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Zeitschrift für interkulturelle Germanistik – 15. Jahrgang, 2024: E.T.A. Hoffmanns Nussknacker und Mäusekönig in Korea. Zur Problematik der Mündlichkeit im Übersetzungsprozess (Sinae Yang/Jiyeon Kook)

Zeitschrift für interkulturelle Germanistik – 15. Jahrgang, 2024

E.T.A. Hoffmanns Nussknacker und Mäusekönig in Korea. Zur Problematik der Mündlichkeit im Übersetzungsprozess (Sinae Yang/Jiyeon Kook)

E.T.A. Hoffmanns Nussknacker und Mäusekönig in Korea

Zur Problematik der Mündlichkeit im Übersetzungsprozess

Sinae Yang/Jiyeon Kook

Abstract1

The understanding that translations should not be viewed solely as the transfer of individual words, sentences, or texts from one language to another, but rather as a conduit between languages and cultures, has been firmly established in numerous academic studies. Sometimes the translation process leads to the discovery of hidden linguistic-cultural characteristics of the target language. The comparison and evaluation of Korean translations of E.T.A. Hoffmann’s The Nutcracker and the Mouse King revealed that translators exhibited a noticeable mental hesitation. This paper elucidates that this hesitation is strongly correlated with the sudden appearance of the narrator and the resultant narrative disruptions. These fissures stem from the particular characteristics of the Korean language, which, due to the abrupt emergence of the narrator or the conceptual orality, cannot uniformly render sentence-final endings. The paper aims to scrutinize the unique features of the Korean language unearthed through the act of translation and to delineate their corresponding cultural backdrop. Furthermore, through a comparative analysis, it endeavors to explicate the nuanced significance of translation, fostering reflection on both the target language and the source language.

Title

E.T.A. Hoffmann’s The Nutcracker and the Mouse King in Korea: On the Problem of Orality in the Translation Process

Keywords

E.T.A. Hoffmann (1776-1822); Nussknacker und Mäusekönig; translation; comparative linguistics; orality

1. Einleitung

Fragestellung

Es ist historisch erwiesen, dass der Übersetzungsakt nicht darauf beschränkt ist, Sprachen auszutauschen, sondern auch als Vermittler von Kulturen wirkt und erhebliche positive Nebeneffekte in der Zielsprache mit sich bringt (vgl. Burke/Po-chia Hsia 2007). Seit den Anfängen der Menschheit beruhte der kulturelle Austausch im Wesentlichen auf Übersetzungen, und Martin Luthers Bibelübersetzung gilt zum einen als Startpunkt für die historische Umwälzung ›Reformation‹ und wird zum anderen als Grundstein der modernen deutschen Sprache anerkannt. Übersetzen beschränkt sich nicht auf das Übertragen einer Fremdsprache in eine Muttersprache. Beim Übersetzen ist das Verhältnis zwischen Ausgangssprache und Zielsprache oder zwischen Fremdsprache und Muttersprache nicht einseitig oder abhängig. So wie Luther durch die Übertragung des Lateinischen ins Deutsche den Horizont des Deutschen erweiterte, bietet der Übersetzungsprozess selbst die Möglichkeit, durch Begegnungen mit dem Fremden gleichzeitig das Unbekannte des Vertrauten bzw. neue Möglichkeiten in der Muttersprache zu entdecken. Daher werden wir in dieser Studie die im Übersetzungsprozess offengelegten Besonderheiten des Koreanischen aus linguistischer Sicht betrachten. Gleichzeitig gehen wir den Hintergründen der sprachlichen Differenz nach, wobei wir zeigen wollen, dass diese auf kulturelle Unterschiede zurückzuführen ist. Darüber hinaus erwarten wir, dass wir durch diese Diskussion letztendlich die Bedeutung des Übersetzens auf mehreren Ebenen stärken.

Die Fragestellung entwickelte sich im Prozess der vergleichenden Analyse koreanischer Übersetzungen von E.T.A. Hoffmanns Nussknacker und Mäusekönig. Dieses Kunstmärchen hat eine besondere narrative Struktur in Form einer Rahmenerzählung, wobei die innere Geschichte (das Märchen von der harten Nuss) angesichts der verschiedenen Umstände der Erzählung eindeutig mündlich und die äußere Geschichte (Nußknacker und Mausekönig) konzeptionell mündlich und schriftlich zugleich ist. Während in allen Übersetzungen ins Koreanische die inneren Geschichten konzeptionell mündlich, d.h. als erzähltes Märchen, übersetzt wurden, findet man in der äußeren Rahmenerzählung Spuren von Zögern und Schwierigkeiten seitens der Übersetzer. Denn durch das Vergleichen und Gegenüberstellen verschiedener koreanischer Übersetzungen konnten wir bestätigen, dass die Übersetzer für diese Situation unterschiedliche Strategien anwendeten. Wir gehen davon aus, dass der Grund in der unterschiedlichen Art und Weise liegt, wie mündliche Erzählungen im Koreanischen und Deutschen dargestellt werden. Letztlich ermöglicht die Begegnung mit einer Fremdsprache die Reflexion über die Muttersprache, und im Prozess der Konfliktlösung beim Übersetzungsprozess kommt es zu unerwarteten Entdeckungen in der Muttersprache, die deren Ausdrucksmöglichkeiten wiederum erweitern können.

Ziel dieser Arbeit ist es also, die sich vom Deutschen unterscheidenden Merkmale des Koreanischen, die bei den Übersetzungen von Nussknacker und Mäusekönig zutage treten, darzustellen und zu untersuchen, welche sprachlichen und kulturellen Besonderheiten damit verbunden sind. Darüber hinaus bestätigt der Beitrag erneut, dass Übersetzen kein einseitiger und unterordnender Akt der Zielsprache unter die Ausgangssprache ist, sondern ein interkultureller Kommunikationsprozess.

Dafür skizzieren wir in Kapitel 2 die Übersetzungssituation des Werks Nussknacker und Mäusekönig in Korea und betrachten die einheimische Rezeption. In Kapitel 3 gehen wir auf die Erzählebenen und die konzeptionelle Mündlichkeit des Originals ein. In dieser Arbeit gibt es mehrere Passagen, die auf die konzeptionell mündliche Erzählung der äußeren Erzählung abzielen oder diese andeuten. Dieses Kapitel soll als Grundlage für die Bearbeitung der einleitenden Fragen dienen. In Kapitel 4 untersuchen wir einzelne Fälle, an denen das oben erwähnte Zögern der Übersetzer auftritt, und wir versuchen, den Grund dafür zu identifizieren, indem wir die sprachlichen Merkmale des Koreanischen erklären. Im abschließenden Kapitel 5 gehen wir erneut auf die Besonderheiten des Koreanischen ein, die es erschweren, deutsche Originale zu übersetzen, und untersuchen ferner, in welchem kulturellen Kontext dergleichen auftreten könnte, und hinterfragen so die interkulturelle Bedeutung des Übersetzens.

2. Rezeption und Übersetzungen in Korea

Der Nussknacker ist in Korea eher bekannt als Ballettstück denn als Märchen. Das ergibt sich aus der Tatsache, dass fast alle koreanischen Übersetzungen von Hoffmanns Text mit dem Titel Der Nussknacker, dem gleichnamigen Titel der Tschaikowsky-Ballettsuite veröffentlicht wurden, obwohl der eigentliche Titel des Originalwerks ja Nussknacker und Mäusekönig lautet.

