to Capital«, in: History of Political Economy 11 (1979), S. 317ff.
Abstraktion und Entfremdung sind im Marx’schen Denken durchaus synonym zu verstehen. Rahel Jaeggi knüpft in ihrer Rekonstruktion des Begriffes an die Marxsche Denkweise diesbezüglich an. Vgl. Rahel Jaeggi: Entfremdung: Zur Aktualität eines sozialphilosophischen Problems, Frankfurt a.M. 2005.
78Mit dieser »negative[n] historische[n] Evolutionslehre der Arbeit« weicht Marx, so Carmen Platonia und Thomas Welskopp, deutlich von vielen zeitgenössischen Arbeitsverständnissen ab, und zwar durchaus auch von sozialen Bewegungen, die in der Arbeit immer auch eine Lebenserfüllung sahen. Carmen Platonia/Thomas Welskopp: »Entfremdung. Marx’ negative historische Evolutionslehre der Arbeit«, in: Marx-Engels-Jahrbuch (2010), S. 28ff, hier S. 36.
79K. Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte aus dem Jahre 1844 (1968), S. 513.
80Ebd., S. 514.
81Ebd.
82Ebd., S. 516.
83Ebd.
84Ebd., S. 517.
85Vgl. Karl Marx: »Auszüge aus James Mills Buch ›Éléments d’économie politique‹«, in: MEW 40, Berlin 1968, S. 445ff, hier 450f.
86K. Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte aus dem Jahre 1844 (1968), S. 517. Insgesamt zum Gattungswesen vgl. M. Quante, Die Philosophie von Karl Marx (2018), S. 32ff.
87Vgl. K. Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte aus dem Jahre 1844 (1968), S. 518.
Es ist dies für viele die differentia specifica des Marx’schen Entfremdungsbegriffs: Entfremdung existiert, wenn auch nur ein Mensch sich selbst oder einen anderen als Mittel setzt und behandelt. Dazu etwa Franz v. Magnis: Normative Voraussetzungen im Denken des jungen Marx, München 1975. Andere betonen in diesem Zusammenhang eher den Arbeitsbegriff und damit die tatsächlich vergegenständlichte Entfremdung. Vgl. M. Quante, Das gegenständliche Gattungswesen (2013); E. M. Lange (1980).
Zacharias Zoubir findet Unterschiede in der Terminologie der Entfremdung zwischen den Grundrissen und den Ökonomisch-philosophischen Manuskripten, wobei letztlich ein gemeinsamer Kern in beiden gleich ist, nämlich, dass das produzierte Entfremdete wieder mit denen, die die Entfremdung produzieren, vereint werden muss. Vgl. Zacharias Zoubir: »›Alienation‹ and critique in Marx’s manuscripts of 1857-58 (»Grundrisse«)«, in: The European Journal of the History of Economic Thought 25 (2018), S. 710ff.
Einen Einstieg in die philosophischen Grundlagen des Essenzialismus im Marx’schen Begriff des Gattungswesen, den darin liegenden sozial-ontologischen Verhältnissen und dem geschichtsphilosophischen Einschlag findet sich ebenfalls jüngst bei Michael Quante. Der Essenzialismus zeigt sich beim Gattungswesen demnach dabei, dass Marx das Wesen und somit auch das Gattungswesen des Menschen als historisch wandelbar ansieht. Doch trotz der Wandelbarkeit gibt es eine Essenz des menschlichen Gattungswesen, dass diese Bezeichnung überzeitlich festhält. Vgl. M. Quante, Die Philosophie von Karl Marx (2018), S. 35ff.
88K. Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte aus dem Jahre 1844 (1968), S. 516.
89Vgl. István Mészaros: Der Entfremdungsbegriff bei Marx, München 1973, S. 17f. Dazu auch Roger Boesche: »Marx – Despotism of Class and Workplace«, in: Roger Boesche (Hg.), Theories of Tyranny. From Plato to Arendt, University Park 1996, S. 237ff, hier S. 239ff.
90Vgl. Peter Gose/Justin Paulson: »Capital and its ›Laws of Motion‹. Determination, Praxis and the Human Science/Natural Science Question«, in: Ingo Schmidt/Carlo Fanelli (Hg.), Reading Capital Today. Marx after 150 Years, London 2017, S. 97ff, hier S. 99f.
91Vgl. M. Quante, Das gegenständliche Gattungswesen (2013), S. 71f.
92Vgl. I. Mészaros (1973), S. 17.
