1Ähnlich N. Campagna (2001), S. 169. Tocqueville selbst sah im Entwurf des zweiten Bandes De La Dèmocratie En Amérique, direkt nach dem Kapitel, in dem es um die neue Form des despotisme démocratique ging, folgendes Kapitel vor: What must be done to turn aside this danger. A. d. Tocqueville, DA II Bd. 4 (2010), S. 1262.
2James Poulos: The art of being free, New York, N.Y. 2017
3A. d. Tocqueville, DA II Bd. 4 (2010), S. 1264. Dazu auch Oliver Hidalgo: »Hierarchie und Gleichheit – Tocqueville und die Kunst der Freiheit im demokratischen Staat«, in: Karlfriedrich Herb/Oliver Hidalgo (Hg.), Alter Staat – neue Politik. Tocquevilles Entdeckung der modernen Demokratie, Baden-Baden 2004, S. 111ff, hier S. 130.
4C. Offe (2004), S. 41.
Der Tocqueville-Biograf Cheryl Welch beschreibt Tocqueville als einen »theorist who distrusts unrestricted economic development, who fears atomizing individualisme, and believes that ›durable ties‹ cannot result from interest but only from communities of attachment.« Nichtsdestotrotz, Tocqueville »rests his hope for the viability of enforced fraternity and domination without fellowship solely on perceptions of mutual interest.« Cheryl B. Welch: »Tocqueville on Fraternity and Fracticide«, in: Cheryl B. Welch (Hg.), The Cambridge companion to Tocqueville, Cambridge, UK 2006, S. 303ff, hier S. 328.
Inwiefern Tocquevilles Vorstellung der politischen Bürgergesellschaft normativ geprägt ist, ist fraglich. Dazu etwa Pierre Manent: Tocqueville and the Nature of Democracy, Lanham 1996. Larry Shiner, Lucien Jaume und Alan Kahan verweisen darauf, dass ein tiefes Verständnis Tocquevilles nicht möglich ist, ohne ihn im Lichte der sehr normativ argumentierenden französischen Moralisten zu sehen. Vgl. Alan S. Kahan: »›Checks and Balances‹ für demokratische Seelen: Tocqueville über die Rolle der Religion in demokratischen Gesellschaften«, in: Harald Bluhm/Skadi Krause (Hg.), Alexis de Tocqueville. Analytiker der Demokratie, Paderborn 2016, S. 139ff; Alan S. Kahan: Tocqueville, Democracy, and Religion, Oxford 2015; L. Jaume (2013); Larry E. Shiner: The Secret Mirror, Ithaca 1988.
5A. d. Tocqueville, DA I Bd. 1 (2010), S. 16. Ähnlich drückt Tocqueville sich in L’Ancien Régime et la Révolution aus, wenn er feststellt, dass die Leidenschaft für die Freiheit noch oft »erlöschen, dann wieder erwachen, abermals erlöschen, und immer wieder erwachen« wird, während die leidenschaftliche Liebe eben die konstante Grundlage der neuen Zeit ist. vgl. A. d. Tocqueville (1978), S. 205.
So ähnlich formuliert Wilhelm Hennis die Fragestellung, welche aus seiner Sicht der ›neuen politischen Wissenschaft‹ Tocquevilles zugrunde liegt: »How can we prevent the degradation of souls in an age of equality which has been willed by destiny?« W. Hennis, In Search of the »New Science of Politics« (1991), S. 60f. Insofern, als dass er hier auf die Bedingungen von Freiheit auch unter den Voraussetzungen des unhintergehbaren demokratischen ètat social der Gesellschaft verweist, reformuliert er einen Gedanken, den Jürgen Feldhoff bereits gute zwanzig Jahre zuvor formulierte. Vgl. J. Feldhoff, S. 124.
Darin erscheint wieder das grundlegende Motiv, warum Tocqueville De La Dèmocratie En Amérique geschrieben hat, nämlich als Schrift, die sich an seine französischen Landsleute richtet und sie erstens von der Funktionsfähigkeit der Demokratie als politische Gesellschaftsordnung überzeugen und ihnen zweitens die notwendigen Einrichtungen dafür aufzeigen sollte. Siehe dazu das Kapitel Die politische Bürgergesellschaft als Ausdruck individuellen Interesses in dieser Arbeit.
6Zum Begriff siehe H. Bluhm/S. Krause, 2014a und den Sammelband von S. Krause, Der Demokratietheoretiker Tocqueville. Kontexte, Interpretationen und Neuaneignungen (2017); insb. der einführende Text von Skadi Krause im Abschnitt Der Demokratietheoretiker Tocqueville, Kontexte, Interpretationen und Neuaneignungen.
7Nichtsdestotrotz ist es möglich, von Tocqueville unter Umständen sogar so intendiert gewesen, aus seinen, die Praxis und die Handlungen betreffenden Aussagen, auf ein solches Menschenbild zurückzuschließen. Vgl. H. C. Mansfield/D. Winthrop, Tocqueville’s New Political Science (2006), S. 85. Alexander Jech geht in seinem Beitrag auf die Suche nach einem Konzept der menschlichen Natur in Tocquevilles Denken und findet ein solches, allerdings nicht direkt als Menschenbild, sondern vielmehr als Beschreibung von Umständen, wie physische Umwelt, état social oder Religion, die den Zustand des Menschen für Tocqueville maßgeblich bestimmen. Vgl. Alexander Jech: »›Man Simply‹: Excavating Tocqueville’s Conception of Human Nature«, in: Perspectives on Political Science 42 (2013), 84-93. Dazu auch Sara Henary, die in Tocquevilles Ausführungen zur Gleichheit eher eine rhetorische denn eine aus einer Überzeugung der menschlichen Natur herrührende Strategie erkennt. Vgl. S. Henary, 2014.
8Philippe Chanial betont dieses historische Glück besonders bezüglich des droit d’association. P. Chanial, Ehre, Tugend und Interesse (2016), S. 299.
9Ralph Hancock weist insbesondere auf die Bedeutung der religiösen Vorstellungen und Ideen der Puritaner diesbezüglich hin. Vgl. Ralph C. Hancock: »The Uses and Hazards of Christianity in Tocqueville’s Attempt to Save Democratic Souls«, in: Ken Masugi (Hg.), Interpreting Tocqueville’s democracy in America, Savage, Md. 1991, S. 348ff, hier S. 391ff.
10Beide Zitate aus A. d. Tocqueville, DA I Bd. 2 (2010), S. 491. Laura Janara hat sich insbesondere von dieser Aussage Tocquevilles zu einer sehr instruktiven Interpretation inspirieren lassen. Vgl. Laura Janara: Democracy growing up, Albany 2002.
Manche werfen Tocqueville ein ›falsches Verständnis‹ von Amerika vor, das sich daraus ergibt, dass Tocqueville nur das gesehen hat, was seinen vorgefertigten Urteilen entsprach. Vgl. etwa Gary Wills: »Did Tocqueville ›Get › America?«, in: New York Review of Books 29. April (2004), S. 52ff. Auch Thomas West argumentiert in eine ähnliche Richtung. Tocqueville hätte demnach die Gründerväter insofern ›falsch‹ verstanden, als das, seiner Meinung nach, der Staat zum Produkt der Gesellschaft wird, wobei die Gründerväter diesen Zusammenhang genau entgegengesetzt gesehen hätten. Vgl. Thomas G. West: »Misunderstanding the American Founding«, in: Ken Masugi (Hg.), Interpreting Tocqueville’s democracy in America, Savage, Md. 1991, S. 155ff.
11A. d. Tocqueville, DA I Bd. 2 (2010), S. 493.
12Vgl. J. Feldhoff, S. 84f.
13Vgl. A. d. Tocqueville, DA I Bd. 2 (2010), S. 387.
14Vgl. B. J. Smith, A Liberal of a New Kind (1991), S. 73.
15Vgl. A. d. Tocqueville, DA II Bd. 3 (2010), S. 874ff. Bezüglich dieser Frage klingt Tocqueville in L’Ancien Régime et la Révolution deutlich pessimistischer, wenn er dort konstatiert, dass die Freiheit ein untergeordneter Wunsch der Individuen ist, der nur von wenigen wirklich wert geschätzt wird. vgl. A. d. Tocqueville (1978), 14ff., passim.
Robert Gannet erkennt darin allerdings keinen inhaltlichen Rückzug, sondern vielmehr eine rhetorische Strategie Tocquevilles, den Bürgern ihre eigene, sich unterordnende Natur zu spiegeln, um sie selbst als Ursprung jedweder despotischen Entwicklung zu blamieren. S. Robert T. Gannett Jr.: »The Shifting Puzzles of Tocqueville’s The Old Regime and the Revolution«, in: Cheryl B. Welch (Hg.), The Cambridge companion to Tocqueville, Cambridge, UK 2006, S. 188ff.
Generell zu späteren geschichtswissenschaftlichen Vorhaben Tocquevilles und deren Wirkung etwa James T. Kloppenberg: »The canvas and the color: Tocqueville’s »philosophical history« and why it matters now«, in: Modern Intellectual History 3 (2006), S. 495ff.
16Vgl. A. d. Tocqueville, DA II Bd. 3 (2010), S. 745. So auch schon M. Hereth (1979), 43ff.
17A. d. Tocqueville, DA II Bd. 3 (2010), S. 889.
18A. d. Tocqueville, DA I Bd. 2 (2010), S. 512f.
19Ebd., S. 385.