Der 1816 veröffentlichte Text Nussknacker und Mäusekönig wurde 2001 erstmals als vollständiges Buch in Korea publiziert. In Anbetracht dessen, dass Tschaikowskys Ballettsuite schon 1974 in Korea bekannt wurde und sich großer Beliebtheit erfreute, ist es etwas überraschend, dass die Übersetzung des Originalwerks erst 27 Jahre später erfolgte, denn Hoffmanns andere Werke wurden schon deutlich früher übersetzt. Den Grund dafür könnte man wie folgt zusammenfassen:

a)Wie auch im Fall zahlreicher Kinderbücher über den Nussknacker, die von der Popularität des Ballettstücks von Tschaikowsky inspiriert waren, zu erkennen ist, scheint die vereinfachte narrative Struktur des Balletts die Rezeption der komplexeren Strukturen des Originals behindert zu haben. Das aus zwei Akten bestehende Ballett Der Nussknacker – darunter das Weihnachtsmotiv, ein Geschenk des Nussknackers, Kampf und Sieg mit dem Mäusekönig (Akt 1) und eine Reise ins Puppenland (Akt 2) – ist trotz der Entlehnung im Vergleich zum Original strukturell extrem vereinfacht. Denn der Text, der in der Planungsphase des Balletts verwendet wurde, basierte nicht auf Hoffmanns Originalwerk, sondern auf einer von Alexandre Dumas ins Französische übersetzten und angepassten Bearbeitung. Dumas wich bei seiner Übersetzung nicht wesentlich vom Originalrahmen ab, änderte aber die Reihenfolge der Unterkapitel und begann mit den beiden Kapiteln »Godfather Drosselmeyer« und »Christmas Tree« an (vgl. Hoffmann/Dumas 2007). In diesen Kapiteln stellt Dumas die sich von der französischen unterscheidende Weihnachtskultur Nürnbergs vor und rekonstruiert das innere Märchen, um das Gesamtwerk für Kinder verständlicher zu machen. Den Einfluss von Dumas auf Tschaikowskys Ballett erkennt man schon daran, dass im ersten Akt von Tschaikowskys Nussknacker der Pate Droßelmeier eine wichtige Rolle spielt (2 von 7 Szenen im 1. Akt) und dem Weihnachtsbaum eine ganze Szene gewidmet wird (gleich nach der Ouvertüre, 1. Akt, 1. Szene). Insbesondere der Weihnachtsbaum, der im Original nur kurz als geschmückter »Tannenbaum« (Hoffmann 2001: 244) auftaucht, wurde zum wichtigsten Requisit auf Aufführungsplakaten oder im Bühnenbild von Tschaikowskys Der Nussknacker. Wie stark Dumas’ Bearbeitung sich durchgesetzt hat, lässt sich auch an einer englischen Publikation erkennen, die sowohl Hoffmanns Originalwerk als auch Dumas’ Adaption (Nutcracker and Mouse King and the Tale of the Nutcracker, Dumas 2007) enthält.2

b)Die speziellen Eigenschaften des Originals scheinen auch ein Hindernis für dessen vollständige Übersetzung gewesen zu sein. Nussknacker und Mäusekönig wird vom Autor als Märchen definiert. Aber wie Hoffmann selbst erwähnte, hat es eine für Kinder sehr komplexe Struktur und für Erwachsene ist das Genre ›Märchen‹ nicht gerade dazu geeignet, eine große Leserschaft anzusprechen (für Näheres siehe Hoffmann 2001: 306f.).

Diese Umstände widerspiegelnd wurde Nussknacker und Mäusekönig in Korea erst 1984 als Kinderbuch veröffentlicht, lange nachdem das Ballett dort rezipiert wurde. Dabei handelte es sich meist nicht um vollständige Übersetzungen, sondern um adaptierte Versionen oder auf Kinder zugeschnittene Cartoon-Varianten (Haseo-Verlag, Jigyeongsa, Yemunsa, JoongAng Ilbo usw.). Die erste vollständige Übersetzung des deutschen Originals wurde erstmals 2001 von der Germanistin Choe Min Suk publiziert (vgl. Choe 2001). Nussknacker und Mäusekönig erschien hauptsächlich in Verlagen, die auf Kinderliteratur spezialisiert sind, und die Gesamtzahl der Übersetzungen belief sich bis 2022 auf 84. Bei diesen Publikationen handelt es sich fast ausschließlich um Kinderbücher, aber seit der Veröffentlichung der ersten vollständigen Übersetzung des Originals im Jahr 2001 ist ein bemerkenswerter Trend zu erkennen. Viele Publikationen wurden von professionellen Übersetzern veröffentlicht, die Germanistik studiert haben. Diese Übersetzungen erschienen als Teil einer Buchreihe für Jugendliche, also nicht für Kindergartenkinder oder Grundschüler, und sind von der Schriftgröße oder vom Cover-Design her so gestaltet, dass auch Erwachsene als Leserschaft angesprochen werden konnten (vgl. Schmaus 2005: 103). Dieses Phänomen kann auch als Beleg dafür interpretiert werden, dass sich das Verständnis für die als ›Märchen für Erwachsene‹ gelesene Literatur Hoffmanns in Korea erweitert hat. Anstatt durch Bearbeitungen die Augenhöhe der Kinder zu erreichen, wurde nun versucht Leser der Altersgruppe, die das Original verstehen können, mit dem ursprünglichen Text anzusprechen. Die Bedeutung einer solchen Änderung liegt darin, dass sie das Ungleichgewicht zwischen wissenschaftlicher und öffentlicher Akzeptanz zu verringern vermag. (Obwohl das Werk in der germanistischen Szene in Korea recht lebhaft diskutiert worden war, gab es fast keine für Erwachsene konzipierten Übersetzungen.)

Wie bereits erwähnt, gibt es in Korea über 80 Übersetzungen von Nussknacker und Mäusekönig. Nicht alle sind Gegenstand dieser Arbeit. Die hier Berücksichtigten wurden auf der Grundlage von zwei Hauptprinzipien ausgewählt. Erstens muss es eine Übersetzung vom Deutschen ins Koreanische sein (also nicht aus einer anderen Sprache). Zweitens muss es eine vollständige Übersetzung des Hoffmann’schen Originaltextes sein. Filtert man die auf dem Markt befindlichen Übersetzungen nach diesen Kriterien, verbleiben nur etwa sechs (davon zwei von Choe Min Suk, jeweils eine von Moon Seong-won, Ham Mi-ra, Park Jin-kwon und Han Mi-hee). Diese Übersetzungen wurden ohne größere Mängel angefertigt, und abgesehen von redaktionellen und gestalterischen Elementen wie Illustrationen gibt es makroskopisch keinen signifikanten Unterschied. Dies scheint damit zusammenzuhängen, dass das Werk in einer relativ einfachen Sprache geschrieben ist, weil es eben als Märchen für Kinder konzipiert war.

Unterschiede auf der Mikroebene zeigen sich relativ deutlich in der Bearbeitungsmethode von häufig vorkommenden Onomatopoetika, der Übersetzungsweise von Liedern (Gedichten) und Nebensätzen. In Bezug auf Hoffmanns einzigartigen Stil, zum Beispiel lange, mit Kommas unterteilte Sätze, spiegeln einige Übersetzungen die stilistischen Merkmale des Originalwerks wider, während andere die Sätze für die jungen Leser kurz und einfach halten. Damit wird natürlich auch der klassische Meinungsunterschied zum Thema Übersetzung bestätigt, das beliebte Thema in übersetzungskritischen Diskussionen. Der größte Unterschied zwischen den verschiedenen Übersetzungen betrifft den in dieser Arbeit angesprochenen Aspekt, nämlich den Umgang mit der Mündlichkeit. In der Einleitung wurde schon erwähnt, dass in der äußeren Rahmenerzählung ebenfalls mehrere gesprochensprachliche Elemente erkennbar sind, wie zum Beispiel Interventionen des Erzählers bzw. Sprechers. Dieser Stil des Autors bereitet bei der Übersetzung ins Koreanische jedoch sehr komplexe und subtile Probleme. Koreanische Übersetzer kämpfen damit, wie sie mit gesprochenen Situationen umgehen sollen, die plötzlich mitten in einem deskriptiven Kontext auftauchen. Einige respektieren diese im Koreanischen heterogenen Elemente als literarische Merkmale, manche streichen sie im Hinblick auf die Lesbarkeit oder suchen nach eklektischen Methoden. Das Zögern und die Bedenken der Übersetzer hängen mit den sprachlichen Unterschieden von Deutsch und Koreanisch zusammen. Um mit dieser Diskussion fortzufahren, gehen wir im nächsten Kapitel zunächst auf die speziellen Merkmale des Werks Nussknacker und Mäusekönig, die Erzählebenen und die konzeptionelle Mündlichkeit ein.