93Vgl. M. Quante, Das gegenständliche Gattungswesen (2013), S. 72. Dazu auch Iring Fetscher: Marx, Frankfurt a.M. 2018, S. 44f.
94Vgl. M. Quante, Das gegenständliche Gattungswesen (2013), S. 73f.
95Ebd., S. 4ff. Dazu auch Hans-Christoph Schmidt am Busch: ›Anerkennung‹ als Prinzip der Kritischen Theorie, Berlin 2011, S. 79ff.
Andrew Chitty rekonstruiert Hegels Verständnis von Eigentum, um Marx davon abzugrenzen und hinsichtlich seiner kommunistischen Vorstellung der menschlichen Produktion den Menschen als Gattungswesen aufzuzeigen. Er zweifelt nicht an der Marx’schen Analyse, wonach eine Produktion als Gattungswesen in der kapitalistischen Produktion unmöglich ist, aber er ist ob der normativen Belastbarkeit der zugrundeliegenden Idee der Anerkennung nicht überzeugt. Andrew Chitty: »Menschliche Anerkennung und wahres Eigentum beim jungen Marx«, in: Rahel Jaeggi/Daniel Loick (Hg.), Nach Marx. Philosophie, Kritik, Praxis, Berlin 2013, S. 48ff.
96Vgl. Lukas Kübler: »Marx’ Theorie der Entfremdung«, in: Rahel Jaeggi/Daniel Loick (Hg.), Karl Marx – Perspektiven der Gesellschaftskritik, Berlin 2013, S. 47ff.
97Im Marx’schen Begriff des gegenständlichen Gattungswesen zeigt sich das Menschenbild von Marx. Der Mensch ist für ihn ein sozial verfasstes Wesen. Selbstbewusstsein und Selbstverortung können nur innerhalb sozialer Verhältnisse stattfinden beziehungsweise auch philosophisch nur darin erfasst werden. Außerdem wird deutlich, dass nicht das menschliche Selbstbewusstsein beziehungsweise dessen Subjektivität im Mittelpunkt steht, sondern der Mensch als in seiner Natürlichkeit bedürftiges Wesen selbst. Ferner äußert sich das gegenständliche und sozial verfasste Wesen in der materiellen Produktion und Reproduktion seiner selbst, seiner Natur und letztlich seiner Welt. Zum Hintergrund der Sichtweise der sozialen Verfasstheit des Menschen, der auf Johann Gottlieb Fichte und Georg Friedrich Hegel zurückgeht siehe Ludwig Siep: Aktualität und Grenzen der praktischen Philosophie Hegels, München 2010; Daniel Brudney: »Marx’ neuer Versuch«, in: Hans-Christoph Schmidt am Busch/Christopher F. Zurn (Hg.), Anerkennung, Berlin 2009, S. 145ff; Ludwig Siep: Anerkennung als Prinzip der praktischen Philosophie, Freiburg i.Br. 1979.
Für Marx ist der Mensch kein fertiges, mit zeitlosen und insofern mit ahistorischen Eigenschaften ausgestattetes Wesen. Der Mensch ist hingegen dadurch gekennzeichnet, dass er sich über die Zeit entwickelt, und zwar parallel wie der Mensch seine Umwelt entwickelt; der Mensch hat demnach eine bedeutungsvolle Biografie. Nur dadurch ist es möglich, die kapitalistischen Verhältnisse zu überwinden. Fixierte und ahistorische Individuen könnten nie in den Lernprozess einsteigen, könnten nie das Bewusstsein über die bestehenden Verhältnisse und deren wirkliche Möglichkeiten erreichen. Nur als entwicklungsoffene Wesen sind Menschen überhaupt als Akteure eines Wandels, auch eines radikalen Wandels, denkbar.
Der Mensch ist Marx’ Ansicht nach nicht nur intellektuelles, sondern immer auch leibliches Wesen. Ein würdiges Dasein beginnt bei der Befriedigung materieller Lebensbedürfnisse und geht weiter zu sozialen und intellektuellen Anliegen. Es geht damit erstens um Subsistenz, zweitens um die Ermöglichung und Sicherung von Sozialität sowie drittens um die Ermöglichung der freien Selbstverwirklichung. All dem liegt Arbeit zugrunde, was Georg Lohmann allerdings als Überdehnung des Begriffes sieht. Georg Lohmann: »Marxens Kapitalismuskritik als Kritik an menschenunwürdigen Verhältnissen«, in: Rahel Jaeggi/Daniel Loick (Hg.), Karl Marx – Perspektiven der Gesellschaftskritik, Berlin 2013, S. 67ff, hier S. 72ff.