20Vgl. ebd., S. 303. Philippe Chanial betont die Freiwilligkeit der Vereinigung, indem er hervorhebt, dass dies ohne Anrufung des Staates passiert. Vgl. P. Chanial, Ehre, Tugend und Interesse (2016), S. 302. Gerade diese Freiwilligkeit unterscheide die demokratischen associations von allen vormaligen Formen von Kollektivorganisationen, etwa ständischer Zünfte oder Patronagenetzwerke, die vielfach durch Zwang charakterisiert waren.
21Vgl. A. d. Tocqueville, DA I Bd. 2 (2010), S. 309. Dazu auch Vgl. Jean M. Yarbrough: »Jefferson and Tocqueville«, in: Perspectives on Political Science 48 (2019), S. 252ff.
22A. d. Tocqueville, DA I Bd. 2 (2010), S. 303.
23Vgl. ebd.
24Vgl. ebd., S. 304.
25A. d. Tocqueville, DA II Bd. 3 (2010), S. 915. Explizit zur Einrichtung der politischen Partei in Tocquevilles Denken, deren Bedarf und Funktion siehe S. Krause (2017), S. 262ff; S. S. Wolin (2001), S. 241.
26Ebd., S. 916.
27Tocqueville richtet sich auch hier ganz deutlich an seine französische Leserschaft und versucht ihr die Angst vor dem droit d’association zu nehmen, in dem er auf den Umstand in den USA verweist, wo trotz eines recht umfassenden droit d’association keine Anarchie zu beobachten ist. Vgl. A. d. Tocqueville, DA I Bd. 2 (2010), S. 305. Insofern liefert Tocqueville durchaus einen Beitrag zur Theorie des Widerstandes im Rahmen eines repräsentativen Regierungssystems. Dazu etwa Ian McDaniel: »Representative democracy and the ›spirit of resistance‹ from Constant to Tocqueville«, in: History of European Ideas 44 (2018), S. 433ff.
28A. d. Tocqueville, DA II Bd. 4 (2010), S. 1268.
29Vgl. ebd., S. 1006.
30Ebd., S. 993.
31A. d. Tocqueville, DA II Bd. 3 (2010), S. 902.
32Vgl. S. S. Wolin (2001), S. 238.
33Vgl. Skadi Krause: »Demokratischer Föderalismus. Tocquevilles Würdigung der kommunalen Selbstverwaltung als Teil der Civil Liberty«, in: Politische Vierteljahresschrift 55 (2014), S. 94ff, hier S. 109. Ebenfalls zur Bedeutung der Gemeinde in der De La Dèmocratie En Amérique etwa Robert T. Gannett Jr.: »Bowling Ninepins in Tocqueville’s Township«, in: The American Political Science Review 97 (2003), S. 1ff.
34Vgl. John Kincaid: »Federal Democracy and Liberty«, in: Political Science and Politics 32 (1999), S. 211ff, hier S. 211. Damit entpuppen sich insbesondere diese Ausführungen Tocquevilles als dezidierte Kritik am französischen Zentralismus.
35A. d. Tocqueville, DA I Bd. 1 (2010), S. 102.
36Vgl. Sheldon Wolin. Vgl. S. S. Wolin (2001), S. 219f. Gisela Riescher bezeichnet die Gemeinde in der De La Dèmocratie En Amérique sogar als Paradigma Tocquevilles praxisbezogenen Freiheitsbegriffs. Vgl. G. Riescher, Die Praxis politischer Freiheit (1998), S. 88.
37Vgl. A. d. Tocqueville, DA II Bd. 3 (2010), S. 891.
38Vgl. A. d. Tocqueville, DA I Bd. 2 (2010), S. 588.
39Vgl. A. d. Tocqueville, DA II Bd. 3 (2010), 889, 891.
40Vgl. S. S. Wolin (2001), S. 218.
41A. d. Tocqueville, DA I Bd. 1 (2010), S. 109. Die commune ist laut Donald Maletz die Schlüsselinstitution in Tocquevilles Beschreibung der Verfassung der US-amerikanischen Gesellschaft. Er verweist weiterhin darauf, dass die institutions communales in den USA durchaus auch historisch begünstigt waren angesichts eines großen Territoriums, eines fehlenden Zentrums und einem geringen Grad an Urbanisierung. Vgl. Donald J. Maletz: »The Spirit of Tocqueville’s Democracies«, in: Polity 30 (1998), S. 513ff, hier 519, 520.
Gisela Riescher sieht es ähnlich. Sie betont, dass die commune in Tocquevilles Denken »der zentrale Ort [sei, FB], an dem die Demokratie beginnt, an dem sie erfahren und erlernt, an dem sie täglich praktiziert werden kann.« Gisela Riescher: »Die Praxis politischer Freiheit. Individualismus und Gemeinsinn bei Alexis de Tocqueville und den amerikanischen Kommunitaristen«, in: Dirk Berg-Schlosser/Gisela Riescher/Arno Waschkuhn (Hg.), Politikwissenschaftliche Spiegelungen. Ideendiskurs – Institutionelle Fragen – Politische Kultur und Sprache Festschrift für Theo Stammen zum 65. Geburtstag, Wiesbaden 1998, S. 84ff, hier S. 87. Dazu auch R. T. Gannett Jr., 2003.
42A. d. Tocqueville, DA II Bd. 3 (2010), S. 892. Zur Bedeutung der Erreichbarkeit, Nähe und erlebbaren Solidarität in der Gemeinde etwa H. Buchstein/S. Hummel, Demokratietheorie und Methode: Alexis de Tocqueville und John Stuart Mill (2016), S. 257; H. Bluhm/S. Krause, Tocquevilles erfahrungswissenschaftliche Analyse der Demokratie. (2016), S. 67.
Das hält auch Ralf Dahrendorf viel später noch in seiner Beschreibung der US-amerikanischen Gesellschaft fest. Vgl. R. Dahrendorf (1968), S. 39.
43A. d. Tocqueville, DA II Bd. 3 (2010), S. 909.
44Vgl. A. d. Tocqueville, DA I Bd. 2 (2010), S. 385f.
45A. d. Tocqueville, DA II Bd. 3 (2010), S. 892.
46Vgl. A. d. Tocqueville, DA I Bd. 2 (2010), S. 429. Diese Bedeutung zeigt sich Tocqueville deutlich an der Robustheit der Hindu-Kultur, welche unbesehen der teils radikalen politischen Ereignisse in Indien und dem von ihm attestierten politischen Desinteresse der indischen Gesellschaft trotzdem überstand, und zwar, weil sie so stark in den einzelnen Orten verankert war. Vgl. A. d. Tocqueville, DA I Bd. 1 (2010), 102 Fn. g.
Auf der anderen Seite kann gerade auch in der commune eine Tyrannei der Mehrheit herrschen, die in ihrer Wirkung dann nahezu unbegrenzt sind. Dieser Punkt wird insbesondere dadurch brisant, als dass Tocqueville bei seiner Betonung des Föderalismus auf die Bundesstaaten verweist, die ebenso nicht gefeit sind vor der Mehrheitstyrannei. Auf diese Punkte weist James Schleifer hin. Vgl. J. T. Schleifer (2000), 269ff.
47Vgl. A. d. Tocqueville, DA I Bd. 1 (2010), S. 102.
48Ebd., S. 114.
49Vgl. L. Jaume (2013), S. 34.
50A. d. Tocqueville, DA I Bd. 2 (2010), S. 466. Nach Michael Sandel besteht darin die zentrale Erkenntnis Tocquevilles Reise durch die Vereinigten Staaten. Tocqueville ist demnach Zeuge einer insofern goldenen Epoche der föderalen amerikanischen Republik. Vgl. Michael Sandel: »The Political Theory of the Procedural Republic«, in: Revue de métaphysique et de morale 93 (1988), S. 57ff.
51Vgl. Michael Hereth: »Dezentralisierung und politische Sitten bei Alexis de Tocqueville«, in: Karlfriedrich Herb/Oliver Hidalgo (Hg.), Alter Staat – neue Politik. Tocquevilles Entdeckung der modernen Demokratie, Baden-Baden 2004, S. 49ff, hier S. 49ff.
Auf der anderen Seite nennt Tocqueville auch Umstände, die eine zentrale Verwaltung naheliegend und sinnvoll erscheinen lassen. Vgl. dazu A. d. Tocqueville, DA II Bd. 3 (2010), 775 Fn. a, 869f.
Allerdings lässt sich auch hierbei ergänzen, dass seiner Beobachtung nach, der Staat in den USA niemals als alleiniger Akteur auftritt, sondern immer auch private oder Akteure anderer Ebenen (lokal, kommunal etc.) eingreifen. Siehe dazu ein Notizbucheintrag Tocquevilles in Olivier Zunz: Alexis de Tocqueville and Gustave de Beaumont in America, Charlottesville 2010, S. 364f.
52Vgl. Ralph C. Hancock: »Tocqueville on the Good of American Federalism«, in: Publius: The Journal of Federalism 28 (1998), S. 89ff.
53Vgl. S. Krause (2017), S. 296. Grundsätzlich zu Tocquevilles Verständnis des Föderalismus siehe Juri Auderset: Transatlantischer Föderalismus, Berlin/Boston 2016, S. 321ff.
Laut James Schleifer geht Tocqueville vielmehr als nur auf die amerikanische Debatte zwischen Federalists und Anti-Federalists, also auf die Diskussion um die Verteilung staatlicher Macht zwischen Zentral- und Einzelstaaten, auf die politisch-kulturelle Bedeutung der Kommunen ein. Vgl. J. T. Schleifer (2000), 161-237.