3. Zu den Erzählebenen und der konzeptionellen Mündlichkeit

In diesem Kapitel werfen wir einen genaueren Blick auf die Besonderheiten der Erzählstruktur und die konzeptionelle Mündlichkeit des externen Märchens Nussknacker und Mäusekönig. Da sich Kapitel 4 auf die Erörterung sprachlicher Unterschiede zwischen Deutsch und Koreanisch konzentriert, soll hier zuerst auf die strukturellen Merkmale des Werks, dann auf die sprachlichen Merkmale eingegangen werden, die den mündlichen Kontext auslösen.

Schauen wir uns zum Auftakt die Merkmale der Erzählstruktur an. E.T.A. Hoffmanns Kunstmärchen Nussknacker und Mäusekönig erschien 1816 zu Weihnachten und wurde nach Einarbeitung in das zwischen 1819 und 1821 erschienene Arbeitsbuch der Brüder von Serapion nach einigen Änderungen neu aufgelegt. Das Werk wurde für die Kinder des Kollegen und Verlegers Julius Eduard Hitzig geschrieben, die sowohl als die Hauptdarsteller im Märchen selbst als auch als die Zuhörer Marie und Fritz und deren ältere Schwester Luise projiziert werden. Daher kann vorausgesetzt werden, dass das äußere Märchen vom Schriftsteller Hoffmann für die Kinder seines Freundes als Weihnachtsmärchen erzählt wird. Dadurch verschwimmt die Grenze zur realen Welt, und die Erzählung zeigt eine mehrschichtige Struktur. Mit anderen Worten übernimmt Droßelmeier den Part des Erzählers, um den Kindern von Julius Eduard Hitzig die externe Geschichte zu erzählen und im äußeren Märchen außerhalb des Rahmens die innere Geschichte mit dem Untertitel »Das Märchen von der harten Nuss«. Die Uneindeutigkeit der Grenze zur Realität durch die überlappende Struktur wird durch das häufige Eingreifen des Erzählers, der Marie und Fritz anspricht, noch verstärkt. Denn dies wird in der inneren Erzählung strukturell wiederholt, in der Droßelmeier Marie und Fritz das Märchen von der harten Nuss erzählt. D.h., das innere Rahmenmärchen wird den Kindern Marie und Fritz von Droßelmeier erzählt, während das äußere Märchen vom Erzähler, der seine Existenz ständig durch Aufrufen der Leser (Zuhörer) bestätigt, den Kindern realiter erzählt wird. Dass Droßelmeier, der durch multiple Rollen im Werk das innere und äußere Märchen miteinander verbindet, auch als Projektion des Schriftstellers gelesen werden kann, wurde bereits in akademischen Kreisen diskutiert (vgl. u.a. Choe 2003; Jeong 2019; Neumann 1997; Pikulik 1987). Wenn die Rahmenstruktur durch die Äquivalenz zwischen dem Erzähler außerhalb des Märchens und dem Droßelmeier innerhalb des Märchens als sich wiederholend und überlagernd (wie bei einer russischen Matrjoschka) verstanden werden kann, gibt es Raum dafür, das äußere Märchen ebenfalls als mündlich erzählt zu verstehen.

Da das Werk in geschriebener Form vorliegt, dennoch Merkmale der gesprochenen Sprache aufweist, ist in dieser Arbeit von konzeptioneller Mündlichkeit im geschriebenen Text die Rede. Um die konzeptionelle Mündlichkeit nach Koch/Oesterreicher (vgl. 1985) zu beschreiben, sollte zunächst zwischen gesprochener Sprache und Schriftsprache auf der einen Seite sowie monologischer und dialogischer Darstellung auf der anderen Seite unterschieden werden. Im prototypischen Fall sind beide parallel. Zum Beispiel hätte ein Zeitungsbericht eine monologisch schriftliche Form, während sich ein Telefongespräch dialogisch in gesprochener Sprache vollzieht. Es gibt aber zahlreiche Zwischenstufen. Beispielsweise ist eine Predigt in gesprochener Sprache monologisch und ein Chat in Schriftsprache extrem dialogisch, weswegen Koch/Oesterreicher (ebd.) zwischen »Sprache der Nähe« und »Sprache der Distanz« unterscheiden. Die Grundidee besteht darin, dass gesprochene und geschriebene Sprache nach dem verwendeten Medium sowie nach dem verwendeten Konzept unterschieden werden können. Dieses Konzept hängt wiederum mit Faktoren der sozialen Nähe bzw. Distanz zusammen. Demnach sollten also bei jedem Sprachprodukt folgende zwei Fragen beantwortet werden:

  • Welches Medium wird zur Kommunikation verwendet (mediale Ebene)?
  • Welches Konzept (monologisch bzw. dialogisch) wird verwendet (konzeptionelle Ebene)?

Aus diesen Ebenen lassen sich vier Felder konstruieren: 1. mediale Mündlichkeit, 2. konzeptionelle Mündlichkeit, 3. mediale Schriftlichkeit und 4. konzeptionelle Schriftlichkeit. Bei der konzeptionellen Mündlichkeit handelt es sich also um die Dialoghaftigkeit, Vertrautheit im Text (ebd.: 17f.), wobei Kommunikationsbedingungen und Versprachlichungsstrategien eine wichtige Rolle spielen (vgl. Koch/Oesterreicher 1990: 8-10), die sich u.a. aus der Anzahl der Rezipienten, der freien Themenentwicklung, der Spontaneität, Emotionalität und Vertrautheit der Kommunikationspartner ergeben. Somit ist die Tendenz zur konzeptionellen Mündlichkeit umso stärker, je mehr Rezipienten es gibt, je vertrauter diese sind und je spontaner und emotioneller die Äußerungen. Der Grad der Konzeptionalität kann dabei zwischen den Polen Nähe und Distanz variieren: Es handelt sich um ein Kontinuum und nicht um ein dichotomisch angelegtes Modell.

Schwitalla (vgl. 2003) gibt mit seiner Einführung zur gesprochenen Sprache einen Überblick über die Elemente des gesprochenen Deutsch.3 Treten diese gesprochensprachlichen Elemente in medial schriftlich realisierten Textsorten auf, verweisen sie auf den Raum der mündlichen Kommunikation unabhängig von der medialen Realisierung. Im Folgenden soll betrachtet werden, wie diese Nähe und Vertrautheit im Märchen vom Nussknacker und Mäusekönig erscheinen und welche gesprochensprachlichen Elemente auftreten.