Arbeit sei für Marx eben nicht die differentia specifica des Menschen, wie Furak Düzenli notiert, sondern ›nur‹ die entscheidende Kategorie Marx’ Klassenanalyse. Vgl. Faruk E. Düzenli: »Did Marx Fetishize Labor?«, in: Rethinking Marxism 28 (2016), S. 204ff.
Spannend in diesem Zusammenhang ist dann die Diskussion um ein Recht auf Arbeit. Etwa Margarete Grandner: »Das Recht auf Arbeit«, in: Margarete Grandner/Wolfgang Schmale/Michael Weinzierl (Hg.), Grund- und Menschenrechte. Historische Perspektiven – aktuelle Problematiken, Wien 2002, S. 257ff.
In der jüngeren Marxliteratur gibt es mit Urs Lindner und Christoph Henning zwei Autoren, die Marx in einer aristotelisch-perfektionistischen Traditionslinie der Philosophie verorten und sich dabei stark auf die hier als anthropologische Philosophie von Marx bezeichnete Sichtweise stützen. Vgl. Christoph Henning: »Perfektionismus als kritische Theorie. Bemerkungen zur Selbstentfaltung sui generis«, in: Sven Ellmers/Philip Hogh (Hg.), Warum Kritik? Begründungsformen kritischer Theorien, Weilerswist 2017, S. 51ff; Urs Lindner: Marx und die Philosophie, Stuttgart 2013; Urs Lindner: »Epistemologie, Wissenschaft und Ethik. Zum Kritikbegriff der marxschen Kritik der politischen Ökonomie«, in: Sven Ellmers/Ingo Elbe/Devi Dubadze (Hg.), Die Moral in der Kritik. Ethik als Grundlage und Gegenstand kritischer Gesellschaftstheorie, Würzburg 2011, S. 87ff; Christoph Henning: »Werte: Ein perfektionistischer Abriss«, in: Sven Ellmers/Ingo Elbe/Devi Dubadze (Hg.), Die Moral in der Kritik. Ethik als Grundlage und Gegenstand kritischer Gesellschaftstheorie, Würzburg 2011, S. 65ff. Frühere Ansätze, Marx in der aristotelischen Philosophie zu verorten finden sich etwa bei G. McCarthy: »German Social Ethics and the Return to Greek Philosophy: Marx and Aristotle«, in: Studies to the Soviet Thought 31 (1986), S. 1ff; L. D. Easton: »Alienation and History in Early Marx«, in: Philosophy and Phenomenological Research 22 (1961), S. 193ff.
98K. Marx, Das Kapital (1974), S. 99.
99K. Marx, Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie (1983), S. 90.
100K. Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte aus dem Jahre 1844 (1968), S. 522.
101K. Marx, Das Kapital (1974), S. 382.
102Ebd., S. 329.
103Karl Marx: »Theorien über den Mehrwert III«, in: MEW 26.3, Berlin 1968, S. 7ff, hier S. 255.
104K. Marx, Das Kapital (1974), S. 353.
105K. Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte aus dem Jahre 1844 (1968), S. 511.
106Vgl. K. Marx, Das Kapital (1974), S. 445. Dazu auch R. Boesche, Marx – Despotism of Class and Workplace (1996), S. 259ff., der diese Thematik dort unter der Überschrift »Despotism of the Workplace« behandelt.
107K. Marx, Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie (1983), S. 20.
108Ebd.
109K. Marx, Auszüge aus James Mills Buch ›Éléments d’économie politique‹ (1968), S. 453.
110K. Marx, Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie (1983), S. 20.
111Vgl. K. Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte aus dem Jahre 1844 (1968), S. 557.
112K. Marx, Das Elend der Philosophie (1959), S. 141.
113K. Marx, Das Kapital (1974), S. 464.
114Ebd., S. 477.
115An dieser Stelle nicht Bestandteil der übergeordneten Interessen der Arbeit, aber dennoch spannend, ist dabei die Frage, inwiefern aus dieser materiellen Ungleichheit auch Ungerechtigkeit in der bürgerlichen Gesellschaft folgt. Dies wird an dieser Stelle allerdings offengelassen.
116K. Marx, Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie (1983), S. 417.
117K. Marx, Das Kapital (1974), S. 658.
118Ebd.
119Ebd., S. 612.