54A. d. Tocqueville, DA I Bd. 1 (2010), S. 103.
55»The town institutions of New England were first to reach a state of maturity. They present a complete and uniform whole. They serve as a model for the other parts of the Union and tend more and more to become the standard to which all the rest must sooner or later conform.« Insofern lernt auch die US-amerikanische Gesellschaft noch von ihren eigenen Wurzeln. ebd. Dazu auch Barbara Allen: »Alexis de Tocqueville on the Covenantal Tradition of American Federal Democracy«, in: Publius: The Journal of Federalism 28 (1998), S. 1ff.
56Vgl. A. d. Tocqueville, DA I Bd. 1 (2010), S. 102.
57A. d. Tocqueville, DA I Bd. 2 (2010), S. 387. Tocqueville geht sogar noch weiter und sieht die Anzahl an Individuen mit esprit de cité in Europa in Abhängigkeit von der Gewährung dieser Rechte politischer Teilhabe.
58Dabei darf Dezentralität nicht nach heutigen Maßstäben bewertet werden. Für Tocqueville ist das Lokale, die Gemeinde die Essenz des demokratischen Geistes einer Gesellschaft. Das heutige Verständnis von Dezentralität oder Partizipation bedeutet häufig spezielle Aufgabenaufteilungen oder Beteiligungsausweitungen, Dieses ist nie oder nur selten so umfassend, wie Tocqueville es intendierte. Vgl. L. Jaume (2013), S. 28.
59Gerade die Vereine, die Mäßigung etwa beim Alkoholkonsum anstreben, beeindrucken Tocqueville stark. Das geht aus einem Tagebucheintrag vom 10. Oktober 1831 hervor. Vgl. O. Zunz (2010), S. 333.
60A. d. Tocqueville, DA II Bd. 3 (2010), S. 738.
61Ebd., S. 900.
62Vgl. A. d. Tocqueville, DA II Bd. 4 (2010), S. 1269.
63A. d. Tocqueville, DA II Bd. 3 (2010), S. 901. Dazu auch Seymour Drescher: »Who Needs Ancienneté? Tocqueville on Aristocracy and Modernity«, in: History of Political Thought 24 (2003), S. 624ff.
An dieser Stelle ließe sich eine Linie zwischen Montesquieu und Tocqueville konstatieren: Beide betonen die Wichtigkeit von Vereinigungen. Allerdings geht diese Ähnlichkeit kaum über das Funktionale hinaus, denn Montesquieu sieht die pouvoirs intermédiares als Brandmauer der Monarchie gegen die Despotie. Für Tocqueville allerdings erhalten die Vereinigungen vielmehr die Pluralität in einer konformer werdenden demokratischen Gesellschaft und schützen damit die demokratische Freiheit vor der despotisme démocratique. Vgl. Wilhelm Hennis: »In Search of the »New Science of Politics«, in: Ken Masugi (Hg.), Interpreting Tocqueville’s democracy in America, Savage, Md. 1991, S. 27ff, hier S. 52ff.
Arthur Goldhammer weist in einem Beitrag den engen Zusammenhang Tocquevilles Argumente bezüglich des droit d’association sowie deren Bedeutung für die demokratische Gesellschaft auf eine enge Verbindung dieser mit seiner Analyse des Ancien Régime hin. Vgl. Arthur Goldhammer: »Tocqueville, Association, and the Law of 1848«, in: Historical Reflections 35 (2009), S. 74ff.
64John Marini bezeichnet daher die Dezentralisierung eher als aristokratisch, da dort die Macht auf mehrere und erhabene Schultern verteilt ist. vgl. J. Marini, Centralized Administration and the ›New Despotism‹ (1991), S. 282f.
65Vgl. A. d. Tocqueville, DA II Bd. 3 (2010), S. 915ff.
66Vgl. ebd., S. 912.
67Ebd., S. 912f.
68Ebd., S. 912.
69P. Chanial, Ehre, Tugend und Interesse (2016), S. 292f. Nirgendwo hat das droit d’association eine größere positive Wirkung entfaltet als in den Vereinigten Staaten – in dieser Art beschreibt Tocqueville das droit d’association in den Exzerpten zur Gefängnisstudie. Vgl. O. Zunz (2010), S. 481.
70A. d. Tocqueville, DA II Bd. 3 (2010), S. 907.
71Vgl. ebd., S. 906f.
72Vgl. A. d. Tocqueville, DA I Bd. 2 (2010), S. 304f. Erinnert sei hier daran, dass das droit d’association die Individuen in einer Organisation zusammenfasst und damit komplementär zur Presse- und Meinungsfreiheit zu verstehen ist.
73A. d. Tocqueville, DA II Bd. 3 (2010), S. 906.
74Vgl. A. d. Tocqueville, DA I Bd. 2 (2010), S. 305.
75A. d. Tocqueville, DA II Bd. 3 (2010), S. 907.
76Ebd.
77Vgl. ebd., S. 289.
78A. d. Tocqueville, DA I Bd. 2 (2010), S. 298.
79Vgl. A. d. Tocqueville, DA II Bd. 3 (2010), 905ff., 910f.
80Ebd., S. 908.
81Vgl. A. d. Tocqueville, DA I Bd. 2 (2010), S. 295f. Darin drückt sich durchaus eine zeitgenössische Ambivalenz gegenüber dem Recht der Presse- und Meinungsfreiheit aus, welche teilweise durch extreme Gegensätze geprägt war. Dazu etwa S. Krause (2017), S. 222ff.
Skadi Krause bettet Tocquevilles Ausführungen zur Presse- und Meinungsfreiheit umfassend in den zeitgenössischen Diskurs ein und verfolgt die Genese Tocquevilles Standpunkt dazu sehr genau und bis zu einzelnen Rechtsfällen teilweise noch zu Zeiten der britischen Kolonialmacht zurück. Vgl. ebd., S. 226ff.
82So Tocqueville in einem Reisetagebucheintrag vom 17. und 18. Juli 1831 anlässlich eines Gespräches mit John C. Spencer. O. Zunz (2010), 218ff.
83Vgl. A. d. Tocqueville, DA I Bd. 2 (2010), S. 293.
84Vgl. ebd., S. 296. Dazu auch S. Krause (2017), S. 237.
85Vgl. A. d. Tocqueville, DA II Bd. 3 (2010), S. 905f.
86A. d. Tocqueville, DA II Bd. 4 (2010), S. 70.
87A. d. Tocqueville, DA I Bd. 2 (2010), S. 448.
88Ebd., S. 445. Ein Beispiel dafür bringt Tocqueville an, und zwar dass die Regierten die liberté d’écrire öfter durch Freisprüche zu schützen versuchen werden. Dadurch schützen sie diese öffentlichen Freiheiten nicht nur für die Freigesprochenen, sondern für die Gesellschaft insgesamt.
89Vgl. ebd.
90Dazu die Gesprächsnotizen einer Unterhaltung mit dem Richter Benjamin Curtis vom 27. September 1831 in O. Zunz (2010), S. 375ff.
91Vgl. den Tagebucheintrag vom 21. September 1831 in ebd., S. 237f. Darin lobt Tocqueville auch die enge und vertrauensvolle Beziehung zwischen Richtern und Geschworenen, also zwischen dem Volk und den Gerichten insgesamt, welche dadurch entsteht.
92Vgl. A. d. Tocqueville, DA I Bd. 2 (2010), S. 447.
Hier setzt eine Kritik an, die die Individualisierung der Rechtsprechung betrifft. Die Jury tendiere demnach dazu, die Person und nicht mehr das Verbrechen als solches zu bestrafen. Zu dieser juristischen Kritik etwa Raymond Saleilles: The Individualization of Punishment, Boston 1913.
Tocqueville selbst allerdings konstatiert bereits, dass er das Geschworenengericht nur in dessen politischer Bedeutung betrachten will, weil ihn alles andere – etwa rein juristische Gesichtspunkte – von seinem wesentlichen Interesse zu sehr entfernen würde. A. d. Tocqueville, DA I Bd. 2 (2010), 443 Fn. 2.
Die Gerichte bilden als eigenständige Gewalt auch einen eigenen Schutz der persönlichen Unabhängigkeit der Individuen gegen alle potenziellen Gefahren der Despotie oder der Tyrannei der Mehrheit, in dem sie die isolierten und daher schwachen Individuen gerichtlich vertreten und sich als Institution vor sie stellen. Vgl. A. d. Tocqueville, DA II Bd. 4 (2010), 1270, 1271f.
93Vgl. A. d. Tocqueville, DA I Bd. 2 (2010), 447f., 448.
94Vgl. S. Krause (2017), S. 346.
95Vgl. A. d. Tocqueville, DA I Bd. 2 (2010), S. 441.
96Ebd., S. 448.
97Diese ›Schule‹ bietet laut Bruce Smith eine »peculiar pedagogy.« Sie nimmt das Individuum aus der Privatsphäre, bringt aber gleichzeitig keine reife politische Freiheit hervor. Vgl. B. J. Smith, A Liberal of a New Kind (1991), S. 92ff.
Tocquevilles Sichtweise auf die Bedeutung der Jury wird vielfach als Destillat des amerikanischen Denkens und Theoretisierens über das Rechtssystem und die Einrichtung der Geschworenengerichte gesehen. Vgl. Jaqueline Edelberg: »Justice Here? Tocqueville and the Role of the Jury in the American Judicial Process and Republican Democracy«, in: La Revue Tocqueville/The Tocqueville Revue 17 (1996), S. 67ff, hier S. 68.