Im deutschen Original kommt das Adverb ›nun‹ insgesamt 69 mal vor, teils um die Erzählung zu vergegenwärtigen, teils partikelhaft ohne eigentliche Bedeutung, was als Zeichen der Mündlichkeit gilt. Die häufig verwendeten Modalpartikeln wie ›ja‹, ›denn‹, ›eben‹, das umgangssprachlich verwendete Adverb ›da‹, die umgangssprachliche Konjunktion ›also‹, die Imperativsätze (»Hört nur!«, »Siehe!«, »Horcht auf!«, »Denkt euch!«) und Nachfragen (»Aber was war denn das wieder?«, »Aber wie wird es nun weiter werden?«) sind ebenfalls Nachweise der Vergegenwärtigung bzw. der Mündlichkeit. Der Ich-Erzähler spricht im Text explizit die Kinder Marie und Fritz an, wobei das Wort ›Zuhörer‹ bzw. ›Zuhörerin‹ insgesamt achtmal verwendet wird. Die Verwendung von Namen in Gesprächen dient laut Schwitalla (vgl. 1995: 503) der Gesprächskonstitution, der Segmentierung, der Beziehungsdefinition, der Gruppenkonstitution oder der Referenz auf abwesende Personen. Damit werden das Einverständnis zwischen den Kommunikationsteilnehmern erzielt und Beziehungen hergestellt, die vorher so nicht existiert haben. Nach Schwitalla erhöht die Namensnennung die Relevanz einer Aussage oder Aufforderung und die Aufmerksamkeit des Rezipienten. Sehen wir uns diesbezüglich den folgenden Abschnitt an.

Sehr gut möbliert war das Zimmer, habe ich gesagt, und das ist auch wahr, denn ich weiß nicht, ob du, meine aufmerksame Zuhörerin Marie! ebenso wie die kleine Stahlbaum (es ist dir schon bekannt geworden, dass sie auch Marie heißt), ja! – ich meine, ob du ebenso wie diese, ein kleines schön geblümtes Sofa, mehrere allerliebste Stühlchen, einen niedlichen Teetisch, vor allen Dingen aber ein sehr nettes blankes Bettchen besitzest, worin die schönsten Puppen ausruhen? Alles dieses stand in der Ecke des Schranks, dessen Wände hier sogar mit bunten Bilderchen tapeziert waren, und du kannst dir wohl denken, dass in diesem Zimmer die neue Puppe, welche, wie Marie noch denselben Abend erfuhr, Mamsell Clärchen hieß, sich sehr wohl befinden musste (Hoffmann 2001: 251; Hervorh. S.Y./J.K.).

Neben der bereits erwähnten Ich-Form und der expliziten Anrede: »du, meine aufmerksame Zuhörerin Marie!«, erkennt man in diesem Abschnitt mehrere gesprochensprachliche Elemente: Allein in dem ersten Gesamtsatz: »Sehr gut möbliert war das Zimmer […] worin die schönsten Puppen ausruhen?«, werden drei Parenthesen eingeschoben (»habe ich gesagt«; »meine aufmerksame Zuhörerin Marie«; »es ist dir schon bekannt geworden, dass sie auch Marie heißt«). Die Konstruktion »ich weiß nicht, ob« wird durch den langen Einschub gestört, der Autor kündigt durch die Gliederungspartikel ›ja‹ als Startsignal eine Reparatur des bereits produzierten Gesprächselements an und formuliert die Konstruktion in die semantisch verbleichte und daher mittlerweile als Diskursmarker betrachtete Floskel »ich meine, ob« um (Imo 2007: 190). Dabei wiederholt sich die Wortreihe »ob du ebenso wie«. Die beiden Ausrufezeichen ahmen die gesprochensprachliche Phonetik nach.

Dass das Märchen vom Autor mündlich erzählt wird, wird auch neben den Wiederholungen und Reparaturen an den oft verwendeten Konstruktionen mit ›sagen‹, ›wissen‹, ›meinen‹ und ›glauben‹ deutlich.4

  • »Du weißt, o mein kriegserfahrner Zuhörer Fritz! dass eine solche Bewegung machen, beinahe so viel heißt als davonlaufen und betrauerst mit mir schon jetzt das Unglück, was über die Armee des kleinen von Marie geliebten Nussknackers kommen sollte!« (Hoffmann 2001: 260; Hervorh. S.Y./J.K.)
  • »›Nun wisst ihr wohl, Kinder‹, so fuhr der Obergerichtsrat Droßelmeier am nächsten Abende fort, ›nun wisst ihr wohl, Kinder, warum die Königin das wunderschöne Prinzesschen Pirlipat so sorglich bewachen ließ‹.« (Ebd.: 271; Hervorh. S.Y./J.K.)
  • »[D]enn nicht glauben magst du’s, meine aufmerksame Zuhörerin« (ebd.: 285; Hervorh. S.Y./J.K.).
  • »Ich glaube, keins von euch, ihr Kinder, hätte auch nur einen Augenblick angestanden, dem ehrlichen gutmütigen Nussknacker, der nie Böses im Sinn haben konnte, zu folgen.« (Ebd.: 290; Hervorh. S.Y./J.K.)

Besonders die Konstruktionen mit ›wissen‹ bilden wie im obigen Beispiel Vergewisserungssignale wie »Du weißt« oder »Nun wisst ihr wohl, Kinder«, die im Gespräch die Funktion sowohl der Einforderung einer Rückmeldung als auch der Aufmerksamkeitssteigerung bedeuten würde (für Näheres siehe Imo 2007: 158-160). Besonders der letzte Satz: »Das war das Märchen von Nussknacker und Mäusekönig« (Hoffmann 2001: 306), untermauert die Tatsache, dass ebenfalls die äußere Geschichte ein mündlich erzähltes Märchen ist. Nach diesem Satz, der das Ende des Werks ankündigt, folgt eine Szene, in der die Mitglieder der Brüder von Serapion das Werk kommentieren, genau wie in allen anderen Werken in der Sammlung Die Brüder von Serapion. Durch die Einfügung dieses kommentierenden Teils ist davon auszugehen, dass diese Geschichte vorgelesen wurde.

Wie zuvor erwähnt, wird der mündliche Kontext der externen Erzählung in diesem Kapitel deshalb ausführlich behandelt, weil zwischen Deutsch und Koreanisch im mündlichen Ausdruck ein großer Unterschied besteht. Bis heute wurde in akademischen Kreisen in Korea nicht aktiv über Aspekte oder Methoden der literarischen Übersetzung von ›Mündlichkeit‹ der darauf basierenden Erzählformen auf der Textebene diskutiert, wie sie in der Übersetzung dieses Werkes zu sehen sind. Der Hauptgrund liegt darin, dass vor allem Mündlichkeit im Prozess der Textwerdung mit hoher Wahrscheinlichkeit unterdrückt oder zerstört wird.5 Auch ist es nicht üblich, konzeptionell mündliche Texte ins Koreanische gesprochensprachlich zu übersetzen, selbst wenn der Umfang dieser Diskussion auf den Kontext der Übersetzung beschränkt wäre. Nussknacker und Mäusekönig ist jedoch ein Sonderfall, bei dem der Übersetzer zwangsläufig keine andere Wahl hat, als die gesprochensprachlichen Elemente zumindest der inneren Geschichte wegen der sich wiederholenden Struktur und der Eigenschaft eines Märchens, das Kindern erzählt wird, wörtlich auszudrücken. Während im Deutschen mündliche Merkmale mit Wortschatz, Satzbau, Stilmerkmale usw. ausgedrückt werden, kommen im Koreanischen neben diesen Elementen noch die satzfinalen Endungen hinzu, die explizit anzeigen, dass die Sätze verbal realisiert, d.h. mündlich erzählt werden.