120Ebd., S. 391.
121Vgl. ebd., S. 334.
Der Arbeitstag ist von Marx hier in völliger Abhängigkeit vom Willen des Kapitalisten eingeführt. Der Kapitalist beharrt auf seinem Recht als Käufer einer Ware, mit dieser nur nach dem eigenen Willen zu verfahren; alles andere sei eine Einschränkung und insofern Verletzung des Tausches von Äquivalenten. Der Arbeitstag ist somit vielleicht nicht vollständig, aber doch zu einem maßgeblichen Teil Verfügungsmasse des Kapitalisten. Siehe ebd., S. 249.
Über damit zusammenhängende Auswirkungen auf die Zeit sowie wiederum die Folgen einer absolut ausgedehnten oder relativ verschobenen Arbeitszeit siehe S. Tombazos (2014), S. 91ff.
122Vgl. K. Marx, Das Kapital (1974), S. 339f. David Harvey geht in seinem Buch nochmal stärker auf die Bedeutung der Entwicklung der Produktivkräfte hinsichtlich des gesellschaftlichen Bedeutungsverlustes des Arbeiters ein, zu sehen etwa am Taylorismus, der den Arbeiter zum ›trainierten Gorilla‹ macht. Damit zeigt sich der breite Ansatz von Marx hinsichtlich der Entwicklung der Produktivkräfte allgemein sowie der Technologie im speziellen. Vgl. D. Harvey (2018), 110f., 121ff. Dazu auch Ian E. J. Hill: »Monsterization, Mechanization, Contradiction. Marx’s Rhetoric of Technology«, in: Rethinking Marxism 31 (2019), S. 493ff.
123Dazu etwa D. Harvey (2010), S. 324.
124K. Marx, Das Kapital (1974), S. 665f.
125Vgl. ebd., S. 336. Interessant in diesem Zusammenhang ist dabei das Verhältnis von Maschine und Wert. Keine Maschine kann Werte schaffen, nur Arbeit vermag dies. Allerdings stellt die Maschine die Möglichkeit von Extramehrwert dar. David Harvey geht detailliert auf den dahinterliegenden Fetisch der Maschine ein. Vgl. D. Harvey (2010), 169, passim.
Ders. geht auch genauer darauf ein, dass Marx hier entgegen vieler anderer Theorien und Ansätze die Entwicklung der Produktivkräfte oder den technischen Fortschritt nicht als exogene, sondern als endogene Entwicklung versteht. ebd., S. 169.
126K. Marx, Das Kapital (1974), S. 286. Die bürgerliche Gesellschaft wird von Marx daher als »Gesellschaft der freien Konkurrenz« bezeichnet. K. Marx, Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie (1983), S. 90. Im dritten Band vom Kapital geht Marx ausführlicher auf diese Konkurrenz und ihre Folgen ein. K. Marx/F. Engels, Das Kapital (1966), S. 872f.
127Ebd., S. 80f.
128K. Marx, Das Elend der Philosophie (1959), S. 162.
129K. Marx, Das Kapital (1974), S. 336.
130Ebd., S. 618.
131Ebd.
132Ebd., S. 166f. Marx’ Ahnung des Ausmaßes wird hier deutlich: »Die Revolution in der Produktionsweise der Industrie und Agrikultur ernötigte namentlich aber auch eine Revolution in den allgemeinen Bedingungen des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, d.h. den Kommunikations- und Transportmitteln.« ebd., S. 404f.
133Ebd., S. 618. »Das Kapital […] ist der schranken- und maßlose Trieb, über seine Schranke hinauszugehen. Jede Grenze ist und muß Schranke für es sein. Es hört sonst auf, Kapital […] zu sein.« K. Marx, Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie (1983), S. 252f.
134K. Marx, Das Kapital (1974), S. 407.
135K. Marx, Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie (1983), S. 152.
136K. Marx, Auszüge aus James Mills Buch ›Éléments d’économie politique‹ (1968), S. 450f.
137Vgl. K. Marx, Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie (1983), S. 90.
138K. Marx, Auszüge aus James Mills Buch ›Éléments d’économie politique‹ (1968), S. 446.
139Vgl. ebd., 446.
140Ebd., S. 455.
141Vgl. Andrew Chitty: »The Early Marx on Needs«, in: Radical Philosophy 64 (1993), S. 23ff.
142Vgl. ebd., S. 29.