98Vgl. S. Krause (2017), S. 342.
99Vgl. A. d. Tocqueville, DA I Bd. 2 (2010), S. 431.
100Vgl. ebd., S. 442.
101Vgl. Albert W. Dzur: »Democracy’s ›Free School‹: Tocqueville and Lieber on the Value of the Jury«, in: Political Theory 38 (2010), S. 603ff, hier S. 622f.
102Vgl. Jenia I. Turner: »Jury Sentencing as Democratic Pracitce«, in: Virginia Law Review 88 (2003), S. 311ff; J. Lively (1965), S. 181.
103A. d. Tocqueville, DA I Bd. 2 (2010), S. 394.
104Vgl. ebd., S. 393ff.
105Ebd., S. 389.
106Vgl. ebd., S. 390f.
107Vgl. ebd., S. 294.
108A. d. Tocqueville, DA II Bd. 3 (2010), S. 944.
109A. d. Tocqueville, DA I Bd. 2 (2010), S. 475.
110Religion hat einen Wert an sich, unabhängig der ausgeübten Form. Dazu auch S. S. Wolin (2001), S. 237.
111Vgl. A. d. Tocqueville, DA I Bd. 2 (2010), S. 472ff.
112Vgl. A. d. Tocqueville, DA II Bd. 3 (2010), S. 745f.
113Vgl. R. C. Hancock, The Uses and Hazards of Christianity in Tocqueville’s Attempt to Save Democratic Souls (1991), 355. Ähnlich A. S. Kahan, ›Checks and Balances‹ für demokratische Seelen: Tocqueville über die Rolle der Religion in demokratischen Gesellschaften (2016), S. 147. Catherin Zuckert hebt die paradoxe Lage hervor, dass die Religion, gerade weil sie das Denken und Zweifeln beschränkt, die Freiheit stabilisiert. Vgl. C. H. Zuckert, Political Sociology Versus Speculative Philosophy (1991), S. 137.
114Vgl. A. d. Tocqueville, DA II Bd. 3 (2010), S. 742ff. Dazu auch O. Hidalgo (2006), S. 286.
115Vgl. A. d. Tocqueville, DA II Bd. 3 (2010), S. 965.
116Vgl. A. d. Tocqueville, DA I Bd. 2 (2010), S. 482.
117Vgl. A. S. Kahan, ›Checks and Balances‹ für demokratische Seelen: Tocqueville über die Rolle der Religion in demokratischen Gesellschaften (2016), S. 149.
118Vgl. A. d. Tocqueville, DA II Bd. 3 (2010), S. 957ff.
119Vgl. R. C. Hancock, The Uses and Hazards of Christianity in Tocqueville’s Attempt to Save Democratic Souls (1991), 354.
120Das gilt insbesondere für die häufigsten religiösen Gemeinschaften in den USA, die puritanischen Glaubensgemeinschaften. Die katholische Kirche, welche allerdings zur Zeit des Aufenthaltes von Tocqueville in den Vereinigten Staaten noch kaum eine Rolle spielte, fällt hier mit ihrer hierarchischen Organisation heraus. Zum Katholizismus in den USA lesenswert James M. O’Toole: The Faithful, Cambridge 2001.
121Vgl. A. d. Tocqueville, DA I Bd. 2 (2010), S. 472ff.
122Ebd., S. 475.
123Richard Avramenko: »Tocqueville and the Religion of Democracy«, in: Perspectives on Political Science 41 (2012), S. 125ff; O. Hidalgo (2006), S. 312.
124Vgl. A. d. Tocqueville, DA I Bd. 2 (2010), S. 479f. Oliver Hidalgo weist darauf hin, dass Tocqueville aus der Erkenntnis heraus, dass die Religion nicht gleichzeitig politisch sein und die Politik begrenzen kann, die Religion dennoch transzendental fundamentiert, und zwar unabhängig seiner eigenen Überzeugung. Vgl. O. Hidalgo (2006), S. 359. An anderer Stelle befasst sich Oliver Hidalgo mit der Frage, welche Religion oder religiöse Überzeugung Tocqueville selbst hatte. Vgl. ebd., S. 288ff. Dazu auch Doris S. Goldstein: »The Religious Beliefs of Alexis de Tocqueville«, in: French Historical Studies 1 (1960), S. 379ff.
Chritsopher Nadon erkennt darin eine Anwendung des Konzeptes einer ›kirchlichen Freiheit‹, dass auf John Locke zurückgeht und das Tocqueville auf die USA angewendet hat. Vgl. Christopher Nadon: »The Secular Basis of the Separation of Church and State: Hobbes, Locke, Montesquieu, and Tocqueville«, in: Perspectives on Political Science 43 (2014), S. 21ff.
125A. d. Tocqueville, DA I Bd. 2 (2010), S. 483.
126Alan Kahan weist in seiner Arbeit darauf hin, dass sich in Tocquevilles Standpunkt zur Religion eine Erfahrung aus der Französischen Revolution zeigt. Die Priester seien, so Tocquevilles Sichtweise, nicht in ihrer religiösen Funktion zum Hassobjekt der Revolutionäre geworden, sondern gerade weil sie sich mit weltlichen Dingen befassten, Eigentum besaßen und teilweise als Lehnsherren auftraten. Daher rührt die Betonung der notwendigen Trennung von Kirche und Staat, die zugleich eine Kritik an der liberalen Idee der Areligiösität oder der Religion als reiner Privatsache ist. Es ist hingegen eine Unterstreichung der Bedeutung der Religion in demokratischen Gesellschaften als stabilisierender Faktor, was allerdings auf der strikten Trennung basiert. Vgl. A. S. Kahan (2015), S. 160ff. Insofern besteht in Tocquevilles Religionsverständnis auch eine versteckte Kritik an der Französischen Revolution.
127Vgl. A. d. Tocqueville, DA I Bd. 2 (2010), S. 478ff.
128Auf die funktionale Bedeutung der Religion in Tocquevilles Denken weist unter anderem Karlfriedrich Herb hin. Vgl. Karlfriedrich Herb: »Staat und Religion. Die politische Vernunft in den Grenzen des Glaubens«, in: Karlfriedrich Herb/Oliver Hidalgo (Hg.), Alter Staat – neue Politik. Tocquevilles Entdeckung der modernen Demokratie, Baden-Baden 2004, S. 83ff, hier S. 83ff.
Oliver Hidalgo unterstreicht, dass Tocquevilles soziologische oder funktionalistische Sicht auf die Religion »in erster Linie« den Umständen, also den potenziell gefährlichen Entwicklungen der Demokratisierung wie Individualismus und Materialismus geschuldet ist. Diesen Gefahren stellt Tocqueville die Religion entgegen. Vgl. O. Hidalgo (2006), S. 310.
Sheldon Wolin bezeichnet Tocquevilles Bild der Religion daher auch als politische Konstruktion und nicht als historische Beschreibung. Vgl. S. S. Wolin (2001), S. 237.
Das Christentum ist dabei wahrscheinlich viel eher philosophischer, als religiöser Hintergrund von Tocqueville, wie Luke Sanders herausarbeitet. Vgl. Luke Sanders: »The strange belief of Alexis de Tocqueville: Christianity as philosophy«, in: International Journal of Philosophy and Theology 74 (2013), S. 33ff.
Tocqueville hätte auch hiermit, wie James Schleifer zeigt, insbesondere seine französische Leserschaft im Blick, um dem dort dominanten Katholizismus die moralisch-politische Herrschaft zu nehmen und den Prozess zu unterstützen, mit dem die Individuen zu rationalen Bürgern werden. Vgl. James T. Schleifer: »Tocqueville, Religion, and Democracy in America: Some Essential Questions«, in: American Political Thought 3 (2014), S. 254ff.
129Vgl. S. Krause (2017), S. 383.
130Vgl. A. d. Tocqueville, DA II Bd. 3 (2010), S. 753. Dazu auch O. Hidalgo (2006), S. 352f.
131Auffallend ist wieder eine ›Eigenartigkeit‹ in Tocquevilles Liberalismus. Der eigentliche »Faible« des Liberalismus, wie Joshua Mitchell sich ausdrückt, besteht doch darin, den politischen Einfluss der Religion zu minimieren. Tocqueville hingegen betont geradezu die politische Bedeutung der Religion. Die Religion ist mehr als eine rein individuelle Entscheidung oder ein solches Glaubensbekenntnis und damit auf den privaten Betätigungsraum begrenzt, sondern von Tocqueville ausdrücklich in ihrer gesellschaftlichen Wirkung betont. Vgl. S. Krause (2017), S. 416; J. Mitchell, Tocqueville on Democratic Religious Experience (2006), S. 276ff.
Joshua Mitchell hebt hervor, dass für Tocquevilles die Autorität weiterhin zentrales Charakteristikum jeder demokratischen Gesellschaft bleibt, nur in veränderter Form. Gleiches gilt auch für die Religion. Vgl. J. Mitchell, Tocqueville on Democratic Religious Experience (2006), S. 294.
132Vgl. S. Krause (2017), S. 393.