In allen in diesem Aufsatz besprochenen Übersetzungen ist bei dem von Droßelmeier erzählten inneren Märchen explizit erkennbar, dass die Geschichte verbal kommuniziert wird, indem Endungen wie -oe, -ji, -tanta verwendet werden (für Näheres siehe Kapitel 4). Denn die Situation, dass der Pate Droßelmeier Marie und Fritz das Märchen erzählt, wird deutlich dargestellt. In Bezug auf die Übersetzung des äußeren Märchens finden sich jedoch leichte Unterschiede bei den Übersetzern. Mit Ausnahme der Version von Kang Dong-hyuk (vgl. 2019), die aufgrund seiner Relay-Übersetzung (aus dem Englischen ins Koreanische) nicht in die Diskussion dieses Artikels einbezogen wurde, wird meist nur der Moment, in dem der Sprecher direkt auftritt, in mündlich erzählter Form wiedergegeben. Wenn das innere und äußere Märchen aber strukturell ähnlich sind, wäre es dann nicht möglich, das äußere Märchen als mündlich erzählt darzustellen? Wenn man davon ausgeht, dass das äußere Märchen auch erzählt wird, was ist dann der Grund dafür, dass dies im Koreanischen nicht berücksichtigt wurde bzw. wird? Die Erläuterung dieser Frage erfolgt im nächsten Kapitel.

4. Vergleichende Analyse der koreanischen Übersetzungen

In den meisten koreanischen Übersetzungen wird das äußere Märchen konzeptionell schriftlich dargestellt und nur die innere Erzählung von Droßelmeier konzeptionell mündlich. Dies ist im Koreanischen an den satzfinalen Endungen (jong-gyeol eomi) explizit erkennbar. Koreanische Verb-Enden bestehen aus verschiedenen Grammatikkategorien wie den unterschiedlichen Zeitformen (Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft), dem Honorativ, der Formalität und dem Passiv/Aktiv, um nur einige zu nennen.6 Das Verb wird konjugiert und die 40 grundlegenden Verb-Endungen ergeben durch Kombinationen über 400 Varianten. Satzfinale Verb-Enden im Koreanischen entscheiden, welche Intention der Sprecher hat, ob der produzierte Text konzeptionell geschrieben oder gesprochen wird, ob der Rahmen formell oder informell ist und wie nahe sich der Sprecher dem Rezipienten fühlt (vgl. Kim 2001: 189).7 Zur Erläuterung geben wir kurz einen groben Überblick über die satzfinalen Endungen im Koreanischen, bevor wir auf konkrete Stellen der jeweiligen Übersetzungen eingehen. Des Umfangs wegen werden wir uns jedoch auf die pragmatische Funktion der Verb-Enden beschränken, die bei der Übersetzung dieses Werks durch die Wahl der Übersetzer die Rezeption des Lesers beeinflussen: -ta, -oe, -ji, -tanta, -kuna und -ryum.

-ta wird benutzt, wenn der Produzent die Situation objektiv und neutral beschreibt. Laut Han (vgl. 1991) hat -ta (wie die Endung -eo) keine weitere lexikalische Bedeutung, lediglich eine grammatische Funktion. Der -ta-Stil wird auch für neutrales/unpersönliches Schreiben verwendet (vgl. Choo/Kwak 2008: 3-4), d.h., der Rezipient wird nicht konkret vorausgesetzt. Während die im Folgenden aufgezählten Endungen hauptsächlich in der gesprochenen Sprache verwendet werden, kommt die Endung -ta hauptsächlich in unpersönlicher Schrift für ein nicht näher bezeichnetes Publikum vor. Sie wird für Aussagen in allen wissenschaftlichen und unpersönlichen Texten verwendet, einschließlich Zeitungen, Berichten, Artikeln, Journalen, Zeitschriften, Büchern usw.

-eo wird ebenfalls wie -ta benutzt, wenn der Produzent die Situation objektiv und neutral beschreibt. Im Vergleich zu -ta wirkt der informale -eo-Stil jedoch natürlicher, geschmeidiger und intimer (vgl. Han 1991; Yoon 1999). Das Lehrbuch des Yonsei Korean Institute beschreibt, dass die finale Endung -eo dann angewandt wird, wenn man mit nahestehenden Freunden, vom Alter her jüngeren Personen von geringerem sozialem Status als man selbst und besonders mit Kindern spricht (vgl. Yonsei Korean Institute 2013: 136).

Tabelle 1

Formalität

Endung

wichtigste Merkmale

formell

-ta (-다)

  • Verwendung für objektive und neutrale Beschreibung einer Situation
  • Verwendung für neutrales/wissenschaftliches/unpersönliches Schreiben

informell

-eo (-어)

  • Verwendung für objektive und neutrale Beschreibung einer Situation
  • natürlicher, geschmeidiger und intimer im Vergleich zu ›-ta‹

-ji (-지)

  • Der Produzent weiß über die Situation Bescheid und ist von der Aussage überzeugt.
  • Der Rezipient kann über die Situation informiert sein oder auch nicht.

-tanta (-단다)

  • Der Produzent weiß über die Situation Bescheid und ist von der Aussage überzeugt.
  • Informationen sind dem Rezipienten unbekannt.
  • sanfter, intimer, freundlicher im Vergleich zu ›-ji‹

-kuna (-구나)

Verwendung bei eigener Verwunderung, Staunen

-ryum (-렴)

Verwendung als Aufforderung des Rezipienten

Das informale -ji wird dann verwendet, wenn der Produzent der Äußerung von der Situation bzw. Information Kenntnis hat: Er weiß Bescheid und ist sich der Sache bewusst (vgl. Jang 1985; Yoon 1999). Er ist davon überzeugt, dass die Aussage richtig ist. Dabei kann der Rezipient über die Situation informiert sein oder auch nicht. Der Rezipient ist jünger oder gleichaltrig. Wäre der Rezipient älter, ist der Gebrauch der Endung unangemessen. -tanta wird ebenfalls wie -ji dann verwendet, wenn der Produzent von der Situation bzw. Information Kenntnis hat und von der Aussage überzeugt ist (vgl. Han 1991; Paik 2001).8 Während die Verb-Endung -ji in fast all diesen Kontexten benutzt werden kann, beschränkt sich die Endung -tanta auf Informationen, die dem Rezipienten unbekannt sind (vgl. Park 2004: 109). Auch bezüglich der Intimität kann wiederum unterschieden werden: Der -tanta-Stil wirkt geschmeidiger, intimer, sogar freundlicher. Es ist wichtig anzumerken, dass bei der Nutzung von -tanta, -kuna und -ryum ein Rezipient vorausgesetzt wird, der vom Alter her jünger als der Produzent sein muss. Diese Endungen werden in der koreanischen Kultur häufig in Aussagen bzw. Aufforderungen gegenüber Kindern verwendet.

-kuna benutzt der Produzent hauptsächlich, wenn er sich einer Sache zum ersten Mal bewusst wird und dadurch Überraschung oder Staunen zum Ausdruck bringt (vgl. Han 1991; Paik 2001). Der -kuna-Stil wird (wie bei -tanta und -ryum) meistens in Fällen verwendet, in denen der Produzent einen vom Alter her jüngeren Rezipienten anspricht. -ryum wird benutzt, wenn der Produzent den Rezipienten auffordert, etwas zu tun. Die Endung kann jedoch nicht verwendet werden, wenn der Rezipient älter als der Produzent ist.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass anhand der satzfinalen Endungen erkennbar ist, dass das äußere Märchen in den meisten koreanischen Übersetzungen konzeptionell schriftlich wiedergegeben ist, also anhand der Endung -ta. In dieser Arbeit wurden insgesamt sechs deutsche Direkt- und Vollversionen analysiert, die im Jahr 2022 auf dem Markt waren. Wenn man berücksichtigt, dass die Übersetzung von Choe Min-suk, die erstmals 2001 erschien, 2021 überarbeitet und neu veröffentlicht wurde, haben insgesamt fünf Übersetzer (Choe Min-suk, Ham Mi-ra, Han Mi-hee, Moon Seong-won und Park Jin-kwon) dieses Werk übertragen. Sie unterscheiden sich vom Konzept her, und es kommt eine hohe Individualität der Übersetzer zum Vorschein.