143Ferner entwickeln sich aus der kapitalistischen Produktionsweise beständig neue Bedürfnisse, die durch neue Produktionen erfüllt werden müssen. Generell kommt dem individuellen Bedürfnis eine immer wichtigere Rolle zu. Allmählich stehen die Individuen immer stärker unter dem Einfluss des Wunsches, irgendwelche Objekte von Begierde und Bedürfnissen zu besitzen. Die Sehnsucht individualisiert sich und wird damit gleichzeitig konformer, denn immer mehr Menschen unterliegen diesen kapitalistisch produzierten Sehnsüchten, diesen künstlichen Bedürfnissen nach bestimmten Waren. Sie sind gefesselt durch diese Dinge und gerade darin besteht die Macht des Kapitals. Die individuellen Bedürfnisse sind immer mehr bestimmt durch die kapitalistischen Verhältnisse. Vgl. K. Marx, Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie (1983), S. 213.
144K. Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte aus dem Jahre 1844 (1968), S. 520.
145Vgl. K. Marx, Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie (1983), S. 152.
146K. Marx, Das Elend der Philosophie (1959), S. 107.
147K. Marx, Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie (1983), S. 90.
148K. Marx, Das Kapital (1974), S. 145f.
149Vgl. Ingo Pies: »Karl Marx’ kommunistischer Individualismus«, in: Ingo Pies (Hg.), Moderne Klassiker der Gesellschaftstheorie. Von Karl Marx bis Milton Friedman, Tübingen 2016, S. 292ff, hier S. 293.
150Zum Begriff des ›entfremdeten Bedürfnis‹ oder der ›alienated needs‹ siehe Agnes Heller: The Theory of Need in Marx, London 1976, S. 40ff.
151A. Chitty, 1993, S. 28f.
152K. Marx, Auszüge aus James Mills Buch ›Éléments d’économie politique‹ (1968), S. 462.
153Vgl. ebd. So gesehen wird deutlich, warum Paul Tillich den Sozialismus Marx’scher Provenienz als eine »Widerstandsbewegung gegen die Zerstörung der Liebe [Herv. FB] in der gesellschaftlichen Wirklichkeit« beschreibt. Vgl. Paul Tillich: Protestantische Vision, Stuttgart 1952, S. 6. Die bürgerliche Gesellschaft bedeutet demnach jene Zerstörung der Liebe in der gesellschaftlichen Wirklichkeit.
154I. Mészaros (1973), S. 186.
155K. Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte aus dem Jahre 1844 (1968), S. 477. Der historische Kontext, die gesellschaftliche Realität der Zeit etwa, in der das Manifest der Kommunistischen Partei als einer der zentralen Texte von Marx entstand, ist in Großbritannien, Frankreich und Deutschland, folgt man Michael Levin, tatsächlich durch Verelendung geprägt. Er nennt die Zeit »a period of quite unusual economic and social stress.« Michael Levin: »›The Hungry Forties‹. The Socio-economic Conext of the Communist Manifesto«, in: Mark Cowling/Terrell Carver (Hg.), The Communist Manifesto. New Interpretations, Edinburgh 1998, S. 41ff.
Diesen Kontext betrachten auch Jürgen Herres, John Toews und Ellen Wood: Jürgen Herres: »Rhineland Radicals and the ›48ers‹«, in: Terrell Carver/James Farr (Hg.), The Cambridge Companion to The Communist Manifesto, Cambridge 2015, S. 15ff; John E. Toews: The Communist Manifesto by Karl Marx and Friedrich Engels with Related Documents, Boston 1999; Ellen M. Wood: »Die Geschichte ist nicht zu Ende«, in: Eric J. Hobsbawm/Samīr Amīn (Hg.), Das Manifest – heute. 150 Jahre Kapitalismuskritik, Hamburg 1998, S. 90ff.
Dass etwa Marx Beschreibung der Situation des Industrieproletariats keineswegs Ausdruck eines ideologisch verklärten Blickes war, sondern vielfach die Realität präzise abbildete, zeigt ein Blick in die Geschichtsschreibung. Vgl. etwa J.-F. Bergier, Das Industriebürgertum und die Entstehung der Arbeiterklasse 1700-1914 (1976), S. 282.
Daran wird deutlich, dass mindestens Marx’ Gesellschaftsanalyse weniger dogmatisch oder ideologisch gefärbt war. Stattdessen muss sie als Abbildung realer Verhältnisse gelesen werden, womit viel Kritik an einer vermeintlichen Ideologie von Marx grundsätzlich an Substanz verliert.