133O. Hidalgo (2006), S. 316. Aristide Tessitore unterstreicht in Tocquevilles neuer politischen Wissenschaft einen religiösen point de départ. Ohne die Bedeutung der (christlichen) Religion in Tocquevilles Schrift kleinzureden, überbetont sie allerdings doch die Bedeutung der Religion, die letztlich nur ein Raum vielfältiger Erfahrungsräume von Freiheit, gemeinsamen Handeln und Selbstbestimmung ist. Tocqueville fundiert seine neue politische Wissenschaft deutlich breiter als ›nur‹ oder ›mehrheitlich‹ mit der Religion. Vgl. Aristide Tessitore: »Tocqueville’s American Thesis and the New Science of Politics«, in: American Political Thought 4 (2015), S. 72ff.
134Oskar Negt: Der politische Mensch, Göttingen 2011, S. 13.
135Mit Jean-Claude Lamberti ließe sich konzedieren, dass in dem Versuch der Stärkung der Liebe zur öffentlichen Freiheit eines der Hauptanliegen Tocquevilles zu finden ist. vgl. J.-C. Lamberti (1989), S. 62.
136Vgl. J. W. Ceaser, Political Science, Political Culture, and the Role of the Intellectual (1991), S. 322.
137Vgl. A. d. Tocqueville (1978), S. 169.
138Insgesamt legt Tocqueville in seinen ausführlichen Ausführungen zu der gefährlichen Vereinzelung in der Gleichheit und dem in demokratischen Gesellschaften allgemein zunehmenden Materialismus das intellektuelle Fundament für die spätere Bewegung der Kommunitarier. Vgl. Walter Reese-Schäfer: Klassiker der politischen Ideengeschichte, München 2007, S. 162.
Genereller gesprochen geht auf Tocqueville die Frage der Beschäftigung mit dem strukturellen Wert der sogenannten Zivilgesellschaft für die Demokratie zurück. S. dazu etwa Robert D. Putnam: Bowling alone, New York, NY 2001; Robert D. Putnam/Robert Leonardi/Raffaella Y. Nanetti: Making democracy work, Princeton, NJ 1994.
139Micheal Drolet nutzt hier zwar den Begriff der Tugend, stellt allerdings auf das aufgeklärte und rationale Interesse der Individuen an der Gemeinschaft und die öffentlichen Angelegenheiten ab. Michael Drolet: »Freiheit und assoziatives Leben in Tocquevilles »neuer Wissenschaft der Politik«, in: Harald Bluhm/Skadi Krause (Hg.), Alexis de Tocqueville. Analytiker der Demokratie, Paderborn 2016, S. 91ff, hier S. 94.
140S. Krause (2017), S. 76.
141Vgl. D. Meskill, 2007, S. 123f.
142A. d. Tocqueville, DA I Bd. 2 (2010), S. 365.
143Vgl. Dana Jalbert Stauffer: »Tocqueville on the Modern Moral Situation: Democracy and the Decline of Devotion«, in: The American Political Science Review 108 (2014), S. 772ff.
144Norbert Campagna weist auf diese Schicksalhaftigkeit der cartesianischen Philosophie hin, aus der die Individuen als Isolanis hervorgehen, die Halt und Orientierung in der Mehrheit finden. Es ist daher schicksalhaft entscheidend, ob diese Mehrheit das reine private Interesse prämiert oder aber selbst durch ein aufgeklärtes Interesse durchdrungen ist, welches das Private mit dem Öffentlichen verbindet. vgl. N. Campagna (2001), S. 127ff.
145A. d. Tocqueville, DA II Bd. 3 (2010), S. 919.
146Ebd., S. 920. Insofern hat das intérêt bien entendu antimaterialistische Züge. Dazu A. Goldhammer, Translating Tocqueville (2006), S. 150. Vince Bagnulo sieht darin die greatness demokratischer Gesellschaften. Vgl. Vince Bagnulo: »Making Democracy Great Again…or Not: Alexis de Tocqueville on Why Greatness in Democratic Society Requires Justice«, in: Perspectives on Political Science 49 (2020), S. 181ff.
147A. d. Tocqueville, DA II Bd. 3 (2010), S. 921.
148Vgl. Ralph C. Hancock: »The Responsibility of Reason: Tocqueville and the Problem of Modern Transcendence«, in: Perspectives on Political Science 42 (2013), S. 27ff.
149A. d. Tocqueville, DA II Bd. 3 (2010), S. 922.
150So ähnlich Tocqueville in einem Tagebucheintrag. Vgl. A. d. Tocqueville, DA I Bd. 2 (2010), 509 Fn. A. Das Bild der Mediokrität nutz Tocqueville häufiger, was zum einen durchaus eine melancholische Note hinsichtlich aristokratischer Größe zum Ausdruck bringt, aber auch sein Verständnis über das Fehlen von Extremen – positiven als auch negativen – in der demokratischen Gesellschaft aufzeigt.
151Vgl. A. d. Tocqueville, DA II Bd. 4 (2010), S. 1076.
152Vgl. A. d. Tocqueville, DA II Bd. 3 (2010), S. 922.
153Jon Elster unterstreicht, dass auch das intérêt bien entendu keine dauerhafte Immunisierung gegen den Materialismus bedeutet, sondern es sowohl von aufkommenden Egoismen als auch neuen Leidenschaften unterminiert werden kann. Vgl. J. Elster (2009), S. 59.
154Vgl. H. C. Mansfield/D. Winthrop, Tocqueville’s New Political Science (2006), S. 92.
155Vgl. A. d. Tocqueville, DA II Bd. 3 (2010), S. 926ff. Die Religion erscheint so, dies sei hier nochmals betont, auch als ausgleichende Größe, die die materialistische Seite des Menschen mit seiner gemeinschaftlichen oder öffentlichen Seite in eine Balance zu bringen in der Lage ist. Insofern führt Alan Kahan die Religion als Bestandteil des komplexen Checks-and-Balances-System in Tocquevilles Denken an. Vgl. A. S. Kahan, ›Checks and Balances‹ für demokratische Seelen: Tocqueville über die Rolle der Religion in demokratischen Gesellschaften (2016), S. 140.
156Vgl. A. d. Tocqueville, DA II Bd. 3 (2010), S. 913. Insofern wird nochmals deutlich, dass und wie das droit d’association Bedingung des Reifungsprozesses der Gesellschaft hin zu einer politisch aktiven Gesellschaft ist. Vgl. Pierre Rosanvallon: The Demands of Liberty, Cambridge 2007, S. 120.
157P. Chanial, Ehre, Tugend und Interesse (2016), S. 305.
158Dazu etwa Oliver Zunz und Alan Kahan einführend in The Tocqueville reader. A life in letters and politics, Oxford 2002, S. 51. In diesem Verständnis besteht durchaus eine utilitaristische Wendung des Gemeininteresses. Vgl. K. Herb/O. Hidalgo (2005), S. 66. Auch Lucien Jaume argumentiert, dass laut Tocqueville darin die einzige Möglichkeit bestünde, dem emanzipierten und unabhängigen demokratischen Individuum eine Moralität im Sinne der Gemeinschaft zu vermitteln. Vgl. L. Jaume (2013), S. 31.
Für Arthur Schlesinger besteht darin sogar der zentrale Unterschied zwischen antiker und der modernen Vorstellung von der Republik. Während erstere noch auf der Tugend aufbaut, basiert die zweite auf den Interessen der Individuen. Damit ergibt sich auch die Notwendigkeit, die individuellen Interessen in irgendeiner Art und Weise durch neue Verknüpfungen mit dem öffentlichen Interesse auszugleichen. Vgl. A. Schlesinger, JR., Individualism and Apathy in Tocqueville’s Democracy (1988), 96, 102.
Cheryl Welch umreißt dahingehend die moralische Herausforderung jeder modernen Gesellschaft, wie folgt: »The trick of living together under conditions of equality while maintaining individual dignity and independence […] constituted the moral challenge of modernity.« C. B. Welch (2001), S. 54.
159Vgl. R. Swedberg, 2005, S. 480.
160Vgl. Brian Danoff: Educating Democracy, Albany 2010, 17, 26; Dana Villa: »Hegel, Tocqeuville, and Individualism«, in: Review of Politics 67 (2005), S. 659ff, hier S. 665f; Peter A. Lawler: The Restless Mind, Lanham 1993.
161A. d. Tocqueville, DA II Bd. 3 (2010), S. 920.
162Philippe Chaniel sieht daher im intérêt bien entendu und nicht in der Tugend oder den mœurs die differentia specifica in Tocquevilles De La Dèmocratie En Amérique. Vgl. P. Chanial, Ehre, Tugend und Interesse (2016), S. 311.
163Vgl. R. Boesche, 1988, S. 35f. Skadi Krause weist zu Recht darauf hin, dass es Tocqueville dabei weniger um das Motiv, sondern vielmehr um den Effekt einer Handlung geht. Ob also ein Individuum aus Tugendhaftigkeit, Altruismus oder dem intérêt bien entendu sich dem Gemeinwohl widmet, ist am Ende irrelevant. Vgl. S. Krause (2017), S. 220. Unstrittig ist natürlich dennoch, dass mit der Lehre vom intérêt bien entendu ein grundsätzlich neues Motiv gemeinsamen Handelns aufkommt. So legt es ein Tagebucheintrag Tocquevilles nahe. Vgl. O. Zunz (2010), S. 118.
164Insofern bezeichnet Sheldon Wolin Tocquevilles Konzept der mœurs als aristokratisch, und zwar insofern, als dass es verschiedene einzelne Individuen zu einem größeren zusammenbringt. Vgl. S. S. Wolin (2001), S. 227. Eine Einschätzung, die auch hinsichtlich der associations schon geäußert wurde. Siehe die Abschnitte zu Vereinigungen und politische Vereine sowie Bürgerliche Vereinigungen.