Der größte Unterschied zwischen den Übersetzungen besteht darin, dass das Endprodukt entweder dem Pol der ›Originaltreue‹ oder dem Pol der ›Lesbarkeit in der Zielsprache‹ nahekommt. Natürlich ist das bei allen Übersetzungen der Fall, aber besonders weil Nussknacker und Mäusekönig ein Märchen für Kinder ist, zeigt sich hier ein sehr deutlicher Unterschied zwischen den originalgetreuen Übersetzungen und denen, die die Lesbarkeit betonen. Vor allem die unterschiedlichen Einstellungen der einzelnen Übersetzer gegenüber ihrer Tätigkeit des Übersetzens, die so deutlich miteinander kontrastieren, werden an den Stellen sichtbar, die die in diesem Beitrag erwähnten besonderen Eigenschaften des Originalwerks Nussknacker und Mäusekönig mit sich bringen, also an Stellen, wo der Erzähler den Leser anspricht. Denn bei Übersetzungen, die die Lesbarkeit betonen, stört das plötzliche Erscheinen des Erzählers den Textfluss und wird als das Leseerlebnis hemmendes Element aufgefasst. Die Art und Weise, wie Übersetzer auf das Erscheinen des Erzählers reagieren, zum Beispiel bei Zurufen an die Zuhörer bzw. Leser oder bei Aufforderungen wie »Hört« oder »Siehe«, um die Aufmerksamkeit zu erregen, kann man in drei Kategorien gliedern. Erstens: Die Stelle wird treu übersetzt. Zweitens: Die Stelle wird gestrichen bzw. nicht übersetzt. Und drittens: Es wird ein Kompromiss gefunden. Eine Übersetzung, die die heterogenen Elemente getreu berücksichtigt, kann als Übersetzung bezeichnet werden, die versucht, die Originalität des Ausgangstextes zu bewahren. Andererseits gibt es Übersetzungen, in denen gesprochensprachliche Elemente weggelassen, also nicht übersetzt worden sind. Insbesondere fanden sich diese Versuche häufig an Stellen, wo eine deskriptive Darstellung beibehalten werden konnte, indem nur wenige Wörter einfach ausgelassen wurden. Zum Beispiel wird die Partikel ›Ja‹ (vgl. Tab. 2: ① und ③) im exemplarischen Fall aus Tab. 2 nur bei Choe und Ham treu übersetzt (Park übersetzte nur das erste ›Ja‹). Alle anderen ließen die Partikel weg.

Tabelle 2

Original

»① Ja! jene hatten gut sich herabstürzen, denn nicht allein dass sie reiche Kleider von Tuch und Seide trugen, so war inwendig im Leibe auch nicht viel anders als Baumwolle und Häcksel, daher plumpsten sie auch herab wie Wollsäckchen. Aber der arme Nussknacker, der hätte gewiss Arm und Beine gebrochen, denn, ② denkt euch, es war beinahe zwei Fuß hoch vom Fache, wo er stand, bis zum untersten, und sein Körper war so spröde als sei er geradezu aus Lindenholz geschnitzt. ③ Ja Nussknacker hätte gewiss Arm und Beine gebrochen, wäre, im Augenblick als er sprang, nicht auch Mamsell Clärchen schnell vom Sofa aufgesprungen und hätte den Helden mit dem gezogenen Schwert in ihren weichen Armen aufgefangen.« (Hoffmann 2001: 256; Hervorh. S.Y./J.K.)

Übersetzung von

① »Ja!«

② »denkt euch«

③ »Ja«

Choe 2021

treu übersetzt

treu übersetzt

treu übersetzt

Ham 2018

treu übersetzt

kompromisshaft

treu übersetzt

Han 2018

nicht übersetzt

treu übersetzt

nicht übersetzt

Moon 2006

nicht übersetzt

kompromisshaft

nicht übersetzt

Park 2018

treu übersetzt

kompromisshaft

nicht übersetzt

Bei der Aufforderung »denkt euch« erkennt man in den Übersetzungen eine Variation von Kompromissen, besonders bei denjenigen, die die Lesbarkeit berücksichtigen wollen. Im Gegensatz zu Choe und Han, die die Aufforderung im Koreanischen als Imperativ wiedergeben (»생각해 보렴« [saengakhae boryum]; »denkt euch«) und somit so originalgetreu wie möglich bleiben, wird bei Ham die Aufforderung an die zweite Person Plural verallgemeinernd formuliert (»높이가 거의 2피트나 되었다는 걸 생각해 보라«; »(Man) solle sich denken/vorstellen, dass«), bei Moon als Wunsch (»독자 여러분도 한번 생각해 보길 바란다.«; »Es sei wünschenswert, dass sich das Leserpublikum auch einmal Gedanken darüber macht«) und bei Park als Erklärung (»왜냐하면 너희들이 생각할게 있는데« »Denn ihr solltet bedenken, dass«) dargestellt. Diese dritte, kompromisshafte Variante, tritt hauptsächlich dann auf, wenn das Problem der Unlesbarkeit durch einfache Eliminierung auf Wortebene nicht gelöst werden kann. Betrachten wir die Stelle in Tab. 3.

Tabelle 3

Original

»Ich wende mich an dich selbst, sehr geneigter Leser oder Zuhörer Fritz – Theodor – Ernst – oder wie du sonst heißen magst, und bitte dich, dass du dir deinen letzten mit schönen bunten Gaben reich geschmückten Weihnachtstisch recht lebhaft vor Augen bringen mögest« (Hoffmann 2001: 290).

Übersetzung Choe 2021

»내 이야기를 읽고 있거나 혹은 듣고 있는 사랑하는 프리츠, 테오도어, 에른스트, 그 밖에 네가 누구든, 나는 네게 이렇게 부탁하고 싶구나.« (shipkuna) »아름답고 화려한 선물로 장식된 지난해 크리스마스 탁자를 눈앞에 그대로 생생하게 떠올려 보라고 말이다.« (marita; Choe 2021: 15)

Rückübersetzung:

»Lieber Leser oder Zuhörer Fritz, Theodor, Ernst oder wie du sonst heißen magst, ich bitte dich wie folgt. Ich bitte dich, dass du dir deinen letzten mit schönen bunten Gaben reich geschmückten Weihnachtstisch recht lebhaft vor Augen bringen mögest.«

Übersetzung Moon 2006

»이 이야기를 직접 읽고 있거나 듣고 있는 여러분의 이름이 프리츠가 되었건, 테오도르나 에른스트가 되었건 간에 여러분이 직접 상상해 보길 바란다.« (baranta) »작년 크리스마스 때 멋지고 근사한 선물들로 화려하게 꾸며져 있던 탁자를 눈앞에 그려보는 것이다.« (geosita; Moon 2006: 16)

Rückübersetzung:

»Sei der Name des Lesers bzw. Zuhörers dieser Geschichte Fritz, Theodor oder Ernst, derjenige sollte sich Folgendes vorstellen. Er soll sich also den letzten mit schönen bunten Gaben reich geschmückten Weihnachtstisch vor Augen bringen.«

Die Übersetzungen von Choe Min Suk und Moon Seong-won sind Übersetzungen von Koreas bekanntesten Verlagen für Kinderliteratur und weisen unter den in dieser Arbeit analysierten Übersetzungen von Nussknacker und Mäusekönig die beständigste Treue und eine gute Lesbarkeit auf. Man kann an der originaltreuen Übersetzung der Germanistin Choe Min Suk erkennen, dass sie die Werke Hoffmanns gut kennt. Sie versucht, Hoffmanns literarische Eigenschaften so gut wie möglich widerzuspiegeln und dabei die Leserschaft von Kindern zu berücksichtigen. Daher toleriert sie auch die Plötzlichkeit und Unbeholfenheit der Stellen, an denen der Sprecher unvermittelt auftaucht. Auch die langen Sätze Hoffmanns werden beibehalten. In Bezug auf das Übersetzungskonzept bildet die Übersetzung von Moon Seong-won einen deutlichen Gegensatz zu der von Choe Min Suk. In der Übersetzung von Moon, ebenfalls von einem großen Kinderbuchverlag veröffentlicht, werden Hoffmanns lange Sätze zerstückelt: Somit sind es mehr und kürzere Sätze als im Original und für Kinder leichter zu verstehen.