165Vgl. Dana Villa: »Tocqueville and Civil Society«, in: Cheryl B. Welch (Hg.), The Cambridge companion to Tocqueville, Cambridge, UK 2006, S. 216ff, hier S. 225ff. Über die Politik als integratives Element J. Feldhoff, S. 81.
166A. d. Tocqueville, DA I Bd. 2 (2010), S. 466.
Norbert Bellah meint einen unbeachteten Unterschied in Tocquevilles Verständnis der mœurs auszumachen. Einmal nutze dieser sie als Beschreibung dafür, wie und was die Individuen tun – ein kultureller Begriff. Zum anderen bezeichnen die mœurs so etwas wie eine Art Verpflichtung oder moralische Richtigkeit – ein normativer Begriff. Robert N. Bellah: »The Quest for the Self: Individualism, Morality, Politics«, in: Ken Masugi (Hg.), Interpreting Tocqueville’s democracy in America, Savage, Md. 1991, S. 329ff, hier S. 344.
Allerdings übersieht Norbert Bellah dabei, dass Tocqueville diese zweifache Bedeutung dem Begriff der mœurs bewusst unterlegt. Die mœurs sind sowohl Ausdruck einer gewissen ›Kultur,‹ als auch Beschreibung einer vom Ergebnis her gesehenen Normativität. Tocqueville sucht nach Möglichkeiten, das Schicksal der despotisme démocratique in der neuen Zeit der égalité des conditions zu vermeiden. Vor diesem Hintergrund sind seine Überlegungen normativ und damit natürlich auch die mœurs, welche dabei die zentrale Rolle spielen. Tocqueville zielt nicht darauf ab, das Handeln der Individuen von außen zu regulieren, sondern aus dem US-amerikanischen Kontext zu berichten, was dort zur Stabilität der Demokratie beiträgt. Es ging ihm also um Überzeugung nicht um Steuerung und diese Überzeugung ist normativ zu nennen. Insofern überschneidet sich der normative mit dem kulturellen Begriff der mœurs. Zur besonderen Normativität von Tocqueville siehe M. Drolet, Freiheit und assoziatives Leben in Tocquevilles »neuer Wissenschaft der Politik« (2016), S. 112; A. Craiutu, Tocquevilles neue politische Wissenschaft wiederentdecken: (2016), S. 41.
167Skadi Krause führt überzeugend vor, wie kontrovers dennoch die Debatte um die Formulierungen bezüglich des droit d’association in den Verfassungsbesprechungen und der Debatte um die Bill of Rights verlief. Vgl. S. Krause (2017), S. 267ff. Dazu auch Robert M. Chesney: »Democratic-Republican Societies, Subversion, and the Limits of Legitimate Political Dissent in the Early Republic«, in: North Caronlina Review 82 (2004), S. 1525ff. Lesenswert dazu auch die rechtshistorische Arbeit von John D. Inazu: »The Strange Origins of the Constitutional Right of Association«, in: Tennessee Law Review 77 (2010), S. 485ff. Insbesondere hinsichtlich des zivilen Engagements zur Aufhebung der Sklaverei bekommt das Vereinigungsrecht nochmals einen Bedeutungsschub, aber auch eine neue politische Brisanz. Exemplarisch dazu sowie zur Frage der politischen Gleichstellung der Freuen Nancy Isenberg: Sex and Citizenship in Antebellum America, Chapel Hill 1998.
168A. d. Tocqueville, DA I Bd. 2 (2010), S. 397.
169 Jürgen Feldhoff betont hingegen, dass Tocqueville gerade in der Trägheit von Gesetzen, als politische Institutionen, eine Gegenkraft gegen die demokratische Überbewegtheit sieht. Vgl. J. Feldhoff, S. 26f. Hier wird allerdings der Argumentation James Schleifers gefolgt, nach der die Gesetze und politischen Institutionen grundsätzlich volatiler seien, weil sie der politischen Macht entspringen und ausgesetzt sind. Vgl. J. T. Schleifer (2000), S. 338.
170A. d. Tocqueville, DA I Bd. 2 (2010), S. 499.
171Ebd., S. 398.
172Diese essenzielle Bedeutung der mœurs brachte Jean-Claude Lamberti schon Ende der 1980er Jahre dazu, Tocquevilles ›neue politische Wissenschaft‹ als im Kern an der Demokratie als Kulturobjekt interessiert, zu bezeichnen. Aus dem Vergleich unterschiedlicher Kulturen leitet Tocqueville die Folgen ab, ob die Demokratie einen stabilen freiheitlichen (»healthy«) oder einen despotischen (»corrupt«) Zustand einnimmt. Vgl. J.-C. Lamberti (1989), S. 242. Ähnlich sieht Laura Janara in der Gleichheit einerseits ein Momentum, das vor der aristokratischen Hierarchie schützt und zugleich die Reifung der demokratischen Gesellschaft zu einem demokratischen politischen Zustand forciert, welches sie dann als »healthy« bezeichnet. Gleichzeitig kann die Gleichheit diesen Reifungsprozess andererseits potenziell behindern. L. Janara (2002), S. 80ff.
173Zit. n. J. T. Schleifer (2000), S. 338.
174A. d. Tocqueville, DA II Bd. 3 (2010), S. 893.
175Dies betonen auch H. C. Mansfield/D. Winthrop, Tocqueville’s New Political Science (2006), S. 97f. Diesbezüglich macht James Schleifer auch noch einmal deutlich, dass aus der schieren Existenz der Mehrheit nicht automatisch die Tyrannei der Mehrheit resultiert, beziehungsweise Tocqueville diesen vereinfachten Zusammenhang auch nicht dachte. Vielmehr ist die tyrannische Wendung der Mehrheitsmacht ebenso ein Potenzial, wie die Mehrheit auch dem intérêt bien entendu und den freiheitlichen mœurs zum Durchbruch verhelfen kann. Vgl. J. T. Schleifer (2000), S. 259.
176A. d. Tocqueville, DA II Bd. 4 (2010), S. 1142.
177Vgl. A. d. Tocqueville, Notebook E (1962), S. 258f.
178Vgl. A. d. Tocqueville, DA I Bd. 2 (2010), S. 306.
179Vgl. Mark A. Noll: »Tocqueville’s America, Beaumont’s Slavery, and the United States in 1831-32«, in: American Political Thought 3, S. 273ff. Mark Noll arbeitet dabei aus den Tagebüchern und Reiseaufzeichnungen von Tocqueville und Beaumont heraus, wo Tocqueville die amerikanische Religion verzerrt wahrnahm oder wo er sogar Dinge übersehen oder für nicht wichtig erachtete.
180Vgl. A. d. Tocqueville, DA I Bd. 2 (2010), S. 503.
181Vgl. ebd., S. 448.
182Stehen die mœurs für eine bestimmte politische Kultur einer Gesellschaft, dann, hebt Sheldon Wolin hervor, hat gerade die Betonung dieser wahrscheinlich als Tocquevilles »most important theoretical choice« zu gelten. Vgl. S. S. Wolin (2001), S. 207.
183Vgl. C. Offe (2004), S. 26f.
184Vgl. H. Bluhm/S. Krause, 2014b, S. 31.
185Vgl. ebd., S. 48.
186Vgl. S. Krause (2017), S. 329; J. Kincaid, 1999, S. 212. Nichtsdestotrotz behandelt Tocqueville die Bedeutung der Gemeinden und Kommunen, als Erfahrungsräume von politischem Handeln, nicht als allein konstitutive Elemente, sondern immer in Ergänzung zum Rechtsstaat und zur repräsentativen Demokratie. Das betont S. Krause, 2014, S. 110f.
Jean-Claude Lamberti zeigt dahingehend auch auf, dass Tocqueville in der Stellung des Richterrechts, des common law und der damit zusammenhängenden Macht der Richter sowie der Gerichte eine sinnvolle Beschränkung des Prinzips der Volkssouveränität sah. Vgl. J.-C. Lamberti (1989), S. 87ff. Dazu auch Grit Straßenberger: »Gesellschaftliche Integration und Fragmentierung. Paradoxien des Gemeinsinns in Tocquevilles Demokratie in Amerika«, in: Berliner Debatte Initial 16 (2005), S. 83ff, hier S. 90ff.
187Vgl. A. d. Tocqueville, DA I Bd. 1 (2010), S. 108.
188Daher unterstreicht Roger Boesche Tocquevilles Fokus auf diese Elemente, und zwar obgleich dieser auch auf die klassischen Facetten des liberalen Bürgerstaats wie Rechtsstaatlichkeit, Gesetz und Gerichtswesen verweist. Vgl. R. Boesche, 1988, S. 38. Skadi Krause deutet auf Tocquevilles Betonung der Volkssouveränität hin, welche über das klassische Verständnis, bezogen auf das Zustandekommen der Regierung, weit hinausreiche. Vgl. S. Krause (2017), S. 186. Tocquevilles Bild der Demokratie, als stabilem politischen Zustand, verbindet diese ausgedehnte Vorstellung der Volkssouveränität mit der Idee demokratischer Repräsentation. So finden sich in De La Dèmocratie En Amérique viele Ausführungen Tocquevilles über das Repräsentativsystem der USA, deren Vorstellung hier allerdings für das individuelle politische Handeln weniger von Bedeutung war und worauf deswegen an dieser Stelle nur verwiesen sei. Siehe dazu A. d. Tocqueville, DA I Bd. 1 (2010), 136ff.,195ff.
189Siehe ein Tagebucheintrag vom 30. Oktober 1831 in O. Zunz (2010), S. 252ff. Dazu auch K. Herb/O. Hidalgo (2005), S. 126; S. S. Wolin (2001), S. 275.
190Tocqueville betont dies angesichts der US-amerikanischen Gesellschaft, obwohl er deren Fehleranfälligkeit konstatiert. In einem Brief an Ernest de Chabrol führt Tocqueville aus, dass obgleich diese politische Bildung noch nicht überall in den Vereinigten Staaten stabil durchgesetzt ist, der Gedanke der Notwendigkeit politischer Bildung überall anerkannt ist, und zwar unabhängig politischer oder religiöser Ansichten. Daraus geht ein gemeinschaftlich gestalteter Fortschritt hervor. Die US-amerikanische Gesellschaft ist daher stark darin und fähig dazu, sich selbst zu regieren und die Freiheit zu bewahren. Vgl. O. Zunz (2010), S. 199. Es ist diese Kraft von Gesellschaften, die unter dem Prinzip der Volkssouveränität stehen, welche anderen Nationen abgeht. Vgl. Tagebucheintrag vom 27. Dezember 1831 in ebd., S. 350.
191Diese sehr hilfreiche Aufzählung stammt insgesamt von J. T. Schleifer (2000), S. 297f. Dazu auch James T. Schleifer: »How to Preserve Liberty?«, in: James T. Schleifer (Hg.), The Chicago companion to Tocqueville’s Democracy in America, Chicago 2012, S. 101ff.
192Vgl. Herbert Dittgen 1986, S. 85f. hin.
193Wenn Sheldon Wolin also fragt, ob die Basis der freiheitlich-demokratischen Gesellschaft in einem präexistenten Dokument oder in den Handlungen und Alltagsüberzeugungen der Individuen zu suchen sind, sollte hier klar werden, dass es für Tocqueville bestimmte Handlungen und Überzeugungen deren Grundlagen sind. Vgl. S. S. Wolin (2001), S. 172.
Dieses Freiheitsverständnis, welches eine aktive Freiheit, eine Freiheit des citoyen und nicht des bourgeois adressiert, erinnert an Rousseau. Wilhelm Hennis und Harvey Mitchell etwa befassen sich mit den rousseauistischen Grundlagen Tocquevilles. Vgl. W. Hennis, In Search of the »New Science of Politics« (1991); Harvey Mitchell: »The changing conditions of freedom. Alexis de Tocqueville in the light of Rousseau«, in: History of Political Thought (1988), S. 31ff
194B. J. Smith, A Liberal of a New Kind (1991), S. 93.
195Eine andere Unterscheidung des Freiheitsbegriffes ist die zwischen einer liberalen und einer republikanischen Freiheit, wobei erstere individuelle Abwehrrechte gegenüber dem Staat und der zweite das Individuum als politisch annimmt, welches sich der öffentlichen Sache annimmt. Allgemein zu den Kategorien einer liberalistischen und einer republikanischen Freiheit etwa Karl A. Schachtschneider: »Vom liberalistischen zum republikanischen Freiheitsbegriff«, in: Karl A. Schachtschneider/Dagmar I. Siebold/Angelika Emmerich-Fritsche (Hg.), Freiheit – Recht – Staat. Eine Aufsatzsammlung zum 65. Geburtstag Karl Albrecht Schachtschneiders, Berlin 2011, S. 67ff, hier 70f., 77.
In der Tocqueville-Literatur gibt es eine Debatte darüber, welchen Wesens die Freiheit in Tocquevilles Werk und Denken ist, ob er eher eine negative Freiheit von oder eine positive Freiheit zu formuliert, um eine andere und sehr geläufige Begriffsspezifizierung von Isiah Berlin zu nutzen.
Steven Forde etwa verortet Tocquevilles Freiheitsbegriff eindeutig im Bereich der positiven Freiheit. Vgl. Steven Forde: »Alexis de Tocqueville’s Ancient Modern Liberty«, in: ASPA 2010 Annual Meeting Paper (2010). Skadi Krause erkennt in Tocquevilles Werk eine Freiheit, die Ausdruck der politischen Aktivität der Bürger ist und über die Frage der Wahl hinaus-, und somit mehr in den Bereich der positiven Freiheit hineingeht. Vgl. S. Krause (2017), S. 217ff. Dazu auch Michael Hereth: »Alexis de Tocqueville«, in: Theo Stammen/Gisela Riescher/Wilhelm Hofmann (Hg.), Hauptwerke der politischen Theorie, Stuttgart 2007, S. 533ff; Marinus R. R. Ossewaarde: Tocqueville’s moral and political thought, London 2004, S. 95.; C. B. Welch (2001), S. 217.; G. Riescher, Die Praxis politischer Freiheit (1998), S. 89.; Catherine H. Zuckert: »Political Sociology Versus Speculative Philosophy«, in: Ken Masugi (Hg.), Interpreting Tocqueville’s democracy in America, Savage, Md. 1991, S. 121ff, hier S. 151.; Ähnlich dazu auch W. Hennis, In Search of the »New Science of Politics« (1991), S. 44.; Susanne Achtnich: Alexis de Tocqueville in Amerika, Frankfurt a.M. 1987, S. 90.
Demgegenüber vertritt etwa Norbert Campagna die Auffassung, dass Tocqueville maßgeblich einen negativen Freiheitsbegriff nutzt, der auf der individuellen Freiheit vor Eingriffen der politischen oder sozialen Mächte beruht. Vgl. N. Campagna (2001), S. 97.
Jean-Claude Lamberti und andere nehmen eher eine Mittelposition ein: Individualistische Freiheit ja, aber mit einem essenziellen Element an politischer Aktivität, welche menschliche Vervollkommnung bedeutet. Vgl. J.-C. Lamberti (1989), S. 55.
Zu Tocqueville als »Vermittler« der antipodischen negativen Freiheit der Moderne und der positiv-antiken Freiheit etwa M. Drolet, Freiheit und assoziatives Leben in Tocquevilles »neuer Wissenschaft der Politik« (2016), S. 105; K. Herb/O. Hidalgo (2005), S. 39.
196Vgl. J. Feldhoff, S. 57.
197Freiheit erscheint damit aus drei Elementen zusammengesetzt: Einem, der germanischen Antike entnommenen Element der Unabhängigkeit, der politischen Teilhabe als der griechischen Antike entnommen sowie als Gleichheit vor dem Recht als der christlichen Morallehre entnommen. Siehe J.-C. Lamberti (1989), S. 58.
Für Michael Hereth ist damit alles, was heutzutage als negative Freiheit firmiert, bei Tocqueville die Voraussetzung von Freiheit, nicht aber Freiheit an sich. Vgl. Michael Hereth: Tocqueville zur Einführung, Hamburg 1991, S. 23.
198Delba Winthrop drückt die Bedeutung der Vereinigungen in Tocquevilles Vorstellung einer stabilen demokratischen und freien Gesellschaft wie folgt aus: »Democracy will be still graced by natural aristocrats, who have a passion for political liberty.« Insofern, als dass das Recht auf Vereinigungen ein Recht zur Selbstregierung und zur politischen Freiheit darstellt und innerhalb der Vereinigungen sich eine bestimmte (aristokratische) Ehre herausbildet, zum Zweck größerer Ziele zu wirken, ist das Recht eine Sache der Ehre. Delba Winthrop: »Rights: A Point of Honor«, in: Ken Masugi (Hg.), Interpreting Tocqueville’s democracy in America, Savage, Md. 1991, S. 394ff, hier 423, 424.
199P. Chanial, Ehre, Tugend und Interesse (2016), S. 297.
200Vgl. S. Krause (2017), S. 335.
201Vgl. Pierre Manent/Daniel J. Mahoney/Paul Seaton: »Democratic Man, Aristocratic Man, and Man Simply. Some Remarks on an Equivocation in Tocqueville’s Thought«, in: Perspectives on Political Science 27 (1998), S. 79ff, hier S. 83.
202Vgl. H. Dittgen (1986), S. 35.
203Insofern, als dass Tocqueville nicht ausschließlich auf die Eigeninteressen der Individuen baut, durch eine Skepsis gegenüber dem neuen bürgerlichen Mittelstand geprägt ist und insgesamt konservative und radikal-demokratische Elemente vereint, bezeichnet Roger Boesche Tocquevilles Vorstellung als einen »strange liberalism«. Dieser bewege sich zwischen dem Liberalismus Benjamin Constants und John-Stuart Mills sowie dem Konservativismus von Edmund Burke und François-René de Chateaubriand als auch den radikal-demokratischen Ideen Julies Michelets und Alphonse de Lamartines. Vgl. R. Boesche, 1981.
Zu den verschiedenen liberalen und konservativen Hintergründen in De La Dèmocratie En Amérique auch Sanford Lakoff: »Tocqueville, Burke, and the Origins of Liberal Conservatism«, in: The Review of Politics 60 (1998), S. 435ff; S. Achtnich (1987), 56ff., 127ff.
Alan Kahan untersucht sogar den ›aristokratischen Liberalismus‹ Tocquevilles. Vgl. Alan S. Kahan: Aristocratic liberalism, New York, NY 1992.