Beachtenswert ist der erste Satz von Moons Übersetzung, der seine eklektische Haltung offenbart. Er gibt die heterogenen Elemente des Werks, wie etwa die Intervention des Erzählers, semantisch nicht vollständig auf, sondern umschreibt diese Stellen als schlichten deskriptiven Text. Obwohl der Erzähler/Sprecher im Originaltext explizit als »ich« auftaucht und die Leser oder Hörer mit Namen direkt anspricht, behält Moon die Haltung der dritten Person bei, ohne die Bedeutung des ursprünglichen Satzes zu verlieren. Moon verzichtet komplett auf das Subjekt »ich« (das ist im Koreanischen, einer Pro-drop-Sprache, möglich), und statt die Kinder direkt mit den Namen anzusprechen, listet er diese auf (Rückübersetzung: »Sei der Name des Lesers bzw. Zuhörers dieser Geschichte Fritz, Theodor oder Ernst«). Dadurch verliert der Satz zwar nicht seine Bedeutung, aber die plötzlich erregte direkte Beziehung zwischen Sprecher/Hörer oder Erzähler/Leser wird abgeschwächt bzw. gar nicht hervorgehoben. Auch hat der Begriff 여러분 (yeoreobun) im Koreanischen die Bedeutung »Publikum«, sodass eine Art Verallgemeinerungseffekt erzeugt wird. Während Choe die Endung -ryum benutzt, die typisch für den gesprochensprachlichen Kontext ist, sieht man bei Moon, dass er mit der Endung -ta den deskriptiven Kontext beibehalten möchte. Kurz zusammengefasst: Bei Moon hat Lesbarkeit Priorität. Er verwendet eine Methode, um Faktoren zu verbergen, die den reibungslosen Lesefortschritt behindern. Aus diesem Grund wird in seiner Übersetzung der konzeptionell mündlichen Stellen auch nur die Verb-Endung -tanta verwendet. Dies liegt daran, dass -tanta zwar im gesprochensprachlichen Kontext verwendet wird, aber wie die deskriptive Endung -ta mit ta endet, sodass es dem typisch koreanischen Rhythmusgefühl nicht widerspricht.

Andere eklektische Beispiele sind in der Übersetzung von Park Jin-kwon und Han Mi-hee zu finden. Park und Han übersetzten den gesamten Absatz, in dem der Erzähler/Sprecher plötzlich den Leser anspricht, in erzählender Form, sodass das Einzigartige des Originalwerks beibehalten wird. Zum Beispiel übersetzte Park Jin-kwon die gesamte zweite Hälfte des Kapitels »Wunderdinge«, in dem der Erzähler/Sprecher häufig vorkommt, in erzählender Form. Auch Han verwendet diese Strategie. Dazu versucht sie visuell die relevanten Absätze durch Leerzeilen typografisch abzutrennen.

Die Ergebnisse der Vergleichsstudie haben gezeigt, dass die meisten Übersetzer dieses Werks sich viele Gedanken bei der Übersetzung von gesprochensprachlichen Elementen oder Stellen gemacht haben, in denen der Erzähler plötzlich erscheint. Dieses Zögern liegt an erster Stelle an den besonderen Merkmalen des Koreanischen, in dem durch Satzendungen explizit bestimmt wird, ob der Text einen deskriptiven oder erzählerischen Charakter hat. Dies erklärt jedoch nicht das Auslassen oder Umschreiben von Partikeln, Namen oder kurzen Aufforderungen. Um diese in der koreanischen Übersetzung häufig auftretenden Phänomene zu verstehen, sollten über die sprachlichen Eigenschaften hinaus auch die kulturellen Besonderheiten Koreas betrachtet werden. Die sprachlich-kulturellen Merkmale des Koreanischen, die im Rahmen dieser Arbeit im Übersetzungs- und Rezeptionsprozess aus dem Deutschen beobachtet wurden, lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  • Der Versuch, die Mündlichkeit in Textform zu übertragen, zeigt, dass im Koreanischen strikt zwischen gesprochener und geschriebener Sprache unterschieden wird.
  • Diese Tendenz scheint teilweise auf die fehlende Verbreitung einer Kultur des Vorlesens in Korea zurückzuführen zu sein.

5. Fazit

Bereits im West-östlichen Divan spricht Goethe von einer »Übersetzung, die sich mit dem Original zu identifizieren strebt«. Diese Übersetzung »erleichtere höchlich das Verständnis des Originals«. Man würde »an den Grundtext hinangeführt, ja getrieben, und so sei denn zuletzt der ganze Zirkel abgeschlossen, in welchem sich die Annäherung des Fremden und Einheimischen, des Bekannten und Unbekannten bewege«. (Goethe 2006: 265) Diese Worte können so interpretiert werden, dass die Dynamik der Übersetzung nicht mit dem Transfer von der Ausgangssprache in die Zielsprache endet, sondern ein Magnetfeld innerhalb der Zielsprache generiert und schließlich auch die Wahrheit der Ausgangssprache offenbart. Diese Einsicht Goethes war ein Auslöser für diese Studie. Überraschenderweise gab es nicht viele Forschungen, die Ideen und Inspiration für die Fragestellung dieser Arbeit liefern konnten. Deswegen plädieren wir hier für das Argument, dass diese Diskussion wegen der introspektiven Eigenschaft des Koreanischen ohne den Übersetzungsprozess und die dadurch produzierten verschiedenen Übersetzungen überhaupt nicht ausgelöst worden wäre.

In Korea sagt man, dass bei der Interpretation der koreanischen Sprache auch noch das letzte Wort eines Satzes beachtet werden muss. Zunächst einmal steht das Verb, das im Satz die wichtigste Rolle spielt, im Gegensatz zu europäischen Sprachen am Ende des Satzes. Darüber hinaus werden alle sprachlichen Elemente wie Modalität, Negation, Höflichkeit usw., die auf der pragmatischen Ebene von Bedeutung sind, durch Satzendungen realisiert (dies ist auch im Japanischen der Fall, das eine ähnliche syntaktische Struktur wie das Koreanische hat). Diese Eigenschaft bildet auch in dem Punkt einen Unterschied gegenüber dem Deutschen, dass der Umstand einer mündlichen Erzählung im Koreanischen durch die Satzendungen explizit spezifiziert wird.

Insbesondere bei der Übersetzung eines komplex strukturierten Werks wie Nussknacker und Mäusekönig wird die Situation ausgesprochen kompliziert. Ein Grund, warum die meisten Übersetzer zögern, die mündlich erzählte Situation durch die Verwendung der dazu bestimmten satzfinalen Endungen beim äußeren Märchen zu betonen, könnte darin liegen, dass in diesem Fall die Grenze zum inneren Märchen verschwimmen würde.

Wenn dies die Grundlage der sprachlichen Dimension für dieses Phänomen ist, scheint es auch eine psychologische Dimension zu geben, nämlich auf der Ebene des Sprachgebrauchs, der die Übersetzer davon abhält, gesprochensprachliche Satzendungen für einen geschriebenen Text zu wählen. Sie fühlen sich unwohl, weil die Mischung des konzeptionell Mündlichen und Schriftlichen ungewohnt und damit unnatürlich wirkt. Hauptsächlich deswegen wurden mündlich konzipierte Stellen des Textes angepasst. Natürlich ist Nussknacker und Mäusekönig im Wesentlichen ein ›Märchen‹ für Kinder, dessen Lesbarkeit wichtig ist. Häufige Interventionen des Erzählers in einer komplexen Struktur führen bei Kindern mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Verwirrung. Gleichzeitig scheint aber auch der einzigartige kulturelle Kontext Koreas eine wichtige Rolle zu spielen. Es gibt eine strikte Unterscheidung zwischen mündlich überlieferter Literatur (orale Literatur) und allgemeiner Literatur in Korea, was mit den folgenden zwei Punkten zusammenhängt.

Korea hatte bis zur Schaffung von Hangeul, dem koreanischen Alphabet, durch König Sejong keine Schriftsprache. Aufgrund dieser historischen Entwicklung existiert seit langem eine strikte Unterscheidung zwischen geschriebener und gesprochener Sprache. Das Hangeul wurde im Vergleich zum Chinesischen geringgeschätzt und die damaligen Literaturwerke in Hangeul stammen von Schriftstellerinnen, bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts also einer Minderheit. Der literarische Wert dieser Werke wurde erst in neuerer Zeit anerkannt. Dies wäre mit der hierarchischen Beziehung zwischen Latein und Deutsch zu Zeiten Luthers vergleichbar. Die orale Literatur wurde in Korea als eigenständiges Genre buchstäblich ›von Mund zu Mund‹ weitergegeben. Da die Aufzeichnung dieser mündlich überlieferten Texte erst in den 2000er Jahren erfolgte, war die Grenze zwischen mündlich überlieferter Literatur und textbasierter Literatur in Korea sehr deutlich. Aufgrund dieser Entwicklung ist es sehr wahrscheinlich, dass mündliche Elemente in der schriftlichen Literatur als heterogen empfunden werden.

Zweitens hat sich eine Kultur des Vorlesens (wie die von Hoffmann und der Serapionsbrüder) in Korea noch nicht etabliert. In Korea ist es bislang nicht üblich, dass geschriebene literarische Texte vorgelesen werden. Eine Salonkultur wie bei Hoffmanns Serapionsbrüdern, Storytelling wie in Großbritannien oder Lesungen, die in den vielen Literaturhäusern im heutigen deutschsprachigen Raum relativ einfach zugänglich sind, sind in Korea noch nicht üblich.

Natürlich verändert sich auch die koreanische Sprache rasant. Soziale Medien, das wichtigste Kommunikationsmedium für junge Menschen, basieren auch eher auf einer gesprochensprachlichen Ebene als auf einer Schriftsprache. Vielleicht weil die junge Generation eher an audiovisuelle Medien gewöhnt ist als an schriftliche Texte, sind in Korea neuerdings TV-Programme im Storytelling-Format, bei dem mehrere Moderatoren den Gästen Geschichten über historische Ereignisse erzählen (Kkokkomu [»The Story Of The Day«], Original-Network: SBS), beliebter als das traditionelle Dokumentarformat, das von einem Moderator geleitet wird (beispielsweise Unanswered Questions, Original-Network: SBS). Auch Hörbücher entwickeln sich dementsprechend zu einem neuen Trend. Die Grenze zwischen geschriebener und gesprochener Sprache verschwimmt zunehmend und geschriebene Texte werden immer häufiger mündlich übermittelt. Daher kann die nächste Generation, die einen freieren Umgang mit den Grenzen zwischen geschriebener und gesprochener Sprache, gedrucktem und mündlich vorgetragenem Text als die jetzige pflegt, die Übersetzungsschwierigkeiten des Märchens Nussknacker und Mäusekönig möglicherweise ganz anders lösen. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass sich der heutige oft kreative und lockere Sprachgebrauch der Jugend auch auf Koreanischübersetzungen von Hoffmann und vergleichbaren Werken anderer Autoren auswirken wird und die starren Regeln der koreanischen Schriftsprache flexibler werden. Es bleibt auch abzuwarten, ob und inwieweit der derzeitige Umgang mit der Muttersprache Spuren in neu entstehender Literatur hinterlassen wird.

Anmerkungen

1 This work was supported by the Ministry of Education of the Republic of Korea and the National Research Foundation of Korea (NRF-2022S1A5C2A02093427), and by the Yonsei University Research Fund of 2024 (2024-22-0151).

2 Übrigens wurde Dumas’ Adaption (verständlicherweise) nie ins Deutsche übersetzt und veröffentlicht.

3 Zu den gesprochensprachlichen Elementen gehören u.a. Elisionen, Lautabschwächungen auf phonetischer Ebene, deiktische Verweise, Partikel auf lexikalischer Ebene, bestimmte Herausstellungsstrukturen, Satzformen wie Exklamativsätze, elliptische und analeptische Konstruktionen auf syntaktischer Ebene u.v.m.

4 Imo (vgl. 2007) bezieht sich bei seiner Untersuchung der gesprochenen Sprache auf Ansätze der Konstruktionsgrammatik und beschreibt Konstruktionen mit zehn ausgewählten matrixsatzfähigen Verben, darunter die im Freiburger Korpus hochfrequenten Verben ›sagen‹, ›wissen‹, ›meinen‹, ›glauben‹ und ›finden‹.

5 Diese Phänomene treten insbesondere häufig in der Übersetzung des Dramagenres auf. Zum Beispiel werden gesprochensprachliche Elemente des Originals wie Reparaturen oder syntaktisch falsche Sätze, die verwendet werden, um Spannung oder Verwirrung in den Dialogen des Dramas auszudrücken, während des Übersetzungsprozesses ins Koreanische meist in Schriftsprache modifiziert oder bearbeitet. Selbst wenn der mit den Emotionen des Originals vertraute Übersetzer versucht, die Mündlichkeit des Originals in der Übersetzung möglichst getreu wiederzugeben, kommt es häufig vor, dass diese Elemente im Redaktionsprozess entsprechend den schriftsprachlichen Regeln korrigiert werden.

6 Der formelle Stil wird hauptsächlich in formellen und offiziellen Redesituationen wie Berichten und Besprechungen verwendet und hat ein vierstufiges System: Habshio-, Hao-, Hage- und Haera-Stil. Der zweistufige informelle Stil ist dahingegen häufig in informellen Gesprächssituationen wie persönlichen Gesprächen zu sehen: Haeyo- und Hae-Stil. Die ›-ta‹-Endung gehört zum formellen Haera-Stil, wohingegen alle anderen hier beschriebenen Endungen zum informellen Hae-Stil gehören.

7 Die Formalität hängt vom Altersunterschied und dem Grad der Nähe ab; casuality, Höflichkeit sind weitere wichtige Faktoren. (Paik 2001: 36, 264; Yonsei-Wörterbuch für Koreanisch).

8 Die ›-tanta‹-Endung hat auch die Funktion, indirekte Rede wiederzugeben. Die in dieser Arbeit behandelte Endung verlor um das 16. Jahrhundert herum durch einen Grammatikalisierungsprozess seine quotative Funktion. Obwohl die Form gleich ist, sind die syntaktischen Eigenschaften ganz unterschiedlich.

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»[V]ielfach sich kreuzende Linien«. Die exotische Kalligraphie in Kafkas tropischer Strafkolonie (Thomas Schwarz)
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