204H. Bluhm/S. Krause, 2014b, S. 46; L. Jaume (2013), S. 29. Ähnlich betont Pierre Manent, dass Tocqueville damit im Kern eine detaillierte Beschreibung des Einflusses des demokratischen état sociale auf die Individuen und damit letztlich der sozialen Zusammenhänge gibt. Vgl. P. Manent, Tocqueville, Political Philosopher (2006), S. 112. Über Tocquevilles Überlegungen einer Bürgerlichkeit etwa Doris S. Goldstein: »Alexis de Tocqueville’s Concept of Citizenship«, in: Proceedings of the American Philosophical Society 108 (1964), S. 39ff.
205Dazu siehe etwa J. Marini, Centralized Administration and the ›New Despotism‹ (1991), S. 270. Generell zur Trennung von Öffentlich und Privat in Tocquevilles Denken Peter A. Lawler: »Alexis de Tocqueville and the Public/Private Dichotomy: Implications for Public Service Today«, in: Public Integrity 3 (2001), S. 131ff.
206Bei der Betrachtung des politischen Zustandes der demokratischen Despotie wurde deutlich, dass diese nicht aus einem Mangel politischen Handelns größerer repräsentativer Organe – etwa von demokratischen Parlamenten – herrührt, sondern gerade auf dem Rückzug der Individuen von den öffentlichen Angelegenheiten basiert. Es soll hier nicht verschwiegen werden, dass natürlich auch institutionelle Vorkehrungen, etwa die Stellung des Supreme Courts oder generell der Gerichte, welche auf die Verfassung gestützt, mehrheitlich beschlossene Gesetze kassieren können oder die föderale Struktur dafür sorgen, dass die Gefahr der despotisme démocratique eingeschränkt wird. Dazu etwa S. Krause (2017), S. 76f. Jürgen Feldhoff weist auf die dennoch bestehenden Möglichkeiten hin, dass auch diese unterlaufen werden können. Vgl. J. Feldhoff, S. 90f.
207So Tocqueville in einem Brief an Louis de Kergolay. S. A. d. Tocqueville, DA I Bd. 1 (2010), 32 Fn. x.
208Vgl. J. T. Schleifer (2000), S. 290.
209Vgl S. S. Wolin (2001), S. 337. All das ist Ausdruck einer »civic religion«, folgt man Sanford Kessler. Vgl. Sanford Kessler: Tocqueville’s civil religion, Albany, NY 1994, S. 21ff.
210Vgl. A. d. Tocqueville, DA I Bd. 1 (2010), S. 28. Dazu auch A. Craiutu, Tocquevilles neue politische Wissenschaft wiederentdecken: (2016), S. 35.
Jürgen Feldhoff wies bereits 1968 darauf hin, dass Tocqueville zwangsläufig zu einer ›neuen politischen Wissenschaft‹ kommen musste. Die alten Begrifflichkeiten und Vorstellungen der Demokratie, weder der florentinischen Republik noch die athenische Demokratie genügten für die neue Zeit der égalité des conditions. Aus Tocquevilles Betonung der Gleichheit ergibt sich damit die Notwendigkeit einer neuen politischen Wissenschaft der Demokratie. Vgl. J. Feldhoff, S. 18. Daraus leitet Sheldon Wolin wiederum eine Erklärung für die teilweise begriffliche Ungenauigkeit Tocquevilles ab. Vgl. S. S. Wolin (2001), S. 316.
211Dies kommt einem Ansatz nahe, den Jean Yarbrough in einem Beitrag verfolgt und der die Psyche in den Mittelpunkt Tocquevilles liberalen Denkens stellt. Dieses Denken ruht demnach auf der Kritik des neuen bürgerlichen Materialismus und dessen Folgen für die Verneinung oder Verdrängung der menschlichen Seele als Phänomen weitaus umfassenderer Bedürfnisse. Vgl. Jean M. Yarbrough: »Tocqueville on the Needs of the Soul«, in: Perspectives on Political Science 47 (2018), S. 123ff.
212Vgl. C. B. Welch (2001), 81, 92.
213Vgl. S. Krause (2017), S. 213.
214Vgl. A. d. Tocqueville, DA I Bd. 1 (2010), S. 16.
215Zitiert nach J. T. Schleifer (2000), S. 232f. Dazu auch M. R. R. Ossewaarde (2004), S. 96; S. S. Wolin (2001), S. 369f.
216Vgl. S. Krause (2017), S. 221.
217A. d. Tocqueville, DA I Bd. 1 (2010), S. 28. Der ›Biograf‹ von De La Dèmocratie En Amérique, James Schleifer, bemerkt, dass Tocqueville damit ein Buch verfasst hätte, dass eine weit über die eigentliche Intention des Autors hinausgehende Reichweite und Wirkung entfaltet hat. Vgl. J. T. Schleifer (2000), S. 345.
218Vgl. A. Craiutu, Tocquevilles neue politische Wissenschaft wiederentdecken: (2016), S. 35. Tocquevilles Vorgehen, sich in die Kultur der US-amerikanischen Gesellschaft, deren Recht, Religion, Verhaltensweisen, Sprache, Kunst, Politik und vieles andere mehr einzuarbeiten, daraus ein Verständnis für das Funktionieren dieser Gesellschaft zu generieren und zusammen mit der Herleitung von historischen und politischen Kausalitäten ein Gesamtverständnis für das komplexe Gefüge einer modernen Gesellschaft zu bekommen, bezeichnet Roger Boesche wiederum als Grundlage dafür, dass Tocqueville auch heute noch so aktuell ist und warum Tocqueville aus heutiger Sicht geradezu prophetische Kräfte entwickelt hat. Vgl. Roger Boesche: »Why Could Tocqueville Predict so Well?«, in: Political Theory 11 (1983), S. 79ff.
Tocqueville verteidigte damit die Freiheit gegen von ihm vorausgeahnte Angriffe oder Gefahren, von tyrannischen Minderheiten, Mehrheiten und einem überbordenden wohlwollenden Staat. All dies seien für Tocquevilles, folgt man Max Lerner, Phänomene der modernen Massen- und Mittelstandsgesellschaft. Vgl. M. Lerner (1994), S. 71.
219Alexis d. Tocqueville: »Rede vor der Deputiertenkammer 27. Januar 1848«, in: Harald Bluhm (Hg.), Kleine Politische Schriften, Berlin 2006, S. 179ff, hier S. 183.
220Ebd., S. 184.
221Vgl. A. d. Tocqueville, DA II Bd. 4 (2010), S. 1374.
Für Claus Offe gestaltet sich darin der zentrale Erkenntnishintergrund von De La Dèmocratie En Amérique: »Wie kommt es […] daß eine auf gleicher Freiheit der Menschen gründende Ordnung in Amerika ganz offenbar zu Prosperität und Stabilität führt, während in Europa schon die ersten Schritte auf dem Wege zu einer solchen Ordnung in Krieg, Bürgerkrieg, anhaltender Instabilität, reaktionären Rückschlägen und beständiger Angst vor der revolutionären Erhebung der Volksmassen enden?« C. Offe (2004), S. 21.
222Darin besteht die wesentliche Motivation Tocquevilles, De La Dèmocratie En Amérique zu schreiben, nämlich für eine französische Leserschaft. Er will die möglichen und tatsächlichen Folgen der historischen Bewegung der Gleichheit zeigen. Damit ist der Text durchaus gleichzeitig als Inspiration sowie als Warnung zu sehen – Inspiration für einen ›gesunden‹ Umgang mit der unaufhaltsamen Demokratisierung und Warnung davor, dass eine demokratische Gesellschaft nicht grundsätzlich vor Despotie und Tyrannei gefeit ist. Dazu etwa Cheryl B. Welch: »Tocquevilles neue politische Wissenschaft im Schatten der Alten«, in: Harald Bluhm/Skadi Krause (Hg.), Alexis de Tocqueville. Analytiker der Demokratie, Paderborn 2016, S. 113ff, hier S. 119; J. Elster (2009), S. 94; Francoise Mélonio: »Tocqueville and the French«, in: Cheryl B. Welch (Hg.), The Cambridge companion to Tocqueville, Cambridge, UK 2006, S. 337ff.
223Wieder erscheint hier Tocquevilles Betonung der politischen Bildung oder Reife, die er in der US-amerikanischen Gesellschaft erkennt. Darin liege laut Tocqueville die einzige Hoffnung, die er für die Zukunft europäischer Gesellschaften hat. So Tocqueville in einem Tagebucheintrag vom 14. Januar 1832. Eigene Übersetzung aus O. Zunz (2010), S. 339.
Dennoch muss an dieser Stelle auch betont werden, dass Tocqueville die Demokratie in den Vereinigten Staaten eher nicht als Ergebnis einer politischen Revolution begriffen hat, sondern darin vielmehr eine Weiterentwicklung bereits existenter Handlungszusammenhänge und bestehender freiheitlicher Räume erkennt. So baue die Demokratie der USA auf der englischen Tradition der Gemeinderegierung, dem droit d’association und anderen ›importierten‹ Einrichtungen auf, und zwar vor dem Hintergrund eines an Ressourcen und Flächen reichen Landes. Vgl. S. Krause (2017), S. 420.
224James Ceaser betont dabei, dass Tocqueville eine doppelsäulige Gründungsgeschichte der USA erzählt, laut der die historische Situation der Revolution sowie der Verfassungsgebung auf der einen und das puritanische Erbe auf der anderen Seite entscheidend waren. Vgl. James W. Ceaser: »Alexis de Tocqueville and the Two-Founding Thesis«, in: The Review of Politics 73 (2011), S. 219ff.